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Religion und Politik im Ersten Weltkrieg: Protestantische Gottesdienstordnungen

von Andrea Hofmann

Einleitung

Das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo war der finale Auslöser des Ersten Weltkriegs. Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Das deutsche Kaiserreich war Bündnispartner der Habsburgermonarchie. Am 1. August erfolgte die deutsche Kriegserklärung an Russland, und am 3. August erklärte das Deutsche Reich Frankreich den Krieg. England trat am 4. August ebenfalls in die eskalierende Auseinandersetzung ein und stand auf der Seite von Frankreich und Russland.

Die Propaganda der deutschen Politik stilisierte den Krieg zu einem »Verteidigungskrieg«, in den die Deutschen von den umliegenden europäischen Großmächten hineingetrieben worden seien und aus dem sie wegen ihrer sittlichen und kulturellen Überlegenheit als Sieger hervorgehen würden. Im November 1918 besiegelte jedoch der Waffenstillstand im Wald von Compiègne die Niederlage und den Niedergang des deutschen wilhelminischen Kaiserreiches.

Nachdem das Heilige Römische Reich deutscher Nation 1806 aufgelöst und Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 von den deutschen Mächten geschlagen worden war, sollte Europa zunächst auf dem Wiener Kongress 1814/1815 neu geordnet werden. Die Großmächte Preußen, Österreich, Russland, Großbritannien und Frankreich bildeten die Pentarchie, die ein ausgewogenes Kräfteverhältnis in Europa garantieren sollte. Trotzdem kam es weiterhin zu Kriegen und damit zu einer erneuten Mächteverschiebung. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 und dem Deutschen Krieg 1866 führte der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 als letzter Einigungskrieg zur Gründung des Deutschen Reiches. Der preußische König Wilhelm I. wurde zum ersten deutschen Kaiser; Otto von Bismarck zum ersten Reichskanzler. Frankreich erlitt eine vernichtende Niederlage und musste das Gebiet Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich abtreten. Die »Erbfeindschaft« zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich verfestigte sich und wurde für beide Nationen zu einem wesentlichen Identifikationselement. Wie überall in Europa bildete sich im Deutschen Reich ein starker Nationalismus aus, der durch die wechselhafte Geschichte und das Zusammenwachsen des Reiches im 19. Jahrhundert beflügelt wurde.

Mit der Reichsgründung erhielt das Deutsche Reich jedoch keineswegs eine stabile innere Einheit. Eine wichtige Rolle spielte seit der Reformationszeit in den deutschsprachigen Gebieten das Verhältnis der unterschiedlichen Konfessionen zueinander, das oft zu Kriegen und Unruhen geführt hatte. Nach der territorialen Neuordnung zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die deutschen Gebiete ihre klar bestimmte konfessionelle Prägung, die seit dem 16. Jahrhundert bestanden hatte, verloren. Es waren zum Teil große Flächenstaaten entstanden, die konfessionell unterschiedlich geprägte Territorien zusammenfassten. Eine Folge waren evangelische Unionsbildungen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwischen reformierten — d.h. auf die Schweizer Reformatoren Huldrych Zwingli und Johannes Calvin zurückgehende — und lutherischen Gemeinden angestrebt wurden. Neben den weiterhin existierenden lutherischen und reformierten Landeskirchen entstanden die unierten Landeskirchen, in denen die seit dem 16. Jahrhundert diskutierten innerevangelischen Lehrdifferenzen nicht mehr als kirchentrennend wahrgenommen wurden. Die deutschen Kaiser Wilhelm I. (reg. 1871—1888), Friedrich III. (reg. 1888) und Wilhelm II. (reg. 1888—1918) stammten aus dem Geschlecht der evangelischen brandenburgisch-preußischen Hohenzollern. Der Protestantismus innerhalb des Deutschen Reiches, vor allem preußischer Prägung, erfuhr dadurch einen Aufschwung und war eng mit dem sich ausbildenden Nationalismus verknüpft.

In der protestantischen Theologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts lassen sich grob zwei prominente Richtungen unterscheiden, die im Gegensatz zueinander standen: die positive und die liberale Theologie. Die positive Theologie erwies sich als konservativ und kritisch gegenüber der Moderne. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen die Bibel und die darin zu erkennenden heilsgeschichtlichen Offenbarungen. Wichtige Vertreter waren z.B. Adolf Schlatter (1852—1938) und Reinhold Seeberg (1859—1953). Die liberale Theologie wurde von den Schülern des Göttinger Dogmatikprofessors[1] Albrecht Ritschl (1822—1889) getragen und beförderte am Ende des 19. Jahrhunderts die Entstehung des sog. Kulturprotestantismus: Kultur und Theologie standen für sie nicht im Gegensatz zueinander, sondern konnten miteinander verbunden werden. Dem Reich Gottes sollte durch ethisches Handeln der Weg im Hier und Jetzt bereitet werden. Kennzeichnend für den Kulturprotestantismus[2] war eine enge Bindung an den deutschen Nationalstaat. Theologen wie Adolf von Harnack (1851—1930) engagierten sich auch in der Politik. Die liberale Theologie blieb jedoch ein Elitenphänomen, das auf die kirchliche Basis kaum Einfluss hatte.

Im Gegensatz zum erstarkenden Protestantismus waren die Katholiken im 19. Jahrhundert eine Minderheit, die sich nur schwer gegen den vom Kaiser unterstützten Protestantismus durchsetzen konnte. Hinzu kam, dass Katholiken in einem Spannungsverhältnis standen, was ihre Loyalität betraf: Einerseits sollten sie sich als treue Bürger eines Nationalstaates erweisen, andererseits befand sich ihr geistliches Oberhaupt, der Papst, in Italien. In der deutschen katholischen Kirche war im 19. Jahrhundert ein starker Ultramontanismus[3] zu beobachten. Unter Bismarck kam es zu den sog. Kulturkämpfen zwischen Regierung und katholischer Kirche und zur Kulturkampfgesetzgebung 1871/72—1878. Neben diesen konfessionell konnotierten Konflikten geriet die deutsche Regierung immer wieder in Auseinandersetzungen mit der sozialdemokratischen Partei, die zunehmend an Bedeutung gewann und von der deutschen Regierung als Staatsfeind angesehen wurde. Der Beginn des Ersten Weltkriegs und die Ausrufung eines »Burgfriedens« zwischen den Konfessionen und Parteien durch Kaiser Wilhelm II. in seinen sog. Balkonreden am 31. Juli und am 1. August 1914 (Quelle 1 und Quelle 2) wirkten vor allem auf die Minderheiten im Reich zunächst beflügelnd: Viele Katholiken, Juden und Anhänger der SPD sahen im Kriegsbeginn die Möglichkeit, sich durch die Beteiligung am Krieg als loyale Bürger des Nationalstaates zu erweisen.

Protestantische Theologen betrachteten den Krieg als eine göttliche Offenbarung: Hatten der Gottesdienstbesuch um die Jahrhundertwende abgenommen und die Pfarrer eine abnehmende Kirchlichkeit festgestellt, waren die Kirchen zu Kriegsbeginn vielerorts gefüllt, und das Interesse der Menschen an der Institution Kirche und ihren Seelsorgeangeboten schien wieder zu wachsen. Der Krieg wurde von den Theologen als »Heiliger Krieg« stilisiert, der die bestehenden parteipolitischen, gesellschaftlichen und konfessionellen Streitigkeiten in Deutschland beenden und das Kommen des Gottesreiches befördern sollte.

In der protestantischen Frömmigkeitsliteratur vermischten sich in dieser Zeit Ideen und Motive aus der weltlichen und der kirchlichen Propaganda. Dies ist z.B. an der Gestaltung von Kriegsgottesdiensten nachzuvollziehen. Die evangelischen Geistlichen Karl Arper (1864—1936; Archidiakon[4] in Weimar) und Alfred Zillessen (1871—1937, Pfarrer in Stollberg im Rheinland) veröffentlichten 1914 eine dreibändige Agende für Kriegszeiten, die als Ergänzung der landeskirchlichen Agenden genutzt werden sollte. Die Agende für Kriegszeiten bot für alle evangelischen Landeskirchen gemeinsam neben Gottesdienstabläufen Vorschläge für Schriftworte, Gebete und Lieder, die konkret auf den Krieg Bezug nahmen. In den folgenden Quellenteilen sind neben einem Gottesdienstablauf (Quelle 3) zwei für die Kriegszeit typische Gebete (Quelle 4 und Quelle 5) und ein Liedtext des Dichters Richard Zoozmann (1863—1934), das auf die bekannte Melodie »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« von Joachim Neander (1650—1680) gesungen werden sollte (Quelle 6), aufgenommen. Ergänzend wird das Lied »Gottlob, nun ist erschollen« von Rudolf Alexander Schröder (1878—1962) aufgeführt (Quelle 7), welches den Text des gleichnamigen Liedes von Paul Gerhardt (1607—1676) für den Kontext des Ersten Weltkriegs bearbeitete.

Die Agende für Kriegszeiten wurde nie offiziell als Agende in einer deutschen protestantischen Landeskirche eingeführt. Sie wurde jedoch mit Genehmigung der Kirchenleitungen zur Gottesdienstgestaltung genutzt. Im protestantischen Umfeld kann die Agende als weiterer Versuch zur Überwindung innerprotestantischer Differenzen und damit zur Stärkung des nationalen Burgfriedens betrachtet werden, da sie für lutherische, reformierte und unierte Landeskirchen brauchbar war. Zugleich stehen ihre Texte beispielhaft für die theologische Deutung und sakrale Überhöhung des Ersten Weltkriegs, die im Gottesdienst an die Gemeinde vermittelt wurden.

Ausgewählte weiterführende Literatur

  • Gerhard BESIER, Kirche, Politik und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München 1998.
  • Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815—1871, München 1993.
  • Martin FRIEDRICH, Kirche im gesellschaftlichen Umbruch. Das 19. Jahrhundert, Göttingen 2006.
  • Martin GRESCHAT, Der Erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein globaler Überblick, Stuttgart 2014.
  • Gerd KRUMEICH / Hartmut LEHMANN (Hg.), »Gott mit uns.« Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000.
  • Jörn LEONHARD, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014.

Quelle 1: Balkonrede von Kaiser Wilhelm II., 31. Juli 1914

Quellentext

Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hineingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung.

Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde Meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Hilfe so führen werden, daß wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können. Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg von uns erfordern. Den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland zu reizen. Und nun empfehle ich euch Gott, geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer.

Bibliographie

Erste Balkonrede Kaiser Wilhelms II., Berlin, 31. Juli 1914, in: Kriegs-Rundschau. Zeitgenössische Zusammenstellung der für den Weltkrieg wichtigen Ereignisse, Urkunden, Kundgebungen, Schlacht- und Zeitberichte. Bd. 1. Von den Ursachen des Krieges bis zum Anfang des Jahres 1915, Berlin 1914/15, S. 37.

Quelle 2: Balkonrede von Kaiser Wilhelm II.,1. August 1914

Quellentext

Ich danke euch für alle Liebe und Treue, die ihr Mir in diesen Tagen erwiesen habt. Sie waren ernst, wie keine vorher! Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! Auch Mich hat die eine oder andere Partei wohl angegriffen. Das war in Friedenszeiten. Ich verzeihe es heute von ganzem Herzen! Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder. Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe Ich zu Gott, daß unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.

Bibliographie

Zweite Balkonrede des Kaisers, Berlin, 1. August 1914, in: Kriegs-Rundschau. Zeitgenössische Zusammenstellung der für den Weltkrieg wichtigen Ereignisse, Urkunden, Kundgebungen, Schlacht- und Zeitberichte. Bd. 1. Von den Ursachen des Krieges bis zum Anfang des Jahres 1915, Berlin 1914/15, S. 43.

Quelle 3: Karl Arper / Alfred Zillessen, Agende für Kriegszeiten (1914): Gottesdienstordnung Nr. 5, Ein einig Volk von Brüdern

Quellentext

[Gemeindegesang][5]

Eingangswort: Siehe, wie fein und lieblich ists, daß Brüder einträchtig beieinander wohnen. So seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen. (Ps. 133,1; Eph. 4,3—6)

[Gemeinde: Amen]

Bußwort: In tiefer Demut stehen wir vor unserm Gott. Wie oft haben wir doch versäumt, einander zu dienen, wie oft hat der einzelne, wie oft haben ganze Kreise und Klassen unseres Volks nur an sich gedacht und nicht an das Wohl des ganzen Vaterlandes. Das liegt jetzt schwer auf unserer Seele und wir kommen mit dieser unserer Last und bitten unsern Gott: Nimm sie von uns! Herr, sei uns Sündern gnädig! Amen.

[Gemeinde: Herr, erbarme dich unser, Christe, erbarme dich unser, Herr erbarme dich unser.][6]

Gnadenwort: So spricht der Herr: Gleichwie ich über dies Volk habe kommen lassen all dies große Unglück, also will ich auch alles Gute über sie kommen lassen, das ich ihnen verheißen habe, und will ihnen einerlei Herz und Wesen geben, daß sie mich fürchten sollen ihr Leben lang, auf daß es ihnen und ihren Kindern nach ihnen wohl gehe (Jer. 32,42.39) Ehre sei Gott in der Höhe!

[Gemeinde: Und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.][7]

Gebet vor der Schriftverlesung: Wir danken dir, unser Gott, daß die große Not, die du herbeigeführt, unser Volk einig gemacht hat, daß alle Gegensätze vergessen sind, daß einer dem andern hilft, daß jeder sich müht, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst.[8] Herr, erhalte uns diese Einigkeit in der Liebe, daß es allezeit so bleibe in unserm lieben Vaterland: einer für alle, alle für einen.[9] Amen.

[Gemeinde: Amen]

Schriftverlesung: Ps. 107 in Auswahl.

Spruch: Wir wissen, daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder. (1. Joh. 3,14) Halleluja

[Glaubensbekenntnis,[10] Gemeindegesang, Predigt]

Gebet nach der Predigt: Herr, unser Gott. Wie ein gewaltiger Sturm ist es über unser Volk gekommen und alles, was morsch und schwach ist, was eitel und faul ist, hat dein Stürmen zusammenbrechen lassen. Große Not wird kommen, Tränen werden fließen, viel Gutes wird vernichtet.[11] Aber wir wollen bei allem das Danken nicht vergessen. Wir wollen danken, daß, wo du im Sturmeswetter kamst, unser Volk innerlich stark ward. Dein Sturm hat das Volk nicht zerbrochen, sondern uns nur noch fester gemacht. Herr, wir danken dir, daß du die unselige deutsche Uneinigkeit zertrümmertest, daß wir dastehen als ein Volk mit einem Willen, mit einem tapferen opferfreudigen Mut. Wir preisen dich, daß unser Volk deinem Ruf wie ein Mann folgt, wie dem Ruf unseres Kaisers; daß es die Kraft empfing, dahinten zu lassen, was trennt, um der einen Sache willen. Wir danken dir, daß draußen vor dem Feind die Männer aus allen Volkskreisen zusammenstehen zu einem Werk, erfüllt mit einem Geist. Segne du sie und ihr Tun, schenke ihnen Kraft und Mut und Sieg. Wir danken dir, daß sich hier im Vaterlande alle Hände regen und einer dem anderen zuvorkommen möchte in werktätigem Liebesdienst. Herr, schenke uns auch hier in unserer stillen Arbeit Ausdauer und immer von neuem große Freudigkeit, daß wir alles tun, die vielen Wunden zu heilen, die ein Krieg überall schlägt. Laß unser Volk eines Sinnes bleiben, gemeinsam zu vollbringen, was die große Zeit von uns fordert, gemeinsam zu leiden, was du uns auferlegst. Wir wollen, lieber Vater, uns treu zu dir halten, und treu zu einander stehen, dann wird uns nichts überwinden können, dann wird dein Segen mit uns gehen. Amen.[12]

[Unser Vater. Segen][13]

[Gemeinde: Amen. Gemeindegesang]

Bibliographie

Gottesdienstordnung Nr. 5, Ein einig Volk von Brüdern, in: Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Agende für Kriegszeiten, Göttingen 1914, S. 8f.

Vgl. Günter BRAKELMANN (Hg.), Protestantische Kriegsagenden und Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation und Interpretation, Kamen 2015. Brakelmann druckt hier ausgewählte Texte aus der Kriegsagende von Arper und Zillessen ab und versieht sie mit einer allgemeinverständlichen Interpretation.

Quelle 4: Karl Arper / Alfred Zillessen, Agende für Kriegszeiten (1914): Gebete nach der Predigt, Nr. 10

Quellentext

Herr unser Gott, du Allmächtiger und Allwissender! Die Not, die über uns gekommen ist, drückt uns hart. Es ist uns nicht bloß um das viele Hab und Gut und die Frucht tausendfältigen Fleißes, die nun verloren geht, sondern um das Leben so vieler Tausende, die geopfert werden sollen, vorher die Hoffnung der Ihrigen und des ganzen Landes. Es bedrückt uns so sehr, daß Christen gegen Christen kämpfen, und daß so manches edle Werk des Friedens, auch die Ausbreitung deines Reichs unter den Heiden, durch Gewalt der Menschen gehindert wird.

Wie sollen wir es verstehen, Herr, daß du solches zulässest? Daß jetzt der Name Jesu Christi, den wir tragen, Millionen ein Ärgernis wird?[14] daß so viel Morden, Gewalt und Unrecht geschehen darf? Aber du, Herr, du Gewaltiger, ewig Gerechter, der du die Erde beben machst[15] und in Sturm und Ungewitter einhergehst, du brauchst auch solche Schrecken und Not, wie sie jetzt die Länder bedeckt, nach deinem Rat und hast auch jetzt Gedanken des Friedens mit uns und nicht des Leides.[16]

Du hast dich vor Zeiten herrlich bewiesen an unserem Volk, hast es aus Niedrigkeit und Schande erhoben, hast uns zur Einigkeit geführt und stark gemacht auf wunderbaren Wegen. Du hast die Liebe zu diesem unserem Volk, unserem Heimatland, zu unserem Kaiser und Landesherrn tief in unsere Brust gepflanzt. Also ist es nach deinem Willen, wenn wir dich herzlich und inständig bitten für unser Volk und Land. Laß es nicht der Feinde Beute werden. Beweise dich wieder an uns als der gnädige Gott, der Wunder tut. Vergib uns alle Untreue und allen Undank. Wir haben deine große Güte früher nicht verdient und verdienen sie auch jetzt nicht. Aber um deiner Barmherzigkeit willen tue dennoch Gutes an uns. Gebiete den Wogen des Jammers bald, Herr, wenn es dein gnädiger Wille ist: bis hieher und nicht weiter![17] Laß es zu einem ehrenvollen Frieden für uns kommen und bezeuge dich auch an den Herzen unserer Feinde, daß sie dich fürchten.

Dein Reich muß doch kommen auch in dieser schweren Zeit. Ja, laß es kommen zu uns und zu allen Völkern der Erde. Dein Werk kann niemand hindern, dein Arbeit darf nicht ruhn.[18] Deine Rechte behält den Sieg.[19] O Herr, hilf, o Herr, laß wohl gelingen.[20] Amen.

Bibliographie

Gebete nach der Predigt, Nr. 10, in: Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Agende für Kriegszeiten, Göttingen 1914, S. 76f.

Vgl. Günter BRAKELMANN (Hg.), Protestantische Kriegsagenden und Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation und Interpretation, Kamen 2015. Brakelmann druckt hier ausgewählte Texte aus der Kriegsagende von Arper und Zillessen ab und versieht sie mit einer allgemeinverständlichen Interpretation.

Quelle 5: Karl Arper / Alfred Zillessen, Agende für Kriegszeiten (1914): Gebete nach der Predigt, Nr. 15

Quellentext

Herr, unser Gott, mit schwerbeladenem Herzen kommen wir vor dein Angesicht und heben unsere Hände bittend und fürbittend zu dir empor. Aber so schwer auch die Zeit ist, wir haben doch noch viel, sehr viel zu danken. Wir danken dir, daß wir in diesem Kriege ein gutes Gewissen haben, und daß wir für eine gute und gerechte Sache kämpfen. Du weißt ja, daß wir den Krieg nicht gesucht haben, sondern daß er uns aufgedrungen und aufgezwungen worden ist; darum können wir getrost unsere Augen zu dir emporrichten, und unsere Krieger können mit Freudigkeit zu den Waffen greifen. Wir danken dir, daß du in dieser ernsten Zeit die Grundsünde der Deutschen, die Uneinigkeit, weggenommen, daß du alles Zertrennende und Scheidende aus unserer Mitte abgetan, daß du alle Stämme Deutschlands geeinigt und auch alle Stände und Klassen unseres Volkes fest zusammengeschlossen hast, so daß wir nun als ein einig Volk von Brüdern[21] vor unseren Feinden stehen. Wir danken dir, daß du unser ganzes Volk, besonders unsere Jugend, mit heiliger Begeisterung durchweht, daß du sie mit Mut und Tapferkeit erfüllt und daß du ihre Tapferkeit auch schon mit herrlichen Siegen gekrönt hast. Wir danken dir, daß du wackere Männer an die Spitze unseres Volkes gestellt hast, vor allem unseren geliebten Kaiser, Männer, zu denen wir das Vertrauen haben, daß sie uns mit klarem Geiste führen und mit sicherer Hand leiten werden. Wir danken dir auch, daß du den Geist des Glaubens wieder in unserem Volke mächtig hast hervorbrechen lassen und daß du zum Glauben auch die Liebe gegeben hast, so daß ein wahrer Wetteifer im Helfen und Wohltun unter uns erwacht ist. Aber, Herr Gott, wir haben auch vieles zu bitten für uns und für unser Volk und Vaterland. Segne auch weiter unsere Waffen, und laß unsere Heere fortschreiten von Erfolg zu Erfolg, von Sieg zu Sieg. Mache zu Schanden die Falschheit, ja das ganze Lügengewebe unserer Feinde, und bewähre es in diesem Krieg, daß Recht doch Recht bleiben muß.[22] Gib den Trauernden Trost, den Verwundeten gute Pflege, den Sterbenden ein seliges Ende. Und wenn sich in uns oft bitterer Haß regen will gegen die Feinde, die an all diesem Elend schuld sind, dann kämpfe du durch deinen heiligen Geist solche Regungen des alten Menschen nieder, und erfülle uns mit dem Geiste Jesu, dem Geiste der Sanftmut, der Geduld, der Feindesliebe. Mache uns diese Zeit der Heimsuchung zu einer Gnadenzeit, und hilf uns sie auskaufen zum Heil unserer Seele. Und endlich mache dem Würgen ein Ende und laß bald die Friedensglocken durchs Land läuten.

Verleih uns Frieden gnädiglich,

Herr Gott, zu unsern Zeiten.

Es ist ja doch kein andrer nicht,

Der für uns könnte streiten,

Denn du, unser Gott, alleine. Amen.[23]

Bibliographie

Gebete nach der Predigt, Nr. 15, in: Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Agende für Kriegszeiten, Göttingen 1914, S. 82—84.

Vgl. Günter BRAKELMANN (Hg.), Protestantische Kriegsagenden und Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation und Interpretation, Kamen 2015. Brakelmann druckt hier ausgewählte Texte aus der Kriegsagende von Arper und Zillessen ab und versieht sie mit einer allgemeinverständlichen Interpretation.

Quelle 6: Richard Zoozmann, Gebet vor der Schlacht (1915)

Quellentext

Weise: »Lobe den Herren!«[24]

Anmerkung: »Dieses und das folgende Gedicht sind als Einlageblatt in das Gesangbuch zu beziehen von Hermann Brücker, Verlag, Berlin-Friedenau, 1000 Blatt 5 Mark.«

Mächtiger Führer und Füger im Himmel dort oben,
Vater der Menschen, den dankbar wir preisen und loben:
Steh du uns bei,
Mach von den Feinden uns frei,
Die sich rings um uns erhoben!\

Herrlich gewaltet hast du und gekrönt unser Streben,
Hast uns nach mühvollem Ringen einst Frieden gegeben;
Krone und Reich
Gabst du und Einheit zugleich,
Ruhmvolles Wirken und Leben!

Finster sich ballte im Osten und Westen ein Wetter,
Drohend erdröhnte der Kriegesdrommeten[25] Geschmetter;
Halte die Hand
Schützend ob Kaiser und Land,
Sei du uns Rater und Retter.

Vater, du weißt es, wir haben den Zwist nicht begonnen,
Mißgunst und Bosheit hat tückisch ein Netz uns gesponnen.
Ziehn wir das Schwert,
Gilt es dem heimischen Herd,
Nicht sind auf Raub wir gesonnen.

Vater im Himmel, drum hör unser brünstiges Flehen,
Laß im erzwungenen Kampfe uns siegreich bestehen:
Laß im Gefecht
Nicht unterliegen das Recht,
Laß es zur Seite uns gehen!
(7. August 1914)

Bibliographie

Richard ZOOZMANN, Gebet vor der Schlacht, in: Durchhalten! Entwürfe, Gebete, Gedichte und Vaterländische Worte für Kriegsgottesdienste. Der Agende für Kriegszeiten 3. Teil. Mit Registern über alle drei Teile, hg. von Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Göttingen 1915, S. 59f.

Abgedruckt auch in: Günter BRAKELMANN (Hg.), Protestantische Kriegsagenden und Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg. Eine Dokumentation und Interpretation, Kamen 2015, S. 42f.

Quelle 7: Rudolf Alexander Schröder, Zum 1. August 1914

Quellentext

Gottlob es ist erschollen
Das Wort, darauf wir bang geharrt,
Nun in Gewittergrollen
Sich Gott den Völkern offenbart.

Er ist noch nicht zerbrochen,
Der Eichenstab der deutschen Treu;
Aus aller Herzen Pochen
Empfinden wirs: er grünt aufs neu.

Wir haben lang erduldet
Den dreisten Hohn aus schlechtem Mund;
Nun ward, was sie verschuldet,
Hoch über allen Sternen kund.

Heervölker, ihr Erlosten
Zu Kampfes höchstem Ehrensold,
Die ihr im kalten Osten
Den grimmen Teufeln wehren sollt,

Und ihr, die ihr im Westen
Als Wächter unserm Rebengold
Den ungebetnen Gästen
Die Suppe derb versalzen wollt,

Und ihr, die ihr im Norden,
Wo euch nicht Damm noch Planke wahrt,
Auf feuerspeienden Borden
Dem Tode kühn entgegenfahrt:

Mag hoch der Feind sich brüsten,
Wir schreiten stolz und still zum Streit;
Uns gehts um kein Gelüsten,
Es geht um die Gerechtigkeit.

Nicht hinterm Wasgenwalde
Die Franken sind es gar so sehr —
Auf Ostens grauer Halde
Naht Attilas Barbarenheer.

Sie legten gern in Flammen
Dies Haus, drin Gott sich wohlgefällt.
Steht, Brüder, steht zusammen!
Denn, wenn wir fallen, fällt die Welt.

Und soll's in Kampfeswettern
Ringsum uns her zugrunde gehn,
Mag's dich und mich zerschmettern,
Das Reich, das Reich, es muß bestehn.

Bibliographie

Rudolf Alexander SCHRÖDER, Zum 1. August 1914, in: Ders., Heilig Vaterland. Kriegsgedichte, Leipzig 1914, S. 6f.

Essay zu Religion und Politik im ersten Weltkrieg

I. Einführung

Im Gegensatz zu den europäischen Religionskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts wurde der Erste Weltkrieg nicht aus religiösen oder konfessionspolitischen Motiven heraus geführt. Vielmehr war er der Höhepunkt eines sich im 19. Jahrhundert entwickelnden Konflikts zwischen den europäischen Großreichen, der sich über die ganze Welt ausdehnte.

Der vorliegende Essay zeigt, wie der gegenseitige Austausch von Sprachmustern und Motiven die populären säkularen und theologischen Schriften des Ersten Weltkriegs bestimmte. Im Zentrum soll die Analyse der Quellenstücke stehen: Die beiden »Balkonreden«, die Kaiser Wilhelm II. zu Beginn des Krieges an das deutsche Volk richtete, enthalten Motive, die wesentlich für die Konstruktion des »Augusterlebnisses« wurden. Gleichzeitig sind diese Reden von christlich konnotierten Sprachmustern bestimmt. Die ausgewählten Teile aus der Agende für Kriegszeiten lassen erkennen, dass sich die im Augusterlebnis geprägten Motive auch in populär-theologischen protestantischen Schriften wiederfinden. Hier erfuhren diese Motive eine deutlichere religiöse Interpretation. Der Krieg wurde in den theologischen Schriften durch die Einschreibung in einen heilsgeschichtlichen Kontext gleichsam sakralisiert.[26] Die Agende eignet sich in besonderem Maße, um diese Beobachtung zu beschreiben: Bietet sie doch unterschiedliche Gattungen — Gottesdienstordnungen, Gebete, Lieder, Bibelverse usw. —, die von der Gemeinde nicht nur hörend wahrgenommen wurden. Betend und singend beteiligten sich die Gottesdienstbesucher selbst aktiv an der Verbreitung und Rezeption der theologischen Kriegsdeutung. Ein wesentliches Element, das alle Quellenstücke verbindet, ist die Nation, der sowohl im weltlichen wie auch im religiösen Kontext ein hoher Stellenwert zugesprochen wurde. Die Zusammengehörigkeit und Einheit des deutschen Volkes wurde mithilfe biblischer Symbolsprache und durch Aufbau eines ebenfalls biblisch begründeten Feindbildes (Kriegsgegner!) konstruiert. In den theologischen Texten wurde die deutsche Nation sogar mit dem von Gott erwählten biblischen Volk Israel gleichgesetzt. »Die religiöse Semantik dient in den modernen Nationalismen dazu, die emotionale Bindung des Einzelnen an die Nation in den tiefsten Schichten seiner Seele zu verankern und die nationale Gemeinschaft als umfassend, auch innerlich bindende Heilsgemeinschaft zu stabilisieren.«[27], beschrieb Friedrich Wilhelm Graf dieses Phänomen, das er nicht nur für das deutsche Kaiserreich, sondern auch für andere Staaten im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert feststellte.[28]

Blickt man auf das Bild der wilhelminischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, dann wird deutlich, dass das 1871 gegründete Deutsche Reich keineswegs eine harmonische Einheit war. Wesentlich geprägt war die Gesellschaft durch die Monarchie, die vor allem durch das protestantische Bildungsbürgertum gestützt wurde. Nach dem Zusammenschluss der Territorien zum Deutschen Reich blieb Preußen dennoch bestimmende und prägende Macht.[29] Im Reich gab es ein Fünfparteiensystem. Die Parteien waren in ihrer inhaltlichen Ausrichtung eng mit bestimmten Gesellschaftsschichten des Reiches verknüpft, deren Interessen sie vertraten. Der rechte Flügel wurde durch die Deutschkonservative und die Deutsche Reichspartei (Freikonservative) repräsentiert. Das Zentrum vertrat den politisch organisierten Katholizismus, während die Nationalliberale Partei und die Deutsche Fortschritts- und die Deutsche Volkspartei dem Liberalismus zuzurechnen waren. Die Arbeiterschaft wurde durch die Sozialistische Arbeiterpartei (seit 1890: Sozialdemokratische Partei) Deutschlands repräsentiert.[30] Im Zuge der Industrialisierung war die Arbeiterschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stetig gewachsen.[31] Die SPD wurde von Bismarck und seinen Nachfolgern als »Vaterlandsverräterin« angesehen. Durch die Sozialistengesetze von 1878—1890 versuchte Bismarck, die Wirkungsmacht der Partei einzudämmen.[32]

Bis 1919 bestand im Deutschen Reich das Klassenwahlrecht.[33] Zu einer wichtigen Instanz der Informationsvermittlung und politischen Meinungsbildung wurde die Presse, die jedoch durch obrigkeitliche Kontrollen und Zensuren beeinflusst wurde.[34] Allein dieser holzschnittartig wiedergegebene Überblick[35] über die Parteienlandschaft des Deutschen Reiches zeigt, dass eine Zersplitterung der Gesellschaft in verschiedene Stände und Parteien existierte, die auch durch ein soziales Ungleichgewicht zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum geprägt war.

Hinzu kamen die konfessionellen Frontstellungen, die das 19. Jahrhundert bestimmten. Die deutschen Kaiser stammten seit 1871 aus dem Milieu des preußischen Protestantismus, der auch das protestantische Bildungsbürgertum prägte. Der sog. Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts sah eine enge Beziehung zwischen Kultur, Religion und Nation.[36] Aus der Sicht vieler protestantischer Eliten war die deutsche Nation eine protestantische Nation. Als wesentliche Etappe in der Geschichte vom Ursprung des Reiches wurde die Reformation Martin Luthers gesehen. Religion und Politik verdichteten sich am Ende des Jahrhunderts nicht zuletzt in der Figur von Kaiser Wilhelm II., der sich ausdrücklich als protestantischer Herrscher präsentierte.[37]

Die übrigen Konfessionen wurden gerade von den protestantischen Bildungsbürgern kritischer beurteilt. Katholiken und Juden warf man Illoyalität gegenüber dem Reich vor: Während die Katholiken als Bürger einer Nation zugleich dem Papst unterstanden, der in Rom residierte, erschienen die Juden als Mitglieder eines eigenen Volkes und nicht als vollwertige, unbedingt treue Bürger des Deutschen Reiches. Sie befanden sich immer in einem Zwiespalt zwischen ihrer Zugehörigkeit zum Volk Israel und zum Deutschen Reich.[38]

Viele katholische Eliten hatten 1848/49 im Kontext der Frankfurter Nationalversammlung für eine großdeutsche Lösung der deutschen Frage plädiert, also für einen Zusammenschluss mit den deutschen Gebieten der Habsburgermonarchie.[39] In der Verbindung mit dem katholischen Habsburg sahen sie die Möglichkeit, ihre eigene Position im Reich zu stärken. Als deutlich wurde, dass diese Lösung nicht möglich war, befürworteten auch sie den kleindeutschen Nationalstaat.[40] Vor allem kleinbürgerliche, bäuerliche und proletarische Schichten der Katholiken hingegen neigten dem nach Rom gerichteten Ultramontanismus zu.[41] Trotz dieser erschwerten Umstände für Katholiken im Reich »konnten [diese] sich auf einen konfessionell neutralen Nationalismus einlassen, wie er während des Krieges [1870/71] sehr wohl auch von vielen protestantischen Stimmen propagiert wurde, aber sie mußten dort zurückschrecken, wo eine evangelische Nation sich auf Kosten der Katholiken profilierte [...].« [42]

Der Reichskanzler Otto von Bismarck wollte nach der Reichsgründung das Verhältnis von Kirche und Staat neu regeln und beide Sphären deutlicher voneinander trennen. Dabei kam es vor allem zwischen der Regierung und den Liberalen einerseits sowie den katholischen Kräften andererseits zu schwerwiegenden Konflikten, die in den Kulturkämpfen ausgetragen wurden. Ergebnisse waren z.B. die Einführung der Zivilehe. Nach der Beendigung der Kulturkämpfe entspannte sich das Verhältnis zwischen den Katholiken und der Regierung. Trotzdem blieb gerade von protestantischer Seite aus ein gewisses Misstrauen bestehen.[43]

Die skizzierten Sachverhalte zeigen, dass das Deutsche Reich zu Beginn des 19. Jahrhunderts keinesfalls eine homogene Nation war, sondern durch konfessionelle, gesellschaftliche und territoriale Differenzen bestimmt wurde. Der drohende Krieg bot nun dem Kaiser die Möglichkeit, einen »Burgfrieden« auszurufen und die viel beschworene Einheit zwischen Konfessionen, Parteien und Gesellschaftssichten zumindest auf dem Papier herzustellen. Die Idee des »Burgfriedens« fand sich mit einer theologischen Deutung auch in den Schriften der protestantischen Theologen.

II. Quelleninterpretation

1. Die Balkonreden von Kaiser Wilhelm II. als Beispiel für religiöse Sprachmuster in politischen Reden

Am 31. Juli und am 1. August 1914 wandte sich Kaiser Wilhelm II. jeweils mit einer kurzen Rede vom Balkon des Berliner Schlosses an das deutsche Volk. Die Kriegserklärung an Russland war erfolgt, die französische Kriegserklärung stand unmittelbar bevor. Das Deutsche Reich sah sich in einen Krieg »gedrängt«, der schon allein aufgrund der geographischen Lage des Reiches zwischen den beiden Hauptkriegsgegnern strategisch schwierig zu führen war. Trotzdem vermittelten die Heeresleitung und die deutsche Regierung eine positive Grundstimmung und Siegesgewissheit. In den letzten Juli- und den ersten Augusttagen rüstete das Heer auf. Menschen strömten auf die Straßen, um den Ausmarsch der Soldaten zu beobachten und ihnen zuzujubeln. Politische Kundgebungen, oft verbunden mit Kriegsgottesdiensten, fanden in nahezu allen größeren Städten des Reiches statt. Teile der Bevölkerung wurden von einer Kriegsbegeisterung getrieben — andere Bevölkerungsschichten sahen dem Geschehen besorgter entgegen. Die Aussicht auf schwere Kämpfe, aber auch auf fehlende Arbeitskräfte auf den Feldern bei der bevorstehenden Ernte verunsicherte zahlreiche Menschen. Die Ereignisse und die angebliche Begeisterung dieser ersten Kriegstage wurden bald als »Augusterlebnis« bezeichnet und die Erinnerung daran im Laufe des Krieges immer wieder als Propaganda eingesetzt, um der zunehmenden Kriegsmüdigkeit entgegen zu wirken.[44]

Die Balkonreden von Kaiser Wilhelm II. enthalten Motive, die wesentlich für die Konstruktion des Augusterlebnisses waren (Quellen 1 und 2). Der Kaiser präsentierte sich selbst als gerechten, friedfertigen Herrscher, der durch den Neid der übrigen europäischen Mächte in den Krieg getrieben worden sei. Dagegen betonte er den »Burgfrieden« zwischen Konfessionen und Parteien, der sich mit Kriegsbeginn innerhalb des Deutschen Reiches manifestieren sollte. Im Hinblick auf die Parteien zielte dieser Burgfrieden vor allem auf das Verhältnis zur SPD ab. Diese hatte sich bereit erklärt, Kriegskredite zu zahlen und sich im Krieg der Regierung gegenüber loyal zu verhalten — trotz aller innenpolitischer Schwierigkeiten, die seit ihrer Gründung im Reich mit der Regierung bestanden hatten. Dafür forderten sie z.B. die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen. Eine andere Gruppe, die der Kaiser für sich gewinnen wollte, waren die Katholiken, zu denen das Verhältnis vor allem seit den Kulturkämpfen ebenfalls gespannt war, evtl. auch die Juden.[45] Ein weiteres Element der Rede war der Verweis auf die »Opfer an Gut und Blut«, die die Menschen im Krieg aufbringen sollten. Zudem wurde den Zuhörern der Kirchgang empfohlen. Immer wieder rekurrierte der Kaiser in der Rede auf Gott, der um Unterstützung gebeten wurde. Mit der Erwähnung des Opfers[46] und vor allem der Nennung von Gott gab der Kaiser seiner Rede eine religiöse Konnotation. Er nutzte das aus dem religiösen Kontext übernommene Vokabular, um dem Krieg nicht nur eine politische, sondern auch eine religiöse Legitimierung zu geben, die höher als alle politischen Interessen einzuschätzen war: Nicht mehr der Kaiser erschien als oberster Kriegsherr, sondern Gott. Am ersten Sonntag nach Kriegsbeginn rief Kaiser Wilhelm zudem (wie schon 1870) einen allgemeinen Kriegs-Buß-und Bettag aus. Auch diese Handlung zeigt, wie der Krieg mit religiösen Deutungsmustern überzogen wurde und damit eine besondere Legitimation bekam.[47] Im Zentrum der Ansprache des Kaisers stand der »Burgfrieden«, in dem Partei- und Konfessionszugehörigkeiten zugunsten einer höheren Sache, nämlich der einigen Nation, zurücktreten sollten. Nur so, wie die kaiserliche Propaganda verlauten ließ, könne das Reich siegreich aus dem Krieg hervorgehen.

2. Liturgie als Medium zwischen Politik und Theologie

Die beschriebenen religiösen Sprachmuster, die Kaiser Wilhelm in seiner Rede geprägt hatte, wurden im Verlauf des Krieges sowohl von säkularer als auch von kirchlicher Seite immer wieder verwendet, um den Durchhaltewillen und die Motivation für den Krieg in der Bevölkerung zu stärken. Das Motiv vom sog. Augusterlebnis wurde auch in den theologischen Texten rezipiert und dort mit der Annahme verbunden, dass der Kriegsbeginn wie ein neues Pfingsten auf das kirchliche Leben wirkte.[48] Vor dem Krieg beobachteten Theologen einen moralischen und sittlichen Verfall in ihren Gemeinden, der sich u.a. in der geringer werdenden Frequentierung der Gottesdienste zeige. Jetzt, beim Anbruch des Krieges, schien die Kirche als Autorität zur Sinngebung in einer Krisensituation wieder an Bedeutung zu gewinnen, und die Bevölkerung besann sich scheinbar auf die alten protestantischen Werte. Der Verweis auf die »verheißungsvolle Verbindung von Gemeinschaftserfahrung und Opferbereitschaft, Todesweihe und Siegeswillen«[49], welche die Menschen im August 1914 erfahren hätten, wurde in kirchlichen Schriften rezipiert und noch stärker religiös überhöht.[50]

Als Beispiel für eine populär-theologische Schrift steht hier die dreiteilige Agende für Kriegszeiten von Karl Arper und Alfred Zillessen, die im Jahr 1914 erschien (Quellen 3—5). Damit gelangte die theologische Interpretation des Krieges auch in eine kirchliche Gattung, die fast seit Anbeginn des Christentums die Frömmigkeitspraxis und das Identitätsbewusstsein von Gemeinden wesentlich prägte. Die Unionsbestrebungen im deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert, die zunächst zur Vorbereitung einer evangelisch-deutschen Nationalkirche gedacht gewesen waren, hatten letztlich zur Bildung einer dritten evangelischen Konfession neben den Reformierten und Lutheranern geführt. In den sich formierenden evangelischen Landeskirchen wurde eine Vielzahl von Gottesdienstordnungen verfasst und wieder verworfen.[51] Jede Landeskirche besaß schließlich ihre eigene Agende, die verbindlich war.[52]

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stellte sich den Landeskirchen das Problem, dass die bisher genutzten Agenden für die Kriegszeiten nicht mehr als geeignet erschienen. Der Krieg, der das Denken, Handeln und die Frömmigkeit der Menschen von nun an bestimmte, kam in ihnen nicht genügend vor. Viele Landeskirchen beharrten trotzdem auf der Beibehaltung ihrer jeweils eigenen Agende. Sie gaben ihren Pfarrern noch zusätzliches Material (ausgewählte Lieder, Gebete, Vorschläge zur Gottesdienstgestaltung) an die Hand. Bereits kurz nach Kriegsbeginn erschien die Agende für Kriegszeiten, die zwar nicht offiziell von den Landeskirchen anerkannt, deren Gebrauch aber vielerorts als Ergänzung zur vorhandenen Agende empfohlen wurde.[53] Somit ist anzunehmen, dass die Gottesdienstabläufe und die Texte der Agende vielen Gläubigen zumindest teilweise bekannt waren. Die ausgewählten Quellenteile zeigen, wie Form und Inhalt des Gottesdienstes unter Rückgriff auf biblische und protestantische Traditionen, aber auch auf säkulare Propaganda, in den Dienst des Krieges gestellt wurden.

Im Vorwort der Kriegsagende betonten die Verfasser, dass die Gottesdienstordnungen und Gebete in allen deutschen evangelischen Landeskirchen, also in lutherischen, reformierten und unierten, zu gebrauchen seien.[54] So sollte innerhalb der verschiedenen Konfessionen der deutschen evangelischen Kirche eine einheitliche Liturgie geschaffen werden, die sinnbildlich für die Einheit des deutschen Volkes stand, die Kaiser Wilhelm II. als »Burgfrieden« zu Beginn des Krieges verkündet hatte.[55] Die Gottesdienstabläufe waren deshalb knapp gehalten: Es fehlten Ordnungen für das Abendmahl, die noch am ehesten Aufschlüsse über die konfessionelle Prägung geben konnten. Die abgedruckte Gottesdienstordnung (Quelle 3) zitiert mit dem Titel »Ein einig Volk von Brüdern« den Schweizer Rütlischwur. Nicht nur die eigens für die Kriegszeit verfassten Gebete propagierten den »Burgfrieden« im deutschen Volk, sondern auch die vorgeschlagenen Bibelstellen wurden daraufhin interpretiert (z.B. Eph 4,3—6).

Ein wesentlicher Teil des evangelischen Gottesdienstes war seit jeher der Gemeindegesang: Er bestärkte nicht nur das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Singenden, sondern wurde seit der Reformation auch zur Polemik genutzt.[56] Die Agende von Arper und Zillessen nahm diese Tradition auf. Das von Richard Zoozmann verfasste Lied »Mächtiger Führer und Füger im Himmel dort oben« (Quelle 6) kommentierte die ersten großen Schlachten und militärischen Erfolge des deutschen Heeres in Belgien und Lothringen. Zoozmann komponierte keine eigene Melodie für seinen Text, sondern bediente sich (wie schon zahlreiche Autoren von Liedtexten der Reformationszeit) dem Kontrafakturverfahren: Die Melodie »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren« von Joachim Neander war seit dem 17. Jahrhundert eines der Kernlieder der evangelischen Gesangbücher. Die Wahl einer alten evangelischen Weise kann als Ausdruck der Verbundenheit der deutschen evangelischen Christen untereinander und mit dem Erbe Luthers verstanden werden. Der Text des Liedes vertiefte dieses Verständnis. Darin erschien Gott als »Führer und Füger im Himmel«[57], der die Weltgeschicke lenkte. Zugleich wurde auf die Gründung des deutschen Reiches 1871 als Ausdruck des göttlichen Willens verwiesen.[58] Die Unschuld des deutschen Volkes am Kriegsausbruch sowie die »Mißgunst und Bosheit«[59] der Kriegsgegner wurden betont. Während also die innerdeutschen Differenzen zwischen den Konfessionen und Parteien behoben sein sollten, wurden die Differenzen zu den Kriegsgegnern auch durch den Gesang stärker im Bewusstsein der Gemeinde implementiert. Ergänzend wurde das Lied »Gottlob, es ist erschollen« von Rudolf Alexander Schröder in diese Quellensammlung aufgenommen (Quelle 7). Dabei handelt es sich um eine Nachdichtung, die Schröder von Paul Gerhardts gleichnamigem Lied, das zum Ende des Dreißigjährigen Krieges entstanden war, angefertigt hatte.[60] Im Vergleich der beiden Lieder lässt sich erkennen, dass Schröder zwar durch Gerhardts Text inspiriert worden war, allerdings auch wesentlich von dessen theologischen Ideen abwich: Hatte Gerhardt den Krieg als Strafe Gottes für den sündigen Menschen verstanden und den Friedensschluss nicht als eine obrigkeitliche Glanzleistung, sondern allein als göttliche Gnade interpretiert, verstand Schröder den Krieg als göttliche Offenbarung und sah das deutsche Volk als Ausführer des göttlichen Willens. Im Zentrum des Liedes stand der Satz »Das Reich, das Reich, es muss bestehn « — bei Schröder ging es also um den Erhalt der deutschen Nation, die mit Gottes Hilfe den Krieg gewinnen sollte.[61]

Auch in den Gebetstexten der Agenden finden sich diese Gedanken (vgl. v.a. Quelle 5), die mit Zitaten aus Liedern der Reformationszeit (Martin Luther; Paul Gerhard usw.) illustriert sind. Somit wurde auch in den Gebeten die enge Verbindung zur protestantischen Tradition gesucht. Diese betonten zusätzlich die Sündhaftigkeit der Menschen vor Gott. Als »Grundsünde« wurde die Uneinigkeit des deutschen Volkes vor dem Krieg verstanden, die durch Klassen, Parteien und die unterschiedlichen Konfessionen entstanden war. Die Spaltung des deutschen Volkes habe gleichzeitig zu einer Entfernung der Menschen von Gott geführt. Im Kriegsausbruch habe Gott diese Spannungen überwunden, weil das deutsche Volk, trotz aller sittlichen und moralischen Fehler, das von Gott erwählte Volk in Europa sei. Der Krieg wurde als Gottes Gericht betrachtet, in dem Gott als Lenker der Weltgeschichte auftrat und Recht über die Völker sprach. Deutschland als neues erwähltes Volk, als Nachfolger des biblischen Israels, könne sich der besonderen Unterstützung Gottes sicher sein. Deutsche Regierung und Heeresleitung seien von ihm selbst eingesetzt worden, ihr Handeln im Krieg sei also gottgewollt und gerecht. Die Deutschen trügen keine Schuld am Kriegsausbruch, sondern litten vielmehr unter den Verleumdungen der Kriegsgegner und seien bereit, sich für ihr Vaterland zu opfern. Problematisiert wurde auch, dass die kriegführenden Staaten zwar fast alle äußerlich ebenfalls christlich geprägt seien, dass aber das wahre Christentum bei den Gegnern gerade nicht zum Vorschein käme. Die angebliche Unsittlichkeit, oft auch die falsche Konfession der Kriegsgegner wurde proklamiert (vgl. Quellen 4 und 5).[62]

Formal und inhaltlich zielte die Kriegsagende darauf ab, den von Kaiser Wilhelm propagierten Burgfrieden auch im kirchlichen Umfeld zu festigen. Sie sollte ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl unter den deutschen Protestanten stiften, das sich im gemeinsamen Gottesdienstfeiern, Singen und Beten manifestierte. Zugleich wirkte die Agende v.a. durch ihre Texte als theologisch begründete Abgrenzung gegenüber den Kriegsgegnern. Außer dem Burgfrieden und der Distanzierung von den Kriegsgegnern finden sich in ihr weitere theologische Topoi, die für die Theologie des Ersten Weltkriegs typisch sind.[63] Ständige Verweise auf das Leiden und die Opferbereitschaft der deutschen Nation ließen Parallelen zur biblischen Passionsgeschichte erkennen. Jesus galt als Vorbild, der durch seine Leidensbereitschaft und das Opfer seines Lebens zum Schluss doch den Sieg errungen hatte. Daneben waren es vor allem eschatologische und apokalyptische Gedanken, die zur Deutung des Geschehens herangezogen wurden. Jesus hatte in seiner apokalyptischen Rede (Mk 13par.) »Kriege und Wehgeschrei« vorausgesagt, die vor dem Anbruch einer neuen Zeit kommen mussten. Der Erste Weltkrieg wurde oftmals als Beginn dieser »Endzeit« gedeutet. Das sich ankündigende »Gottesreich« wurde als politisches Weltreich verstanden, dessen Verwirklichung durch Deutschland vorangetrieben werden sollte.[64] Damit wurde die von Albrecht Ritschl geprägte Reich-Gottes-Theologie, wonach sich das Reich Gottes in der Welt durch ein ethisch und sittlich korrektes Verhalten manifestieren sollte, mit nationalpolitischen Vorstellungen durchmischt.[65] Das »Gottesreich« sollte sich, überspitzt ausgedrückt, nach dem Krieg in Europa ausbreiten und durch den deutschen Nationalstaat regiert werden.[66] Diese heilsgeschichtliche Deutung des Krieges und der Nation wurde von nahezu allen protestantischen Theologen, standen sie in der liberalen oder der positiven Tradition, übernommen.

III. Resümee: Sakralisierung von Krieg und Nation

Die ausgewählten Quellenstücke zeigen, dass sich die Reden des Kaisers zu Kriegsbeginn einer religiös gefärbten Rhetorik bedienten. Der Kaiser zeigte sich darin als protestantischer Herrscher der Deutschen, der sich einer höheren Gewalt unterstellte und den göttlichen Willen ausführte. Seine Reden sollten nicht nur die Bevölkerung für den Krieg begeistern, sie sollten zudem als Brücke zu den Katholiken, Juden und der SPD dienen, den Gruppen also, mit denen die Zusammenarbeit im Reich bisher problematisch verlaufen war. Motive aus diesen Reden, die den Mythos vom Augusterlebnis wesentlich prägten, wurden z.B. in der Liturgie aufgenommen. Gerade Gottesdienstordnungen erwiesen sich als traditionelle Medien, die zur (protestantischen) Identitätsstiftung beitrugen: Im Gottesdienst wurde die Deutung des Krieges nicht nur in Predigten vermittelt, sondern die Gemeinde wurde durch das gemeinsame Singen und Beten aktiv in den Deutungsprozess einbezogen. In der vorgestellten Agende wurden Themen wie der Neid der Kriegsgegner und die Unschuld der Deutschen am Krieg, die Opferbereitschaft der Bevölkerung, der »Burgfrieden« sowie der Hinweis darauf, dass eine von der Kirche geprägte Frömmigkeit entscheidend zum Ausgang des Krieges beitragen konnte, rezipiert und mit einer theologischen Interpretation zusätzlich aufgeladen.

Wesentliches Element sowohl der weltlichen als auch der geistlichen Texte war die Konstruktion einer einheitlichen deutschen Nation. Die Uneinigkeit des Volkes war von den Theologen als »Grundsünde« der Deutschen gegenüber Gott identifiziert worden, die durch den »Burgfrieden« zu Kriegsbeginn aufgehoben worden war. Um die Einigkeit der Nation zu begründen, wurde nicht nur auf die deutsche Geschichte rekurriert (Freiheitskriege; deutsche Reichsgründung), sondern gerade auch auf biblische Texte. Die Nation wurde mit dem biblischen Volk Israel beinahe gleichgesetzt, so dass nicht zuletzt die göttliche Erwählung als Legitimation für das Handeln im Krieg herangezogen werden konnte.[67] Damit verbunden war die Sakralisierung des Krieges, der zur Aufrichtung eines Gottesreiches in der Welt führen sollte. Unter Aufnahme des »Reich-Gottes-Gedankens« wurden Elemente des Kulturprotestantismus ebenfalls in die Deutung des Kriegs einbezogen: Eine Verbindung zwischen Kultur, Nation und Religion wurde somit hergestellt. Die Vermischung der Sprachmuster und die besondere Deutung des Krieges in den Ansprachen des Kaisers und in der Liturgie hatten zwei Funktionen: Erstens wurde dem Volk durch unterschiedliche Medien die Sinnhaftigkeit des Krieges vermittelt. Auch der Tod von Soldaten und das Hungern in der Heimat erschienen nun nicht mehr als sinnlos, sondern sogar als Gottes Wille, der zu einem großen Ziel führen sollte. Zweitens wollte auch die protestantische Kirche vom Krieg profitieren, indem sie die Motive aus der politischen Propaganda aufnahm: Sie fungierte somit als moralische Instanz und als wichtigste Interpretatorin des Krieges. Damit, so schienen die Kirchenleitungen zu hoffen, konnte die protestantische Kirche ihren Platz im Leben der Menschen wieder stärken.[68] Die kirchlichen Medien gaben dem Krieg einen Sinn, Legitimation und boten zudem Seelsorge an: Bei Soldatenbeerdigungen auf dem Feld und bei Trauerfeiern in der Heimat waren es die Pfarrer, die von Soldaten und ihren Angehörigen hinzugezogen wurden, und die nun als höchste Autorität eine Deutung des Geschehens geben und Trost spenden sollten.[69]

Das weltliche und protestantische deutsche populäre Schrifttum der Jahre 1914—1918 steht beispielhaft für das wechselhafte Verhältnis von Staat und Kirche, das sich in der Krisenzeit trotz institutioneller Trennung verdichtete und nach dem Kriegsende neu verhandelt werden musste, weil die meisten Ideen aus der politisch und nationalistisch motivierten Kriegstheologie gescheitert waren. Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch für die deutsche katholische Theologie des Ersten Weltkriegs machen.[70] Viele der besprochenen Merkmale (Sakralisierung von Nation und Krieg; Bewusstsein für die Erwählung als »Volk Gottes«; Abwertung des Kriegsgegners als vor Gott minderwertig; Zuspitzung dieser Gedanken zu Beginn des Krieges) sind ebenfalls in der Theologie anderer europäischer, christlich geprägter Staaten während des Ersten Weltkriegs zu finden. Hier wurzelte die Sakralisierung des Krieges auch im Nationalismus des 19. Jahrhunderts und lässt die enge Verflechtung von Politik und Kirche erkennen.[71]

Blickt man auf weitere Traditionslinien seit der Frühen Neuzeit, so stechen Ähnlichkeiten zwischen den von Henning P. Jürgens diskutierten Friedenspredigten und -liedern aus der Frühen Neuzeit förmlich ins Auge. Auch in diesen Texten aus dem 16. und 17. Jahrhundert wurde dem Krieg — im Beitrag von Jürgens aus Anlass der Friedensschlüsse — eine religiös konnotierte Bedeutung zugemessen. Während der Krieg hier jedoch stärker als Strafe und Gericht Gottes interpretiert und die Gottesbeziehung des Einzelnen thematisiert wurde, veränderte sich dieses Verständnis im 19. Jahrhundert und kulminierte in den Kriegspredigten des Ersten Weltkriegs: Die deutsche Nation wurde sakralisiert und stand im Mittelpunkt der Überlegungen der Geistlichen. Der Krieg war nun in die göttliche Heilsgeschichte eingeschrieben und wurde als ein gerechter Krieg betrachtet, den das deutsche Volk im Auftrag Gottes führte.

Zitationsempfehlung des Beitrags

Andrea Hofmann, Religion und Politik im Ersten Weltkrieg: Protestantische Gottesdienstordnungen, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: https://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Religion_und_Politik_im_Ersten_Weltkrieg:_Protestantische_Gottesdienstordnungen

Anmerkungen


  1. Dogmatik: Lehre von den Inhalten des christlichen Glaubens. ↩︎

  2. Strömung des Protestantismus im wilhelminischen Kaiserreich, die versuchte, Theologie, Kirche und Kultur zu verbinden. ↩︎

  3. Die religiös-politische Idee der Vormachtstellung des Papstes und der Kirche generell. Der Begriff verweist direkt auf Rom: ultra montanes (»über den Bergen«, d.h. über den Alpen; die Position Roms vom Norden Europas aus gesehen). ↩︎

  4. Zweiter ordinierter Pfarrer einer evangelisch-lutherischen Gemeinde. ↩︎

  5. In Klammern sind immer wiederkehrende Teile des Gottesdienstes nach der ersten Agende (1f.) ergänzt. ↩︎

  6. Entspricht: Kyrie. ↩︎

  7. Entspricht: Gloria. ↩︎

  8. Vgl. Mk 12,31par. ↩︎

  9. Vgl. Leitspruch der drei Musketiere und inoffizieller Wahlspruch der Schweizer Eidgenossenschaft im 19. Jahrhundert, vgl. (passim) Alexandre Dumas, d.Ä., Die drei Musketiere. ↩︎

  10. Entspricht: Credo. ↩︎

  11. Zur Vorstellung des Unheils als Sturm vgl. z.B. Spr 1,27; Apk 18,21 usw. ↩︎

  12. Teile des Gebets sind abgedruckt in: BRAKELMANN, Protestantische Kriegsagenden, S, 10f. ↩︎

  13. Es fehlen Sanctus, Hosianna und Agnus Dei, weil es sich um einen Wortgottesdienst ohne Abendmahl handelt. ↩︎

  14. Vgl. Jes 8,14;28,16; Röm 9,33. ↩︎

  15. Vgl. Jes 13,13; 24,18; 50,46. ↩︎

  16. Vgl. Jes 29,11. ↩︎

  17. Vgl. Hi 38,11. ↩︎

  18. Verse aus: Paul GERHARD, Befiehl du deine Wege, EG 361, Strophe 4. ↩︎

  19. Ps 118,6. ↩︎

  20. Ps 118,25. ↩︎

  21. Rütlischwur. Vgl. am prominentesten: Friedrich SCHILLER, Wilhelm Tell, Tübingen 1804, Zweiter Aufzug, Zweite Szene. ↩︎

  22. Vgl. Ps 94,15. ↩︎

  23. Martin LUTHER, Verleih uns Frieden gnädiglich, EG 421, vgl. Andreas MARTI, 421 — Verleih uns Frieden gnädiglich, in: Eva DOLEŽALOVÁ / Ilsabe SEIBT (Hg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 20, Göttingen 2015, S. 77—80. ↩︎

  24. Kontrafaktur auf: Joachim NEANDER, Lobe den Herren, EG 316f., vgl. Michael FISCHER, Lobe den Herren, den mächtigen König (2005), in: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon, URL: http://www.liederlexikon.de/lieder/lobe_den_herren_den_maechtigen_koenig/ (zuletzt geprüft am 04.10.2016). ↩︎

  25. Trompeten. ↩︎

  26. Vgl. dazu in Ansätzen auch: Herfried MÜNKLER, Der Große Krieg. Die Welt 1914—1918, Berlin 2013, S. 229—241; Karl HAMMER, Deutsche Kriegstheologie (1870—1918), München 1971, S. 37—49. ↩︎

  27. Vgl. Friedrich Wilhelm GRAF, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, Bonn 2004, S. 119. ↩︎

  28. Vgl. zu Religion und Nation im Deutschen Reich auch: Heinz Gerhard HAUPT / Dieter LANGEWIESCHE, Nation und Religion — zur Einführung, in: Dies. (Hg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt u.a. 2001, S. 11—29; Gangolf HÜBINGER, Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: Gerd KRUMEICH / Hartmut LEHMANN (Hg.), »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 233—247. ↩︎

  29. Vgl. zu Preußen grundlegend: Christopher CLARK, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600—1947, München 2007. ↩︎

  30. Vgl. Hans-Peter ULLMANN, Politik im Deutschen Kaiserreich 1871—1918, München 1999, S. 7. ↩︎

  31. Vgl. Thomas NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1866—1918. Erster Band: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 291—334. Nicht weiter eingegangen werden kann im Folgenden auf die soziale Frage, vgl. S. 335—373. ↩︎

  32. Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 3. Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849-1914, München 1995, S. 1038—1066. S. 1236—1243. Vgl. NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1, S. 798 ↩︎

  33. WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 3, S. 1045—1050. ↩︎

  34. Vgl. ULLMANN, Politik im Deutschen Kaiserreich, S. 28. ↩︎

  35. Vgl. ausführlicher zur Wilhelminischen Gesellschaft: WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 3; NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1; kürzer und in Lehrbuchform: Anselm DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815—1871, München 1993; ULLMANN, Politik im Deutschen Kaiserreich. ↩︎

  36. Vgl. zum Kulturprotestantismus: Gangolf HÜBINGER, Kulturprotestantismus und Politik, Tübingen 1994. ↩︎

  37. Vgl. Nikolaus BUSCHMANN, Auferstehung der Nation? Konfession und Nationalismus vor der Reichsgründung in der Debatte jüdischer, protestantischer und katholischer Kreise, in: HAUPT / LANGEWIESCHE, Nation und Religion in der deutschen Geschichte, S. 334—368; Frank BECKER, Konfessionelle Nationsbilder im Deutschen Kaiserreich, in: HAUPT / LANGEWIESCHE, Nation und Religion in der deutschen Geschichte, S. 389—314. ↩︎

  38. Seit jeher wurden Juden mit Misstrauen bedacht und verfolgt. In der Gesellschaft und Wirtschaft blieben sie auch im Deutschen Reich benachteiligt. Liberale jüdische Bildungsbürger versuchten um die Jahrhundertwende zu zeigen, dass Judentum und deutsche Nation miteinander zu vereinbaren seien und die Juden gegenüber dem Kaiser loyal waren. Trotzdem war gerade im Protestantismus ein starker Antisemitismus nach wie vor verbreitet. Vgl. BUSCHMANN, Auferstehung der Nation, S. 368—383. Auf die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen des Judentums, insbesondere den Zionismus, sowie die spezielle Situation der Juden im Deutschen Kaiserreich kann an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden. Vgl. einführend: NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1, S. 396—413. Zu Juden im Ersten Weltkrieg: Sarah PANTER, Jüdische Erfahrungen und Loyalitätskonflikte im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2014. Vgl. als Überblick zur Geschichte der Juden im Kaiserreich mit weiterführenden Literaturangaben: Steven M. LOWENSTEIN u.a. (Hg.), Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit III. Umstrittene Integration 1871—1918, München 1997. Darin besonders zu den Juden im Ersten Weltkrieg: Peter PULZER, Der Erste Weltkrieg, in: ebd., S. 356—380. ↩︎

  39. Vgl. DOERING-MANTEUFFEL, Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815—1871, S. 24—31. ↩︎

  40. Vgl. BECKER, Konfessionelle Nationsbilder, S. 400. Vgl. Wolfang J. MOMMSEN, Die nationalgeschichtliche Umdeutung der christlichen Botschaft im Ersten Weltkrieg, in: KRUMEICH / LEHMANN, »Gott mit uns«, S. 252. ↩︎

  41. BECKER, Konfessionelle Nationsbilder, S. 392—418. ↩︎

  42. Ebd., S. 399. ↩︎

  43. Vgl. weiterführend zu den Kulturkämpfen: Christopher CLARK, Kulturkampf in Europa im 19. Jahrhundert, Leipzig 2003; Manuel BORUTTA, Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 22011. ↩︎

  44. Vgl. MÜNKLER, Der große Krieg, S. 222—229; Jörn LEONHARD, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 127—146. ↩︎

  45. Vgl. MÜNKLER, Der große Krieg, S. 232. ↩︎

  46. Vgl. zur doppelten Bedeutung des Begriffs »Opfer« im Deutschen (Übersetzung sowohl des lat. victima als auch sacrificium): MÜNKLER, Der große Krieg, S. 225—229. ↩︎

  47. Vgl. HAMMER, Deutsche Kriegstheologie, S. 52f. ↩︎

  48. Vgl. Wilhelm PRESSEL, Die Kriegspredigt 1914—1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands, Göttingen 1967, S. 11—28. ↩︎

  49. Vgl. MÜNKLER, Der große Krieg, S. 234. ↩︎

  50. Vgl. MOMMSEN, Die nationalgeschichtliche Umdeutung, S. 252—254. ↩︎

  51. Vgl. als Überblick dazu: Alfred NIEBERGALL, Art. Agende 18. Von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg, in: Theologische Realenzyklopädie 2 (1978), S. 55—66. ↩︎

  52. Zu Liturgiereformen im Kaiserreich vgl. Konrad KLEK, Erlebnis Gottesdienst. Die liturgischen Reformbestrebungen um die Jahrhundertwende unter der Führung von Friedrich Spitta und Julius Smend, Göttingen 1996; zum Ersten Weltkrieg: Ders., Das Reformationsjubiläum 1917 im Spiegel der Zeitschriften »Siona« und »Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst«, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 55 (2016), im Erscheinen. ↩︎

  53. Zum Gebrauch der Kriegsagende vgl. Martin SCHIAN, Die evangelische Kirche in der Heimat 1914—1918, Berlin 1925, S. 111—119. Schian verweist auch auf Kritik, v.a. an den vorgeschlagenen »Vaterländischen Worten.« Bereits 1910 hatte Karl Arper gemeinsam mit Richard Bürkner eine Liturgien-Sammlung für evangelische Gottesdienste herausgegeben, die 1917 in überarbeiteter Form als Evangelisches Kirchenbuch erschien. Diese nicht nur auf die Kriegszeit ausgerichtete »Privatagende« wurde zwar nicht offiziell in den Gemeinden eingeführt, erfreute sich aber trotzdem einer großen Beliebtheit. Vgl. Wolfgang HERBST, Evangelischer Gottesdienst. Quellen zu seiner Geschichte, Göttingen 1992, S. 224. Teile bei Herbst abgedruckt: S. 224—230. ↩︎

  54. Vgl. Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Agende für Kriegszeiten, Göttingen 1914, S. III—VII. ↩︎

  55. Vgl. zum innerevangelischen Burgfrieden: SCHIAN, Kirche in der Heimat, S. 28—32. ↩︎

  56. Vgl. zur Nutzung des Kirchenliedes als Propaganda z.B.: Rebecca Wagner OETTINGER, Music as Propaganda in the German Reformation, Ashgate 2001. Vgl. zur Funktion von Kirchenliedern und Predigten auch den Beitrag von Henning Jürgens. ↩︎

  57. Vgl. Richard ZOOZMANN, Gebet vor der Schlacht, in: Durchhalten! Entwürfe, Gebete, Gedichte und Vaterländische Worte für Kriegsgottesdienste. Der Agende für Kriegszeiten 3. Teil. Mit Registern über alle drei Teile, hg. von Karl ARPER / Alfred ZILLESSEN, Göttingen 1915, S. 59f, Strophe 1. ↩︎

  58. Vgl. ebd., Strophe 2. ↩︎

  59. Vgl. ebd., Strophe 4. ↩︎

  60. Vgl. zu Text und Einordnung des Paul Gerhardt-Liedes den Beitrag von Henning Jürgens. ↩︎

  61. Das Um- und Neudichten von Liedern und Gedichten, die den Krieg zum Thema hatten, erfreute sich in den Jahren 1914—1918 einer großen Beliebtheit. Nahezu alle Zeitschriften druckten regelmäßig solche, mehr oder weniger gelungenen und kunstvoll gereimten Texte ab. Vgl. zu geistlichen Dichtungen z.B. die entsprechenden Jahrgänge der liturgischen Zeitschriften Siona und der Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst. Mit freundlichem Dank an Prof. Konrad Klek für diese Hinweise. Eine systematische Untersuchung dieser Lieder steht bisher noch aus. ↩︎

  62. Besonders beliebtes Beispiel war Frankreich, das entweder als laizistischer Staat oder als überwiegend katholische Nation in die Kritik geriet. Auch England wurde gern genannt. Vgl. PRESSEL, Kriegspredigt, S. 127—134. Vgl. als Überblick zur historischen Gattung der politischen Gebete auch: Manfred HANISCH, Zwischen Fürbitte und Obrigkeitsvergottung. Politische Gebete von 1500—1918, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 48 (1988), S. 43—190, bes. zu politischen Gebeten in den Kriegen im 19. Jahrhundert und im Kaiserreich: S. 79—116. ↩︎

  63. Vgl. allgemein (aber veraltet!): HAMMER, Deutsche Kriegstheologie, S. 94—174. ↩︎

  64. Vgl. dazu Klaus VONDUNG, Geschichte als Weltgericht. Genesis und Degradation einer Symbolik, in: Ders., Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nation, Göttingen 1980, S. 62—84. Vgl. PRESSEL, Kriegspredigt, S. 159—174. Vgl. MOMMSEN, Die nationalgeschichtliche Umdeutung, S. 252—254. ↩︎

  65. Vgl. Ritschls Gedanken z.B. in: Albrecht RITSCHL, Unterricht in der christlichen Religion. Studienausgabe nach der 1. Auflage von 1875 nebst den Abweichungen der 2. und 3. Auflage. Eingeleitet und herausgegeben von Christine AXT-PISCALAR, Tübingen 2002, v.a. § 6 (14—16) und 10 (19—21). ↩︎

  66. Vgl. auch GRAF, Wiederkehr der Götter, S. 126f. Die häufigen eschatologischen Ausblicke sieht Graf u.a. darin begründet, dass im Krieg meist Christen gegen Christen kämpfen mussten. Die Trennung zwischen weltlicher Ebene und einem Gottesreich in der Zukunft ermöglichte es, diese Problematik aufzulösen, indem die Einheit der Christen in einem Reich, das »nicht von dieser Welt« sein sollte, wieder hergestellt wurde. ↩︎

  67. Vgl. zur religiösen Überhöhung der Nation weiterführend die Beiträge im Sammelband HAUPT / LANGEWIESCHE, Nation und Religion in der deutschen Geschichte. Besonders: BECKER, Konfessionelle Nationsbilder; Frank-Michael KUHLEMANN, Konfessionalisierung der Nation? Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Heinz-Gerhardt HAUPT / Dieter LANGEWIESCHE (Hg.), Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt, New York 2004, S. 27—63; GRAF, Die Wiederkehr der Götter, S. 102—132. ↩︎

  68. Vgl. z.B. das Protokoll der Herbstkonferenz der Geistlichen im Dekanat Herborn vom 12. November 1914, in: Zentralarchiv der EKHN, Best. 92, Dekanat Herborn, Nr. 40, Pfarrkonferenzen, insbesondere Konferenzarbeiten, 1907—1924, S. 4—23. ↩︎

  69. Vgl. GRAF, Wiederkehr der Götter, S. 102—132, bes. S. 125f. ↩︎

  70. Vgl. Heinrich MISSALLA, »Gott mit uns.« Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914—1918, München 1968; Martin LÄTZEL, Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg. Zwischen Nationalismus und Friedenswillen, Regensburg 2014. ↩︎

  71. Vgl. als Überblick dazu: Martin GRESCHAT, Der Erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein Überblick, Stuttgart 2014. ↩︎