Bürgerkrieg und Liturgie: England im 17. Jahrhundert

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Christopher Voigt-Goy

Bürgerkrieg und Liturgie

Einleitung

Bis in die Gegenwart hinein gehört der von Elisabeth I. (reg. 1558–1603) angenommene Titel »Supreme Govenor of the Church of England« zur englischen Königswürde hinzu. Er bringt die institutionelle Verklammerung von Königsherrschaft und Kirche zum Ausdruck, welche die Gesellschaft des frühneuzeitlichen England prägte. Das war eine Folge der Reformation, die Heinrich VIII. (reg. 1509–1547) mit der Suprematsakte (Act of Supremacy) 1534 eingeführt hatte: Das bestehende Kirchentum mit der ganzen Hierarchie sowie dem gesamten Besitz wurde mit einem Streich der Leitung durch den römischen Papst entrissen und der Führung durch die Krone unterstellt. Die religiöse Loyalität zur Church of England und die politische Loyalität zum englischen Königtum waren von da an ineinander verwoben.

Diese Verbindung materialisierte sich am und im Book of Common Prayer. Heinrichs Nachfolger Edward VI. (reg. 1547–1553) hatte es durch den Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer (1489–1556), zusammenstellen lassen. Es enthielt die für die Gestaltungen der öffentlichen Gottesdienste der englischen Kirche zu befolgenden Riten und Zeremonien sowie die dafür zu verwendenden Gebete und biblischen Texte. Dabei übernahm es viele katholischen Traditionsstücke, durchsetzte sie aber mit Elementen reformatorischer Gottesdienstordnungen des Kontinents. Die Einführung der englischen Sprache im Gottesdienst unterstrich die Distanz zum römischen Papsttum mit seinem lateinischen Ritus. Wirklich entscheidend war jedoch die Verbindung der Promulgation des Book of Common Prayer im Jahr 1549 mit einem Erlass des Königs: Die Uniformitätsakte (Act of Uniformity) bestimmte unter Androhung von Strafe, dass das Book of Common Prayer das ausschließliche Gottesdienstbuch der Church of England ist, und dass – nach einer Revision des Act im Jahr 1552 – alle Untertanen der Krone zur regelmäßigen Teilnahme am offiziellen Gottesdienst gehalten sind, besonders am Sonntag und an hohen Feiertagen.

Freilich waren diese königlichen Maßnahmen darauf ausgerichtet, den Einfluss des Katholizismus in England zurückzudrängen. Nach dem Intermezzo der auf einen Anschluss der Church of England an das Papsttum bestrebten Maria I. (reg. 1553–1558), die das Book of Common Prayer aus der Gottesdienspraxis entfernen und Cranmer verbrennen ließ, führte Elisabeth I. (reg. 1558–1603) es dann wieder ganz in diesem Sinn zusammen mit der Uniformitätsakte 1559 ein. Während ihrer langen Regierungszeit entfaltete das Gottesdienstbuch eine dopppelte Wirkung: Einerseits wuchs auf seiner Basis die gesellschaftliche Akzeptanz der seit Heinrich VIII. in Gang gesetzten Neugestaltung der englischen Kirche. Gerade die Beibehaltung älterer Traditionen erleichterte es dabei Vielen, in der sich nun reformatorisch verstehenden Kirche heimisch zu werden. Auf der anderen Seite jedoch geriet gerade die Anhänglichkeit des Book of Common Prayer an ältere Traditionen innerhalb der englischen Kirche zunehmend in Kritik.

Getragen wurde die innerkirchliche Kritik von einer Frömmigkeitsbewegung, die sich die Reinigung der englischen Kirche von den in ihr verbliebenen »papstkirchlichen Resten« zum Ziel gesetzt hatte. Nach dem Vorbild der schweizerischen Variante der Reformation, vor allem derjenigen Zürichs und Genfs, drangen ihre Verfechter auf die Tilgung der im Book of Common Prayer beibehaltenen Teile aus der katholischen Messfeier, aber auch auf die Abschaffung der katholischen Messgewänder und auf die Einführung synodaler Leitungselemente in die Church of England. Mit der zunehmenden Ausbreitung dieser Bewegung, die nach und nach in allen Gesellschaftschichten eine beachtliche Minderheit erfasste, wurde nicht nur den englischen Klerus und die kirchlichen Gemeinden gespalten. In lokal überschaubaren Zusammenhängen und oft mit der Unterstützung von einflussreichen Landbesitzern entstanden darüber hinaus inoffizielle christliche Versammlungen, die es als ihre Aufgabe verstanden, die in ihren Augen steckengebliebene Reformation zumindest in ihren eigenen Gemeinschaften zu vollenden.

Obwohl gerade in ihrer Frühzeit prinzipielle Kritik an den englischen Herrschaftsinstitutionen in dieser Bewegung kaum verbreitet war, ging schon Elisabeth I. gegen die »Puritaner« – wie sie am Ende des 16. Jahrhunderts polemisch betitelt wurden – teils entschieden vor. Ihre Nachfolger verschärften die Repressionsmaßnahmen, was viele Puritaner ins kontinentale Exil trieb; andere suchten ihr religiöses Glück in den nordamerikanischen Kolonien. Die Spannungen stiegen weiter, als der königstreue Bischof von London und spätere Erzbischof von Canterbury, William Laud (geb. 1573), den obrigkeitlichen Kampf gegen die Puritaner zu einer systematischen Verfolgung ausbaute. Unterstützt von Karl I. (reg. 1625–1649) setzte Laud gezielt die höchsten Gerichte Englands gegen sie ein. Die zunehmenden Repressionen bilden den Kontext der Überlegung des im niederländischen Franeker lehrenden Theologen William Ames (1576–1633). Der hier präsentierte Ausschnitt ist der Schrift De conscientia et ejus iure vel casibus entnommen, die zuerst in Amsterdam 1631 erschien. In ihm thematisiert Ames die Frage, inwiefern ein öffentliches Bekenntnis der eigenen Glaubensüberzeugungen vom Gesetz Gottes unter den Bedingungen der Verfolgung geboten ist (⌘ Quelle 1).

In England eskalierte die Situation, als Karl I. – der auch König von Schottland war – versuchte, die Einheit seiner beiden Königreiche 1637 durch die Einführung einer an das Book of Common Prayer angelehnten Liturgie in Schottland herzustellen, wo eine eigene Tradition reformatorischer Kirchenorganisation wirksam geworden war. Das löste breiten Widerstand aus und mündete nach der militärischen Niederlage des englischen Königs in die Einberufung des »langen Parlaments«. Eine der ersten Maßnahmen dieses Parlaments war die Verhaftung William Lauds 1640, worin exemplarisch die mittlerweile gewachsene gesellschaftlich-politische wie religiös-kirchliche Opposition gegenüber Karl zum Ausdruck kam. Der missglückte Versuch, diese Opposition zu unterdrücken, führte zum englischen Bürgerkrieg – der manchmal auch als »Englische Revolution« bezeichnet wird (1642–1651). In dessen Verlauf wurde William Laud 1645 hingerichtet. Der König folgte seinem Bischof 1649.

Im siegreichen Parlament hatten diejenigen das Sagen, die vorher mit Gewalt aus der Church of England gedrängt worden waren bzw. eine der kleinen Glaubengemeinschaften gegründet hatten. Das Spektrum der religiösen und kirchlichen Positionen im Parlament war ausgesprochen vielfältig. Zusammengehalten wurde es jedoch durch den gemeinsamen Feind, die bischöflich verfasste Church of England und vor allem das Book of Common Prayer. Zur Lösung der Religionsfrage setzte das Parlament eine Kommission von Vertretern aller protestantischer Strömungen in England ein, die »Westminster Assembly«, die zwischen 1643 und 1649 tagte. Der erste Beschluss dieser Versammlung, der im Januar 1645 durch das Parlament bewilligt wurde, war die hier bereit gestellte Anordnung, das Book of Common Prayer zu verbieten und es durch ein Directory for the publique worship of God zu ersetzen (⌘ Quelle 2).

Spiegelbildlich zu den früheren Repressionen durch die Church of England ging nun das Parlament gegen Abweichler vor, wie Robert Sandersons A Case of Liturgy zeigt. Robert Sanderson (1587–1663) gehörte zu den Parteigängern William Lauds und war zunächst Professor für Theologie in Oxford. Nach der Einnahme Oxfords durch die Parlamentsarmee verlor Sanderson 1646 seine Professur und zog sich auf eine Pfarrstelle zurück. In dieser Zeit verfasste er die hier im Auszug nach der Vorlage des Drucks aus dem Jahr 1678 präsentierte Schrift. Die Schrift wird aber wohl bereits um 1652 abgeschlossen gewesen sein, da sie in dieser Zeit schon als Manuskript verbreitet war. Die Probleme der Umsetzung des Parlamentsbeschlusses von 1645 lassen sich an ihr ablesen. Darüber hinaus bietet Sanderson eine Begründung für sein Verhalten, die ebenfalls spiegelbildlich die bereits von William Ames gestellten Probleme aufgreift (⌘ Quelle 3).

Mit dem Ende des Bürgerkriegs und dem der Herrschaft Oliver Cromwells im Jahr 1658 kam es in England zur Wiederherstellung der früheren Zustände: Der vom Parlament vertriebene Sohn Karls. I., Karl II. (reg. 1660–1685), kehrte auf den englischen Königsthron zurück. Eine seiner ersten Amtshandlung war – analog zu den Maßnahmen des Parlaments fast zwanzig Jahre zuvor – die Wiedereinführung des Book of Common Prayer und der Uniformitätsakte. Das neue, wiederum in Auszügen präsentierte Vorwort zur offiziellen Ausgabe aus dem Jahr 1662 hat niemand anderes als Robert Sanderson verfasst, der unter Karl II. zum Bischof von Lincoln aufgestiegen war (⌘ Quelle 4). Etwa 2000 Geistliche unterschrieben 1662 die Uniformitätsakte jedoch nicht und lehnten das Book of Common Prayer weiterhin ab. Sie wurden nun »Nonkonformisten« genannt.

Weiterführende Literatur

  • John COFFES / Paul H.C. LIM (Hg.), The Cambridge companion to Puritanism, Cambridge u.a. 2008.
  • Christopher HILL, The World Turned Upside Down: Radical Ideas during the English Revolution, London 1972.
  • Alan JACOBS, The Book of Common Prayer: A Biography, Princeton 2013.
  • Diarmaid MCCULLOCH, Reformation: Europe’s House Divided 1490–1700, London 2004.


Zitationsempfehlung des Beitrags

Christopher VOIGT-GOY, Bürgerkrieg und Liturgie: England im 17. Jahrhundert, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: http://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Bürgerkrieg_und_Liturgie:_England_im_17._Jahrhundert