Ḥasan Kāfī Aḳḥiṣārī, Die Grundlagen von Herrschaft. Über die Weltordnung (Uṣūlu’l-Ḥikem fī Niẓāmu’l-ʿĀlem), Ende 16. Jh.

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Religion und Politik im Osmanischen Reich: Grundlinien vom 16. bis 18. Jahrhundert

Einleitung

Die Übersetzung basiert auf einer älteren ungarischen Übersetzung, die wiederum auf einer Handschrift von Akhisarîs Werk aus Istanbul gründet. Dass die Übersetzung aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt, merkt man dem Text an, nicht nur an der Verwendung einer heute nicht mehr üblichen Terminologie und zum Teil fehlerhafter Erläuterungen in den Fußnoten, sondern vor allem an zahlreichen Kürzungen und Auslassungen von als wenig sachdienlich empfundener Passagen. Die Wahl der Übersetzung erfolgte in Ermangelung einer Alternative und in der Hoffnung auf eine entsprechend kritische Verwendung. Lesern des Türkischen wird ergänzend die Lektüre der ebenfalls nicht unproblematischen, aber ungekürzten Textausgabe von Mehmed İpşirli empfohlen. Es handelt sich um die Transkription eines unter Hinzuziehung mehrerer Handschriften erstellten Ausgangstextes des osmanischen Originals, das wegen seiner einfachen Sprache auch mit Kenntnissen des modernen Türkisch einigermaßen verständlich ist: Mehmet İPŞIRLI, Hasan Kâfî el-Akhisarî ve Devlet Düzenine Ait Eseri Usûlü’l-Hikem fî Nizâmi’l-‘Âlem, in: İstanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Tarih Enstitütü Dergisi 10–11 (1981), S. 239–278, hier S. 247–254.

Quellentext

Die im Jahre 1004[1] nach der Flucht des Propheten in der Ordnung der Welt eingetretenen Störungen und die in den Angelegenheiten der Menschen, insbesondere im islamitischen Reich sich zeigenden Übelstände und Wirrsale möge Allah abwenden und den islamitischen Ländern zur Wohlfahrt verhelfen bis zum Tag der Auferstehung.

Als ich hiefür eines Nachts die im Sünnet[2] vorgeschriebenen Gebete verrichtete, wandte ich mich in meinem Herzen zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, um den Grund dieser Wirrsale zu erfahren. Und durch die Eingebung der Gnade des erhabenen Gottes gelang es mir auch, diesen zu erkennen. Allah der Gerechte wendet seine Gnade niemals von einem Volk, solange die Taten dieses Volkes sich nicht in eitle Taten verwandeln, und solange das Volk die Gerechtigkeit in allen seinen Taten bewahrt.

Seit zehn Jahren, ja sogar schon seit längerer Zeit wende ich meine Aufmerksamkeit den Ereignissen zu. In den seit dem Jahre 980[3] vorgefallenen komplizierten und verworrenen Vorgängen habe ich einigen Grund entdeckt.

Erster Grund. Im Verhältnis zu den früheren Zuständen zeigte sich Läßigkeit in der Übung der Gerechtigkeit, in der Regierung hingegen Sorglosigkeit. Diese Sorglosigkeit hat zur Folge, daß die Regierungsgeschäfte ungeeigneten und unfähigen Menschen anvertraut werden.

Zweiter Grund. In den Beratungen wurde von der richtigen Meinung abgewichen, die Vornehmen wurden selbstgefällig und zogen sich von der Berührung mit den Ulemas und andern verständigen Leuten zurück, ja wenn von diesen jemand zu den Beratungen erscheint, sehen sie ihn mit Verachtung an. Wo ist die Zeit, wo die großen Vorfahren die Ulemas aufsuchten, um von ihnen die richtige Meinung und die Weisheit zu lernen?

Dritter Grund. In der Leitung und Zucht des Heeres herrscht Sorglosigkeit, als deren Folge in den Gefechten von den Waffen nicht der rechte Gebrauch gemacht werden kann. Die Soldaten fürchten ihre Serasker nicht und ehren sie nicht besonders.

Schließlich ist der letzte Grund aller dieser Gründe die Bestechlichkeit, die Geldgier und die Sucht nach Weibern, nach deren Worten man sich richtet. Als ich diese Gründe erkannt hatte, bat ich unter Tränen Allah um Hilfe und unter Klagen über die Wirrsale unserer Zeit erflehte ich Aufklärung von Allah. Allah gab mir den Gedanken ein, ein kleines kurzes Buch zu schreiben über die Ordnung der Welt, ein Büchlein, das nur wenig Worte, aber in diesen wenigen Worten um so tieferen Sinn enthalten und bei der Neuordnung der Gesetze der Welt als Wegweiser dienen solle. Ich fand es zweckmäßig, dies Buch so zu schreiben, daß es die wahren Worte der Weisen enthalte.

Die Worte der weitblickenden Menschen enthält also dies Buch, denn ich habe es aus den Schriften der alten Ulemas, aus den Büchern der Weisen und Großen zusammengestellt. Vor allem aber aus den Büchern Envar-ül-tensil[4] und Rausat-ül-ulema[5], weiter aus dem Tefsir-i-Kadi[6], das man auch Envar-i-tensil nennt, und aus dem Rausat-ül-akhbar[7], das ein Auszug aus dem Buch Rebi-ül-ebrar[8]-Zakmakhsaris[9] ist und auch Rausat-ül-ulema genannt wird und aus mehrern andern vorzüglichen Büchern dieser Art. Möge Allah dies Buch erhöhen und Gnade und Hilfe den Padischahs, Ausdauer auf dem Wege der Standhaftigkeit den Veziren verleihen, die Klugen zu Führern machen, den Armen aber Unterstützung und Barmherzigkeit angedeihen lassen.

Die Methode der Regierung[10] nannte ich dies Buch und schrieb es unter Erläuterung des Buches »Die Ordnung der Welt«[11] nieder. Das Buch besteht aus einer Einleitung und vier Kapiteln.

Die Einleitung stellt die Ursachen der Ordnung der Welt dar. Die Ursache der Ordnung der Welt ist, daß Gott deren Bestehen so lange will, als es nur Menschen geben wird, d. h. bis zum Tag der Auferstehung. Die Menschen untereinander bedürfen gewisser Gesetze, weil sie miteinander viele böse Angelegenheiten haben, um diese in Ordnung besorgen zu können. Die Menschen sind nach ihrer Beschäftigung viererlei: 1. Männer des Schwertes, 2. Männer der Feder, 3. Ackerbauer, 4. Handwerker und Kaufleute. Alle diese beherrscht der Padischah, Emir oder ein anderer.

Die erste Klasse ist die der Schwerttragenden. In diese Klasse gehören die Padischahs, Vezire, Beglerbegs, Begs und andere solche Führer und Soldaten. Ihre Pflicht ist, den Feind fernzuhalten, den Frieden und die Ruhe zu bewahren.

Die zweite Klasse bilden die Männer der Feder, zu denen die Ulemas, die Gelehrten und die betenden andächtigen Männer gehören, die zum Krieg nicht geeignet sind, sich aber mit Gebet, Andacht und Wissenschaft beschäftigen. Ihre Aufgabe ist es, Bücher zu schreiben, die Befehle des Scheriats[12] durch das Wort zu verkünden und zu bewahren. Ihre Pflicht ist es, Ratschläge zu erteilen, die Religion zu lehren und Liebe zu ihr zu erwecken, für das ganze Volk zu beten und den Padischah zum Guten anzuleiten. Der Padischah ist im Reich das, was im Körper das Herz ist. Wenn das Herz gesund ist, dann wird der ganze Körper gesund sein.

Die dritte Klasse gehört den Ackerbauern. Diese nennt man Raja und Beraja[13] und ihre Beschäftigung ist der Bau von Getreide, Obst und Wein und die Viehzucht. Die Arbeit dieser Klasse ist vor allem notwendig und neben der der Gelehrten und Krieger die vornehmste.

Die vierte Klasse ist die der Handwerker und Kaufleute. Diese sind ihrer Beschäftigung nach sehr verschieden.

Jedermann muß einer dieser vier Klassen angehören, damit nicht Elend eintrete, deshalb sagten einige der alten Weisen, daß alle, die ohne Arbeit leben und keiner Klasse angehören, als unnütz getötet werden sollen, da sie den übrigen nur zur Last fallen. Zu Zeiten der alten Sultane wurden diese alljährlich zusammengesucht und ausgewiesen. Insbesondere in den Häfen wurde darüber gewacht und verhindert, daß solche Araber[14] Rums Boden betreten. Dies ist der Grund, weshalb auf dem Gebiet Rums in den alten Zeiten Wohlstand und Überfluß herrschte. Auch jetzt ist es nötig, die Beschäftigungslosen auszuweisen.

Jede Klasse aber befasse sich eifrig mit ihren Angelegenheiten und gehe nicht müßig, denn das widerspräche der Ordnung und verursachte Störungen. Auch solle man nicht die Angehörigen einer Klasse zur Ausführung der Beschäftigung der andern Klasse zwingen, denn daraus entspringt nur Übel und Unordnung. Wenn die Ackerbauer und Gewerbetreibenden gezwungen werden, die Waffen zu ergreifen und in den Krieg zu ziehen, dann ist niemand da, der den Boden bebaut, und aus Mangel an Getreide, Obst und Haustieren tritt große Teuerung ein. Daher kommt es, daß man heute 10 Akcse für etwas zahlen muß, was früher 1 Akcse kostete, ja daß es sogar für 10 Akcse nicht erhältlich ist. Wenn man die Bevölkerung der Städte zum Kriegsdienst zwingt, lockert sich die Disziplin, denn diese Soldaten werden lässig sein.

Früher war dies auch anders; aber seit 1001[15] bis jetzt, insbesondere in Kroatien und Bosnien, wo ununterbrochen Krieg herrschte, schickten die Serasker alle Jahre ihre Leute in die Vilajets und führten die ackerbautreibenden Raja und die Bewohner der Städte, die Handwerker, mit Gewalt in den Krieg, und so blieben die Acker unbebaut, in den Dschamiks der Städte blieben keine Beter, und Not und Elend erhob das Haupt. Aber auch kriegerischen Mut besaßen sie nicht, sondern flüchteten.[16]

Ein solches Vorgehen verursacht Unordung, schwächt das Reich und bewirkt den Untergang des Sultanats. Möge Allah das islamitische Volk und das osmanische Reich vor solchem Wirrsal behüten!

Anmerkungen

  1. 1596 nach christlicher Zeitrechnung.
  2. Die Gesamtheit der vom Propheten befolgten Gebräuche, die bei den Sunniten Gesetzeskraft besitzt. Die Gebräuche sind unter dem Namen سنت bekannt.
  3. 1572 nach Christi Geburt. Der Niedergang des türkischen Reiches begann schon in diesem Jahre. Hammer rechnet den Beginn des Niederganges etwas später, von der Thronbesteigung Murads III. an. S. seine Geschichte des osmanischen Reiches. Pesth 1840. II. Seite 438.
  4. انوار التنزيل (herabgestiegenes Licht). So nennen die Muselmanen den Koran.
  5. روضة العلما (Garten der Gelehrten). Unter diesem Namen kommen mehrere arabische Werke vor, und so ist es schwer zu bestimmen, welches der Verfasser benützt hat.
  6. تفسير قاضى (Die Erläuterungen des Kadi, der Korankommentar).
  7. روضة الاخبار (Garten der Botschaften). Auch unter diesem Titel gibt es mehrere arabische Werke.
  8. ربيع الابرار (Frühling der Gerechten).
  9. Zamakhsari war ein arabischer Schriftsteller.
  10. وصول حكم zu deutsch: die Methode der Regierung.
  11. نظام العالم zu deutsch: die Ordnung der Welt.
  12. Scheriat, das muselmanische Gesetz.
  13. Raja sind christliche Untertanen der Türkei, die kharadsch (Steuer) oder – wie man zur Zeit der türkischen Herrschaft in Ungarn sagte –, Haratsch zahlen mußten. Beraja sind die muselmanischen Ackerbauer, die bloß Zehent zahlten.
  14. [Anm. DKlein: »Araber« ist hier nicht wörtlich zu verstehen, sondern eine leicht abfällige Bezeichnung für Fremde, die man als kulturell unterlegen betrachtete. Zu orientalistischen Vorstellungen bei den Osmanen vgl. Edhem ELDEM, Ottoman and Turkish Orientalism, in: Architectural Design 80:1 (2010), S. 26–31.]
  15. Nach christlicher Zeitrechnung vom 7. Oktober 1592 bis 26. Sept. 1593.
  16. Der Verfasser meint den Sieg Thomas Erdödys und seiner Genossen bei Siszek. Beschreibung dieser Schlacht s. G. Gömöry HADTÖRT, Közl (Kriegsgeschichtliche Mitteilungen), Jahrgang 1894, S. 613.

Bibliographie

[Emmerich von] KARÁCSON und [Ludwig von] THALLÓCZY, Eine Staatsschrift des bosnischen Mohammedaners Molla Hassan Elkjáfi »über die Art und Weise des Regierens«, in: Archiv für Slavische Philologie 32 (1911), S. 139–158, hier S. 144–147.