Zwischen orthodoxer Konformität und politischem Pragmatismus: Die Walachei im 16. Jahrhundert

Aus Konjunkturen
Wechseln zu: Navigation, Suche

Mihai-D. Grigore

Zwischen orthodoxer Konformität und politischem Pragmatismus: Die Walachei im 16. Jahrhundert

Einleitung

Am Anfang der 1360er Jahre war es soweit: Der »Türck« fasste für immer Fuß in Europa. Damit wurde die in eine Ostkirche und eine Lateinische Kirche gespaltene Christenheit vor eine neue Herausforderung gestellt und akute Differenzen wurden auf die Bühne gebracht. Ende des 14. Jahrhunderts geschah damit das, was längst durch die nie zu Ende kommenden dynastischen Kämpfe im Byzantinischen Reich – das überaus geschwächt den Osmanen nichts mehr entgegenstellen konnte – angekündigt worden war. Die osmanische Dynastie türkischer Stämme in Kleinasien vollendete, was die Seldschuken bereits im 11. Jahrhundert begonnen hatten, nämlich die Eroberung Kleinasiens und die beinahe komplette Zerstörung der byzantinischen Staatlichkeit auf dem asiatischen Kontinent.

Die anatolische Region, die ab dem 12. Jahrhundert in den Quellen als Turkia oder Turchia bekannt ist, bildet das Kerngebiet dessen, was in die europäische Geschichte vom 14. bis zum 19. Jahrhundert als das Osmanische Reich eintreten sollte. Auf ihrer nicht zu stoppenden Offensive gelang es den Osmanischen Truppen, 1354 zum ersten Mal Fuß auf den europäischen Kontinent zu setzen. In diesem Jahr eroberten sie unter Sultan Orhan Gazi (reg. 1324–1362) die Halbinsel Gallipoli und setzten hier ihre Basis für weitere Aktionen gegen Bulgaren, Byzantiner und Serben fest. 1361 nahmen die Osmanen Adrianopel ein, die zweitgrößte byzantinische Stadt. Dies stellte vor allem ein symbolisch prestigeträchtiges Ereignis dar und zeigte den christlichen Mächten Europas, dass sie mit einem ernst zu nehmenden Gegner konfrontiert waren. Nach der Schlacht am Fluss Mariza im Jahre 1371 folgte der Übergriff auf Bulgarien, der mit der Vernichtung des Bulgarischen Zarenreichs 1396 endete. 1389 gelang Sultan Murad I. (reg. 1359–1389) in der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovopolje) ein Sieg über ein Bündnis christlicher Herrscher aus Serbien, Bosnien und der Walachei, was auch zum Untergang des serbischen Despotats führte.

Die christlichen Herrschaften reagierten auf die neue Bedrohung chaotisch und unkoordiniert. Die ungarische Krone war die größte Macht, die sich den Osmanen bis 1526 einigermaßen erfolgreich entgegenstellen konnte. Die wiederholten Versuche der ungarischen und polnischen Könige, einen neuen Kreuzzug der Christenheit gegen die »Ungläubigen« zu organisieren, scheiterten. Nachdem 1396 ein mühsam aufgestelltes Kreuzfahrerheer von den Osmanen unter Sultan Bayezid I. Yildirim (reg. 1389–1402) vernichtend geschlagen worden war, kamen nur noch schwache Versuche zustande, die christlichen Territorien Südosteuropas zu befreien und die Osmanen über das Marmarameer zurückzuwerfen. Hier ist an den sog. »Kreuzzug« von Varna zu erinnern, der unter der Führung des siebenbürgischen Woiwoden Johannes Hunyadi (gest. 1456) und des polnisch-ungarischen Königs Wladislaw III. (reg. 1434–1444, ab 1440 auch König von Ungarn und Kroatien) dem Osmanischen Heer 1444 in der Nähe von Varna unterlag. Diese Niederlage schwächte die antiosmanische Front der europäischen Mächte und legte offen, wie unkoordiniert sie agierten. Denn in einem sog. »langen Feldzug« südlich der Donau gelang es dem Feldherren Johannes Hunyadi, zwischen 1441 und 1444 mehrere osmanische Armeen niederzuschlagen, die bulgarische Hauptstadt Sofia zurückzuerobern und die Herrschaft der Osmanen über Südosteuropa zu brechen. Die christlichen Mächte nutzten den erlangten Vorteil nicht aus und der »Kreuzzug« endete in der erwähnten Niederlage von Varna.

Nach 1444 galt es eigentlich nur noch, die Offensive der Osmanen Richtung Mitteleuropa hinauszuzögern. 1453 fiel Konstantinopel, womit die fast 1000-jährige Existenz des Byzantinischen Reiches beendet wurde. Der Eroberer Konstantinopels, Mehmed II. (reg. 1444–1481, mit Unterbrechung), blickte nun auf Ungarn und Mitteleuropa und eröffnete eine Offensive, deren strategisches Ziel die zur ungarischen Krone gehörende Stadt Belgrad war. Es galt für Ungarn, die Stadt gegen die anrückenden Osmanen zu verteidigen. Das geschah 1456, als die ungarischen Truppen unter Johannes Hunyadi dem osmanischen Heer unter Mehmed II. eine empfindliche Niederlage zufügten und diese zum Rückzug zwangen. Damit kehrte in Südosteuropa eine Zeit der Ruhe für die nächsten ca. 70 Jahre ein. Erst 1520 startete Sultan Suleyman der Prächtige (reg. 1520–1566) eine neue Offensive, die sich als erfolgreich erwies: 1521 eroberte er zunächst Belgrad, 1526 schlugen die Osmanen entscheidend die Ungarn bei Mohács und 1546 entstand schließlich der Paschaluk von Buda/Ofen (Budin Eyalet).[1]

Die »Christenheit« hatte der osmanischen Offensive wenig entgegenzusetzen. Es wäre eigentlich nicht sachgemäß, von einer einheitlichen »Christenheit« zu sprechen, obwohl wir auf der Diskursebene seit dem 15. Jahrhundert verstärkt vor dem Versuch stehen, eine Konstruktion »Europa« in Verbindung mit einer Konstruktion »Christenheit« zu bringen und durchzusetzen. Nicht nur, dass die christlichen Glaubensgemeinschaften seit dem 11. Jahrhundert in eine »östlich« »griechische« und eine »lateinische« Christenheit gespalten waren. Auch politisch spalteten jahrhundertlange Konflikte die europäischen Herrschaftsbereiche und familialen Netzwerke. Die Versuche der Kurie, eine kohärente und zusammenhängende Aktion gegen die Osmanen zustande zu bringen, scheiterten: Man konnte weder Konstantinopel noch die südosteuropäischen Christen vor der osmanischen Eroberung retten. Im 14. und 15. Jahrhundert war man im Westen noch zu wenig an den Problemen der Byzantiner, Bulgaren, Serben und Walachen mit den Osmanen interessiert. Im 16. Jahrhundert war es schon zu spät. Die Einzigen, welche den unterschiedlichen »Kreuzzugsrufen« folgten, waren die ungarische Krone und die Donaufürsten.

Nach 1453 wuchs allmählich der Druck der Osmanischen Obermacht und die Notwendigkeit einer kohärenten Antwort der »Christenheit« auf die Bedrohung erhöhte sich dementsprechend. Man bemerkt die Tendenz, auch eine gemeinsame »ideologische« Basis zu schaffen. Zentral ist hier das Konzil von Ferrara-Florenz (1438–1439), das es zumindest ansatzweise schaffte, eine theologisch-dogmatische und kirchenrechtliche Union zwischen der byzantinischen Ostkirche und der Lateinischen Papstkirche zustande zu bringen. Auch wenn diese Union nicht lange dauerte und nur in kleinen Kreisen der orthodoxen Christenheit angenommen wurde, zeugt sie zumindest von dem realen Versuch, eine »ideologische« Basis für eine gemeinsame politische und militärische Präsenz der europäischen »Christenheit« gegenüber den Osmanen zu schaffen. Man zeigte sich sowohl auf der Seite ostkirchlicher als auch lateinischer Entscheidungsträger zunehmend bereit, theologische und ideologische Differenzen, wenn nicht beizulegen, zumindest auszublenden, um politische Kohäsion zu erzielen. Einer prinzipiellen Unversöhnlichkeit um theologisch-dogmatische Fragen herum setzte man einen politischen Pragmatismus entgegen. Konkret diskutierte man in Ferrara-Florenz über vier grundsätzliche Unterscheidungspunkte zwischen der Lateinischen und der byzantinischen Ostkirche, die sowohl aus dem doktrinär-dogmatischen als auch aus dem liturgisch-praktischen sowie aus dem kirchenrechtlichen Bereich stammten. Die Lateinische Kirche bekannte sich zu (1.) dem Filioque[2], (2.) dem Papstprimat,[3] (3.) dem Glauben ans Fegefeuer und (4.) der Eucharistie mit ungesäuertem Brot (gr. sg. azymon, gr. pl. azyma, dt. pl. »Azymen«), während die byzantinische Ostkirche diese Punkte entschieden ablehnte.

In diesem Zusammenhang (»Türkengefahr«, gespaltene Christenheit, Kreuzzugsgedanke, politische Pragmatik) sind auch die unten angeführten Quellen zu verorten. Es handelt sich einerseits um einen Ausschnitt aus dem um ca. 1520 abgeschlossenen Fürstenspiegel des Fürsten der Walachei Neagoe Basarab (reg. 1512–1521), der unter dem Namen Die Lehrworte des Neagoe Basarab an Seinen Sohn Theodosius bekannt (⌘ Quelle 1) und vielleicht die relevanteste Quelle für den frühneuzeitlichen politisch-theologischen Diskurs der Orthodoxie ist, was auch seine breite Rezeption im orthodoxen Europa zeigt. Andererseits haben wir Ausschnitte aus einem Glaubensgutachten (⌘ Quelle 2) und einem Glaubensreferat (⌘ Quelle 3), beides aus der Feder des griechischen Gelehrten Manuel von Corinth (gest. ca. 1530), Großrhetor und Magister der sog. »Großen Kirche« zu Konstantinopel, d.h. des Konstantinopler Patriarchats mit seiner Akademie. Das Glaubensgutachten stellt eine diskrete handlungsgestaltende Anweisung für die Politik dar, während das Glaubensreferat im apologetischen Ton die eigene Glaubensposition eines Orthodoxen gegenüber der eines Lateiners darlegt. Die drei Quellen sind eng miteinander verflochten. Die erste Schrift ist an den Fürsten der Walachei, Neagoe Basarab, adressiert, der eine wichtige politische Rolle an der antiosmanischen Front der »Christenheit« spielte. Dieser hatte eine theologische Expertise angefordert, um seine Gesandtschaft an Papst Leo X. vorzubereiten, der dabei war einen neuen Kreuzzug zu organisieren. Der walachische Fürst wollte – da die religiöse Frage so eine zentrale Rolle in der damaligen Politik spielte – durch die Kenntnis der Differenzen zwischen Lateinern und Orthodoxen seine politische Handlung dementsprechend gestalten.

Die Auswahl der Quellen ist dadurch begründet, dass, nachdem Neagoe Basarab in seinem Fürstenspiegel theoretisch gezeigt hatte, wie problematisch einerseits der Umgang des »rechtgläubigen« Herrschers mit Häretikern ist, andererseits wie notwendig es für den christlichen Herrscher ist, in seine Politik Ratgeber und Expertise einzubeziehen, um sie dementsprechend effizient zu gestalten, der walachische Fürst diese Prinzipien auch praktisch umsetzte. Dies zeigt sich in den anderen zwei Quellen, die eben zeigen, dass je nach Bedarf empfindliche religiöse Topoi in der pragmatischen Politikgestaltung anzupassen sind. Der Papstprimat ist hier der brenzlige Punkt, wie dies im Essay noch zu zeigen ist.

Weiterführende Literatur

  • Marie-Hélène BLANCHET / Frédéric GABRIEL (Hg.), Réduire le schisme? Ecclésiologies et politiques de l’union entre Orient et Occident XIIIe-XVIIe siècle, Paris 2013.
  • Ion BULEI, Kurze Geschichte Rumäniens, Bukarest 1998.
  • Konrad CLEWING / Oliver Jens SCHMITT (Hg.), Geschichte Südosteuropas. Vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2011.
  • Suraiya FAROQHI, Geschichte des Osmanischen Reiches, München 62014.
  • Cernal KAFADAR, Between Two Worlds. The Construction of the Ottoman State, Los Angeles 1995.
  • Tia M. KOLBABA, The Byzantine lists. Errors of the Latins, Urbana u.a. 2000.
  • Nicolae-Șerban TANAȘOCA, Din nou despre scrisoarea lui Manuil din Corint către Neagoe Basarab, in: Nicolae CÂDĂ (Hg.), Sfântul Neagoe Basarab. Ctitor de biserici și cultură românească, Bukarest 2012.

Anmerkungen

  1. Paschaluk (Eyalet): Bezeichnung für »Provinz« innerhalb des Osmanischen Reichs; Budin Eyalet bedeutet z.B. »die Provinz von Buda«.
  2. Filioque (qui ex Patre Filioque procedit): »[Der Heilige Geist], der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht«. Strittiges trinitarisches Dogma der Lateinischen Kirche ab ca. dem 8. Jh. demgemäß der Heilige Geist, eine der drei Personen innerhalb der Heiligen Dreifaltigkeit, nicht nur von Gott Vater (der ersten trinitarischen Person, als alleinige Quelle aller Göttlichkeit), sondern auch von Gott Sohn (der zweiten trinitarischen Person) hervorgeht/ausgeht. Dieses Dogma fand Niederschlag in einem Zusatz der Lateinischen Kirche zu dem nizäo-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis (5. Jh.), das eigentlich besagte, dass »[Der Heilige Geist] aus dem Vater hervorgeht« (Et in Spiritum Sanctum, […] qui ex Patre procedit). Dieses Dogma bildet bis heute einen der grundsätzlichen Streitpunkte zwischen der Orthodoxen und der Katholischen Kirche. Die erstere erkennt die Lehre vom filioque ab und wirft der Katholischen Kirche Häresie vor.
  3. Papstprimat: vom lateinischen primus (der Erste) und primatus (Vorrang); stellt den Anspruch des römisch-katholischen Papstes dar, der Erste aller Bischöfe der Christenheit im Rang und in der Macht zu sein. Dieser Anspruch, der in der Katholischen Kirche auch die Autorität eines Dogmas besitzt, wird von anderen Kirchen (wie u.a. der Orthodoxen Kirche) in Frage gestellt.


Zitationsempfehlung des Beitrags

Mihai-D. GRIGORE, Zwischen orthodoxer Konformität und politischem Pragmatismus: Die Walachei im 16. Jahrhundert, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: http://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Zwischen_orthodoxer_Konformität_und_politischem_Pragmatismus:_Die_Walachei_im_16._Jahrhundert