Rabbi Tzvi Hirsch Kaidanover: Kav Ha-Jaschar

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Die visuelle Ordnung der frühneuzeitlichen Gesellschaft: Jüdische Kleiderordnungen

Quellentext

[S. 302]

Kapitel 82: Unsere Weisen – seligen Angedenkens – haben gesagt: für vier Dinge wurden unsere Vorväter aus Ägypten erlöst. Für unsere frommen Frauen; und dafür, dass sie ihre Namen nicht änderten; und dafür, dass sie ihre Sprache nicht änderten; und dafür, dass sie fest an Gott – er sei gesegnet – glaubten.[1] Und wie es bei unserer ersten Erlösung war, so wird es auch bei unserer letzten Erlösung sein. Das heißt, die letzte Erlösung wird auch dank unserer [frommen] Frauen stattfinden. Darum müssen Frauen sittsamer sein als Männer, und sollen nicht ihrer Willkür folgen und die Moden der Unbeschnittenen[2] imitieren. Das habe ich in letzter Zeit immer häufiger gesehen, dass sich die Zahl der Aufsässigen mehrte, die den Moden der Töchter der Unbeschnittenen folgen, so dass kein Unterschied mehr zu erkennen ist zwischen einer Jüdin und einer Unbeschnittenen. [S. 303] Damit rufen sie viel Unheil in der Welt hervor: Zuerst – dass sie die Mehrheit irreführen, die ihre Augen auf sie und ihre Kleidung richtet. Denn wir sagen, es ist verboten, auch nur die farbigen Kleider einer Frau anzusehen.[3] Zweitens, dass sie Neid und Hass der Völker [d.h. der Nichtjuden] heraufbeschwören, wenn sie ein Auge auf uns werfen und sehen, dass die Töchter Israels vornehmer auftreten als die Adeligen der Völker. Und wir sind im bitteren Exil, weswegen es uns zukommt in Schwarz zu gehen und uns schwarz zu verhüllen, damit wir um die Länge des Exils trauern und um die Zerstörung des Heiligen Tempels und um unsere Brüder, die Kinder Israels, die der Not und Gefangenschaft anheimgegeben sind. Und es ist nicht nur so, dass wir nicht trauern, sondern dass wir noch Sünden zu unseren Sünden hinzufügen, wenn sie mit vorgestrecktem Hals [d.h. stolz] gehen[4] [S. 304] und nackt bis hinab zu ihren Brüsten. Wer kann die Größe ihrer Strafe vorhersagen, da sie unser Exil verlängern durch ihre vielen Sünden.

Drittens, sie fügen ihren Ehemännern Schlechtes zu. Denn wer es sich nicht leisten kann, seine Frau so einzukleiden wie ihre Freundin, dessen Frau beschwert sich und verflucht ihren Ehemann bis er gezwungen ist, sich Geld zu borgen oder sogar eine andere finanzielle Ungerechtigkeit gegenüber seinem Nächsten zu begehen. Am Ende ist er gezwungen, seine Frau mit schönen und unsittlichen Kleidern auszustatten wie die der anderen [Frau]. Und dann, wenn er keine Mittel hat dafür zu bezahlen, wird er entweder verhaftet oder er muss andere Beschimpfungen und Verachtung ertragen. Daher muss jede reine und fromme Frau Israels sich sittsam verhalten und nicht unsittlich, so dass aus ihr Propheten und Heilige hervorgehen.

Der zweite Verdienst, für den unsere Vorväter [S. 305] aus Ägypten erlöst wurden: dass sie ihre Namen nicht veränderten. Und jetzt und in dieser Generation habe ich gesehen, dass die Aufsässigen in unserem Volk, die, die sich in der Mode der Völker kleiden, auch noch weiteres Unheil verursachen, wenn sie sich den Bart abrasieren und damit fünf Verbote übertreten. Denn der Bart hat fünf Ecken, und jede Ecke davon ist eine eigene Übertretung.[5] Und darüber hinaus erkennt man manchmal nicht, dass er ein Jude ist. Und wenn man ihn fragt, was sein Name ist, nennt er einen Namen von den Namen der Nichtjuden. Und manchmal, wenn er mit irgendwelchen Adeligen unterwegs ist, die ihn nicht kennen, so versündigt er sich auch mit dem Verzehr von unreinem Fleisch und dem Trinken von verbotenem Wein, denn eine Sünde führt zur nächsten Sünde, nur eine gute Tat führt zu einer guten Tat.[6] […]

Bibliographie

Rabbi Tzvi HIRSCH KAIDANOVER, Kav HaYashar – The Just Measure, translated into English by Rabbi Avrohom DAVIS, New York 2007, Bd. 2, S. 302–305. Übersetzung von Cornelia Aust.

Anmerkungen

  1. Siehe z.B. im Babylonischen Talmud, Sotah 11b.
  2. In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen jüdischen Texten findet sich häufig die Bezeichnung Beschnittener / Beschnittene als abwertender Ausdruck für Christen.
  3. Babylonischer Talmud, Avodah Zarah 20b.
  4. Jes 3,16.
  5. Siehe Babylonischer Talmud, Makkot 20a.
  6. Siehe Pirkei Avot 4:2. Pirkei Avot ist ein Werk der jüdischen Moralliteratur aus der Zeit der Mishnah (um 200 n.Chr.).