Essay zu Friedensrepräsentationen in der Frühen Neuzeit

Aus Konjunkturen
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Henning P. Jürgens

Friedensrepräsentationen in der Frühen Neuzeit

In einem großen Aufsatz hat der Augsburger Historiker Johannes Burkhardt »Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit« zur Signatur der Jahrhunderte zwischen Renaissance, Reformation und Französischer Revolution erklärt und von einer besonderen »Bellizität Europas« gesprochen.[1] Tatsächlich findet sich in den knapp drei Jahrhunderten kaum ein Jahr, in dem nicht irgendwo in Europa ein Konflikt in bewaffneter Form ausgetragen wurde. Krieg war die schlimmste, gleichwohl aber alltägliche Weise des Umgangs mit Differenz, sei es im Streben um politische Dominanz im europäischen Mächtesystem, beim gewaltsamen Versuch, konfessionelle Einheitlichkeit wiederherzustellen bzw. Eigenständigkeit zu behaupten oder auch als Konfliktaustrag zwischen Zentralgewalt und Partikularkräften innerhalb eines Landes. Hinzu kamen die Kriege »an den Rändern« Europas, so der langanhaltende Konflikt mit den Osmanen oder auch die außerhalb Europas ausgetragenen Kämpfe um die Vorherrschaft zwischen europäischen Kolonialmächten.

All diese Kriege haben der Epoche zweifellos ihren Stempel aufgedrückt. Zugleich aber kamen sie alle irgendwann zu einem Ende: In mehr als 2000 zwischenstaatlichen Friedensverträgen oder Waffenstillstandsvereinbarungen wurden die Kriege (zumindest vorläufig) beigelegt; hinzu traten zahlreiche Religionsfrieden, die meist innerhalb eines Herrschaftsgebiets geschlossen wurden. Im Zuge der Beilegung und Bewältigung militärischer Konflikte wurden im Europa der Frühen Neuzeit differenzierte Strategien und komplexe Verfahren zur Friedensfindung entwickelt – auch wenn manche Vereinbarung schon wieder gebrochen wurde, ehe die Tinte der Unterschriften getrocknet war.

Parallel zur Entwicklung der Vorgehensweisen und juristischen Denkmuster bei der Aushandlung und Erreichung von Friedensschlüssen differenzierten sich auch die Medien und Zeichensysteme aus, mit denen der Gedanke des »Friedens« ausgedrückt, symbolisiert, vermittelt und verbreitet wurde. Aufbauend auf Worten und Bildern aus der jüdischen und christlichen Tradition und dem Erbe der griechisch-römischen Antike entstand ein komplexes Vokabular zur Feier und Vermittlung des wiedererlangten Friedens; hinzu traten – besonders seit der Mitte des 17. Jahrhunderts – Darstellungen des Vorgangs des Friedenschließens durch Verhandlungen und feierliche Bekräftigungen. Frieden und Friedensschluss wurden multimedial transportiert und inszeniert: Nicht nur in bildlichen Darstellungen, vom einfachen Holzschnitt über aufwendige Druckgrafik und Gemälde bis hin zu ganzen Architekturen; genauso im gesprochenen und geschriebenen Wort, sei es in Bericht, Lied, Predigt, Gedicht oder Drama; in musikalischen Formen wie Kantaten, Friedensmusiken, Oratorien und Opern; schließlich in Friedensfeiern, die alle diese Formen unter Einbeziehung der Bevölkerung ganzer Städte zu Repräsentationen und Zelebrationen des Friedens verbanden.

Die vielfältigen medialen Darstellungen des Friedens übernahmen dabei nicht nur die Aufgabe, das Ereignis des geschlossenen Friedens bekannt zu machen, sondern sie trugen auch zur Erklärung und Einordnung des Friedens bei, übernahmen didaktische und häufig auch handlungsunterweisende Funktion. Die Verbreitung der Friedensnachricht und die Freude über das Ende der Gewalthandlungen verbanden sich mit Mahnungen zur Dankbarkeit und zu verändertem Verhalten im neugewonnenen Frieden. Friedensrepräsentationen dienten auch dazu, Lehren aus dem Krieg zu ziehen und für den Frieden zu formulieren und weiterzugeben.[2]

Die vorliegenden Quellenauszüge aus Predigten ordnen sich in diesen sachlichen Zusammenhang ein. Sie stammen einerseits aus dem Kontext von Friedensfeiern aus Anlass des Westfälischen Friedens, also der Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück 1648 und des Abschlusses des Nürnberger Exekutionstags 1650, andererseits aus dem Umfeld der Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg 1763 zur Beendigung des Siebenjährigen Kriegs. Sie dokumentieren die Vermittlung und Interpretation der Friedensschlüsse durch das gesprochene Wort der Friedenspredigten sowie die obrigkeitlichen Anordnungen zur Abhaltung von Festgottesdiensten. Ein Flugblatt, das 1648 der Friedensnachricht sowohl lyrischen wie visuellen Ausdruck verlieh, repräsentiert eine andere, weniger konfessionell geprägte Gattung. Blätter wie dieses erreichten mit hohen Auflagenzahlen und zahlreichen Nachdrucken ein breites Publikum. Eingängige Reime trugen dazu bei, die Botschaft schnell auch unter den Nicht-Lesekundigen zu verbreiten. – Das aus Anlass des Westfälischen Friedens entstandene Kirchenlied gehört hingegen in den Kontext der Predigten und Festgottesdienste. Zugleich ermöglichte die Veröffentlichung in einem überaus populären und vielfach nachgedruckten Gesangbuch das Singen des Liedes auch außerhalb der Kirchenmauern und trug zur seiner weiten Verbreitung bei.


Kriegsenden

Mit den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück gingen mehrere europäische Kriege zu Ende, die maßgeblich durch den Konfessionskonflikt verursacht waren. Der Westfälische Friede schuf als Fundamentalgesetz eine neue politische und religiöse Verfassung des Reichs und stand am Anfang einer neuen europäischen Epoche der Diplomatie und des Völkerrechts. Fast alle europäischen Mächte waren direkt oder indirekt auf den Friedenskongressen vertreten. Gleichwohl markierte das Jahr 1648 nicht überall in Europa die gleiche Zäsur wie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wie Heinz Duchhardt kürzlich in einer Übersicht gezeigt hat,[3] und selbst in Ländern wie Frankreich, die als Verhandlungspartner beteiligt waren, wurde der Friedensschluss nicht mit großen Feierlichkeiten begangen, weil die konfliktbeladene innenpolitische Situation dies kaum zuließ. Innerhalb des deutschen Sprachraums lässt sich für die Feiern des Friedens eine eindeutige Trennung entlang der konfessionellen Grenze erkennen: Während es in den protestantischen Gebieten 1648, und mehr noch 1650, zu einer Vielzahl von Friedensfesten[4] oder Dankgottesdiensten, jeweils mit entsprechenden Friedenspredigten kam, wurde der Westfälische Friede in den katholischen Gebieten kaum gefeiert,[5] wie überhaupt katholische Friedenspredigten sich nur in Einzelfällen erhalten haben.[6]

Anders die Situation 1763 am Ende des Siebenjährigen Kriegs:[7] Nach den Frieden von Paris und Hubertusburg wurden Friedensfeiern sowohl auf Seiten der preußischen wie der sächsischen und habsburgischen Vertragspartner, aber auch anderswo in Europa gehalten. Im britischen Weltreich wurde der Ausgang des Krieges mit einem öffentlichen Festtag und Gottesdiensten begangen, zu denen sich gedruckte Predigten nicht nur aus England,[8] sondern auch den nordamerikanischen Kolonien oder Jamaika[9] gedruckt erhalten haben. Neben die überall anzutreffenden Gottesdienste traten in Deutschland auch akademische Festveranstaltungen, auf denen weltliche Oden vorgetragen[10] und aufklärerische Reden[11] gehalten wurden. Aus Anlass dieses Friedens kam es zudem zu Feiern in jüdischen Gemeinden, bei denen gepredigt wurde und Berichte darüber mit Veröffentlichung der Texte anschließend gedruckt wurden.[12] Zwar dominieren die protestantischen Predigten weiterhin die gedruckten Quellen zahlenmäßig, doch andere Formen bürgerlicher Friedensfeiern und andere Foren sind hinzugekommen.


Predigt, Lied und Gedicht – zur kommunikativen Situation der Quellengattungen

In einer Gesellschaft, in der größere Teile der Bevölkerung nicht über Schreib- und Lesefähigkeit verfügten, kam der mündlichen »Kommunikation unter Anwesenden«[13] eine entscheidende Rolle zu. Öffentliches Leben vollzog sich in direkter Rede auf Versammlungen, bei öffentlichen Sitzungen, gemeinsamen Feiern und den häufig stattfindenden Gottesdiensten. Die Predigt, sei es im normalen Sonntags- oder Wochengottesdienst, sei es aus besonderen Anlässen, erfüllte damit vielfältige Funktionen: Verkündigung des Evangeliums, Interpretation einschneidender Ereignisse, Verlautbarung obrigkeitlicher Erlasse, auch Austausch von Neuigkeiten – insgesamt dienten Predigten letztlich der kollektiven Sinnstiftung und damit Stabilisierung der sozialen Ordnung. Dementsprechend waren Gottesdienste und feierliche Messen für den hier betrachteten Bereich der Kirchen im Heiligen Römischen Reich auch unverzichtbarer Teil der Festkultur. Keine öffentliche Feier ist denkbar ohne einen Gottesdienst und zumindest kein evangelischer Gottesdienst ist denkbar ohne eine Predigt. Auf katholischer Seite wurde hingegen die musikalische Ausgestaltung des Messkanons zur Fest- oder Jubelmesse Bestandteil vieler Feiern.

Eine ähnliche Rolle wie der gemeinsame Gottesdienstbesuch spielte auch das gemeinsame Singen. Es fand nicht nur in Gottesdiensten als Teil der Liturgie statt, sondern war alltägliche Praxis bei vielen Gelegenheiten. In einer Zeit ohne audiovisuelle Medienspeicher hatte Gesang einen ungleich höheren Stellenwert. Er bedurfte keiner Vorbereitung und keiner Instrumente. Das Singen wurde schon in der Schule anhand der Kirchenlieder eingeübt, da Schülerchöre häufig auch die Gottesdienstbegleitung übernahmen. Die nach hunderten zählenden Druckauflagen von Gesangbüchern und Liedersammlungen zeigen, dass diese Bücher bei weitem nicht nur im Gottesdienst verwendet wurden. Zudem kursierten natürlich auch viele weltliche Lieder. Auf der Eingängigkeit gereimter und gesungener Texte beruhte auch die Vermittlung von Nachrichten durch fahrende Sänger oder beim Vorlesen von Flugblättern. Die Kombination von volkstümlicher Dichtung und bildlicher Darstellung der Friedensnachricht ermöglichte die Nutzung eines solchen Blattes zu gemeinsamer Lektüre oder öffentlichem Vortrag. Als Vorläufer und Wegbegleiter der periodisch erscheinenden Zeitungen, die sich erst im Lauf des 17. Jahrhunderts als Nachrichtenmedium durchsetzten, behielten die Flugblätter noch lange ihren Stellenwert. Erst allmählich vollzog sich eine Verschiebung zugunsten der aufwendigeren Ausgestaltung der Abbildungen bei Abnahme des begleitenden Textes, die auf eine geänderte Nutzung der Blätter schließen lässt.

Bei genauer Betrachtung liegt in der Nutzung der hier vorgestellten Quellengattungen ein wichtiger Unterschied: Während illustriertes Flugblatt und Gesangbuch einen vorgängig geschaffenen Text zur gemeinsamen Nutzung bereitstellten, stellen gedruckte Predigten oder Predigtmanuskripte eine Art Umkehrung dieser Überlieferungssituation dar: Sie überliefern eine eigentlich mündlich gehaltene Rede in schriftlicher Form. Eine als Einzelveröffentlichung gedruckte Predigt diente nicht mehr als Vorlage, sondern der Bewahrung des gesprochenen, nicht anders konservierbaren Worts und des besonderen Moments der Verkündigung. (Daneben gab es zahlreiche Predigtanleitungen und Musterpredigten, sog. Homilien und Postillen, die sich an den Theologen als Hilfsmittel für die Vorbereitung der Vielzahl von Predigten richtete. Sie enthalten jedoch sehr selten Friedenspredigten.) Wahrscheinlich wurde die überwiegende Mehrheit der einzeln gedruckten Predigten für den Druck überarbeitet, geglättet oder ausführlicher gestaltet. Ob die Predigten so, wie wir sie heute lesen können, tatsächlich gehalten wurden und wie die Zuhörer sie verstanden, entzieht sich damit letztlich unserem Urteil. Allenfalls lässt sich durch einzelne andere Quellen, etwa Mitschriften oder ähnliches, eine Ahnung davon bekommen, was bei den Gemeinden angekommen ist.[14] Gedruckte Predigten geben also vor allem wieder, was der Prediger hatte sagen wollen und was er davon der Nachwelt überliefern wollte. Diese Motivation lässt sich auch den zahlreichen Widmungsvorreden entnehmen, die solchen Predigtdrucken vorangestellt wurden.

Doch darüber hinaus lassen sich die Predigten auch als eine Art kollektive Ego-Dokumente lesen. Sie waren zwar durch den Prediger mit dem ihm eigenen Rollenverständnis als geistlicher Lehrer und Mahner ausgesprochen, nahmen aber häufig zugleich die Perspektive der Kirchengemeinde und auch der politischen Kommune ein. In der Redesituation einer Friedenspredigt stellte sich der Prediger meist nicht seiner Gemeinde gegenüber, sondern formulierte seine Aussagen kollektiv. So kam den Friedenspredigten eine wichtige Rolle etwa bei der Formierung der gemeinsamen Memoria an den Krieg zu.[15]


Konjunkturen

Die nach Konfessionen unterschiedliche und im Zuge der Frühen Neuzeit sich wandelnde Praxis der Friedensfeiern und der aus diesem Anlass gehaltenen Gottesdienste und Predigten verdeutlichen die Konjunkturen des Verhältnisses von Religion und Politik. Ob man nun den Dreißigjährigen Krieg als Religionskrieg oder als Staatenbildungskrieg[16] interpretiert: Die seit der Verfestigung der reformatorischen Veränderungen im konfessionellen Zeitalter untrennbare Verbindung von weltlicher Obrigkeit und kirchlichen Amtsträgern erscheint auch nach dem Ende des Kriegs noch kaum in Frage gestellt. In den protestantischen Territorien des Reichs nahm der Landesherr als Ergebnis der Reformation zugleich die Funktion des Oberhaupts der Landeskirche wahr, meist mithilfe eines kirchenleitenden Konsistoriums von gelehrten Räten, Juristen und Theologen, das die geistliche Aufsicht über die Pfarrer ausübte und auch disziplinierend tätig werden konnte. Landesherr und Konsistorium konnten zudem außergewöhnliche Gottesdienste wie Buß-, Fest- und Dankgottesdienste anordnen. Die Gemeindepfarrer erfüllten teilweise obrigkeitliche Funktionen wie das Verlesen von Erlassen.

Andererseits war das geistliche Amt der Wortverkündigung dem Verständnis der Theologen nach allein der Heiligen Schrift als Richtschnur verpflichtet und konnte auch als prophetisches Wächteramt gegenüber der Obrigkeit verstanden werden. Nach dem für das Luthertum typischen Verständnis der Drei-Stände-Lehre nahmen die Prediger als Vertreter des ordo ecclesiasticus nicht nur gegenüber dem ordo oeconomicus, also der allgemeinen Bevölkerung, sondern auch gegenüber dem ordo politicus, der weltlichen Obrigkeit, die Rolle einer geistlichen Autorität ein.

Die Texte aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zeigen, wie die Predigten nach Friedensschlüssen zur theologischen Erklärung des Geschehenen und zur Stabilisierung der Gesellschaftsordnung beitrugen, indem Krieg und Frieden in das Verständnis der göttlichen Ordnung eingefügt werden. Dabei wird der Krieg als Strafe Gottes für die generelle Sündhaftigkeit und das Fehlverhalten der Menschen verstanden[17] und nur selten als ein durch Handeln der Obrigkeiten ausgelöstes Ereignis betrachtet. Entsprechend wird auch der Friede nicht als Errungenschaft der Politik, sondern als Geschenk und Gabe Gottes angesehen. Die Obrigkeit wird gleichwohl für die Bewahrung und Gestaltung des Friedens in die Verantwortung genommen. Damit werden zugleich das Gesellschaftsmodell und die Rollenzuweisung für Untertanen und Obrigkeit stabilisiert. Die beteiligten Akteure, Herrscher, Gremien und Prediger, stützen sich auf ein gemeinsames Wertesystem und bedienen sich ähnlicher sprachlicher Formeln, um das Geschehene verständlich zu machen und die wiedergewonnene Ordnung neu zu stabilisieren. Die Historikerin Luise Schorn-Schütte hat jüngst in einer Monographie diese gemeinsamen »Politisch-Theologische[n] Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit« unter dem Begriff der politica christiana analysiert.[18]

In der ersten Predigt Philipp Wernickes, die noch vor dem tatsächlichen Abschluss der Westfälischen Friedensverhandlungen an Weihnachten 1647 gehalten wurde, ist die sehnsüchtige Erwartung des Friedensschlusses deutlich zu erkennen. Der Prediger bemüht sich dagegen, den politischen Frieden als weltliches Geschehen und Gegenstand der (weniger wichtigen) weltlichen Sorgen in der vierten Bitte des Vaterunsers um das tägliche Brot zu verorten und dem eine geistliche Deutung von Krieg und Frieden entgegenzustellen: Gott hat seinem Volk den Krieg als Prüfung auferlegt und ist zugleich der Urheber des Friedens, nicht etwa die Herren der Welt, und ausgehandelt wird der Frieden nicht durch Unterhändler in Westfalen, sondern durch Christus als Vermittler zwischen Gott und Menschen. Im paränetischen vierten Teil der Predigt, in dem die Wege zur Erlangung des Friedens behandelt werden, stehen wiederum Buße und Gebet am Anfang, bevor als dritter Punkt innerweltliche christliche Liebe und Eintracht behandelt werden. Hier wird in der Predigt auf die Oblivions- oder Amnestieformeln angespielt, die als regelmäßiger Bestandteil von Friedensverträgen[19] das Vergessen und Vergeben der vergangenen Verbrechen als Voraussetzung des Friedens formulieren.

Das Flugblatt des »Freud- und Friedenbringenden Postreuters« verbindet hingegen zahlreiche Friedensrepräsentationen unterschiedlicher Art. Schon die bildliche Darstellung bedient sich mit Friedensengel und Götterbote Merkur sowohl bei der christlichen als auch der antiken Bildsprache und Mythologie. Im Text wird zwar auch Gott als Quelle des Friedens gelobt und die Einigkeit von Obrigkeit und Untertanen als seine Frucht verheißen, doch für den Krieg wird Mars, der Gott der Landsknechte, verantwortlich gemacht. Der Text ist ganz auf die weltliche Seite des Friedens ausgerichtet, erwähnt die Kriegsparteien und seine Auswirkungen auf die einzelnen Stände und Berufe.

Die Anordnung des Herzogs Friedrich Wilhelm von Sachsen-Altenburg für das Friedensfest 1650 zeigt den Landesherrn als einen Fürsten, der auf die Ausgestaltung dieses Festes als christliche Feier im Detail Einfluss nehmen möchte und dafür nicht nur das äußere Verhalten seiner Untertanen bis hin zu Kleidung und Benehmen am Festtag anordnet, sondern auch den Verlauf, die Gebete und Lesungen der Festgottesdienste genau vorgibt und damit seiner umfassenden Verantwortung für Leib- und Seelenwohlfahrt Ausdruck verleiht.

Bei der aus Anlass dieses Friedensfestes gehaltenen Predigt Wernickes tritt jedoch nicht allein Dankbarkeit und Friedensjubel zutage. Die Predigt gibt einen umfangreichen Rückblick auf Kriegsereignisse und -lasten der Stadt Ronneburg in den zurückliegenden 32 Jahren. Die Predigt wird dadurch auch zu einer Kriegschronik, die kollektives Leid in Erinnerung ruft. Dabei fließen auch politische Kritik und konfessionelle Streitbarkeit in den Text ein, die sich aber nicht gegen den eigenen Landesherrn, sondern gegen die alten konfessionellen Gegner, »Calvinisten und Papisten«, richten.

Im Liedtext von Paul Gerhardt hingegen ist das Geschehen von Kriegsende und Friedensschluss vollständig in die innerliche Sphäre verlegt; weder Obrigkeit noch Prediger sind hier erwähnt, es geht allein um die Gottesbeziehung des Einzelnen, um Sündhaftigkeit, Strafe, wahre Buße und unverdiente göttliche Gnade. Wenn Deutschland angesprochen wird, so hat dies kaum eine kollektive, jedenfalls keinerlei politische oder gar nationale Dimension.

Vergleicht man die Texte aus der Mitte des 17. Jahrhunderts mit denen nach dem Hubertusburger Frieden rund ein Jahrhundert später, so wird deutlich, wie sehr sich das Verständnis von Krieg und Frieden sowie die Aufgabenstellung des Predigers im Zeitalter der Aufklärung verschoben haben. Der Dresdener Prediger Am Ende bemüht sich nicht nur, die geistliche Bedeutung des Kriegsendes zu vermitteln, sondern er muss auch deutlich einer Kritik entgegentreten, die Unzufriedenheit mit den Umständen des Friedensschlusses formuliert. Das politische Handeln der Obrigkeit ist kritikwürdig und legitimationsbedürftig geworden und wird öffentlich diskutiert; der Frieden ist nicht mehr nur als Veränderung in der Gott-Mensch-Beziehung, sondern auch in seinen konkreten Auswirkungen zum Gegenstand theologischer Erörterung geworden.


Verbindung zu anderen Beiträgen

Die hier vorgestellten Quellen zur Vermittlung von Friedensschlüssen in der Frühen Neuzeit scheinen in einer Traditionslinie zu stehen, die sich bis zu den Kriegsreden und Agenden des Jahres 1914 ziehen lässt, die im Beitrag von Andrea Hofmann untersucht werden. Auch dort geht es darum, dem kriegerischen Geschehen, allerdings seinem Beginn und nicht seinem Ende, eine geistliche Deutung zu geben. Bei genauer Betrachtung zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede, vor allem im Hinblick auf das Spannungsfeld von Religion und Politik und die Deutung des Kriegs. Der Krieg wird in der Neuzeit nicht mehr primär als göttliche Strafe für das sündige Wesen des Menschen interpretiert, sondern in nationalen Dimensionen als vom Feind aufgezwungene Bewährungsprobe verstanden. Die deutsche Nation wird als Gottesvolk identifiziert und damit als politische Einheit mit heilsgeschichtlicher Bedeutung aufgeladen.

Weiterführende Informationen zu den Akteuren

Philipp Wernick(e) (1594–1665) Pastor und Superintendent in Ronneburg im damaligen Herzogtum Sachsen-Altenburg nahe Gera. Kurzbiogramm bei: Christian Gottlieb JÖCHER, Allgemeines Gelehrten-Lexicon ..., Leipzig: Gleditsch, 1750–1751. – Bd. 4:
http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/9087822

Friedrich Wilhelm II. von Sachsen-Altenburg, genannt Posthumus (1603–1669) war Herzog von Sachsen-Altenburg aus der ernestinischen Linie der Wettiner. Biographische Nachweise:
http://www.deutsche-biographie.de/sfz17462.html
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/102109168
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Frederick_Wilhelm_II_Saxe-Altenburg.jpg?uselang=de

Johann Joachim Gottlob Am Ende 1704–1777, Pfarrer, Superintendent in Dresden. Oberkonsistorial-Assessor, prominenter Prediger seiner Zeit, veröffentlichte zahlreiche Predigten.
http://www.deutsche-biographie.de/sfz806.html
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/entity/116297956
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Johann_Gottlob_am_Ende.jpg?uselang=de

Anmerkungen

  1. Johannes BURKHARDT, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: Zeitschrift für Historische Forschung (1997), S. 509–574.
  2. Diese Überlegungen liegen auch dem Leibniz-Wettbewerbsprojekt »›Dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen‹. Repräsentationen des Friedens im vormodernen Europa« zugrunde, das seit 2015 gemeinsam mit vier Partnerinstituten am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz verfolgt wird.
  3. Vgl. Heinz DUCHHARDT, 1648 – Das Jahr der Schlagzeilen. Europa zwischen Krise und Aufbruch, Wien 2015.
  4. Vgl. Claire GANTET, Friedensfeste aus Anlaß des Westfälischen Friedens in den süddeutschen Städten und die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg (1648-1871)], in: Klaus BUSSMANN / Heinz SCHILLING (Hg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, München 1998, S. 649–656. Online: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz.php?urlID=527&url_tabelle=tab_texte.
  5. DUCHHARDT, 1648, S. 156f.
  6. Im katholischen Bereich findet sich dagegen häufig die musikalische Ausgestaltung des Messkanons zu einer Fest- oder Jubelmesse, die aus Anlass von Friedensschlüssen wichtiger Bestandteil der Feierlichkeiten wurde.
  7. Vgl. die konzise Übersicht bei Marian FÜSSEL, Der Siebenjährige Krieg. Ein Weltkrieg im 18. Jahrhundert, München 2010.
  8. Der englische König hatte den 5. Mai 1763 zum Danktag ausgerufen. Vgl. zum Beispiel: John PARKHURST, The people's duty on the return of peace. A sermon on Psalm xlvi. 8, &c. Preached in the parish church of Epsom in Surrey, on Thursday May 5, 1763: being the day appointed by His Majesty's proclamation, for a general thanksgiving, on the conclusion of the peace. […] Published BY Request, London 1763. Digitalisat der British Library, URL: http://find.galegroup.com/ecco/infomark.do?contentSet=ECCOArticles&docType=ECCOArticles&bookId=1141800600&type=getFullCitation&tabID=T001&prodId=ECCO&docLevel=TEXT_GRAPHICS&version=1.0&source=library. Zugänglich über www.nationallizenzen.de.
  9. Gideon CASTELFRANC, A sermon, preached at the parish church of St. Andrew. On Friday the second of September, 1763, being the day appointed by His Excellency the Governor, for a general thanksgiving, on account of the peace […], Kingston, Jamaica 1763. Digitalisat der British Library, URL: http://find.galegroup.com/ecco/infomark.do?contentSet=ECCOArticles&docType=ECCOArticles&bookId=0385401800&type=getFullCitation&tabID=T001&prodId=ECCO&docLevel=TEXT_GRAPHICS&version=1.0&source=library. Zugänglich über www.nationallizenzen.de.
  10. Zum Beispiel: Freye Ode zur Bewillkommung des allgemeinen Friedens und zur Erinnerung der Nationen von Europa denen derselbe geschenkt ist an ihre Pflicht, Berlin: Haude und Spener, 1763. Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-414326.
  11. Vgl. etwa: Schrift- und Vernunftmäßige Gedanken über die Uebereinstimmung der Vorhersehung Gottes mit der Freyheit des Menschen bey Gelegenheit des den 2. Nov. 1762. zwischen Frankreich und Spanien, Engelland und Portugall geschlossenen Friedens, Frankfurt u.a. 1763. Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek, URL: http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10351324.html.
  12. Zum Beispiel: Nachricht, wie das allgemeine Dank- und Friedensfest in der Jüdischen Synagoge zu Braunschweig in des Herrn Cammeragenten Alexander Davids Behausung den 17. April 1763 gefeyert worden, Braunschweig 1763. Der Siebenjährige Krieg lieferte in mehreren europäischen Ländern den Anlass dazu, dass sich erstmals auch Juden an den öffentlich angeordneten Bettagen beteiligten, vgl. Marc SAPERSTEIN, War and Patriotism in Sermons to Central European Jews, 1756–1815, in: Year Book Leo Baeck Institute (1993), S. 3–14 mit Beispielen für London und Berlin.
  13. Vgl. Rudolf SCHLÖGL, Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 2 (2008), S. 155–224.
  14. Vgl. die Untersuchung anhand einer Vielzahl englischer Beispiele von: Arnold HUNT, The art of hearing. English preachers and their audiences 1590–1640, Cambridge 2010.
  15. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Predigt Wernickes aus dem Jahr 1650: Schon in der Predigt selbst geht er sehr ausführlich und konkret auf zurückliegende Kriegsereignisse ein, S. 4–44; der Predigt folgt dann, S. 45–84, eine umfangreiche Chronik der Ereignisse im Ort Ronneburg und in den meisnischen, also wettinischen Landen. Vgl. Christian WERNICK[E], Ronnenburgisch Lob- und Danck-Opfer […], Gera 1650. Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, URL: http://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A//digitale.bibliothek.uni-halle.de%2Foai%2F%3Fverb%3DGetRecord%26metadataPrefix%3Dmets%26identifier%3D662213;.
  16. Zum Religionskriegsbegriff vgl. die Beiträge in Franz BRENDLE / Anton SCHINDLING (Hg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 22010; Johannes BURKHARDT, War der dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg?, in: Ders., Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt am Main 2003, S. 128–154.
  17. Vgl. Matthias ASCHE / Matthias ILG (Hg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Beiträge aus dem Tübinger Sonderforschungsbereich »Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit«, Münster 22002.
  18. Vgl. Luise SCHORN-SCHÜTTE, Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-Theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit, Müchen, 2015, passim. Zum Begriff der politica christiana S. 23–30.
  19. Vgl. die Amnestie- und Oblivionsformel im Institutum Pacis Osnabrugense: »Sit utrimque perpetua oblivio et amnistia eorum, quae ab initio horum motuum quocunque loco modove ab una vel alter aparte ultro citroque hostiliter facta sunt, ita ut ne eorum nec ullius alterius rei causa vel praetextu alter alteri posthac quidquam hostilitatis aut inimicitiae, molestiae vel impedimenti quoad personas, statum, bona, vel securitatem per se vel per alios, clam aut palam, directe vel indirecte, specie iuris aut via facti, in Imperio aut uspiam extra illud […] inferat vel inferri faciat aut patiatur […], sed omnes et singulae hinc inde tam ante bellum quam in bello verbis, scriptis aut factis illatae iniuriae, violentiae, hostilitates, damna, expensae absque omni personarum rerumv respectu ita penitus abolitae sint, ut quidquid eo nomine alter adversus alterum praetendere posset, perpetua sit oblivione sepultum.« IPO, § 2, in: Max BRAUBACH u.a. (Hg.): Acta pacis Westphalicae, Bd. 3,B,1,1, Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden; 1, Urkunden, bearb. von Antje OSCHMANN, Münster, 1998, S. 5. Online: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00056735/image_151.