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Bürgerkrieg und Liturgie: England im 17. Jahrhundert
von Christopher Voigt-Goy
Einleitung
Bis in die Gegenwart hinein gehört der von Elisabeth I. (reg. 1558—1603) angenommene Titel »Supreme Govenor of the Church of England« zur englischen Königswürde hinzu. Er bringt die institutionelle Verklammerung von Königsherrschaft und Kirche zum Ausdruck, welche die Gesellschaft des frühneuzeitlichen England prägte. Das war eine Folge der Reformation, die Heinrich VIII. (reg. 1509—1547) mit der Suprematsakte (Act of Supremacy) 1534 eingeführt hatte: Das bestehende Kirchentum mit der ganzen Hierarchie sowie dem gesamten Besitz wurde mit einem Streich der Leitung durch den römischen Papst entrissen und der Führung durch die Krone unterstellt. Die religiöse Loyalität zur Church of England und die politische Loyalität zum englischen Königtum waren von da an ineinander verwoben.
Diese Verbindung materialisierte sich am und im Book of Common Prayer. Heinrichs Nachfolger Edward VI. (reg. 1547—1553) hatte es durch den Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489—1556), zusammenstellen lassen. Es enthielt die für die Gestaltungen der öffentlichen Gottesdienste der englischen Kirche zu befolgenden Riten und Zeremonien sowie die dafür zu verwendenden Gebete und biblischen Texte. Dabei übernahm es viele katholischen Traditionsstücke, durchsetzte sie aber mit Elementen reformatorischer Gottesdienstordnungen des Kontinents. Die Einführung der englischen Sprache im Gottesdienst unterstrich die Distanz zum römischen Papsttum mit seinem lateinischen Ritus. Wirklich entscheidend war jedoch die Verbindung der Promulgation des Book of Common Prayer im Jahr 1549 mit einem Erlass des Königs: Die Uniformitätsakte (Act of Uniformity) bestimmte unter Androhung von Strafe, dass das Book of Common Prayer das ausschließliche Gottesdienstbuch der Church of England ist, und dass — nach einer Revision des Act im Jahr 1552 — alle Untertanen der Krone zur regelmäßigen Teilnahme am offiziellen Gottesdienst gehalten sind, besonders am Sonntag und an hohen Feiertagen.
Freilich waren diese königlichen Maßnahmen darauf ausgerichtet, den Einfluss des Katholizismus in England zurückzudrängen. Nach dem Intermezzo der auf einen Anschluss der Church of England an das Papsttum bestrebten Maria I. (reg. 1553—1558), die das Book of Common Prayer aus der Gottesdienspraxis entfernen und Cranmer verbrennen ließ, führte Elisabeth I. (reg. 1558—1603) es dann wieder ganz in diesem Sinn zusammen mit der Uniformitätsakte 1559 ein. Während ihrer langen Regierungszeit entfaltete das Gottesdienstbuch eine dopppelte Wirkung: Einerseits wuchs auf seiner Basis die gesellschaftliche Akzeptanz der seit Heinrich VIII. in Gang gesetzten Neugestaltung der englischen Kirche. Gerade die Beibehaltung älterer Traditionen erleichterte es dabei Vielen, in der sich nun reformatorisch verstehenden Kirche heimisch zu werden. Auf der anderen Seite jedoch geriet gerade die Anhänglichkeit des Book of Common Prayer an ältere Traditionen innerhalb der englischen Kirche zunehmend in Kritik.
Getragen wurde die innerkirchliche Kritik von einer Frömmigkeitsbewegung, die sich die Reinigung der englischen Kirche von den in ihr verbliebenen »papstkirchlichen Resten« zum Ziel gesetzt hatte. Nach dem Vorbild der schweizerischen Variante der Reformation, vor allem derjenigen Zürichs und Genfs, drangen ihre Verfechter auf die Tilgung der im Book of Common Prayer beibehaltenen Teile aus der katholischen Messfeier, aber auch auf die Abschaffung der katholischen Messgewänder und auf die Einführung synodaler Leitungselemente in die Church of England. Mit der zunehmenden Ausbreitung dieser Bewegung, die nach und nach in allen Gesellschaftschichten eine beachtliche Minderheit erfasste, wurde nicht nur den englischen Klerus und die kirchlichen Gemeinden gespalten. In lokal überschaubaren Zusammenhängen und oft mit der Unterstützung von einflussreichen Landbesitzern entstanden darüber hinaus inoffizielle christliche Versammlungen, die es als ihre Aufgabe verstanden, die in ihren Augen steckengebliebene Reformation zumindest in ihren eigenen Gemeinschaften zu vollenden.
Obwohl gerade in ihrer Frühzeit prinzipielle Kritik an den englischen Herrschaftsinstitutionen in dieser Bewegung kaum verbreitet war, ging schon Elisabeth I. gegen die »Puritaner« — wie sie am Ende des 16. Jahrhunderts polemisch betitelt wurden — teils entschieden vor. Ihre Nachfolger verschärften die Repressionsmaßnahmen, was viele Puritaner ins kontinentale Exil trieb; andere suchten ihr religiöses Glück in den nordamerikanischen Kolonien. Die Spannungen stiegen weiter, als der königstreue Bischof von London und spätere Erzbischof von Canterbury, William Laud (geb. 1573), den obrigkeitlichen Kampf gegen die Puritaner zu einer systematischen Verfolgung ausbaute. Unterstützt von Karl I. (reg. 1625—1649) setzte Laud gezielt die höchsten Gerichte Englands gegen sie ein. Die zunehmenden Repressionen bilden den Kontext der Überlegung des im niederländischen Franeker lehrenden Theologen William Ames (1576—1633). Der hier präsentierte Ausschnitt ist der Schrift De conscientia et ejus iure vel casibus entnommen, die zuerst in Amsterdam 1631 erschien. In ihm thematisiert Ames die Frage, inwiefern ein öffentliches Bekenntnis der eigenen Glaubensüberzeugungen vom Gesetz Gottes unter den Bedingungen der Verfolgung geboten ist Quelle 1.
In England eskalierte die Situation, als Karl I. — der auch König von Schottland war — versuchte, die Einheit seiner beiden Königreiche 1637 durch die Einführung einer an das Book of Common Prayer angelehnten Liturgie in Schottland herzustellen, wo eine eigene Tradition reformatorischer Kirchenorganisation wirksam geworden war. Das löste breiten Widerstand aus und mündete nach der militärischen Niederlage des englischen Königs in die Einberufung des »langen Parlaments«. Eine der ersten Maßnahmen dieses Parlaments war die Verhaftung William Lauds 1640, worin exemplarisch die mittlerweile gewachsene gesellschaftlich-politische wie religiös-kirchliche Opposition gegenüber Karl zum Ausdruck kam. Der missglückte Versuch, diese Opposition zu unterdrücken, führte zum englischen Bürgerkrieg — der manchmal auch als »Englische Revolution« bezeichnet wird (1642—1651). In dessen Verlauf wurde William Laud 1645 hingerichtet. Der König folgte seinem Bischof 1649.
Im siegreichen Parlament hatten diejenigen das Sagen, die vorher mit Gewalt aus der Church of England gedrängt worden waren bzw. eine der kleinen Glaubengemeinschaften gegründet hatten. Das Spektrum der religiösen und kirchlichen Positionen im Parlament war ausgesprochen vielfältig. Zusammengehalten wurde es jedoch durch den gemeinsamen Feind, die bischöflich verfasste Church of England und vor allem das Book of Common Prayer. Zur Lösung der Religionsfrage setzte das Parlament eine Kommission von Vertretern aller protestantischer Strömungen in England ein, die »Westminster Assembly«, die zwischen 1643 und 1649 tagte. Der erste Beschluss dieser Versammlung, der im Januar 1645 durch das Parlament bewilligt wurde, war die hier bereit gestellte Anordnung, das Book of Common Prayer zu verbieten und es durch ein Directory for the publique worship of God zu ersetzen Quelle 2.
Spiegelbildlich zu den früheren Repressionen durch die Church of England ging nun das Parlament gegen Abweichler vor, wie Robert Sandersons A Case of Liturgy zeigt. Robert Sanderson (1587—1663) gehörte zu den Parteigängern William Lauds und war zunächst Professor für Theologie in Oxford. Nach der Einnahme Oxfords durch die Parlamentsarmee verlor Sanderson 1646 seine Professur und zog sich auf eine Pfarrstelle zurück. In dieser Zeit verfasste er die hier im Auszug nach der Vorlage des Drucks aus dem Jahr 1678 präsentierte Schrift. Die Schrift wird aber wohl bereits um 1652 abgeschlossen gewesen sein, da sie in dieser Zeit schon als Manuskript verbreitet war. Die Probleme der Umsetzung des Parlamentsbeschlusses von 1645 lassen sich an ihr ablesen. Darüber hinaus bietet Sanderson eine Begründung für sein Verhalten, die ebenfalls spiegelbildlich die bereits von William Ames gestellten Probleme aufgreift Quelle 3.
Mit dem Ende des Bürgerkriegs und dem der Herrschaft Oliver Cromwells im Jahr 1658 kam es in England zur Wiederherstellung der früheren Zustände: Der vom Parlament vertriebene Sohn Karls. I., Karl II. (reg. 1660—1685), kehrte auf den englischen Königsthron zurück. Eine seiner ersten Amtshandlung war — analog zu den Maßnahmen des Parlaments fast zwanzig Jahre zuvor — die Wiedereinführung des Book of Common Prayer und der Uniformitätsakte. Das neue, wiederum in Auszügen präsentierte Vorwort zur offiziellen Ausgabe aus dem Jahr 1662 hat niemand anderes als Robert Sanderson verfasst, der unter Karl II. zum Bischof von Lincoln aufgestiegen war Quelle 4. Etwa 2000 Geistliche unterschrieben 1662 die Uniformitätsakte jedoch nicht und lehnten das Book of Common Prayer weiterhin ab. Sie wurden nun »Nonkonformisten« genannt.
Weiterführende Literatur
- John COFFES / Paul H.C. LIM (Hg.), The Cambridge companion to Puritanism, Cambridge u.a. 2008.
- Christopher HILL, The World Turned Upside Down: Radical Ideas during the English Revolution, London 1972.
- Alan JACOBS, The Book of Common Prayer: A Biography, Princeton 2013.
- Diarmaid MCCULLOCH, Reformation: Europe's House Divided 1490—1700, London 2004.
Quelle 1: William Ames, De conscientia et ejus iure vel casibus: Libri V, Amsterdam 1631
Quellentext
[S. 156] 4. Buch, 3. Kapitel: Von dem äußeren Bekenntnis des Glaubens
Frage I: Ob ein äußeres Bekenntnis notwendig ist.
... Es ist aus mehreren Gründen notwendig. 1.) Weil Gott es geboten hat, 1. Petr. 3, 15. 2.) Weil es das Versprechen des Heils mit sich führt. Mt 10, 32. Rö 10, 10. 3.) Weil es eine schwere Androhung gegen die Missachtung dieser Pflicht gibt, Mk 8, 58. Lk 9, 26. und 18, 8. 2. Tim 2, 12. 4.) Weil dieses Bekenntnis auf die Erbauung anderer Menschen einwirkt, und seine Missachtung ein Ärgernis für sie ist, Phil 1, 12 und 2, 15,16. [...]
Frage II: Ob dieses Bekenntnis immer und überall notwendig ist.
[...]
1.) Es ist immer und überall erfordert, dass wir den Glauben nicht verneinen, auch nicht gegen den wahren Glauben in irgendeiner Art uns bekennen und nicht gegen uns zeugen. 2.) Aber es ist weder notwendig noch angemessen überall ohne Unterschied ein Bekenntnis abzulegen, was wir glauben, Mt 7, 6. Wenn ein Verrückter aufstehen, sein Schwert ziehen und sagen sollte, dass er jeden töten wird, der sich als Christ bekennt, so wäre ein Bekenntnis des Glaubens zu diesen Zeiten abzulegen nicht ratsam. Aber dann ist das Bekenntnis abzulegen, wenn es irgendeine Hoffnung gibt, dass es der Ehre Gottes und der Erbauung unseres Nächsten dient. Denn die Notwendigkeit der Mittel ist nach ihrem Verhältnis zu beurteilen, welche sie zu ihrem Zweck haben.
[...]
[S. 157] Frage VI. Ob es dem Gesetz entspricht, in Zeiten der Verfolgung zu fliehen, besonders für einen Pfarrer?
[...]
Dass es dem Gesetz in einigen Fällen entspricht, ist offensichtlich: 1.) Durch die Anweisung Christi, Mt 10, 16.23. 2.) Durch Christi eigenes Exempel, Mt 12, 14[1] und 14, 13. 3.) Durch das Exempel der Heiligen wie von Mose, Hebr 11, 27. Von Elia, 1. Kö 19, 3. Von verschiedenen Propheten, 1. Kö 18, 13. Und von dem Apostel Paulus, Apg 9, 25. 4.) Durch die Vernunft, weil die Menschen durch das Naturgesetz gebunden sind, ihre eigenen Leben zu erhalten, bis es offensichtlich wird, dass der Gott und Herr des Lebens sie erfordert, das ist, bis die Notwendigkeit oder der Nutzen der Ehre Gottes und des Heils der Kirche vom Gegenteil überzeugt.
[...]
Es entspricht nicht dem Gesetz für diejenigen, deren Gegenwart für die Erbauung der Kirche notwendig ist. Denn dies wäre weniger eine Vermeidung der Verfolgung als eine Beschämung der Pflicht.
[...]
In einer allgemeinen und nicht persönlichen Verfolgung ist es eine Schande für einen Pfarrer, sich ängstlicher zu zeigen als andere, da er ein Exempel des christlichen Mutes und der Standhaftigkeit der Kirche sein soll.
Bibliographie
William AMES, De conscientia et ejus iure vel casibus: Libri V, Amsterdam 1631, S.156—157. Digitalisat der bayrischen Staatsbibliothek, URL: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/goToPage/bsb10595690.html?pageNo=177. Übersetzung von Christopher Voigt-Goy.
Quelle 2: An Ordinance for taking away the Book of Common Prayer, and for establishing and putting in execution of the Directory for the publique worship of God. Januar 1645
Quellentext
Die im Parlament versammelten Lords und Commons haben die durch das »Book of Common Prayer« im Königreich entstandenen vielfältigen Übelstände ernsthaft erwogen und beschlossen, gemäß ihres Bundesschlusses die Religion nach dem Wort Gottes und dem besten Beispiel Reformierter Kirchen zu verbessern. Deshalb haben sie angesehene, gottesfürchtige und gelehrte Geistliche zusammengerufen und mit ihnen darüber beraten. Und sie beurteilen es als notwendig, dass das besagte »Book of Common Prayers« beseitigt wird, und das »Directory for the Publique Worship of God« [...] in allen Kirchen in diesem Königreich eingeführt und befolgt wird: [...] Und dass das besagte »Book of Common Prayer« in keiner Kirche, Kapelle oder einem Ort der öffentlichen Gottesverehrung bleiben und weiterhin benutzt werden soll im Königreich von England oder der Herrschaft Wales. Und dass das »Directory for publique Worship« [...] von nun an benutzt, betrieben und befolgt werden soll gemäß der wahren Absicht und dem Sinn dieser Anordnung bei allen Ausübungen der öffentlichen Gottesverehrung in jeder Gemeindeversammlung, Kirche, Kapelle und jedem Ort öffentlicher Gottesverehrung innerhalb dieses Königreichs von England und der Herrschaft Wales. [...]
Vorrede
Am Anfang der gesegneten Reformation haben unsere weisen und gottesfürchtigen Vorfahren darauf geachtet eine Ordnung für die Abhilfe vieler Dinge in Gang zu setzen, welche sie damals durch das Wort als töricht, unwahr, abergläubisch und abgöttisch in der öffentlichen Gottesverehrung vorgefunden haben. Dies hat viele fromme und gelehrte Menschen veranlasst, sich an dem zu dieser Zeit hervorgebrachten »Book of Common Prayer« sehr zu erfreuen, weil die Messe sowie der Rest des lateinischen Gottesdienstes abgeschafft und die öffentliche Verehrung in unserer eigenen Zunge gefeiert wurde. Viele der einfachen Leute haben auch daraus Vorteile erhalten, da sie die Schriften in ihrer eigenen Sprache gelesen hörten, welche zuvor für sie wie ein versiegeltes Buch waren.
Wie dem auch sei: Lange und traurige Erfahrung haben es augenscheinlich gemacht, dass die Liturgie, die in der »Church of England« benutzt wird — unwidersprochen den ganzen Mühen und religiösen Absichten ihrer Zusammensteller —, sich als Beleidung erwiesen hat, nicht bloß für viele der Frommen zu Hause sondern auch für die Reformierten Kirchen im Ausland. Um nicht von der Bedrängnis zu reden, alle Gebete zu lesen, welche ihre Last so sehr vermehrt hat: Die vielen unnützen und beschwerlichen Zeremonien, die sie enthält, haben viel Unmut erzeugt und die Gewissen vieler frommer Prediger und Leute beunruhigt, welche mit ihnen nicht einwilligen konnten, und haben ihnen ebenso die Verordnungen Gottes vorenthalten, welche sie nicht ohne Anpassung an oder Unterschrift zu diesen Zeremonien genießen konnten. Allerlei gute Christen sind dergestalt vom Tisch des Herrn ferngehalten worden, verschiedene fähige und treue Prediger von der Ausübung ihres Dienstes ausgeschlossen — zur Gefährdung von vielen tausend Seelen in einer Zeit des Mangels an solchen treuen Pfarrern — und ihres Lebensunterhalts beraubt worden, zu ihrem und ihrer Familie Verderben. Prälaten und ihre Lager haben daran gearbeitet, ihre Hochschätzung so weit zu erhöhen, als gäbe es keine andere Verehrung oder Möglichkeit der Verehrung Gottes unter uns als allein das Gottesdienstbuch: zum großen Hindernis der Predigt des Wortes und — an einigen Orten besonders jüngst — um es als unnötig, oder — bestenfalls — um es der Lesung des gemeinen Gebets als weit unterlegen abzudrängen, wodurch es [scil. das Gottesdienstbuch] zu nichts anderem gemacht wurde als zu einem Götzen von so vielen ignoranten und abergläubischen Leuten, die sich selbst an ihrer Gegenwart bei diesem Gottesdienst gefallen und die sich dadurch — ihre Lippenarbeit hat ihren Teil dazu beigetragen — in ihrer Ignoranz und Achtlosigkeit gegenüber dem rettenden Wissen und wahrer Frömmigkeit verhärteten.
[...]
Bibliographie
»January 1645: An Ordinance for taking away the Book of Common Prayer, and for establishing and putting in execution of the Directory for the publique worship of God.«, in: Acts and Ordinances of the Interregnum, 1642-1660, ed. C. H. FIRTH and R. S. RAIT (London, 1911), pp. 582-607. British History Online, URL: http://www.british-history.ac.uk/no-series/acts-ordinances-interregnum/pp582-607 [20. September 2016]. Übersetzung von Christopher Voigt-Goy.
Quelle 3: Robert Sanderson, The Case of the Use of the Liturgy, stated in the late times, London 1678 (entstanden um 1652)
Quellentext
[S. 157—161]
Mein Herr,
da Sie zu wissen begehren, was mein Urteil und meine Praxis das Gebrauchen und Unterlassen der eingeführten Liturgie betreffend (entweder im Ganzen oder zum Teil) im öffentlichen Gottesdienst ist und den Ämtern der Kirche, und wenn das zu Ihrer oder eines Freundes Befriedigung sein kann: Ich werde Sie vollständig mit meiner Praxis bekannt machen, was sie ist (wobei, wenn meinem Urteil nicht zugestimmt wird, ich ohne jeden Ausweg mein eigener Verdammer bin), und aufgrund welcher Beweggründe ich sie gemäß der Veränderung der Zeiten unterschiedlich gehandhabt habe.
So lange meine Gemeinde ohne Vermischung mit Soldaten bestand (so wohl nach als vor der Promulgation der Anordnung der beiden Häuser, das »Common Prayer« abzuschaffen), habe ich dessen Gebrauch fortgeführt, wie ich es zuvor in den so friedvollen und ordentlichen Zeiten getan habe, wobei ich gerade diese Gebete nicht ausließ, auf deren Verschweigen — wie ich das nicht anders verstehen kann — die Verordnung hauptsächlich abzielt, nämlich solche für den König, die Königin und die Bischöfe. Und so tat ich das, obwohl einige Soldaten gelegentlich da waren, bis zu jener Zeit als eine Truppe, die in der Stadt Quartier nahm [...], am ersten Sonntag, nachdem sie gekommen waren, über dessen Lesung durch mich so aufgebracht war, dass sie unmittelbar nach dem Morgengottesdienst das Buch einzogen und es komplett in Stücke rissen.
Von da an, während ihres Aufenthalts hier für sechs Monate und länger (nämlich von Anfang November bis sie zur Schlacht von Naseby im folgenden Mai gerufen wurden), sah ich es — neben dem Umstand eines fehlenden Buches musste ich es aus Notwendigkeit — als ziemlich für mich an, um weiteren Aufruhr zu vermeiden, den Gebrauch des Buches für eine Zeit beiseite zu schieben, zumindest für den gewöhnlichen Gottesdienst; ich las nur das Bekenntnis, das Vater Unser, mit den kurzen Versen und den Psalmen für den Tag; dann aber nach der ersten Schriftlesung am Vormittag, Benedictus und Iubilate, und am Nachmittag Cantate. Nach der zweiten Schriftlesung ebenfalls am Vormittag, manchmal das Glaubensbekenntnis und manchmal die Zehn Gebote und manchmal keins von beidem, stattdessen sang ich einen Psalm, und so zur Predigt: Aber all das, während ich bei der Verwaltung der Sakramente, dem Vollzug der Eheschließung, dem Totenbegräbnis, der Segnung der Mitwöchnerinnen die alten Formen und Riten unentwegt verwendete, jedem davon das seinige beilegend, gemäß der Festsetzung in dem Buch. Ich war lediglich beim ganzen Rest vorsichtig, eine Wahl von solchen Zeiten und Gelegenheiten zu treffen, damit ich sie mit größter Heimlichkeit und ohne Störung durch die Soldaten tun könnte. Nur bei der Feier des Abendmahls war ich umso sicherer es öffentlich zu vollziehen, weil ich versichert war, dass keiner der Soldaten anwesend sein würde.
Nach ihrem Abzug nahm ich mir die Freiheit die ganze Liturgie zu gebrauchen, oder nur ein Teil von ihr, bei Gelegenheit manchmal mehr, manchmal weniger weglassend, da ich das mit Blick auf die Zuhörerschaft für sehr passend einschätzte, besonders wenn es passierte, dass einige Soldaten oder andere unbekannte Personen anwesend waren. Jedoch die ganze Zeit über habe ich die Substanz dessen, was ich wegließ, in mein Gebet vor der Predigt aufgenommen, den Satz und die Ordnung dabei bloß variiert; woraus, da ich dabei mich bemühte maßvoll zu sein, jede Person von gewöhnlichem Vermögen leicht wahrnehmen könnte, was mein Ansinnen war, und gleichwohl die Wörter so wenig der Ausnahme oder der Nörgelei behaftet waren, wie es möglich gewesen wäre.
Vor ungefähr zwei Jahren nun wurde ich von einem ehrenhaften Parlamentsmann in diesen Dingen ermahnt (jedoch auf eine sehr freundliche Weise), dass wegen meiner Renitenz dem Befehl des Parlaments in dieser Hinsicht zu gehorchen bei einem öffentlichen Treffen in Grantham eine große Beschwerde von einigen Predigern vorgebracht wurde (von der Presbyterianer-Bande, wie ich im Nachhinein erfuhr): Der Gentleman erzählte mir überdies, dass sie, obwohl sie lange vorher wussten, was mein Urteil und meine Praxis war, gleichwohl nicht hinterher gewesen seien, davon Notiz zu nehmen, bevor die Beschwerde vorgebracht worden war, welches nun in derart öffentlicher Art und Weise getan worden war, dass, so sie nicht davon Kenntnis nehmen sollten, die Schuld bei ihnen liegen würde. Er riet mir ebenso gut zu überlegen, was ich zu tun hätte. Denn ich müsste entweder den Verlust meines Lebensunterhalts wagen, oder das »Common-Prayer« zur Seite legen, wovor mich zu beschützen — wenn ich so weiter fortfahren würde (nach Beschwerde und Ermahnung) — nicht in seiner Macht, noch in der Macht irgendeines Freundes, den ich hätte, stehen würde. Das Ergebnis meiner folgenden Antwort war, dass, wenn der Fall so stand, die Entscheidung nicht schwierig zu fällen war: Da ich den Fall schon lang zuvor erwogen und beschlossen hatte, was ich mit einem guten Gewissen tun könnte, und was das passendste für mich mit Umsicht zu tun sei, wenn ich jemals diesem anheimgestellt werde, nämlich eher den Gebrauch des »Common Prayer Book« aufzugeben, soweit es den Wortlaut der Anordnung befriedigt, als meine Stellung zu verlassen. [...]
[S. 172—173]
Die beste Regel, die ich kenne, um Menschen in ihren Entscheidungen und Handlungen in solchen Notfällen zu leiten, ist mit Bedacht und unparteiisch die Vorteile und Unbequemlichkeiten abzuwägen, sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite, und dann die beiden miteinander zu vergleichen, wie sie im Verhältnis zum gemeinen Wohl stehen. Und wenn nachdem eine solche Untersuchung und ein solcher Vergleich unternommen wurde, es sich dann nachweislich (oder nur dem Wahrscheinlichkeitsurteil nach) herausstellt, dass die Befolgung des Gesetzes, gemäß den richtigen Intentionen des Gesetzgebers in ihnen, obwohl mit Gefährdung des Eigentums, der Freiheit, oder sogar des Lebens selbst versehen, eine größere Neigung zum gemeinen Wohl und zu der Erhaltung der Kirche oder des Commonwealth in Sicherheit, Friede und Ordnung haben kann, als die Vermeidung der vorgemeinten Gefährdungen oder böser Konsequenzen durch andere als vom Gesetz erforderte Handlungen, oder (was das gleiche ist) wenn die Übertretung des Gesetzes sich dann als dem gemeinen Wohl abträglicher herausstellen sollte, als die Erhaltung des Eigentums, der Freiheit, oder dem Leben des Subjekts hierzu vorteilhaft sein kann: In einem solchen Fall ist das Subjekt gehalten, all das zu gefährden, was es hat, und jede erdenkliche Unannehmlichkeit oder jedes Unheil, das sich daraus ergibt, eher auf sich zu nehmen, als das Gesetz zu übertreten unter Missachtung derjenigen Autorität, der es Unterwerfung schuldig ist. Aber wenn nachdem ein solcher Vergleich gemacht worden ist, es nachweislich (oder aber: es wahrscheinlicher als das Gegenteil) ist, dass die Erhaltung solcher Personen Leben, Freiheit oder Eigentum der Kirche oder dem Commonwealth mehr Vorteile bringt, als die punktuelle Befolgung des Gesetzes zu dieser Zeit und unter diesen Umständen es tun würde, so wäre es eine unvernünftige und verderbliche Bedenklichkeit einer solchen Person, sich in diesem Fall der Befolgung des Gesetzes für verpflichtet zu halten, unter Umständen nur ein- oder zweimal, mit wenig oder gar keinem Nutzen für die Öffentlichkeit, um sich selbst zu ruinieren, und so sich nutzlos und für immer danach unbrauchbar für die Öffentlichkeit zu machen. [...]
Bibliographie
Robert SANDERSON, The Case of the Use of the Liturgy, stated in the late times, in: Ders., Nine cases of conscience occasionally determined, London 1678, S. 157—192. Digitalisat von Early English Books Onlíne (EEBO): http://quod.lib.umich.edu/e/eebo/A61980.0001.001/1:14?rgn=div1;view=fulltext [29. September 2016]. Übersetzung von Christopher Voigt-Goy.
Quelle 4: Book of Common Prayer, 1662
Quellentext
Vorrede
Die englische Kirche hat von der Zeit an, in der sie ihre öffentliche Liturgie zuerst zusammenstellte, immer Weisheit darin gezeigt, die Mitte zwischen den beiden Extremen zu halten, nämlich die Abänderung derselben weder zu starr zu verweigern, noch zu leicht zu gestatten. Denn die allgemeine Erfahrung zeigt, dass wo in Dingen, die nach reiflicher Überlegung angeordnet waren, eine Veränderung gemacht worden ist (wo keine augenscheinliche Notwendigkeit es verlangt), da haben sich manche Übelstände eingestellt, und zwar in vielen Zeiten größere als die Übel, welche durch die Veränderung beseitigt werden sollten. Da auf der anderen Seite besondere Formen der Verehrung Gottes, und die dabei vorgeschriebenen Riten und Zeremonien ihrer Natur nach gleichgültig und anerkanntermaßen veränderlich sind, so ist es nur vernünftig, dass aus schwerwiegenden und wichtigen Beweggründen heraus, gemäß der verschiedenen Bedürfnisse der Zeiten und Umstände, solche Änderungen und Veränderungen darin gemacht werden sollten, wie sie die, welche die zuständige Autorität innehaben, für notwendig und zweckmäßig befinden. Demzufolge finden wir, dass seit der Reformation unter der Regierung mehrerer Prinzen gesegneten Andenkens die Kirche, aus gerechten und wichtigen Beweggründen hierzu geführt, solche Veränderungen in einigen besonderen Punkten vorgenommen hat, welche zu ihrer jeweiligen Zeit für passend erachtet wurden: Doch so, dass das Hauptsächliche und das Wesentliche davon (sowohl hinsichtlich des wichtigsten Materials als auch seiner Fassung und Ordnung) bis auf den heutigen Tag dasselbe geblieben ist, und noch jetzt fest und unerschüttert steht, ungeachtet der eitlen Versuche und unüberlegten Angriffe von solchen Menschen, die der Veränderung ergeben sind, und immer größere Achtung für ihre eigenen Fantasien und Interessen als für die Pflicht zeigten, die sie der Öffentlichkeit schulden.
Durch welche unbefugten Mittel und um welcher boshaften Zwecke willen der Gebrauch der Liturgie (obgleich durch die Landesgesetze verordnet, welche nie widerrufen wurden) während der jüngsten unseligen Wirren unterbrochen worden sind, ist der Welt nur allzu bekannt, und wir sind hier nicht gewillt, daran zu erinnern. Als es aber bei der seligen Restauration seiner Majestät es wahrscheinlich schien, dass unter anderen Dingen auch der Gebrauch der Liturgie natürlicherweise zurückkehren würde (da dieselbe noch nie gesetzlich abgeschafft wurde), wenn nicht zügig Mittel dagegen ergriffen würden, sahen sich jene Menschen, die während der verflossenen usurpierten Gewalt es sich zu Großteil ihres Geschäfts gemacht haben, das Volk gegen sie einzunehmen, wegen ihres Rufs und in ihrem Interesse veranlasst (außer sie würden freiwillig anerkennen, geirrt zu haben, wozu solche Menschen nur schwerlich gebracht werden können), mit äußersten Anstrengungen ihre Wiedereinführung zu verhindern. [...]
Unser Hauptziel in diesem Unternehmen war es daher nicht, diese oder jene Partei in ihren unvernünftigen Forderungen zu begünstigen, sondern das zu tun, was wir unserer besten Einsicht nach als für die Erhaltung des Friedens und der Einheit der Kirche am vorteilhaftesten hielten: die Beförderung der Ehrfurcht und die Entfachung von Frömmigkeit und Andacht in der öffentlichen Gottesverehrung; und die Gelegenheit für diejenigen abzuschneiden, welche die Gelegenheit für Zank und Spott gegen die Liturgie der Kirche suchen. [...]
Und nachdem wir nun in dieser gewichtigen Angelegenheit vor dem Angesicht Gottes uns unsere Pflichten zu tun bemühten, und unsere Aufrichtigkeit darin (so weit es an uns liegt) den Gewissen aller Menschen erwiesen; obschon wir wissen, dass es (bei solcher Verschiedenheit der Vorstellungen, Launen und Interessen, wie sie in der Welt sind) unmöglich ist, allen zu gefallen; noch wir erwarten können, dass Menschen von aufrührerischem, reizbarem und verderbtem Charakter mit irgendeiner Sache zufrieden sein sollten, die in dieser Hinsicht nicht von ihnen selbst gemacht wurde: So hegen wir schon die fromme Hoffnung, dass das, was hier vorgelegt wird, und durch die Synoden beider Provinzen mit großer Sorgfalt geprüft und bewilligt worden ist, auch von allen verständigen, friedliebenden und wirklich gewissenhaften Söhnen der Kirche von England angenommen und gebilligt wird.
Bibliographie
The book of common prayer, London: printed by Iohn Bill & Christopher Barker, printers to the Kings most excellt. Matie [sic], [1662], Preface, unpag. Digitalisat von Early English Books Online (beschränkter Zugriff): http://eebo.chadwyck.com/search/full_rec?SOURCE=pgthumbs.cfg&ACTION=ByID&ID=99897619&FILE=../session/1475157131_8386&SEARCHSCREEN=CITATIONS&SEARCHCONFIG=var_spell.cfg&DISPLAY=AUTHOR [29. September 2016]. Übersetzung von Christopher Voigt-Goy.
Essay zu Bürgergkrieg und Liturgie
Einleitung
1616 erschien eine kurze englische Schrift mit dem Titel Tessaradelphus, or The Foure Brothers. Als Autor ist auf dem Titelblatt ein gewisser Thomas Harrab ausgewiesen, über den nichts weiter bekannt ist. Tessaradelphus ist eine polemische Abhandlung, in der aus katholischer Sicht mit den »sundry sects (which some call Religions)« abgerechnet wird, die aus der Reformation hervorgegangen sind. Für die »Sekte«, die in der englischen Kirche ihre Heimat gefunden hat, prägt der Autor die neue Bezeichnung »Anglianisme«.[2] Dessen Eigenart besteht nach dem Autor nun gerade darin, gar kein wirklich eingeständiges Profil zu haben, wofür er auf die Gestaltung der gottesdienstlichen Zeremonien verweist. Gerade hier werde der von König und Parlament forcierte, durch und durch religiös armselige Synkretismus der englischen Kirche deutlich: »the religion of England, [sic!] is composed of Catholike Religion, of Lutheranisme, and Caluinisme, and yet approueth no one of them, but differeth much from euery one, singeld out by themselves«.[3]
So abschätzig das Urteil auch ist, so stellt die von Harrab niedergelegte Beobachtung durchaus einen prägnanten Charakterzug der von der katholischen Kirche nun dauerhaft getrennten englischen Kirche des »Elizabethan Religious Settlement«, also zwischen 1558 und 1603, sowie in der darauf folgenden, von 1603 bis 1625 andauernden Ära der »Jacobean Church« heraus: Die »Church of England« war als ein herrschaftspolitisches Instrument unter Führung der englischen Krone konzipiert, in dem ebenso entschieden konfessionelle Festlegungen vermieden wie äußere Konformität zum öffentlich-kirchlichen Ritus eingefordert wurde. Eine tragende Säule dieser Konzeption stellte dabei die aus katholischen und reformatorischen Elementen amalgamierte Liturgie dar. In Gestalt des königlich oktroyierten »Book of Common Prayer« formte sie den kirchlichen Jahresrhythmus, an dem die Untertanen — wie der »Act of Uniformity« ab 1552 gesetzlich regelte — unter Androhung von Strafe regelmäßig zu partizipieren hatten.[4]
Die Forschung zur konfessionellen Entwicklung Englands im 16. und 17. Jahrhundert hat in den letzten Jahren die beachtliche gesellschaftliche Integrationskraft der etatistischen Kirchen- und Religionspolitik von Elisabeth I. und Jakob I. herausgearbeitet.[5] Dabei hat sie betont, dass es vor allem die gewährten Spielräume religiöser Devianz waren, durch die es gelang, eine breite, wenn auch nicht immer innige Loyalität zur englischen Krone aufrecht zu erhalten. Sowohl katholische Milieus als auch die auf weitere Reformen im Sinn des oberdeutsch-eidgenössischen Protestantismus drängenden »puritanischen« Netzwerke und Gemeinschaftsbildungen blieben weitgehend unbehelligt. Das galt zumindest, solange sie ihre Religionsausübungen inoffiziell und nicht in Opposition zum königlichen Kirchenkultus betrieben, oder solange sie ihre religiösen Überzeugungen nicht zur Grundlage politischer Alternativentwürfe machten. Treffend hat Francis Bacon, selbst Parteigänger der »Puritaner«, 1592 diese Grenzen wie folgt formuliert: »... her majesty not liking to make windows into men's hearts and secret thoughts, except the abundance of them did overflow into overt and express acts and affirmations, tempered her law so, as it restraineth only manifest disobedience in impugning advisedly and ambitiously her majesty's supreme power«.[6]
Allerdings waren die etatistisch gesetzten Grenzen nicht stabil. Neben den immer wieder wechselnden politischen Einschätzungen dieser Grenzen durch das Königtum waren es unter anderem die politischen und kirchlichen Eliten vor Ort sowie die in den gewährten Grenzen existierenden Gruppierungen selbst, die durch ihr Verhalten und ihren dabei unterschiedlich zutage tretenden Elan in der Vefolgung bzw. Nichtbefolgung des politisch-kirchlichen Normsystems über ihre Spielräume mitbestimmten. Diese Spielräume unterlagen daher — aufs Ganze gesehen — eher kurz- als langfristigen Verengungen und Erweiterungen. Jedoch wurde erst der Versuch der Schließung dieser Spielräume zu einem von vielen Faktoren, deren Aggregation den englischen Bürgerkrieg 1642 auslöste.
Polarisierung
In der Forschung sind die genauen Umstände umstritten, die zu der folgenreichen herrschaftspolitischen Neubewertung der bislang gewährten religiösen Spielräume führten.[7] Unstrittig ist allerdings, dass in diesem Prozess William Laud eine entscheidende Rolle spielte.[8] Laud war nach dem Herrschaftswechsel zu Karl I. zunächst 1628 zum Bischof von London und dann 1633 zum Erzbischof von Canterbury, dem nach dem König höchsten leitenden kirchlichen Amt, aufgestiegen. Als Mitglied der »Durham House Group« gehörte er seit den 1620er Jahren einem Kreis von Theologen und Kirchenmännern an, der als eine Art bischofskirchlich-royalistischer »Thinktank« den theologischen und weltanschaulichen Gegensatz zu den »Puritanern« zu seiner kirchenpolitischen Leitlinie erhob.[9] Im Zug seines wachsenden Einflusses erhöhte Laud dann auch den institutionellen Konformitätsdruck auf diese als Gegner der »Church of England« wahrgenommenen Kreise: Neben dem Nachdruck, den er auf die Befolgung des »Book of Common Prayer« sowie des »Act of Uniformity« legte, setzte Laud dabei auf Änderungen der Ausstattung der Kirchen und die Betonung des liturgischen Zeremoniells. Im Verbund mit einer um ihn sich sammelnden Partei von »Laudians« wurden unter anderem die Abendmahlstische in den Kirchen durch mit Chorschranken versehene Altäre ersetzt, die Altäre mit Kerzen und Kruzifixen ausgestattet, und das Knien bei der Abendmahlsfeier verpflichtend eingeführt. Ohne dass Laud und seine Parteigänger direkt in die liturgischen Formeln oder kirchenweit akzeptierten Lehrbestände eingriffen, verschoben sie so die Akzente des offiziellen kirchlichen Kults in eine Richtung, die den »Puritanern« zutiefst zuwider war.[10] Erwartbar und wohl auch beabsichtigt trieben Lauds Maßnahmen bei der in sich ausgesprochen vielfältigen »puritanischen« Frömmigkeitsbewegung die Wahrnehmung einer tiefen kirchlichen und gesellschaftlichen Krise hervor.
Nun war es nicht das erste Mal, dass die »Puritaner« sich kirchenpolitisch unter Druck gesetzt sahen. Zur Verständigung über ihre theologische und kirchenpolitische Positionierung zur Bischofskirche und deren Zeremonien diente ihnen seit dem »Elizabethan Settlement« die Beschäftigug mit »Gewissensfällen« — »cases of conscience«.[11] Die als eigene Literaturgattung sich etablierende Behandlung von Gewissensfällen reflektierte die konkreten religiösen und moralischen Orientierungsprobleme des frommen Gewissens, indem sie nach den verschiedenen fallbezogenen Normen — vor allem aus der Bibel — und ihrer kontextabhängigen Anwendbarkeit fragte. In den späteren 1620er Jahren war es der in Franeker lehrende William Ames[12], der diese puritanische Tradition aufnahm und mit seine Abhandlung De Conscientia, ejus Jure et Casibus (erschienen zuerst in Amsterdam 1632) der zunehmenden Polarisierung zwischen englischer Bischofskirche einerseits und dem »puritanischen« Milieu andererseits Ausdruck verlieh. Ames Stimme war dabei von besonderem Gewicht. Denn er war an der »puritanischen« Kaderschmiede des Emmanuel College, Cambridge, ausgebildet worden, und galt als Musterschüler des Startheologen William Perkins. Ames' Abhandlung schloss auch in vielfältiger Art und Weise an den europaweit bekannten Treatise of the cases of conscience seines Lehrers an. Jedoch weicht er verschiedentlich in der Argumentation und Bewertung von Gewissensfällen von seinem Lehrer ab. An solchen Differenzen lassen sich gravierende Veränderungen in der religiösen und theologischen Haltung beobachten, die durch die veränderte historische Konstellation mit verursacht worden sind. Exemplarisch dafür steht Ames' Behandlung der Frage nach der Notwendigkeit, ein äußerliches Bekenntnis des Glaubens abzulegen.
William Perkins hatte in der Behandlung dieser Frage, die er noch während der Regierungszeit von Elisabeth I. verfasste, wie folgt argumentiert: Das äußerliche Bekenntnis des Glaubens ist von Gott geboten und darum schlechterdings notwendig. Nichtsdestoweniger ist es nicht ständig abzulegen. Es muss aber abgelegt werden, wenn entweder eine rechtmäßige Autorität — Magistrate, Fürsten oder Richter — ein solches Bekenntnis verlangt, oder wenn der Ruhm Gottes, das Heil der Menschen oder die Ehre des Nächsten durch ein nichtabgelegtes Bekenntnis verletzt werden. In allen anderen Fällen dürfen die Menschen »lawfully conceale their faith«. Soweit Perkins. Auch Ames' Ausführungen gehen unter Rückgriff auf den selben biblischen Normbestand von der grundlegenden Notwendigkeit des äußeren Bekenntnisses des Glaubens aus.[13] Doch es fällt ins Auge, dass Ames anders als Perkins der Situation der verfolgten Christen besondere Aufmerksamkeit schenkt. Dabei tritt eine markante Veränderung im Argumentationsstil hervor, die Ames von Perkins unterscheidet. Denn Ames reduziert seine Argumentation einerseits auf die Möglichkeit, angesichts einer gewaltsamen Bedrohung auf ein äußerliches Bekenntnis des Glaubens zugunsten der gottgebotenen Selbsterhaltung es Lebens zu verzichten, und andererseits auf die Notwendigkeit vor allem des kirchlichen Amtsträgers, der Gefährdung der Erbauung der Kirche — sprich: die religiöse Integrität der Vergemeinschaftung der Gläubigen — auch unter Verlust des eigenen Lebens den Glauben zu widerstehen. Was bei Ames damit komplett fehlt, ist die bei Perkins angesprochene Ebene der rechtmäßigen herrschaftspolitischen Autorität.
Diese Leerstelle weist Ames sowohl als Vertreter des protestantischen »precisianist strain« aus, in seiner religiös-moralischen Theoriebildung auf eine möglichst genaue Befolgung der göttlichen und biblischen Gebote drängt[14], als sie auch einen fundamentalen Plausbilitätsverlust rechtlich-politischer Institutionen als maßgeblicher lebensweltlicher Orientierungsgrößen deutlich macht. Sowenig Ames den gesamten »Puritanismus« repräsentiert, so ist seine Position doch symptomatisch für die zunehmend unversöhnliche Stimmung, die Lauds Wirken hervorrief. Die in Ames' Position aufscheinende Verweigerung, die bestehenden Herrschaftsinstitutionen in die — kompromissbewehrte — Aushandlung möglicher gesellschaftlicher Gestaltungsräume für das »puritanische« Milieu einzubeziehen, eröffnete die schroffe Alternative des Gangs in den Untergrund einerseits, des bekennenden Martyriums andererseits. Dass Beides aus Sicht der Gegner der »Puritaner«, also Laud und seinen Parteigängern, nichts anderes als eine ordnungspolitische Gefährdung darstellen musste, versteht sich von selbst. Und just in dieser gegenseitigen Provokation und Zuspitzung, die sich auch in einer zunehmend aggressiver werdenden Publizistik während der 1630er Jahre Bahn brach, wirkte die kirchenpolitische Polarisierung krisenverschärfend auf die Entstehung des englischen Bürgerkriegs ein.
Zitationsempfehlung des Beitrags
Christopher VOIGT-GOY, Bürgerkrieg und Liturgie: England im 17. Jahrhundert, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: http://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Bürgerkrieg_und_Liturgie:_England_im_17._Jahrhundert
Anmerkungen
Gemeint ist Mt 2,14 und 15. ↩︎
Thomas HARRAB, Tessaradelphus, or The Foure Brothers, s.l. 1616, unpag. [S. 1 eigene Zählung]. Vgl. auch Peter MARSHALL, The Naming of Protetsant England, Past and Present 214 (2012), S. 87—128. ↩︎
HARRAB, Tessaradelphus, unpag. [S. 37 eigene Zählung]. ↩︎
Vgl. dazu den Überblick bei Thomas KAUFMANN, Elizabethan Settlement und Augburger Religionsfrieden, in: Dorothea WENDEBOURG (Hg.), Schwesterreformationen. Die Reformation in Deutschland und England, Tübingen 2010, S. 305—326. ↩︎
Vgl. mit weiterführender Literatur: Peter MARSHALL, Settlement Patterns, in: Anthony MILTON (Hg.), The Oxford History of Anglicanism, Vol. 1: Reformation ans Identity c. 1520—1662, Oxford 2017, S. 45—62. ↩︎
Francis BACON, Observations on a Libel (1592), in: The Works of Francis Bacon, Lord Chancellor of England. A New Edition: With a Life of the Author by Basil Montagu, Vol II., Philadelphia 1844, S. 254. ↩︎
Zur Debatte vgl. Richard CRUST / Ann HUGHES (Hg.), Conflict in early Stuart England. Studies in Religion and Politics 1603—1642, London 1989. ↩︎
Die klassische Studie zu ihm ist Hugh R. TREVOR-ROPER, Archbishop Laud, 1573—1645, London 1940. ↩︎
Vgl. zu dieser Gruppe: Nicolaus TYACKE, Anti-Calvinists: The Rise of English Arminianism c. 1590—1640, Oxford 1987, S. 124—124. ↩︎
Vgl. Peter LAKE, The Laudian Style: Order, Uniformity and the Pursuit of the BEauty of Holiness in the 1630s, in: Kenneth FINCHAM (Hg.), The Early Stuart Church, 1603—1642, Stanford 1993, S. 161—185. ↩︎
Vgl. Christopher VOIGT-GOY, William Perkins und die Anfänge der protestantischen Gewissenskasuistik, in: Stefanie FROST u. a. (Hg.), Streit um die Wahrheit. Kirchengeschichtsschreibung und Theologie, Göttingen 2014, S. 245—264. ↩︎
Zu ihm: Keith L. SPRUNGER, The Learned Doctor William Ames: Durch Backgrounds of English and Amerivan Puritanism, Urbana 1972. ↩︎
William AMES, De consicientia et ejus iure vel xasibus. Libri V, Amsterdam 1631, S. 156—157 Quelle 1. ↩︎
Vgl. dazu Theodor D. BOZEMAN, The Precisianist Strain. Disciplinary Religion and Antinomian Backlash in Puritanism to 1638, Chapel Hill 2004. ↩︎