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Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich

von Jan Martin Lies und Hans-Otto Schneider

Einleitung

Da der Schutz der Kirche und die Förderung der wahren christlichen Lehre gemäß der politiktheoretischen und juristischen Tradition sowie der zeitgenössischen Überzeugung zu den Hauptaufgaben einer guten Obrigkeit gehörte, besaß der durch die Reformation ausgelöste Religionsstreit erhebliche politische und juristische Auswirkungen.

Daher kam es seit der Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts zu Bündnisbildungsprozessen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation.[1] Die so entstandenen Bündnisse unter den Altgläubigen[2] verfolgten das Ziel, eine Ausbreitung der reformatorischen Lehre zu verhindern und stattdessen den vorreformatorischen[3] Glauben und Kultus im gesamten Reich wieder herzustellen. Im Rahmen der Bündnisbildung unter den reformatorischen Obrigkeiten wurde als Vorbedingung einer Bündnisgründung die Rechtmäßigkeit eines Widerstands gegen den Kaiser als Oberhaupt des Reichs in der Religionsfrage und damit die Frage nach der Legitimität der Eingriffsmöglichkeiten des Kaisers als höchster Obrigkeit des Reichs in Religionsfragen intensiv erörtert. Aus ganz unterschiedlichen theologischen, politischen und juristischen Erwägungen entwickelten die Protestanten seit 1529 eine Argumentationsstrategie, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Gegen- und Notwehr gegen den Kaiser erlaubte. Damit war die politische und juristische Grundlage für den 1531 gegründeten Schmalkaldischen Bund als Verteidigungsbündnis der Protestanten gelegt.

Seit dem Wormser Reichstag 1521 versuchte Kaiser Karl V. (1500—1558) im Verbund mit den Reichsständen, den Fürsten und Stadtobrigkeiten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, die durch die Reformation verlorengegangene Glaubenseinheit wiederherzustellen. Auf allen folgenden Reichstagen sowie bei eigens einberufenen Religionsgesprächen wurde unter politischen Rahmenbedingungen nach einer Lösung des Religionsstreits gesucht. Da all diese Bemühungen letztlich scheiterten, sah Karl V. 1546 die Möglichkeit, die Glaubens- und Kultuseinheit im Reich durch militärische Mittel wiederherzustellen. Geschickt nutzte er dabei die politischen Konstellationen zu dieser Zeit aus. In einem geheimen Zusatzvertrag zum Friedensschluss von Crepy 1544 hatte sich der französische König Franz I. (1494—1547) nämlich verpflichten müssen, den Protestanten im Reich keine Unterstützung zu gewähren, sollte der Kaiser gewaltsam gegen diese vorgehen.

Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (1503—1554) und Landgraf Philipp von Hessen (1504—1567) hingegen, die Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes, hatten sich durch die Vertreibung (1542) und Inhaftierung (1545) Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489—1568),[4] in eine reichsrechtlich unhaltbare Lage manövriert. Es war Karl V. nun ein Leichtes, über die beiden die Reichsacht[5] zu verhängen und auf diese Weise einen Krieg gegen sie und ihre Verbündeten zu legitimieren.

Im Schmalkaldischen Krieg von 1546/47 siegte der Kaiser und zerschlug damit den Schmalkaldischen Bund. Durch diesen militärischen Triumph sah er die Gelegenheit gekommen, die durch die Reformation zerstörte Religionseinheit im Reich wieder herzustellen. Auf dem Reichstag in Augsburg 1547/48 präsentierte er den dort versammelten Reichsständen zu diesem Zweck im Mai 1548 ein Religionsgesetz (»Augsburger Interim«[6]) und zwang sie mittels seiner militärischen Überlegenheit zur Annahme. Dabei vermutete man in der Unterwerfung der evangelischen Stände lediglich einen ersten Schritt zur Verwirklichung noch weiter reichender Pläne des Kaisers. Letztlich gehe es ihm um eine grundstürzende Umgestaltung der alten Ordnungen des Reiches zur Stärkung der Zentralgewalt in Gestalt eines habsburgischen Erbkaisertums, unter Minderung der hergebrachten Rechte der Reichsstände.[7]

Der politischen Oppositionsmöglichkeiten durch den verlorenen Krieg weitgehend beraubt, äußerte sich der Widerstand der Protestanten gegen die kaiserliche Religionspolitik vornehmlich publizistisch. Neben zahlreichen Streitschriften wurden auch etliche Lieder veröffentlicht. Die einprägsame Form, verbunden mit bereits bekannten Melodien, war besonders geeignet, die Inhalte zu popularisieren und die Diskussion weit bis selbst in illiterate Kreise zu verbreiten. Ein Beispiel für diese Quellengattung ist »Eines sächsischen Maidleins Klag und Bitt« ([Quelle 1}(#quelle1)), entstanden zwischen Mitte 1548 und Ende 1549. Hierin werden keineswegs nur die Kriegsgräuel der kaiserlichen Truppen in Deutschland dramatisch geschildert, sondern überdies die Widerstandsdebatte neu aufgenommen. Denn Karl V. wird als Tyrann bezeichnet, gegen den es vorzugehen gelte. Dabei wird sogar die Perspektive des Tyrannenmordes eröffnet.

Im Anschluss an den Reichstag von Augsburg setzte in Kursachsen ein langwieriger Diskussionsprozess zum Umgang mit dem kaiserlichen Religionsgesetz ein. Als Ergebnis dieser zähen Verhandlungen zwischen evangelischen Theologen, altgläubigen Bischöfen und kurfürstlichen Räten, die im Laufe mehrerer Monate an unterschiedlichen Tagungsorten stattgefunden hatten, wurde den über Weihnachten 1548/49 in Leipzig versammelten Landständen[8] des albertinischen Sachsen im Auftrag ihres Landesherrn, des Kurfürsten Moritz, der Entwurf einer neuen Kirchenordnung zur Annahme vorgelegt. Sie sollte der kaiserlichen Forderung nach weitgehender Wiederherstellung des vorreformatorischen Kultus in den protestantischen Territorien des Reichs Genüge tun, und sie sollte dennoch zugleich das evangelische Bekenntnis unangetastet bewahren. Den Ausgleich zwischen theologischem Wahrheitsanspruch und politischer Notwendigkeit suchten die Verfasser der Landtagsvorlage zu erreichen durch die Unterscheidung zwischen einem unaufgebbaren Kernbestand evangelischer Glaubenslehre und einem weiten Bereich von neutralen Mitteldingen oder Adiaphora, deren konkrete Ausgestaltung ohne Bedeutung für die ewige Seligkeit sei (vgl. Quelle 2). Darunter verstand man z. B. die Ordnung kirchlicher Feiertage, Verwendung von Kerzen, Glockengeläut, Messgewändern u. dgl. Mit der Lehre von den Adiaphora wurde die theologische Basis für obrigkeitliche Eingriffsmöglichkeiten in Religions- und Kultusfragen geschaffen. Denn so wurden die durch den Kaiser im Augsburger Interim und durch den sächsischen Kurfürsten in der Leipziger Landtagsvorlage vorgesehenen Änderungen in Zeremonien und Riten sowie Entscheidungen in theologischen Streitfragen legitimiert.

Die Vertreter der Landstände machten allerdings zu etlichen Punkten Einwände geltend und nahmen den Entwurf nicht an. Eine Stellungnahme der Theologen sollte diese Einwände entkräften (vgl. Quelle 3). Es entspann sich eine heftige Auseinandersetzung darum, was tatsächlich unter die heilsirrelevanten Mitteldinge zu zählen sei und was entweder grundsätzlich oder doch in der gegebenen Situation nicht ohne Verrat am eigenen Glauben aufgegeben werden könne. Geraume Zeit fand diese Diskussion allerdings statt, ohne dass der interessierten Öffentlichkeit die einschlägigen Texte zur Verfügung gestanden hätten. Zugleich wurden von den Befürwortern des Landtagsentwurfs die Gegner immer wieder beschuldigt, ohne stichhaltigen Grund die Gemeinden zu beunruhigen und Zank in der Kirche zu verursachen. Infolgedessen gaben Matthias Flacius (1520—1575)[9] und Nikolaus Gallus (1516—1570)[10] schließlich den Text des Landtagsentwurfs und den Auszug daraus unter dem Titel »Der Theologen Bedencken« in den Druck, um zusätzliche Materialien ergänzt und mit polemischen Glossen versehen. Einen Auszug aus dieser Dokumentation stellen die Quellen 2 und 3 dar; in komprimierter Form veranschaulichen sie die verschiedenen Kommunikationsebenen und die damit jeweils verbundenen Einschätzungen und Standpunkte: zum einen die der kurfürstlichen Regierung und ihrer theologischen Berater, zum zweiten die der Landstände und zum dritten die der kommentierenden Kritiker.

Die Volkstümlichkeit der Kontroversen äußerte sich in einer Vielfalt des Mediengebrauchs, neben Liedern, polemischen Flugschriften, Veröffentlichungen einschlägiger Dokumente und anderem wurden auch Spottbilder publiziert. Damit wurde sehr zugespitzt Kritik geübt am Augsburger Interim und am Leipziger Landtagsentwurf, damit verbunden insbesondere an der Lehre von den Adiaphora, als deren besonders augenfälliges Kennzeichen der Chorrock[11] galt (vgl. Quelle 4).

In der Konkordienformel von 1577[12] wurde der Versuch unternommen, den Streit um die Adiaphora im Rahmen der Ordnung kirchlichen Lebens zu entscheiden. Zwar wurde einerseits festgehalten, dass es Mitteldinge gebe, die biblisch weder geboten noch verboten und deren Handhabung deshalb für die Seligkeit der Gemeindeglieder ohne Bedeutung seien. So sollten bloß formale Unterschiede etwa hinsichtlich der liturgischen Praxis keinesfalls kirchentrennd wirken. Andererseits dürfe äußeren Zwängen unter keinen Umständen nachgegeben werden; die Veränderung von eigentlich freien Mitteldingen würde in einem solchen Fall eine Verleugnung der evangelischen Wahrheit und christlichen Freiheit darstellen.

Fragen danach, ob konkrete Ausgestaltungen der christlichen Lebensführung als Adiaphora anzusehen seien, wurden gleichwohl in der Folgezeit unter veränderten Bedingungen immer wieder virulent (zu denken wäre hier beispielsweise an den Besuch von Theater- und Opernaufführungen, Tanz, Maskerade, Kleidungsfragen).

Weiterführende Literatur

  • Karlheinz BLASCHKE (Hg.), Moritz von Sachsen — Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni 2003 in Freiberg (Sachsen), Stuttgart 2007.
  • Irene DINGEL (Hg.), Reaktionen auf das Augsburger Interim. Der Interimistische Streit (1548—1549), Göttingen 2010.
  • Irene DINGEL (Hg.), Der Adiaphoristische Streit (1548—1560), Göttingen 2012.
  • Daniel GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynastische Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577, Leipzig 2011.
  • Luise SCHORN-SCHÜTTE (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005.

Quelle 1: Eines Sächsischen Maidleins Klag und Bitt (1548/49)

Quellentext

[A 2r:] [1] Ach, Gott Vatter, durch Jhesum Christ,
der du der waisen Vater bist,
ich bit dich aus meins hertzen grundt
Und schrei zu dir mit meinem mundt!

[2] Mein Vaterlandt bedrenget ist,
gefangen hart mit falsch[13] und list.
Dein heiliges wort wirt weckgethan,
des Bapsts greul feht[14] wider an.

[3] Jungfraun werden greulich geschendt,
den weisen[15] wirt das Ihr entwendt.
Kein Man, kein Man in Deudschem land,
der uns schützet vor solcher schandt.\

[4] Drumb knie ich hie und schrei zu dir,
gnediglich, Herr, wollst helffen mir,
das ich mag bleiben bei deim[16] Wort,
geschendet nicht, noch weggefurt.

[5] Behüt auch ander Junckfraun zart
fürn Spaniern, der falschen art,
darzu die frauen tugentreich.
Hilff, das sie folgen alle gleich.

[A 2v:] [6] Wir Sechsischen Medlein, ach Gott,
weil wir vor uns han[17] schandt und todt
— des Bapsts und Spanier[18] grossen grim
sicht[19] Man sehr wol im Interim —

[7] kein schmuck an meinem leibe sei,
bis Deudschland[20] werde wider frei,
kein Mann noch Jüngling hie auff erdt,
dem ich freuntlich zusprechen werdt.

[8] Kein trunck ich nim von keinem Man,[21]
weil sie kein hertz im leibe han.[22]
Stets sol mein angesicht sau'r sehn,[23]
bis die Spanier untergehen.

[9] Welcher dan hat das best gethan,[24]
der sol mir sein der liebste Man,
er sei gleich Jung, er sei gleich Alt,
er sei gleich Arm und ungestalt.

[10] Er ist warlich ein treuer helt,
den preissen sol die gantze welt.
Ein krentzlein schenck ich ihm zu lohn,
gewunden mit mein henden schon.[25]

[A 3r:] [11] Zwen[26] heldt des Kriegs gabstu uns, Gott:
Arminium, den dritten Ott;
Arminius macht frei Deudsch Landt,[27]
Ott stifftet der Churfürsten standt,[28]

[12] durch welch das Reich erhalten wardt
— der Endtchrist[29] ward drin offenbart —,
abr Keiser Carl, geborn zu Gent,[30]
itzt diesen treuen standt zutrent,

[13] macht unterm Adell Meuterei,
das kein treu Man bei Fürsten sei;
hat am Fürsten beweist sein tuck,[31]
wie pflegt der untreue Kuckuck;[32]

[14] durch Spanier, die falschen[33] leutt,
alles regiret und gebeut;
kein Fürst nimmer darff reden ein,
was er[34] will han, mus nu so sein,

[15] gleichwie ein wütiger Tyran,[35]
und das wil unser Adel han.
Wie untreu schlecht sein eignen Herrn,[36]
will der Adel erfaren gern.

[16] Doch lieber Gott, ich weis fur-[A 3v:]war,
du wirst uns nicht verlassen gar.
Das freu ich mich zu aller stunt.
Ein knüttel ligt noch bei dem hundt.[37]

[17] Drum gib uns, Herr, den dritten Heldt,
der dir alleine wolgefelt,
ach Herr, ich mein einen Jehu,[38]
doch sich[39] du selber auch mit zu,

[18] das doch mein liebes vaterlandt
erlöst werdt aus der Spanier handt
Las uns bleiben bei deinem Wort,
steuer[40] des Bapsts unnd Spanier Mordt![41]

A M E N.

Bibliographie

Quelle 2: Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus, Der Theologen Bedenken oder Beschluss des Landtages zu Leipzig 1548. Auszug aus der mit Kommentaren versehenen Leipziger Landtagsvorlage (Dezember 1548)

Einleitung

Die beiden wegen ihrer Gegnerschaft gegen das Augsburger Interim wie auch gegen die Leipziger Landtagsvorlage nach Magdeburg übergesiedelten Theologen Gallus und Flacius gaben den Landtagsentwurf und weitere einschlägige Texte im Jahr 1550 in den Druck, um die Öffentlichkeit über die zur Debatte stehenden Maßnahmen zur Umgestaltung des kirchlichen Lebens zu informieren und für die eigene, ablehnende Haltung zu gewinnen. Dabei fügten sie kommentierende Bemerkungen bei, die in der vorliegenden Ausgabe kursiv wiedergegeben sind. Die Markierungen, mit denen die Bezüge zwischen Haupttext und Anmerkungen hergestellt wurden, sind hier als eingeklammerte Großbuchstaben gestaltet.

Quellentext

[D 4r:] Text des Leiptzigschen Interims, im December des 48. Jars durch die Theologen der versamleten Landtschafft zu Leiptzig offentlich auffgedrungen.[42]

Unser Bedencken stehet darauff, das man der Römischen Key. May., unserm aller gnedigsten Herrn, gehorsam leiste (A) unnd sich also verhalte, das ihre May. unnd menniglich[43] unser aller gemüth zu ruhe, frieden und einigkeit geneigt vermercken müge. Das rathen wir treulich, wollen auch fur unser Person, so viel immer müglich, dazu dienen unnd vermanen. Denn (wie etliche von[44] uns one grundt reden und schreiben) ist unser gemüth und fürnehmen (B) zu keiner zweispalt odder weiterung,[45] sondern zu allem dem wie obgemeldet gerichtet. Das zeugen wir mit Gott selbst, dem aller Menschen hertzen bekandt.[46] Und solchs sol unnd wirdt das werck selbst außweisen.

(A) Damit man deste besser verstehe, worauff diese der Theologen antwort gehet, ist zu wissen, das man ihnen hat vorgehalten, Key. May. begere das Interim anzu-[D 4v:]nemen,[47] und sie gefraget, was sie dazu sagen oder rathen? Die Herrn Theologen antworten schlecht[48] (wie du liesest), ja, sie wollen Key. Ma. gehorsam sein, und rathen auch andern treulich dazu, und darumb wollen sie keine zwispalt mehr haben etc. Ist das nicht ein offentlich abfall und verleugkung unserer Religion, ja auch zum abfall unnd verleugkung andere Leute dazu vermanen unnd dringen?
(B) Nota: Bißher sind sie Schismatici[49] gewesen, nu wollen sie es nicht mehr thun.

Demselbigen nach bedencken wir: Erstlich, das alles, (C) was die alten Lehrer in den Adiaphoris, das ist inn Mitteldingen, die man one verletzung (D) Göttlicher schrifft halten mag, gehalten haben und bei dem andern teil[50] noch im brauch blieben ist, hinfort auch gehalten werde, (E) und das man darinne keine beschwerunge oder wegerunge suche oder fürwende, dieweil solchs one verletzung guter gewissen wol geschehen mag.

(C) Verstehe Scotum,[51] Thomam,[52] Lombar.[53] und andere Möniche. Denn S. Hieronymus[54] hat nicht gewust, das ein öberster Bischoff in der Kirchen sei, vide epist. ad Evagrium.[55] Item so hat man 850. Jar nach Christi geburt nichtes gewust von vij. Sacramenten, davon sie darnach handeln, wie zu vernemen aus Rabano Mauro, Ertzbischoff zu Mentz.[56]
(D) Als da ist das reine Confiteor, da man die heiligen anrufft.[57]
(E) Also wirdt die gantze Religion Christi verstalt[58] inn des Antichrists greuel, unnd das heist bekennen unnd nicht ergernis geben!

Bibliographie

Textvorlage: Irene DINGEL (Hg.), Der Adiaphoristische Streit (1548—1560), Göttingen 2012, S. 385—387.

Quelle 3: Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus, Der Theologen Bedenken oder Beschluss des Landtages zu Leipzig 1548. Stellungnahme der Theologen zu den Einwänden der kursächsischen Landstände (1549)

Einleitung

Die beiden wegen ihrer Gegnerschaft gegen das Augsburger Interim wie auch gegen die Leipziger Landtagsvorlage nach Magdeburg übergesiedelten Theologen Gallus und Flacius gaben den Landtagsentwurf und weitere einschlägige Texte im Jahr 1550 in den Druck, um die Öffentlichkeit über die zur Debatte stehenden Maßnahmen zur Umgestaltung des kirchlichen Lebens zu informieren und für die eigene, ablehnende Haltung zu gewinnen. Dabei fügten sie kommentierende Bemerkungen bei, die in der vorliegenden Ausgabe kursiv wiedergegeben sind. Die Markierungen, mit denen die Bezüge zwischen Haupttext und Anmerkungen hergestellt wurden, sind hier als eingeklammerte Großbuchstaben gestaltet.

Quellentext

Auff der Ritterschaft und Stedte bedencken
der Herrn Theologen ihres vorigen berichts erklerung.

Scholion.[59]

Hie ist zu wissen, das beide, Ritterschaft und Stedte, an der Theologen bedencken mangel gehabt und gebeten haben, etliche sondere verdechtige, grobe stück erauszuthun. Habens aber nicht erhalten können, sondern die gütigen Herrn wollen mit irem bedencken schlecht durchdringen, gedenckens nicht zu verendern unnd verteidigens fast widder ihr unnd der Landtschafft gewissen, wie aus itzt folgender antwort zu sehen.

Erstlich berichten wir, (N) das die ubergebene Artickel nicht von uns alleine bedacht und gestellet sein, sondern von andern mehr Pastoren und Predigern, darumb wir sie nicht zu endern gedencken. (O)

(N) Die Adiaphoristen schreien itzund sehr: »Wir haben nichts verendert, wir haben nichts verendert!« Danck habt ihr lieben Herrn, ir seid from[60], jr habt nie kein Wasser betrübt.[61] Es hat an ewerm guten willen vnnd mühe freilich nicht gemangelt. Darumb möcht ir euch mit diesem rhum wol verkriechen.
(O) Aber Gott der Almechtige gedencket sie gantz unnd [J 3v:] gar zu verwerffen unnd die Adiaphoristen darüber zu schande zu machen.

So sind sie auch also gestellet, das sie annemlich und nicht allein nicht ergerlich, sondern auch zu guter unterweisung unnd zu gutem Exempel dienstlich sein werden (P).

(P) Freilich, das werck weisets selbs aus. O perversum Adiaphoristarum iudicium!

Das aber etliche sorgfeltigkeit[62] (Q) fürfellet[63] in Artickeln de Ordinatione,[64] Confirmatione,[65] Unctione,[66] Missa,[67] thun wir diesen bericht.

(Q) Es ist nur eitel unnütze sorgfeltigkeit unnd nicht irtumb oder betriegliche Sophisterei.[68]

Erstlich, von der Ordination ist durch Gottes gnade zu hoffen, (R) wie es auch die notturft ist, sonderlich umb der Nachkomen willen, das solche Bischoffe (S) sein werden, die sich der Kirchen getreulich mit Ordination, examine, visitation und andern Bischofflichen Emptern annemen. Und stehet solchs darauff, wie in den Artickeln gestellet ist, das tüchtige Personen, gelert unnd Gottfürchtige, zu diesen Emptern beruffen werden.

(R) Das ist ein rechter starcker glaub der Adiaphoristen, sie hoffen widder ire eigen hoffnung, das die Wölffe noch einmahl werden zu guten Hirten werden, one zweiffel nach der Prophecei: »Die Wölffe werden sich weiden mit den Lemmern« etc., Esa. xi.[69]
(S) Als Julius,[70] Sydonius,[71] Karlwitz.[72]

Von der Confirmation ist nicht ergerlich, sondern nützlich und löblich, so sie dermassen gehalten wird, (T) wie offt davon geschrie-[J 4r:]ben und wie an etlichen örten im brauch ist, das die jungen Leute von xii. odder xv. Jaren verhört werden und ires Glaubens bekentnis thun. Und achten dieses vor ein sehr nützlich werck zur zucht, zu Gottes furcht und zu verhütung falscher Lehre und Secten.

(T) Nemlich wie im Leiptzischen Interim stehet, da Göttliche gnade an der Bischoffe oder ihrer Churtisanen[73] aufflegen der hende gebunden ist. Lieben Herrn, es wird euch nicht darnach zugelassen werden, das ir solt treumen auslegung des Jnterims, wie ir wolt, sondern die Bischoffe, welchen ihr das Regiment uber die Kirche gegeben habt, werdens auslegen nach irer starcken Glosa.[74]

Das man aber das Chrisma[75] anficht, dieses stück ist auffgeschoben und gehört in den beschluß (U), in andern Artickeln wölle man sich mit den Bischoffen weiter unterreden (V).

(U) Das Chrisma ist nicht gar verworffen, sondern wie im Beschluß des Interims stehet, man wil sich umbsehen unnd mit den Bischöffen vergleichen. Das ist: man mus sich umbsehen, ob man nicht köndte etwa ein ander schmaltz erfinden, welchs nicht so gar garstig were und auch den Bauren stüncke.
(V) Sehet, das irs gut machet!

Also sol auch der Artickel von der Oelung verstanden werden, wie außdrücklich angehenget, das alle abergleubische stücke (W) davon wegzuthun. Und hat der Artickel inn diesem verstande keine beschwerung, der denn klar ausgedrückt ist.

[J 4v:] (W) Das ist ein uberaus fein Sophisma[76] und gilt eben so viel, als wenn man sagte: Man sol, mit urlaub,[77] ein dreck[78] auffen[79] tisch setzen, aber zuvor den gestanck und unflat[80] davon abwaschen. Denn die gantze Oelung ist ein abergleubisch ding.

Die sorgfeltigkeit[81] von der Messe ist damit auffgehaben, das im Artickel von der Messe ausgedruckt ist, das da solle Communio unnd reichung des Sacraments geschehen. (X)

(X) Wenn man denn bei der Papistischen messe Communion hielte, were sie darumb unstreffliche?

Vom fest Corporis Christi[82] ist der verstant nicht, (Y) das umbtragen[83] zu halten, sondern daran vom Sacrament unnd rechtem brauch zu predigen.

(Y) Warumb habt ihr es nicht dabei geschrieben inn euerm Interim? Die Bischoffe werden darnach das Interim auslegen und nicht ihr. Denn ihr ubergebet ihnen das Regiment uber die Kirche.

Desgleichen ist vom Confiteor[84] nicht die meinung, (Z) damit der heiligen anruffung (Confiteor Marie) unnd andere misbreuche zu bestetigen. Sondern vernünfftige und Gottfürchtige Pastores unnd Superattendentes werden zu jeder zeit sich und andere in fürfallenden stücken inn der Kirchen Christlich wissen zu erinnern. (A) Wie denn nicht müglich ist, (B) ein ordnung zu stellen, darinnen alle die fürfallende Casus ausgedruckt werden mügen.

(Z) Der Text im Interim und Auszug sagt, die Priester [K 1r:] sollen anfencklich das Confiteor sprechen; articulus (»das«) weiset auff das gewönliche Confiteor und leidet nicht, das man etwas anders an seine stat setzet. Darumb ist entweder die Glosa oder der Text nichts.
(A) Sie werden, indes man den Introitum[85] singt, heimlich einen Psalm oder etwas anders schwatzen, wie Doctor Maior diesen puncten ausgeleget hat im Interim. Aber sol gleichwol also schlecht stehen, das man das Confiteor sprechen sol, auff das man damit den Keiser betriege.[86] Denn solchs, wie bald folget, dienet zum friede.
(B) Es ist wol unmüglich, eine solche strasse zu machen, da sich niemand anstossen oder auch fallen möchte. Aber das ist wol müglich, das man ein weg mache, da nicht mit fleis stricke, netze, gruben, falle etc., wie im Leiptzigschen Interim geschicht, gestellet werden.

Und beruhen endtlich darauff, weil wir verstehen (C), das rechte Lehre vnd Ceremonien in unsern Kirchen bleiben, und zu hoffen ist, solche maß werde zu frieden dienstlich sein, das dieser Artickel also on weiter Disputation zu willigen.

(C) Ir verstehet, das dasjenige bleiben wird, so ir selbest verderben helffet.

Vom Fleischessen ist im Artickel ausgedrückt, das es als ein weltliche Ordnung (D) zu halten, und ist inn allen Artickeln fürnemlich daran gelegen, das man gelerte Gottfürchtige Prediger (E) habe, die allzeit in allen stücken von rechter Lahr und von rechten Gottesdiensten das volck treulich unterweisen können.

(D) Wenn das Fleisch essen eine weltliche Ordnung ist, was mengt irs denn unter die Religionsartickel? Aber [K 1v:] man muss die Leute mit worten betriegen unnd bescheissen.
(E) Derer werdet ihr bald genug haben, so ihr fortfaren werdet, wie irs an merern örtern in Meissen angefangen habt,[87] die verstendige unnd bestendige Prediger zu verjagen und Moros[88] an ire stat zu setzen. So aber doch etliche gelerte unnd Gottfürchtige Prediger inn der Kirche bleiben werden, die werden sich wol wissen zu halten und die Leute recht zu unterweisen, nemlich sie werden dieses Interim anspeien unnd alle euere Adiaphora mit Füssen treten.

So erbieten (F) wir uns auch, zu Christlicher einigkeit durch Gottes gnade fleissig zu erbeiten.

(F) So hoffen wir in Gott den allmechtigen, er werde diese Unchristliche vergleichung des liechtes mit der finsternis, des Herrn Christi mit dem Belial und Antichristo,[89] und alle solche eure arbeit dazu, zu nichte machen.

Philippus Melanchthon. (G)

(G) Es zeugen sehr viel glaubwirdiger Leute, welcher es auch zum teil gesehen, das Philippus diese schrifft mit seiner eignen hand unterschrieben habe. Ist es aber nicht war, so bezeuge ers mit einer gedrückten Schrifft.

Bibliographie

Textvorlage: Irene DINGEL (Hg.), Der Adiaphoristische Streit (1548-1560), Göttingen 2012, S. 413-416.

Quelle 4: Der unschuldigen Adiaphoristen Chorrock / darüber sich die unrugige und Störrische Stoici mit ihnen zancken

Quelle

Das Flugblatt mit heruntergeklapptem
»Chorrock«Das Flugblatt mit aufgeklapptem
»Chorrock«

Der unschuldigen Adiaphoristen Chorrock / darüber sich die unrugige und Störrische Stoici[90] mit ihnen zancken.

Das Blatt zeigt rechts eine Gruppe von Gelehrten, in vorderster Linie ein Geistlicher im reich verzierten Messgewand, der einen weißen, stark gefältelten Chorrock trägt. Er zeigt argumentierend auf einen überdimensionalen Chorrock in der Mitte des Blattes. Unterhalb des Saumes sind Krallen eines Drachen und ein langer Schwanz mit einem Widerhaken am Ende zu erkennen, im Halsbereich ein Gesicht mit einem Teufelshorn. — Auf der rechten Schrifttafel ist zu lesen: »Entschuldigung des Chorrocks. Es ist doch nur ein weisses kleid / Darüber mann so hefftig streit. Warumb wolten wir's nicht nemen an / Sintemal[91] wir davon können han[92] / Fried / gute zucht / und anders mehr / Erhalten Land / Leut / Gut und Ehr!« — Auf der linken Seite sieht man eine Gruppe Gelehrter, die gegenüber dem Chorrock in der Mitte eine abwehrende Haltung einnehmen. Auf der linken Schrifttafel ist zu lesen: »Antwort. Es sei ein schwartz oder weisses kleid / Sei eins oder mehr hat sein bescheid. Das mus mann aber sehen an / Das unter dieser weissen fahn. Unter diesem Engelischen[93] kleid Ein schwartzer Teuffel begraben leit.« — Der Chorrock in der Mitte ist im Halsbereich angeleimt und kann hochgeklappt werden, darunter zeigt sich eine Teufelsgestalt, die eine Schrifttafel mit folgendem — ironisch-uneigentlich zu verstehenden — Text hält: »Dje Adiaphoristischen Theologen wollen K. M.[94] in der Religion gehorsam sein / und keine spaltung mehr (wie sie zuvor gethan) haben. Sie raten treulich andern leuten zu diesem gehorsam. Geben auch nach[95] / das wir nicht allein durch den Glauben gerecht werden, sonder die guten wercke sind auch von nöten dazu / und die andere tugenten wirken auch mit den glauben.[96] Die Busse ist nicht reue und glaub / sonder ist Beicht / Absolution und was dem anhengig ist / das ist genugthuung und Ablas.[97] Mann sol gleuben und leren / was die kirche erkennet und ordnet. Alle Prediger sollen dem öbersten Bischoffe / das ist / dem Bapste und andern Bischoffen gehorsam und unterworffen sein. Die gründe der sieben Sacrament soll man widder auffrichten.[98] Die gantze Papistische Messe und horae Canonicae sollen widerumb gehalten werden[99] Das heilige fest Corporis Christi[100] / da mann die Monstrantz[101] umtreget und anbetet / soll mann widderumb halten / und andere dergleichen. Mit Fanen, Kertzen etc. Fastnachtspiel in der Religion und Kirche treiben / stehet wol. Die Teuffelsverbote Fleisch zu essen / soll mann in der kirche allgemehlich widderumb auffrichten / doch unter einem schein.[102] Und Summa / man soll alle Ceremonien halten / wie es die Papisten halten / denn das ist eine köstliche zucht.[103] In den andern stücken wollen sie sich sehr gerne mit ihren Bischöffen vergleichen. Es ist nicht von nöten / das du klar bekennest / das du das Interim nicht wilt annemen / oder von der Augspurgischen Confession abweichen / Ja es ist auch nicht sünde / das du mit alle deinen geberden / ja auch mit allen Kirchenceremonien dich also stellest / als ob du von der waren Religion abfallest / und das Interim annemest. So du einen Stoischen Pfarrherrn hast / der da bekennen und die Wolffe anbellen will[104] / denselbigen treib weg / und sage / Gehe und bekenne mit deiner eignen gefahr. Mann kann wol ein Mittelweg finden / das mann zweien Herren diene[105] / und Christi und der Gottlosen Welt gunst behalte. Man kann wol von dem Evangelio das schwerd und feur absondern.[106] Wer dieses malzeichen des Thiers annimpt / der wird mögen keuffen und verkeuffen[107] / Wer aber wil ein φιλόνεικος[108] / zenckischer Luthers schüler bleiben / Der ist des tods schüldig.«

Bibliographie

Illustrierter Einblattdruck (Entwurf Matthias Flacius Illyricus, Holzschnitt: Monogrammist BP, Druck: Pankratius Kempff, Magdeburg, 295mm x 360mm).

Abbildungen nach: Walter L. STRAUSS, The German Single-Leaf Woodcut 1550-1600, Bd. 2, New York 1975, S. 507.

Essay zu Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich

Buchdruck und Reformation

»Mit dem Auftreten Martin Luthers veränderte sich im Buchdruck fast alles.«[109] Diese Feststellung von Hans-Jörg Künast lässt sich freilich auch anders wenden, sodass man mit Johannes Burkhardt sagen kann, dass das Medium Buch in Martin Luther seinen Autor gefunden habe.[110] Zwischen dem Buchdruck und der Reformation lässt sich somit eine geradezu symbiotische Verbindung konstatieren, die den Erfolg für beide garantieren sollte. Befand sich der Buchdruck gegen Ende des 15. Jahrhunderts in einer schwierigen Situation, da die Produktion von Büchern höchst kostenintensiv war und zahlreiche Drucker insolvent wurden, was zwangsläufig eine Stagnation der Neupublikationen zur Folge hatte, so veränderte sich die Lage zu Beginn der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts dramatisch. Mit der Flugschrift entstand ein neues Genre, das aufgrund des deutlich geringeren Papierverbrauchs bei weitem nicht so hohe Herstellungskosten verursachte, wie die Veröffentlichung von Folianten usw.[111] Eröffnete sich für die Drucker dadurch die Möglichkeit zu einem gewinnträchtigen Geschäftsmodell, so ergab sich für die Autoren der Flugschriften die Chance, schnell und mit hohem Aktualitätsbezug ihre Meinungen und Positionen zu bestimmten Themen und Problemstellungen der Zeit zu veröffentlichen.[112] Auch und gerade die Publikationen Martin Luthers (1483—1546) zeichnen sich darum durch ihre Situationsabhängigkeit aus.

Die Reformation wurde vor diesem Hintergrund zum ersten medial ausgetragenen Konflikt, sie war das erste große Medienereignis schlechthin. Rasant stieg die Zahl der Druckerzeugnisse seit 1518 an, um sich dann seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts für die nächsten zwei Jahrzehnte auf einem konstant höheren Niveau als zuvor einzupendeln, von einzelnen kleineren Höhepunkten abgesehen.[113] Dabei zeichneten sich die Veröffentlichungen keineswegs nur dadurch aus, dass die Reformatoren in ihnen ihre theologischen Thesen entwickelten und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse präsentierten. Vielmehr führte dies zu einem Kampf um die Deutungs- und Definitionshoheit, in dem rasch ganz unterschiedliche Konfliktlinien entstanden. Die Kontroverse zwischen Luther und seinen Mitstreitern einerseits und den romtreuen Autoren andererseits bildete hier nur eine davon, da die Gruppe der Anhänger der Reformation sich zügig ausdifferenzierte und es so zu kontrovers ausgetragenen Abgrenzungsprozessen unter den Reformatoren selbst bzw. mit reformwilligen Humanisten kam (Luther und Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt (1486—1541);[114] Luther und Thomas Müntzer;[115] Luther und Huldrych Zwingli (1482—1531),[116] Luther und Erasmus von Rotterdam (1466/69—1536);[117] Luther und die Täufer[118]). Diese Auseinandersetzung um die Deutungs- und Definitionshoheit wurde durch die immensen politischen und juristischen Implikationen der Reformation[119] umso bedeutsamer. Schließlich versuchte Kaiser Karl V. (1500—1558) im Verbund mit den Reichsständen, den Fürsten und den Stadtobrigkeiten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, seit dem Wormser Reichstag 1521, die durch die Reformation verlorengegangene Glaubenseinheit wiederherzustellen. Auf allen folgenden Reichstagen sowie bei eigens einberufenen Religionsgesprächen wurde unter politischen Rahmenbedingungen nach einer Lösung des Religionsstreits gesucht.[120] Daher wurde es erforderlich, die theologischen, politischen und juristischen Entwicklungen der Zeit intensiv zu verfolgen und im eigenen Sinn zu kommentieren, um so eine eigene Medienpolitik zu gestalten. Die Notwendigkeit dazu wurde von den Evangelischen im Reich nach der Niederlage des evangelischen Verteidigungsbündnisses, des Schmalkaldischen Bundes, gegen Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg 1546/47[121] als besonders dringlich empfunden, was zu einem sprunghaften Anstieg der Veröffentlichungszahlen führte.[122]

Die Entstehung der »Herrgotts Kanzlei« seit 1548

Nach dem militärischen Triumph sah der Kaiser die Gunst der Stunde gekommen, um die Religionseinheit im Reich zu diktieren. Er berief 1547/48 einen Reichstag nach Augsburg ein, auf dem er den Reichsständen ein Religionsgesetz (»Augsburger Interim«) präsentierte und sie zur Annahme zwang, was als abscheuliches Diktat empfunden wurde (vgl. Quelle 1).

Die äußere Situation der militärischen Niederlage und die immer noch im Reich stationierten kaiserlichen Truppen erforderten gerade von den evangelischen Reichsständen aber ein konziliantes Verhalten gegenüber Karl V. In dieser Lage des Jahres 1548 bedurfte es dringend der politischen und theologischen Führung. Doch den Evangelischen im Reich schien es an beidem zu mangeln.

Die Wittenberger Theologieprofessoren galten den Evangelischen im Reich als die entscheidenden Autoritäten in theologischen Streitfragen.[123] Dabei hatte freilich Martin Luther bis zu seinem Tod im Februar 1546, kurz vor Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges, die maßgebliche Autorität zugesprochen bekommen. In den religionspolitischen Turbulenzen des Jahres 1548 richteten sich die Augen der Evangelischen nun auf die anderen Professoren an der Universität Wittenberg, besonders auf Philipp Melanchthon (1497—1560), der allseits bewundernd »praeceptor Germaniae«, »Lehrer Deutschlands« genannt wurde. [124]

Die höchste politische Autorität unter den Evangelischen hatten bis zum Jahr 1546 vor allen Dingen die ernestinischen Kurfürsten von Sachsen[125] gleich in zweifacher Hinsicht beanspruchen dürfen: Zum einen standen sie in ihrer Funktion als Kurfürst, mithin als einer der nur sieben zur Königswahl berechtigten Fürsten, an der Spitze der politischen Hierarchie des Reichs. Zum anderen kam ihnen als Luthers Landesherren eine ganz besondere Schutzfunktion für die evangelische Lehre zu. Nach seinem Sieg 1547 übertrug Karl V. aber zur Bestrafung Johann Friedrichs von Sachsen (1503—1554) die Kurwürde an dessen Cousin Moritz (1522—1553), den albertinischen Herzog von Sachsen.[126] Der bekannte sich zwar zum evangelischen Glauben, hatte sich im Schmalkaldischen Krieg aber aus politischen Nützlichkeitserwägungen auf die Seite des Kaisers gestellt und das Territorium Johann Friedrichs angegriffen. Um ihn für diesen Dienst zu belohnen, verlieh ihm Karl also die Kurwürde. Damit verpflichtete er ihn in besonderem Maße zur Dankbarkeit. Der neue Kurfürst von Sachsen hatte somit zum einen allen Grund zu politischer Rücksichtnahme auf den Kaiser, zum anderen besaß er in Johann Friedrich und dessen Söhnen erbitterte Feinde, und überdies haftete das Verdikt des politischen Opportunismus an ihm (»Judas von Meißen«).[127] Aufgrund von Gebietsgewinnen nach dem Schmalkaldischen Krieg gehörten Stadt und Universität Wittenberg nun zu seinem Territorium, und er band die bekannten und renommierten Wittenberger Theologen in seine Religionspolitik ein, um deren Reputation für sich nutzbar zu machen.

Wiewohl diese, voran Philipp Melanchthon, das Augsburger Interim eigentlich ablehnten, fanden zwischen ihnen und den politischen Beratern des Kurfürsten 1548 zahlreiche geheime Verhandlungen statt.[128] Deren Ergebnis stellte eine Beschlussvorlage für den Leipziger Landtag Ende Dezember 1548 dar. Mit ihr versuchten die Wittenberger, die theologischen Lehrbestimmungen des Augsburger Interims diplomatisch abzulehnen, bei gleichzeitigem großem Entgegenkommen in Kultusangelegenheiten. So sollten nun zahlreiche abgeschaffte Zeremonien und Gebräuche wieder eingeführt werden. Um diese Maßnahmen theologisch abzusichern, entwickelten die Wittenberger Theologen die Lehre von den Adiaphora, also von Mitteldingen, die weder theologisch noch ethisch geboten oder verboten, sondern in jedermanns Ermessen gestellt waren (vgl. Quelle 2 und Quelle 3). Nach der militärischen Niederlage und dem Diktat des Augsburger Interims durch den Kaiser war diese Haltung für zahlreiche Evangelische im Reich nicht nachvollziehbar. Sie erwarteten gerade von den Wittenbergern, als den engsten Vertrauten Martin Luthers, klare Wegweisung in dieser angefochtenen Lage, d. h. kompromisslose Verteidigung von Luthers Erbe.

Die Gegner der Lehre von den Adiaphora und Anhänger eines unbedingten Widerstandsrechts gegen politische, obrigkeitlich verordnete Eingriffe in genuin theologische Angelegenheiten sammelten sich in Magdeburg. Die freie Reichsstadt hatte 1547 nicht vor Karl V. kapituliert und stand folglich noch im Krieg. Sie war darum seit 1547 das Zentrum des letzten politisch-militärischen Widerstands der Evangelischen im Reich gegen den Kaiser. Aus diesem Grund wurde sie zum Zufluchtsort zahlreicher Theologen, die die Einführung des Augsburger Interims in ihren Herkunftsterritorien im Reich entschieden ablehnten und deshalb vertrieben wurden. Damit sammelten sich in der politisch-militärisch widerständigen Reichsstadt nun auch diejenigen, die den theologisch-publizistischen Kampf gegen die kaiserliche Religionspolitik im Reich aufnahmen. Magdeburg war der letzte verbliebene Ort des Reiches, in dem die Druckereien ungehindert und mit hohen Auflagenzahlen Texte gegen das Interim produzierten. Dadurch wurde die Stadt vollends zum Synonym des Widerstands (»Unsers Herrgotts Kanzlei«).[129]

Mediale Mobilmachung

Thomas Kaufman hat in seinem Werk zum »Ende der Reformation« sowohl auf die Ähnlichkeiten als auch auf die Unterschiede zwischen den erhöhten Buchproduktionen zu Beginn der zwanziger und zum Ende der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts hingewiesen.[130] Eine wesentliche Ähnlichkeit liegt in der Verbindung von Politik und Religion sowie der Auseinandersetzung um die »wahre Lehre« als Ausgangspunkt der medial ausgetragenen Kontroversen. Ein zentraler Unterschied findet sich mit Blick auf die Produktionsorte, da anders als zu Beginn der Reformation seit 1548 Magdeburg als Medienzentrum eine singuläre Stellung einnimmt.[131]

Von ganz besonderer Bedeutung ist aber die Differenz der Ausgangssituationen der Kontroversen. Handelte es sich zu Beginn der zwanziger Jahre doch um eine mit offensivem publizistischem Elan vorgetragene Verbreitung des Schriftprinzips (sola sciptura). Luthers Übersetzung der Bibel, mithin die Sache selbst, wurde in dieser Zeit zu dem größten Verkaufserfolg überhaupt. Das Medium verschmolz an dieser Stelle fast vollständig mit dem Anliegen der Reformation. Nach 1548 hingegen handelt es sich um einen furios geführten Abwehrkampf gegen die kaiserliche Religionspolitik. Hier befand man sich in der Defensive oder sah sich zumindest selbst in der Verteidigungsposition gegen eine für die evangelische Lehre als existenzbedrohlich eingeschätzte kaiserliche Politik.

Die nach Magdeburg geflohenen Theologen wandten sich darum gegen jede Form von Nachgiebigkeit und engagierten sich folglich ebenso massiv gegen die Wittenberger Theologen wie gegen das kaiserliche Religionsgesetz selbst. Diplomatisch begründeten Zugeständnissen gegenüber der kaiserlichen Religionspolitik stellten sie nämlich unbedingte theologische Eindeutigkeit und Klarheit gegenüber. Die Ausdifferenzierung der Anhänger der Reformation zu Beginn der zwanziger Jahre fand nach 1548 somit eine Analogie im ausbrechenden Streit zwischen den Anhängern Luthers um dessen Erbe. Das Augsburger Interim wurde damit zum Ausgangspunkt eines lutherischen Bekenntnisbildungsprozess, der sich als abermalig medial ausgetragener Konflikt um die Deutungshoheit präsentierte, diesmal über Luthers Lehre und zentrale Texte, die während der vergangenen Jahrzehnte publiziert worden waren (Confessio Augustana 1530, Schmalkaldische Artikel 1537 usw.). Zur Klärung verschiedener zentraler theologischer Problemstellungen (Widerstandsrecht, Verhältnis von Politik und Religion, Frage der Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit, Verhältnis von Gesetz und Evangelium, Möglichkeiten zur Mitwirkung des Menschen am eigenen Heil, Menschenbild, Rechtfertigung, Abendmahlsverständnis und Christologie)[132] wurden in diesem Konflikt hunderte von Streitschriften über Jahrzehnte hinweg veröffentlicht. Dieser lutherische Bekenntnisbildungsprozess fand durch die Aushandlung der Konkordienformel von 1577 und durch die Publikation des Konkordienbuchs von 1580 einen vorläufigen Abschluss.

Um einen möglichst hohen Verbreitungsgrad der eigenen Publikationen zu gewährleisten, verwendeten die Theologen in Magdeburg das Mittel der Satire. So verhöhnten sie die Beschlussvorlage für den Leipziger Landtag als »Leipziger Interim«, publizierten den Text vollständig und versahen ihn mit bissigen Randbemerkungen. Indem sie dies taten, betätigten sie sich als frühneuzeitliche »Whistleblower«, indem sie Briefe an die Wittenberger Theologen sowie deren Absprachen mit den kurfürstlich-sächsischen Beratern veröffentlichten (vgl. Quelle 2 und Quelle 3). Dem Prinzip der Geheimdiplomatie in der Religionspolitik setzten sie folglich die offen ausgetragene theologische Kontroverse entgegen.

Da sie aber keineswegs nur Streitschriften, sondern auch Lieder und Bilder veröffentlichten, erreichten ihre Thesen in einer überwiegend illiteraten Gesellschaft noch größere Bevölkerungsschichten. Die volkstümliche Sprache in ihren Publikationen, repräsentiert durch zahlreiche Schimpf- und Schlagworte und durch die ebenso umfängliche Verwendung zeitgenössischer Redewendungen, sowie die unzweideutigen Darstellungen des Augsburger Interims in bildlicher Gestalt, vermittelte den Lesern und Betrachtern ihrer Veröffentlichungen ihre Gegnerschaft zum Augsburger Interim, zur Leipziger Landtagsvorlage und damit verbunden zu der Lehre von den Adiaphora in unmissverständlicher polemischer Schärfe (vgl. Quelle 4).

Politik und Religion — Eine mediale Verhältnisbestimmung

Die Reformation stellte die Glaubens- und Kultuseinheit im Reich in Frage. Die politischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen des »Heiligen Römische Reichs deutscher Nation« wurden auf diese Art und Weise grundsätzlich in Frage gestellt. Karl V. ging es in seiner Funktion als Kaiser, mithin als Garant der politischen Einheit des Reichs sowie als »Advocatus ecclesiae«, um die Beilegung des Religionsstreits und damit um die Wiederherstellung der Glaubens- und Kultuseinheit im Reich. Sein Religionsgesetz aus dem Jahr 1548, das Augsburger Interim, war somit ein auf die reichsweite Einheit zielender, kirchenpolitischer Ordnungsversuch des Kaisers, der ein Ergebnis der damaligen Verflechtung von Politik und Religion darstellte. Die Leipziger Landtagsvorlage wiederum war ein territorialpolitisch ansetzender kirchenpolitischer Ordnungsversuch, der vor dem Hintergrund der militärischen Niederlage der Evangelischen und der Notwendigkeit zu diplomatischer Rücksichtnahme auf Karl V. zustande kam.

Im Zuge der Reformation waren seit 1517 in zahlreichen Publikationen emanzipatorische Thesen aufgestellt und Meinungen vertreten worden. Konkret hieß dies, dass die Frage nach der Gewissensfreiheit und damit verbunden nach einem Widerstandsrecht gegen eine Obrigkeit diskutiert wurde, die gegen die reformatorische Lehre — die »wahre Lehre« aus der Perspektive der Evangelischen — vorging. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Deutungs- und Definitionshoheit theologischer, politischer und juristischer Positionen, der für die Zeitgenossen einen endzeitlichen Kampf um »die Wahrheit« darstellte,[133] hatte somit im Protestantismus ein Prozess der Intensivierung des Verhältnisses von Politik und Religion begonnen. Mittels der Streitschriften, Lieder und Bilder, die im Zuge der Kontroversen entstanden, die sich am Augsburger Interim endzündeten, wurde sowohl aufgrund der apokalyptischen Vorstellungen der Zeit als auch wegen der politischen Eingriffe in Glaubens- und Kultusfragen ein mit allen publizistischen Mitteln der Zeit geführter, existenziell angesehener Verteidigungskampf für die theologische Selbstbehauptung und Eigenständigkeit geführt.

Da ein auf Einheit zielendes politisches Ordnungssystem keine Möglichkeiten zum Umgang mit unterschiedlichen theologischen Positionen und den daraus folgenden politischen und juristischen Konsequenzen bot, mussten neue Ordnungsvorstellungen entwickelt werden, um die theologischen Differenzen zu bewältigen. Eine vorläufige politische Lösung wurde mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 erzielt, der zwar die Fiktion einer in der Zukunft möglichen Wiederherstellung der Einheit aufrechterhielt, der aber gleichwohl in der Gegenwart den Dissens durch Herstellung von Sicherheit einhegte.[134]

Zitationsempfehlung des Beitrags

Jan Martin LIES / Hans-Otto SCHNEIDER, Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: http://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Medienereignis_und_Bekenntnisbildung:_Das_Interim_im_Heiligen_Römischen_Reich

Anmerkungen


  1. Mit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 durch den Papst in Rom griff man auf die spätantike Idee der Gleichrangigkeit eines westlichen Kaisertums mit dem östlichen (nun byzantinischen) Kaisertum zurück. Beanspruchte Karl der Große somit, in der Tradition der weströmischen Kaiser zu stehen und das Römische Reich im Westen fortleben zu lassen, so tat er dies in Verknüpfung mit speziellen Interpretationen biblischer Vorstellungen (vgl. Dan 2 und 7), die im Römischen Reich das letzte von vier Weltreichen vor dem Jüngsten Gericht erkannten. Verbunden mit der Reichsidee war somit der Anspruch auf universale Herrschaft durch Rückbezug auf das Römische Reich und die Verankerung des Reiches in der christlichen Heilsgeschichte. Die Verwendung des Titels »Sacrum Imperium« (seit 1157) diente wie der Titel »Sacrum Imperium Romanum« (seit 1254) vor allen Dingen dazu, im Konflikt des Kaisertums mit dem Papsttum im Laufe des Mittelalters die Gleichrangigkeit, Gottunmittelbarkeit und Erhabenheit des Kaisertums zu betonen. Seit der Kaiserkrönung Ottos I. 962 erlangte die Reichsidee im Nationalbewusstsein der Deutschen eine herausragende Bedeutung. Der seit dem 15. Jahrhundert aufkommende Zusatz »deutscher Nation« deutet auf die zunehmende Nationalisierung des Reichs im Spätmittelalter hin. Das Reich endete im Jahr 1806 aufgrund der französischen Expansion unter Napoleon I. ↩︎

  2. Gemeint sind damit all diejenigen, die nach 1517 gemäß der Lehren und Traditionen der mittelalterlich-päpstlichen Kirche lebten, im Unterschied zu den Anhängern der Reformatoren. Die römisch-katholische Kirche formierte sich in Reaktion auf die Reformationsbewegung neu mit und nach dem Konzil von Trient 1545—1563. ↩︎

  3. Zustand von Lehre und Kultus vor der Reformation in der mittelalterlich-päpstlichen Kirche. ↩︎

  4. Bei ihm handelte es sich um einen überzeugten Anhänger des Papstes. Seit 1538 übte er die Funktion eines Hauptmanns des Nürnberger Bundes aus. Dieser Bund war auf Initiative des kaiserlichen Reichsvizekanzlers Dr. Matthias Held als Gegenbund zum protestantischen Schmalkaldischen Bund gegründet worden. ↩︎

  5. Dabei handelt es sich um eine spezielle Form der Acht, die in besonderer Weise mit dem Amt und der Person des Kaisers verbunden war. Konnte sie einerseits dazu genutzt werden, um einen Beklagten zur Einlassung vor dem königlichen Gericht zu zwingen, so konnte sie andererseits zur Rechtsdurchsetzung und als Erzwingung des Friedens eingesetzt werden. Überdies war eine Verhängung der Acht in Verbindung mit dem Kirchenbann, der Exkommunikation möglich. Die Folgen der Acht bestanden darin, dass der Geächtete außerhalb der Rechtsordnung gestellt wurde. Das bedeutet, dass er vermögensunfähig und rechtlos war. Sein Vermögen wurde konfisziert; er konnte nicht klagen und keinen Eid schwören; seine familiären Bindungen galten als erloschen; jedermann durfte ihn straflos erschlagen, und niemand durfte ihn beherbergen oder versorgen. ↩︎

  6. Gemeint ist damit ein Religionsgesetz, das Kaiser Karl V. auf dem Reichstag von Augsburg 1547/48 erließ. Als »Interimslösung« galt das Gesetz deshalb, weil es nur bis zur endgültigen Lehrentscheidung durch ein Konzil in dem von der Reformation ausgelösten Religionsstreit gelten sollte. Doch bis es dazu kam, entschied der Kaiser mittels seines Gesetzes über theologische Streitfragen wie zur Rechtfertigungslehre und formulierte die Grundlagen einer einheitlichen Kultusausübung (liturgische Fragen). Die Protestanten sollten damit dazu gezwungen werden, die reformatorischen Veränderungen weitgehend (bis auf Priesterehe und Laienkelch) rückgängig zu machen. Die altgläubigen Obrigkeiten im Reich hingegen sahen in dem Gesetz die Grundlage für zu weitreichende Veränderungen ihres tradierten Kultus. So erhob sich von beiden Seiten Widerstand, da beide Seiten den Kaiser als nicht zuständig für die Regelung von Lehr- und Kultusfragen ansahen. ↩︎

  7. Unter den Reichsständen sind diejenigen Glieder des Reichs zu verstehen, die einerseits über direkt vom Reich verliehenes Lehen und damit über die Reichsunmittelbarkeit verfügten und die andererseits Teil der drei Kollegien (Kurfürsten; Fürsten, Prälaten, Grafen und Herrn; Reichsstädte) auf dem Reichstag waren. Daher ergab sich der Umstand, dass es wohl Reichsritter gab, die über Reichslehen verfügten, aber dennoch nicht Teil der Reichsstände waren, da sie als Reichsritter keiner der drei Kollegien angehörten. Die Reichsstände beanspruchten auf den Reichstagen vom Kaiser gehört und in die verschiedenen politischen Entscheidungsfindungsprozesse durch Mitsprache- und Stimmrechte eingebunden zu werden. ↩︎

  8. Analog zu den Reichsständen bezeichnet man die Landstände als diejenigen Mitglieder des Adels, des Klerus und der Landstädte, die auf Landtagen ein Stimmrecht besaßen und Mitspracherechte in der Verwaltung und Regierung des jeweiligen Landes beanspruchten. ↩︎

  9. Flacius stammte aus Albona (heutiges Kroatien). Ab 1541 studierte er an der Universität in Wittenberg und erhielt dort 1544 eine Professur für Hebräisch. Da er die Zusammenarbeit der Wittenberger Professoren mit den kursächsischen Räten zur Ausarbeitung einer diplomatischen Lösung im Umgang mit dem Augsburger Interim nicht mittragen konnte, verließ er 1548 Wittenberg und engagierte sich in Magdeburg massiv publizistisch gegen das Augsburger Interim und die Lehre von den Adiaphora. ↩︎

  10. Gallus war seit 1543 Diakon in der Reichsstadt Regensburg und versuchte über den Stadtrat Einfluss auf die religionspolitischen Verhandlungen des Augsburger Reichstags 1547/48 zu nehmen. Da er das Augsburger Interim radikal ablehnte, verließ er die Reichsstadt, da der Stadtrat das Religionsgesetz einführte. In Magdeburg fand er Aufnahme und veröffentlichte zahlreiche Schriften gegen das Augsburger Interim und die Lehre von den Adiaphora. ↩︎

  11. Das Messgewand. ↩︎

  12. Der Text der Konkordienformel (Formula Concordiae), die auf Initiative des schwäbischen Theologen Jakob Andreae erarbeitet wurde, besteht aus zwei Hauptteilen: aus der Epitome (»Bündige Zusammenfassung«) und aus der Solida Declaratio (»Gründliche Erklärung«). In beiden werden theologische Streitfragen behandelt und einer Klärung zugeführt, die nach Luthers Tod und insbesondere infolge des Augsburger Interims und der Leipziger Landtagsvorlage unter den lutherischen Theologen aufgebrochen waren. Die Konkordienformel versteht sich nicht als eigene, neue Bekenntnisschrift, sondern als präzisierende Wiederholung der Confessio Augustana. Sie bildet den Abschluss des Konkordienbuches von 1580. ↩︎

  13. Betrug. ↩︎

  14. Fängt. ↩︎

  15. Waisen. ↩︎

  16. Deinem. ↩︎

  17. Haben. ↩︎

  18. Kaiser Karl V., seit 1516 bereits König von Spanien, Sohn Johannas (genannt »die Wahnsinnige«) und Philipps (genannt »der Schöne«) von Kastilien. ↩︎

  19. Sieht. ↩︎

  20. Erst in der Renaissance beginnt man mit einer gewissen Selbstverständlichkeit von Deutschland zu reden, bei aller Unbestimmtheit des Begriffs. Vgl. Art. Deutschland, in: DWb 2, 1052f. ↩︎

  21. Ich werde mir von keinem Mann ein Getränk ausgeben lassen, d. h. mich jedem Versuch verweigern, eine Bekanntschaft mit mir anzuknüpfen. ↩︎

  22. Kein Herz im Leibe haben = feige sind. ↩︎

  23. Abweisend, missgelaunt erscheinen. ↩︎

  24. Wer dazu den größten Beitrag geleistet hat ... ↩︎

  25. Der Kranz kann symbolisch sowohl für den Siegespreis als auch für die Jungfräulichkeit stehen. Zugleich stellt die Gestalt der sächsischen Jungfrau mit dem Kranz eine Anspielung auf das Magdeburger Stadtwappen dar. ↩︎

  26. Zwei. ↩︎

  27. Der Cheruskerfürst Arminius führte jene germanischen Kämpfer an, die im Jahre 9 n. Chr. drei römische Legionen unter dem Befehl des Statthalters Publius Quinctilius Varus vernichteten und damit den Zugriff Roms auf das nördliche Germanien dauerhaft vereitelten. Auf die »Germania« des Tacitus geht das Epitheton »Befreier Germaniens« für Arminius/Hermann zurück. Vgl. Volker LOSEMANN, Art. Arminius, in: Der Neue Pauly, Bd. 2 (1997), S. 14—16. ↩︎

  28. Im 16. Jahrhundert ging man davon aus, Kaiser Otto III. habe die Kaiserwahl durch sieben Kurfürsten festgelegt. Dieser Irrtum hatte große Verbreitung gefunden durch das vielbenutzte »Chronicon pontificum et imperatorum« des Martin von Troppau († 1278). Entsprechende Notizen finden sich auch in der »Supputatio annorum mundi« (1541/1545) Martin Luthers (WA 53, 152). Die Stadt Magdeburg verdankte den Ottonen ihre erste Blüte. ↩︎

  29. Die Bezeichnung »Endchrist« betont insbesondere das eschatologische Moment der Antichristgestalt; das Papsttum wird als Widerchrist am Ende der Zeiten offenbart durch die Predigt des Wortes Gottes, das Interim gehört mit zu den Zeichen des Endchrists. Vgl. Volker LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548—1618, Gütersloh 1999, bes. S. 103—109, 206—243. ↩︎

  30. Karl V. war am 24. Februar 1500 in Gent geboren worden. ↩︎

  31. Hinterlist, Tücke. ↩︎

  32. Der Kuckuck ist ein Brutparasit; er legt seine Eier in fremde Nester, und die jungen Kuckucke werfen ihre Stiefgeschwister aus dem Nest. An der vorliegenden Stelle spielt wohl der Gedanke eine Rolle, dass Karl V. die Kaiserwürde nicht zuletzt dem ernestinischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen von Sachsen verdankte, aber dessen Neffen und Nachfolger Johann Friedrich nun der Kurwürde und eines Teils seiner Lande beraubt hatte, zugunsten seines albertinischen Vetters Moritz. ↩︎

  33. Heimtückischen, verschlagenen. ↩︎

  34. Kaiser Karl V. ↩︎

  35. Die Hoffnungen, die sich einst mit dem Regierungsantritt Karls V. verbunden hatten, waren inzwischen längst verflogen, und sein Versuch, die kultisch-religiöse Einheit des Reiches mit Waffengewalt wiederherzustellen, schadete dem Ansehen des Kaisers in protestantischen Kreisen erheblich; der versuchte Gewissenszwang wurde als Tyrannei empfunden. Hinzu kamen Karls Bestrebungen, ein Erbkaisertum für das Haus Habsburg zu etablieren und die Position des Kaisers gegenüber den Reichsständen zu stärken. ↩︎

  36. Sprichwörtlich: Untreue schlägt den eigenen Herrn, d. h. der Untreue schadet sich selbst. ↩︎

  37. Redensartlich: Es gibt noch eine Möglichkeit, dem Rasenden Einhalt zu gebieten. ↩︎

  38. Gedacht ist höchstwahrscheinlich an den israelitischen König Jehu (reg. ca. 845—818 v. Chr.), der die Omridendynastie auslöschte und die offizielle Baalsverehrung in Samaria beendete. ↩︎

  39. Sieh. Sieh mit zu = sorge mit dafür. ↩︎

  40. Wehre, verhindere, mach ein Ende damit. ↩︎

  41. Vgl. die Anfangsverse aus dem Lied, nach dessen Melodie die Strophen gesungen werden sollen: »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Und steur des Bapsts und Türcken Mord«, Luther, WA 35, 467, 26f. ↩︎

  42. Aufgenötigt. ↩︎

  43. Jedermann. ↩︎

  44. Über. ↩︎

  45. Verzögerung, Hindernisse, Schwierigkeiten, Verwicklungen. ↩︎

  46. Vgl. Apg 15,8; I Sam 16,7. ↩︎

  47. Begehre, dass man das Interim annehme. ↩︎

  48. Schlicht, einfach. ↩︎

  49. Schismatiker, Anhänger eines Schismas, d. h. einer Abspaltung von der Hauptkirche (ohne dass Irrlehren vertreten werden; sonst spräche man von Häresie). ↩︎

  50. Der/das ander Teil = die Altgläubigen. ↩︎

  51. Johannes Duns Scotus, genannt Doctor subtilis, franziskanischer Theologe, gestorben am 8. November 1308 in Köln. ↩︎

  52. Thomas von Aquin, genannt Doctor angelicus, dominikanischer Theologe, Kirchenlehrer, gestorben am 7. März 1274 in der Zisterzienserabtei Fossanova (Latium), auf dem Weg zum II. Konzil von Lyon. ↩︎

  53. Petrus Lombardus, genannt Magister Sententiarum, Urheber eines der einflussreichsten theologischen Lehrbücher des späten Mittelalters, gestorben im Juli 1160 in Paris. ↩︎

  54. Sophronius Eusebius Hieronymus, Kirchenlehrer, Bibelübersetzer, gestorben um 420 in Bethlehem. ↩︎

  55. Vgl. HIERONYMUS, Epistula CXLVI ad Evangelum [sic], in: PL 22, 1192—1195 (CSEL 56, 308,1—312,5). 1538 erschien eine Separatausgabe in Wittenberg: EPISTOLA || SANCTI HIERO||NYMI AD EVA=||GRIVM De PO=||TESTATE || PAPAE. Cum Praefatione D. Martini || Lutheri (VD 16 H 3507). ↩︎

  56. Hrabanus Maurus, 822—842 Abt von Fulda und 847—856 Erzbischof von Mainz, spricht z. B. in seiner Schrift De institutione clericorum I,31 von vier Sakramenten: Taufe, Chrisma, Leib und Blut des Herrn. Vgl. PL 107, 331C (FChr 61/1, 212). Der Text des Hrabanus Maurus wurde nach unterschiedlichen Handschriften in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehrfach gedruckt.
    Die Siebenzahl der Sakramente, die sich im Laufe des Mittelalters allmählich herausbildete, wurde 1274 durch das II. Konzil von Lyon bestätigt: Taufe, Firmung, Eucharistie, Beichte, Priesterweihe, Ehe, Krankensalbung. Die Kirchen der Reformation erkannten nur die Taufe und das Abendmahl als Sakramente an (zeitweilig auch die Beichte, weil auch sie auf eine Einsetzung Christi zurückgeht, doch fehlt hier ein sichtbares Zeichen bzw. ein mit dem Wort verbundenes Element, wie es das Wasser in der Taufe und Brot und Wein im Abendmahl darstellen). ↩︎

  57. Als Confiteor wird nach seinem Anfangswort das Allgemeine Schuldbekenntnis bezeichnet, das als Teil des Stufengebets zu Beginn der Messe vom Priester gebetet wurde. Vor der Vereinheitlichung der Liturgie als Folge der Beschlüsse des Konzils von Trient (Tridentinum, 1545—1563) gab es vielerlei unterschiedliche Formen mit Anrufung unterschiedlicher Heiliger als Fürbitter. ↩︎

  58. Entstellt, verunstaltet. ↩︎

  59. Scholion nannte man in der mittelalterlichen gelehrten Unterrichtspraxis eine Erläuterung zum besseren sprachlichen oder inhaltlichen Verständnis einer Textstelle. In diesem Sinne verstehen die Herausgeber Flacius und Gallus ihre Vor- und Zwischenbemerkungen, die sie vom Haupttext unterschieden wissen wollen. In unserer Ausgabe sind sie kursiv gesetzt. ↩︎

  60. Rechtschaffen, untadelig. ↩︎

  61. Ihr seid Unschuldslämmer. Anspielung auf eine Fabel des antiken griechischen Dichters Aesop (6. Jhdt. v. Chr. geb.), in der ein Lamm von einem Wolf fälschlich beschuldigt wird, ihm das Trinkwasser getrübt zu haben, obwohl es weiter unten am Bach steht. Dem Wolf geht es dabei nur um einen Vorwand, um das unschuldige Lamm zu fressen. ↩︎

  62. Besorgnis. ↩︎

  63. Vorkommt, vorhanden ist. ↩︎

  64. Priesterweihe (vgl. Quelle 2, Anm. 15). ↩︎

  65. Firmung (vgl. Quelle 2, Anm. 15). ↩︎

  66. Krankensalbung bzw. Letzte Ölung (vgl. Quelle 2, Anm. 15). ↩︎

  67. Messe bzw. Abendmahl (vgl. Quelle 2, Anm. 15). ↩︎

  68. Betrügerische Spitzfindigkeit. Der antiken Philosophenschule der Sophisten sagte man nach, ihre Anhänger könnten nach Belieben auf argumentativem Weg aus Schwarz Weiß und umgekehrt machen, ohne irgendwelche Skrupel. ↩︎

  69. Jes 11,6. ↩︎

  70. Julius von Pflug, der Bischof von Naumburg-Zeitz, einer der Mitarbeiter am Augsburger Interim. ↩︎

  71. Michael Helding, Weihbischof in Mainz, Titularbischof von Sidon, ab 1549/50 Bischof von Merseburg, ebenfalls Mitarbeiter am Augsburger Interim. ↩︎

  72. Nikolaus (II.) von Karlowitz, Bischof von Meißen (ab 1550). ↩︎

  73. Höflinge. ↩︎

  74. Glosse = Erläuterung, hier ist die Erklärung der Bischöfe Johann VIII. von Meißen und Julius Pflug von Naumburg-Zeitz von Ende Dezember 1548 gemeint, worin sie festhielten, dass sie den Leipziger Landtagsentwurf durchwegs im Sinne des Augsburger Interims interpretierten. ↩︎

  75. Salböl; es wurde bei verschiedenen Weihehandlungen eingesetzt. ↩︎

  76. Trugschluss, Haarspalterei. ↩︎

  77. Mit Verlaub, man gestatte den groben Ausdruck. ↩︎

  78. Kothaufen. ↩︎

  79. Auf den. ↩︎

  80. Schmutz. ↩︎

  81. Die Schwierigkeit, das Bedenkliche. ↩︎

  82. Fronleichnamsfest. ↩︎

  83. Die öffentliche feierliche Prozession, bei der die konsekrierte Hostie (das in den Leib Christi verwandelte Abendmahlsbrot) umhergetragen und verehrt wurde. ↩︎

  84. Als Confiteor wird nach seinem Anfangswort das Allgemeine Schuldbekenntnis bezeichnet, das als Teil des Stufengebets zu Beginn der Messe vom Priester gebetet wurde. In der vortridentinischen Ära gab es vielerlei unterschiedliche Formen mit Anrufung unterschiedlicher Heiliger als Fürbitter. ↩︎

  85. Das Eingangsstück der Messe, ursprünglich Chorgesang, der den Einzug des zelebrierenden Priesters und seines Gefolges in den Altarraum begleitete. Der Introitus wird vom Priester intoniert, dann vom Chor fortgesetzt. ↩︎

  86. Anspielung darauf, dass die Landtagsvorlage angeblich nur den Zweck erfüllen sollte, dem Kaiser zum Schein, das Augsburger Interim anzunehmen. ↩︎

  87. »Das Meissner Konsistorium [...] wirkte [...] mit allem nur möglichen Eifer für die Verwirklichung des ›Auszugs‹.« Albert CHALYBAEUS, Die Durchführung des Leipziger Interims, Chemnitz 1905 (Diss. Leipzig 1904), S. 9. ↩︎

  88. Toren, Narren. Hier dürfte jedoch auch konkret an Georg Mohr gedacht sein, der an die Stelle des abgesetzten Torgauer Pfarrers und Superintendenten Gabriel Zwilling (Didymus) gesetzt wurde. Vgl. CHALYBAEUS, Durchführung, S. 46—58. ↩︎

  89. Vgl. II Kor 6,14f. ↩︎

  90. Wohl als Gegensatz zu den »Epikurern« gebraucht, wie die Gegner die Adiaphoristen nannten, denen sie vorwarfen, um eigener Vorteile willen die reine Lehre zu verraten. Ein tieferer inhaltlicher Bezug zur antiken Philosophenschule der Stoiker liegt anscheinend nicht vor. ↩︎

  91. Zumal. ↩︎

  92. Haben. ↩︎

  93. Engelhaften. ↩︎

  94. Kaiserliche Majestät. ↩︎

  95. Gestehen auch zu/ein. ↩︎

  96. Die zentrale reformatorische Erkenntnis und Botschaft Luthers war es, dass der Mensch gerecht wird allein aus Glauben, nicht aufgrund eigener Leistung (vgl. Röm 3,28). ↩︎

  97. Die reformatorische Definition steht voran: Buße (Umkehr) besteht aus Reue und Glauben. Im altgläubigen Verständnis setzt sich das Bußsakrament aus dem Sündenbekenntnis (Beichte), der Lossprechung von der Schuld durch den Priester, der die Beichte angehört hat (Absolution) und Bußleistungen (Genugtuung und Ablass, d. h. Erlass der Strafe) zusammen. ↩︎

  98. Zur Siebenzahl der Sakramente vgl. Quelle 2, Anm. 15. ↩︎

  99. Altgläubig wurde die Messe als Opferfeier verstanden, in der Gott dem Vater der Leib und das Blut seines Sohnes dargebracht werden. ↩︎

  100. Fronleichnamsfest (Fest zu Ehren des in den Leib Christi gewandelten Brotes aus der Messe). ↩︎

  101. Ein meist kostbar ausgestaltetes Schaugefäß zur Präsentation der gewandelten Hostie. ↩︎

  102. Vorwand. ↩︎

  103. Disziplin, Ordnung. ↩︎

  104. Vgl. Joh 10,11f. ↩︎

  105. Vgl. Mt 6,24. ↩︎

  106. Vgl. Mt 10,34; Lk 12,49. ↩︎

  107. Vgl. Apk 13,17. ↩︎

  108. (Griech.) zum Kampf geneigt, zänkisch. ↩︎

  109. Hans-Jörg KÜNAST, »Getruckt zu Augspurg«. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555, Tübingen 1997, S. 225. ↩︎

  110. Vgl. Johannes BURKHARDT, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517—1617, Stuttgart 2002, bes. S. 26—30. ↩︎

  111. Vgl. ebd., S. 26—28; vgl. zu Flugschriften allgemein Hans-Joachim KÖHLER, Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit, Stuttgart 1981. ↩︎

  112. Vgl. ebd., S. 28. ↩︎

  113. Mit Statistiken hierzu vgl. Hans-Joachim KÖHLER, Erste Schritte zu einem Meinungsprofil der frühen Reformationszeit, in: Volker PRESS / Dieter STIEVERMANN (Hg.), Martin Luther. Probleme seiner Zeit, Stuttgart 1986, S. 244—281. ↩︎

  114. Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, war Kollege Luthers an der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg. Er hatte sich Luthers Lehrmeinungen angeschlossen und war als entschiedener Mitstreiter Luthers aufgetreten. Nachdem auf dem Wormser Reichstag 1521 die Reichsacht über Luther verhängt worden war, wurde dieser von Kurfürst Friedrich III., dem Weisen, auf der Wartburg untergebracht. In dieser Zeit der Abwesenheit Luthers aus Wittenberg versuchte Karlstadt weitreichende liturgische Veränderungen in Wittenberg umzusetzen (Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, Ablegen des Chorrocks usw.), die Luther als zu übereilt und verfrüht ablehnte und die er nach seiner Rückkehr in die Universitätsstadt 1522 rückgängig machte. Hinzu traten weitere gravierende theologische Unterschiede (Karlstadt lehnte die Kindertaufe ab). Daraus entwickelte sich ein Konflikt, der schließlich zum Bruch zwischen den beiden führte. Vgl. Martin BRECHT, Martin Luther. Band 1: Sein Weg zur Reformation 1483—1521, Stuttgart ²1983, S. 124; Ders., Martin Luther. Band 2: Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521—1532, Stuttgart 1986, S. 34—53, 66—72, 158—172. ↩︎

  115. Thomas Müntzer war ein Parteigänger Luthers, der 1520 von Luther noch nach Zwickau empfohlen wurde. Zu Beginn der zwanziger Jahre radikalisierte er sich jedoch zusehends in seiner Klerus- und Sozialkritik. Dies führte ihn zu einer scharfen Verurteilung der politischen Verhältnisse und machte ihn zu einem der bedeutendsten Persönlichkeiten im Bauernkrieg 1525. Seine Kritik speiste sich dabei aus einem apokalyptischen Zeitverständnis sowie mystischen Vorstellungen, in denen die Bedeutung des Wirkens des Heiligen Geistes gegenüber der Wortverkündigung des Evangeliums und die Bedeutung der Gesetzespredigt gegenüber der Evangeliumspredigt hervorgehoben wurden. Vgl. BRECHT, Martin Luther II, S. 43f, 148—158,172—193. ↩︎

  116. Zwischen Luther und dem Zürcher Reformator Zwingli kam es in der Mitte der zwanziger Jahre zu einem intensiv geführten Streit über das Abendmahlsverständnis. Während Luther weiterhin die reale Präsenz Christi im Abendmahl betonte, vertrat Zwingli die Vorstellung des Abendmahls als eines Gedächtnismahls. Vgl. Walther KÖHLER, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, 2 Bde., Leipzig 1924, Gütersloh 1953. ↩︎

  117. Erasmus von Rotterdam war der wohl bedeutendste und bekannteste Humanist seiner Zeit nördlich der Alpen. Zu Luthers Lehre vertrat er rasch eine differenzierte Position, indem er zwischen in seinen Augen richtigen Anliegen Luthers und zu weitreichenden Forderungen und Thesen unterschied, wobei ihm auch Luthers Herangehens- und Ausdrucksweise teils zu heftig war. Zum offenen Bruch zwischen den beiden kam es im Zuge des Streits um die Freiheit des menschlichen Willens 1525. Während Erasmus betonte, dass der Mensch in seinen Entscheidungen für oder gegen das Heil frei sei, hielt Luther mit Nachdruck daran fest, dass der Mensch sich aus eigenem Vermögen nicht gegen die Sünde und für ein Leben im Gehorsam gegenüber Gottes Geboten entscheiden könne. Vgl. BRECHT, Martin Luther II, S. 210—234. ↩︎

  118. Luther widersprach aufgrund des Befehls Christi, dass man die Kinder zu ihm kommen lassen solle (Mt 19,14, Mk 10,14) zunächst Karlstadt und Müntzer (seit 1524), sodann im Laufe der zwanziger Jahre auch den aus der Schweiz beeinflussten Kritikern der Säuglingstaufe. Vgl. BRECHT, Martin Luther II, S. 325—328. ↩︎

  119. Vgl. dazu Irene DINGEL u.a. (Hg.), Reformation und Recht. Festgabe für Gottfried Seebaß zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2002; Luise SCHORN-SCHÜTTE / Robert VON FRIEDEBURG (Hg.), Politik und Religion. Eigenlogik oder Verzahnung? Europa im 16. Jahrhundert, München 2007; Luise SCHORN-SCHÜTTE, Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit, München 2015. ↩︎

  120. Vgl. dazu Irene DINGEL, Art. Religionsgespräche IV. Altgläubig — protestantisch und innerprotestantisch, in: TRE 28 (1997), S. 654—681; Wibke JANSSEN, »Wir sind zum wechselseitigen Gespräch geboren«. Philipp Melanchthon und die Reichsreligionsgespräche 1540/41, Göttingen 2009. ↩︎

  121. Wieland HELD, 1547. Die Schlacht bei Mühlberg/Elbe. Entscheidung auf dem Wege zum albertinischen Kurfürstentum Sachsen, Beucha 1997. ↩︎

  122. Vgl. zur Buchproduktion in Magdeburg Thomas KAUFMANN, Das Ende der Reformation. Magdeburgs »Herrgotts Kanzlei« (1548—1551/2), Tübingen 2003, S. 559—565. ↩︎

  123. Vgl. Armin KOHNLE, Wittenberger Autorität. Die Gemeinschaftsgutachten der Wittenberger Theologen als Typus, in: Irene DINGEL / Günther WARTENBERG (Hg.), Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahres der Leucorea, Leipzig 2002, S. 189—200. ↩︎

  124. Zu ihm vgl. Heinz SCHEIBLE, Melanchthon. Eine Biographie, München 1997. ↩︎

  125. Friedrich III. der Weise (reg. 1486—1525); Johann der Beständige (reg. 1525—1532); Johann Friedrich I., der Großmütige (reg. 1532—1547, Hz. v. Sachsen bis 1554). ↩︎

  126. Vgl. zum Übergang der Kurwürde und dem damit angeheizten innerwettinischen Konflikt Enno BÜNZ, Eine Niederlage wird bewältigt. Die Ernestiner und Albertiner 1547 bis 1554, in: Karlheinz BLASCHKE (Hg.), Moritz von Sachsen — Ein Fürst der Reformationszeit zwischen Territorium und Reich. Internationales wissenschaftliches Kolloquium vom 26. bis 28. Juni 2003 in Freiberg (Sachsen), Stuttgart 2007, S. 94—117. ↩︎

  127. Vgl. Gabriele HAUG-MORITZ, Judas und Gotteskrieger. Kurfürst Moritz, die Kriege im Reich der Reformationszeit und die »neuen Medien«, in: BLASCHKE (Hg.), Moritz von Sachsen, S. 235—259. ↩︎

  128. Vgl. Günther WARTENBERG, Philipp Melanchthon und die sächsisch-albertinische Interimspolitik, in: LuJ 55 (1988), S. 60—82; wieder abgedruckt in: Günther WARTENBERG, Wittenberger Reformation und territoriale Politik. Gesammelte Aufsätze, hg. von Jonas FLÖTER / Markus HEIN, Leipzig 2003, S. 87—103. ↩︎

  129. Vgl. KAUFMANN, Das Ende der Reformation. ↩︎

  130. Vgl. ebd., S. 45—47. ↩︎

  131. Vgl. Anm. 14. ↩︎

  132. Vgl. dazu die Publikationen des Forschungs- und Editionsprojekts »Controversia et Confessio«: Irene DINGEL (Hg.), Reaktionen auf das Augsburger Interim. Der Interimistische Streit (1548—1549), Göttingen 2010; dies. (Hg.), Der Adiaphoristische Streit (1548—1560), Göttingen 2012; dies. (Hg.), Der Majoristische Streit (1552—1570), Göttingen 2014; dies. (Hg.), Der Antinomistische Streit (1556ff), Göttingen 2016; dies. (Hg.), Die Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie (1570—1574), Göttingen 2008. ↩︎

  133. Vgl. dazu Volker LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548—1618, Gütersloh 1999. ↩︎

  134. Zur Betonung des Werts von Sicherheit im Augsburger Religionsfrieden vgl. Johannes BURKHARDT, Konfessionsbildung als europäisches Sicherheitsrisiko und die Lösung nach Art des Reiches, in: Christoph KAMPMANN / Ulrich NIGGEMANN (Hg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm — Praxis — Repräsentation, Köln u.a. 2013, S. 181—190; zum Augsburger Religionsfrieden vgl. zudem Martin HECKEL, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göttingen ²2001. ↩︎