Die Kleiderordnungen der jüdischen Gemeinde in Fürth, 1770

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Die visuelle Ordnung der frühneuzeitlichen Gesellschaft: Jüdische Kleiderordnungen

Quellentext

© Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem
© Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem

[fol. 49v]

Kleidungsvorschriften

§ 474 Weil die Töchter Israels stolz sind und mit aufgerecktem Hals gehen[1] und sich in kostbarem Schmuck[2] kleiden und sich freuen wie die Völker.[3] Und außerdem sind wir sehr bald ihres Stolzes und ihrer Arroganz überdrüssig, denn wir sind sehr elend in der Länge dieses bitteren Exils. Trotzdem geben wir uns zufrieden, auch wenn wir von den Völkern unter denen wir leben, verachtet werden. Denn Gott sprach und sie zogen aus ihrem Land und unter der Last des Exiles sind sie stolz und hochmütiger als wir, was nicht dem Gesetz entspricht und sie ersannen sich, dass in unseren Händen eine Menge an Reichtum ist und viele solche Vermutungen/Gerüchte. Darum ist es richtig diese Angelegenheit zu regeln und alle genannten Tropfen,[4] Schleier und Armbänder zu entfernen und ihnen Zäune und Schranken aus Eisen zu bauen, dass sie keine weitere Übertretung begehen. Aber wer wie der Weise weiß, alle die Dinge zu erklären, auf die sie stolz sind und sie bei ihrem Namen zu nennen. Daher wird erklärt welche Details zukünftig von vier Deputierten überwacht werden mit strikter und sehr fleißiger Überwachung, damit keine Frau auch nur eine der genannten Dinge übertreten wird, und die Zuwiderhandelnde wird bestraft mit 10 Pfund Wachs für Almosen. Aber wenn jemand ein zweites Mal oder weitere [Übertretungen] hinzufügen wird, wird der Kahal[5] – möge Gott ihn schützen – eine Geldstrafe mehrfach entsprechend der Art der Angelegenheit [verhängen]. Und wer solches dem Vorsteher über die Almosen (gabai zedakah) vorbringen wird, bekommt von dem Vorsteher über die Almosen (gabai zedakah) ein Fünftel der Geldstrafe. Und Jahr um Jahr sollen im Monat Av aus dem Kahal – möge Gott ihn schützen – drei Vorsteher (parnasim) durch das Los bestimmt werden und sechs Hausverwalter aus drei Schalen gewählt werden und nunmehr über das Genannte wachen, dass es punktuell und strikt befolgt wird. Und sie nehmen es sich zu Herzen, gut zu überprüfen und zu untersuchen, was sowohl an denen unten angeführten Kleidervorschriften zukünftig für Eingriffe geschehen müssen oder was sonst für neue Moden, die bisher noch nicht in der Kleiderordnung erwähnt werden, zukünftig, wenn sich ein Missbrauch eingeschlichen, erstere zu verbessern und aufrecht zu erhalten, letzteren aber zu steuern und gleichsam in erster Geburt zu ersticken.

[fol. 50]

§ 475 Silber und Gold ist nur auf Häubchen und Sterntücheln[6] zu tragen erlaubt, anderer Art aber ist alles, was für alle verboten ist zu tragen, sowohl auf Kleidern aus Pelz, Krägen, Halstüchern, als auch Schuhen und Sandalen, mögen sie sein wie auch immer und auf welche Art, sei es hineingewirkt oder gestickt oder aufgenäht oder verbrämt, oder auf sonstige Art angeheftet. Auch nicht ein haarfeiner Faden von Silber oder Gold, und auch Falsches ist wegen des Anscheins verboten, sowohl im Alltag als auch am Schabbat und an Feiertagen, und auch an anderen Feiern. Und wenn [sie solche Kleidungsstücke] schon von früher liegen haben, macht das keinen Unterschied, es ist absolut verboten, diese außerhalb ihrer Zimmer [d.h. in der Öffentlichkeit] zu tragen.

§ 476 Auf Ringen, Ohrschmuck, und auch bei Kordelsteinen[7] sind Edelsteine oder Juwelen erlaubt, anderer Art aber als in edlem Maß und Armbänder, welcher Art auch immer, ist zu tragen verboten, und sogar Fälschungen sind verboten wegen des Anscheins.

§ 477 Weiße Spitzen sind nur auf Hauben zu tragen erlaubt, sonst aber im Allgemeinen wie im Besonderen, sowohl auf Stoffstücken, Halstüchern, Manschetten wie auf jeglicher anderer Art [von Stoff] sind sie verboten zu tragen, nur wie oben erwähnt auf Hauben. Auch für diese nimmt man keine Spitze für mehr als zwei Gulden pro Elle, bei Strafe von 18 Pfund Wachs für Almosen. Und jeder Hausvorsteher ist verpflichtet, die Mitglieder seines Hauses zu warnen und nach besten Kräften darauf hinzuarbeiten [dass diese Regeln nicht überschritten werden]. Und wenn ein junger Mann was auch immer verheimlicht, dann ist es so, als hätte er den Tempelschatz veruntreut, und darüber wird gesagt, du sollst [deinen Gott] fürchten etc.[8]

§ 478 Alle Frauen und Jungfrauen sollen auf der Straße nicht in einem kurzen Mantel[9] gehen, so dass die Töchter Israels nicht wie Prostituierte seien wenn sie herumlaufen gemäß den Gesetzen der Völker. Es ist allen Jungfrauen verboten, mit gelockten Haaren, was man nennt frisiert, herumzugehen, wodurch auch viele Entweihungen des Schabbat und der Feiertage abgewendet werden. Und die, die eine der oben genannten [Bestimmungen] übertritt, soll mit der oben genannten Strafe bestraft werden.

§ 479 Eine Frau, die keine verheirateten Söhne hat, darf vor Ablauf von 25 Jahren nach ihrer Hochzeit nicht ohne Sterntüchel in die Synagoge gehen.

§ 480 Kein Hausvorsteher, wer auch immer er ist, darf am Schabbat und an Feiertagen und auch bei seinen Festen nicht ohne Schulmantel in die Synagoge gehen, reiche Kamisole[10] aber sind überhaupt für jeden und auf welche Art auch immer verboten auf der Straße zu tragen.

Bibliographie

Statuten aus Fürth (1770), in: Jüdische Gemeindestatuten aus dem aschkenasischen Kulturraum 1650–1850, hg. v. Stefan LITT, Göttingen 2014, S. 265f. Übersetzung von § 475-480 nach: Dieter J. HECHT u.a. (Hg.), Quellen zur jüdischen Geschichte. Jüdische Sprachen 16.–20. Jahrhundert, Wien u.a. 2014, S. 34f. Übersetzung § 474 von Cornelia Aust.

Original: Central Archives for the History of the Jewish People. D/Fu1/41, fol. 49v–50r.

Ausführliche Informationen zur Quelle bei LITT, Jüdische Gemeindestatuten, S. 132–135, der die gesamten Fürther Statuten im Original veröffentlicht hat (S. 136–273).

Anmerkungen

  1. Jes 3,16.
  2. Nach Ez 16,13.
  3. Nach Hos 9,1.
  4. Gemeint sind möglicherweise Quasten oder ähnliches.
  5. Oberstes Verwaltungsgremium einer autonomen jüdischen Gemeinde (kehilah). Die regelmäßig gewählten Mitglieder des Kahal regelten die internen Angelegenheit der Gemeinde nach innen, erließen Vorschriften (takkanot) und vertraten die Gemeinde nach außen. In der Frühen Neuzeit bestand der Kahal meist aus wohlhabenden Gemeindemitgliedern wie Kaufleuten und Pächtern, nicht aus Rabbinern und Gelehrten.
  6. Jiddisch shterntikhl, eine reich verzierte Kopfbedeckung jüdischer Frauen.
  7. An einer Kordel befestigter Schmuckstein. LITT, Jüdische Gemeindestatuten, S. 266.
  8. Lev 25,17-18.
  9. Die genaue Bedeutung ist unklar, es scheint sich jedoch um einen kurzen Mantel zu handeln, der nicht den üblichen Vorstellungen von züchtiger Kleidung von Frauen und Mädchen entsprach. LITT, Jüdische Gemeindestatuten, S. 266.
  10. Camisol (auch: Kamisol), Kleidungsstück des 16.-18. Jahrhunderts; meist ein enges Oberteil eines Kleides bei Frauen oder eine Art Weste für Männer.