Kleiderordnung des litauischen Länderrates, 1628 und 1637

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Die visuelle Ordnung der frühneuzeitlichen Gesellschaft: Jüdische Kleiderordnungen

Quellentext

Rat 5588 [= 1628][1]

[S. 34]

139. In Hinsicht auf das Verbot von sha‘atnetz[2], zum Beispiel kobin(?) Samt, tabinkes[3] und verschiedene strokes[4] und weitere Sachen, die diesen ähnlich sind, haben die Gelehrten (morim), Vorsitzende des Gerichts (avot beit din) beschlossen, dass man in jeder Stadt aus dieser Kleidung, die schon gemacht wurde und zu ihrer Warnung auch für zukünftige [Kleidung] abgesondert werden soll, wegen neuer Verbote, die kommen werden, wenn es darin [an den Sachen] Zweifel von zwei Sachen[5] gibt, kein Kleidungsstück machen soll bis ein Gelehrter (moreh tzadek), der Vorsitzende des Gerichts (av beit din), es begutachtet und erlaubt hat.
[…]

[S. 39]

Kleidervorschriften

179. Die erste Neuerung ist, dass keinem Bräutigam, sei er reich oder arm, ein Mantel aus kenin(?) oder aus potschila(?) oder eine Mütze aus Leinen, die in der Vergangenheit üblich waren, gemacht werden darf: Jetzt ist es absolut verboten diese Sachen zu machen; die schon gemacht sind und bereit sind und bereitliegen, soll man dem Bräutigam auf keinem Fall geben.

180. Ein Kleidungsstück aus Samt soll niemanden aus dem Volke Israels in den Sinn kommen, sei es Mann oder Frau, arm oder reich, sei es ein Oberkleid oder ein Unterkleid; seien sie neu oder seien sie alt und schon gemacht.

[S. 40]

181. Mit einem szlyk[6], der über dem Schleier der Frau getragen wird und den sie schon besitzt, darf sie sich an den drei regalim[7] schmücken, aber nicht darüber hinaus und wenn sie noch keinen besitzt, darf man ihr auf keinen Fall einen neuen machen.

182. Man darf auf keinen Fall mit einem Kleidungsstück oder Schleiern oder einem weißen Kleidungsstück gehen, die mit Perlen verziert sind, außer einer Perlenkappe, und mit dem Schmuck der Mädchen [d.h. unverheiratete Frauen] darf man gehen.

183. Wer schon einen Umhang [umhoil] aus Damast[8] und Atlas[9] besitzt, darf diesen an den drei regalim und an einer Hochzeit mit nahen Verwandten[10] tragen, aber es darf auf keinen Fall ein neuer Umhang aus Damast und Atlas ab jetzt und zukünftig gemacht werden, auf keine Art, sei es ein Mann oder eine Frau, seien sie arm oder reich.

184. Einen Umhang [żupan][11] aus Damast oder Atlas anzuziehen ist von nun an und für die Zukunft verboten, nur derjenige dessen Summe [d.h. Vermögen] 2000 [złoty] oder mehr beträgt, darf einen Umhang aus Damast oder Atlas anziehen.

185. Wer seine Tochter verheiratet und seiner Verwandten bedürftig ist und umso mehr wer Hilfe aus der Almosenkasse (zedakah) bekommt, soll seiner Tochter keine Kleider aus Seide machen.

186. Es wird beschlossen, keine weißen Kleider, die die Frauen viel Geld kosten wegen der Herstellung der kronin, die man Spitzen nennt, zu machen und darüber hinaus keine Reparatur der Kleider, auf denen die Kronen breiter als zwei Finger sind, und auch die, die schon welche haben, sich auf keinen Fall in diesen zu kleiden.

188. [187] Wer eine der oben genannten Kleidervorschriften übertritt, wird mit einer großen Strafe belegt, die gesamte Strafe fällt an die Almosenkasse (zedakah).


Rat 5397 [1637][12]

[S. 69]

324. Auch die Schneider, die Stoffe und Kleidung herstellen, die nach dem oben genannten verboten sind, und auch Handwerker, die die anderen oben genannten verbotenen Gegenstände herstellen, werden mit der Aufhebung ihrer Ansiedlungsrechte (chazaka) und mit weiteren Strafen bestraft, die ihnen von den Gemeindeführern auferlegt werden. Alle anderen Kleidervorschriften, die hier nicht erwähnt wurden, bleiben bestehen, wie sie im Protokollbuch (pinkas) in den Ordnungen des Rates vom Av 5388 [Sommer 1628] genannt wurden.

[…]

[S. 70]

339. Zur Sache der oben genannten Kleidervorschriften wurde vorgebracht und beschlossen: Jeder, der eine Summe von 20,000 [ ] oder mehr gibt [d.h. sein Vermögen], der und seine in seinem Haus lebenden Söhne müssen sich gar nicht an die Bedingungen halten, außer dem Verbot Stoffe und Kleidung zu tragen, die wie die der goyim[13] sind, und Kleider aus Samt und gildenshtik[14] sind ihnen verboten zu tragen und ihren Töchtern und Frauen. Samt und gildenshtik sind auch überhaupt verboten.

Bibliographie

Shimon DUBNOV, Pinkas ha-medinah o Pinkas va‘ad ha-hekilot ha-rashiyot bi-medinat Lita [Protokollbuch des Staates oder Protokollbuch des Rates der Hauptgemeinden im Staat Litauen], Berlin 1925, S. 34, 39-40, 69, 71. Übersetzung von Cornelia Aust.

Anmerkungen

  1. Die Jahreszahlen werden im Protokollbuch nach dem jüdischen Kalender angegeben. Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit der Erschaffung der Welt, die nach rabbinischer Tradition auf das Jahr 3761 v.Chr. festgelegt wurde.
  2. Die Kombination von Wolle und Leinen in einem Faden oder Stoff. Das Verbot geht auf Lev 19,19 zurück.
  3. Tabinek, seidig-glänzende Baumwollart, in Polen im 17. Jahrhundert weit verbreitet. Tamar SOMOGYI, Die Schejnen und die Prosten. Untersuchungen zum Schönheitsideal der Ostjuden in Bezug auf Körper und Kleidung unter besonderer Berücksichtigung des Chassidismus, Berlin 1982, S. 158.
  4. Vom Polnischen stroka, pl. stroki, Bänder in einer anderen Farbe als das Kleidungsstück, an das sie am Aufschlag oder am Saum angenäht sind. Shmuel A. Arthur CYGIELMAN, Jewish Autonomy in Poland and Lithuania until 1648 (5408), Jerusalem 1997, S. 276.
  5. Nach Lev 19,19. Gemeint ist hier die Vermischung von zwei Geweben.
  6. Wahrscheinlich ein Hut aus Bärenfell. CYGIELMAN, Jewish Autonomy, S. 329.
  7. Die drei jüdischen Pilgerfeste Pessach, Schawuot und Sukkot.
  8. Hochwertiger Stoff mit eingewebten Mustern, früher meist aus Seide oder Leinen hergestellt.
  9. (Auch: Satin), schwerer, stark glänzender Seidenstoff.
  10. Der hier verwendete hebräische halachische Begriff ist psulei edot, ungültige Zeugen, bezieht sich hier aber auf nahe Verwandte, die eben als Zeugen nicht zulässig waren.
  11. Im selben Paragraphen aus dem Jahr 1637/38 wird der żupan, ein polnischer Gehrock, der unter dem Obermantel getragen wird, konkret benannt. Das Verbot ist dann nur noch ausgesetzt, wenn sein Träger mit mindestens 4000 złoty Besitz veranlagt ist. CYGIELMAN, Jewish Autonomy, S. 329.
  12. Die Paragraphen 309 bis 324 der Kleidervorschriften von 1637/38, die die von 1628 bestätigen und ergänzen, finden sich in englischer Übersetzung bei CYGIELMAN, Jewish Autonomy, S. 328–331.
  13. Hebräische Bezeichnung für Nichtjuden.
  14. Mit Gold bestickte Kleidung.