Religion und Politik in Frankreich: Von der Französischen Revolution bis zur Dritten Republik: Unterschied zwischen den Versionen

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== Essay ==
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Als im September 1903 die Errichtung eines Denkmals für den Schriftsteller Ernest Renan auf dem Domplatz des ehemaligen Bistumssitzes Tréguier gefeiert wurde, war dies keine isolierte Aktion einiger lokalen Republikaner. Ebenso wenig ging der mithilfe eines Kalvarienbergs artikulierte katholische Protest aus dem Frühjahr 1904 auf einen als einmalig begangen wahrgenommenen Affront zurück. Vielmehr waren die im Dialog zueinander stehenden Denkmäler die Früchte einer seit der Revolution tobenden Debatte um die Rolle von Religion und religiösen Institutionen, besonders jener der Römisch-Katholischen Kirche, in der französischen Öffentlichkeit. Seinen bisherigen Höhepunkt fand dieser Streit in der Trennung von Kirche und Staat am 9. Dezember 1905.
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In diesem Essay werden das Verhältnis von Religion und Politik in Frankreich sowie die Genese der Trennung von der Französischen Revolution bis zur Dritten Republik anhand ausgewählter Quellen aus den Bereichen Recht, Wissenschaft, Theologie und Bildmedien untersucht. Es wird gezeigt, dass das Gesetz von 1905 nicht das Resultat eines linearen Säkularisierungsnarrativs war, sondern im Sinne einer konjunkturellen Bewegung von Annäherung und Distanzierung zwischen Staat und Kirche zu bewerten ist, für die die Weichen bereits zur Zeit der ersten Trennung 1795 gestellt worden waren.<ref>Pierre Cabanel, Entre Religions et Laïcité, XIXe-XXIe Siècle, Toulouse 2007.
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</ref> Zunächst werden der Begriff „Laizität“ und sein Verhältnis zum Republikanismus beleuchtet. Anschließend erfolgt eine Quellenanalyse, die einen differenzierteren Blick auf die ambivalente Beziehung von Religion und Politik in Frankreich im langen 19. Jahrhundert erlauben soll; tatsächlich war das Trennungsgesetz zu keinem Zeitpunkt die einzig logische Schlussfolgerung vorheriger Entwicklungen. Im Fazit wird die Rolle der Laizität in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Debatte hinterfragt.
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''Die ‚älteste Tochter der Kirche‘ verlässt das Haus: die Laizität in Frankreich''
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Im Französischen wird zwischen ''laïcité'' (Laizität) und ''laïcisme'' (Laizismus) unterschieden. Der erste Begriff verweist auf die institutionelle Trennung von Kirche und Staat sowie auf die Neutralität bzw. Unparteilichkeit eines Staates gegenüber den verschiedenen Religionen. Hingegen bezeichnet der zweite Begriff die Bemühung, jeglichen Einfluss von Religion – auch über die Kirche und den Klerus hinaus (cf. Antiklerikalismus) – aus der Öffentlichkeit, und somit aus der Politik, auszuklammern.<ref>Axel Frhr. von Campenhausen, Die Entstehung des französischen Models der ''laïcité'' und seine Modifikationen, in: Irene Dingel / Christiane Tietz (Hg.), Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA. Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung, Göttingen 2012, S. 65-87, 65-66; Laïcité, in: Larousse.fr. URL: [[../customXml/item1.xml|http://larousse.fr/dictionnaires/francais/la%C3%AFcit%C3%A9/45938]] (Zugriff am 18. März 2016).
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</ref> Während die Laizität eine gesetzlich-politische Realität beschreibt, verweist der Laizismus auf das ideologische Programm zur Realisierung einer solchen Trennung. Anders als die sich graduell gestaltende Säkularisierung wird ''laïcisation'' (Laizisierung) als programmatische Auseinandersetzung um die ‚soziale Rolle‘ von Religion im ‚institutionellen Bereich‘ verstanden.<ref>Die Verwendung des Begriffs ''laïcisation'' ist eher unüblich. Jean Baubérot, Laïcité 1905-2005. Entre Passion et Raison, Paris 2004, S. 53. Zum Unterschied von ‚Säkularisation‘ (die gesetzlich-politische Enteignung kirchlichen Besitzes) und ‚Säkularisierung‘ (die Verringerung des Einflusses von Kirche und Religion in der Gesellschaft) siehe Hartmut Lehmann, Säkularisierung. Der europäischen Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004, S. 36-56.
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In Frankreich ist die Auseinandersetzung um die Laizität seit jeher eng mit der Debatte um republikanische Deutungsmuster verbunden. Diese gliedern sich in zwei Großnarrative. Das erste Narrativ betont republikanische Werte wie populäre Souveränität, eine rational politische Ordnung und Gleichheit, die aus der Französischen Revolution hervorgegangen sind und als Leitfaden für staatliche Veränderungen dienen sollen. Laut des zweiten Narrativs ist die Republik eine Institution, die seit dem späten 19. Jahrhundert als ‚Verkörperung von konsensueller Stabilität‘ fungiert; der Fluchtpunkt ist hier die Dritte Republik mit ihren Symbolen.<ref>Emile Chabal, A Divided Republic: Nation, State and Citizenship in Contemporary France, Cambridge 2015, S. 10.
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</ref> Eine wichtige Rolle kommt in diesem Narrativ der Laizität zu.<ref>Claude Nicolet, L’Idée Républicaine en France (1789-1924): Essai d’Histoire Critique, Paris 1982, S. 268.
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Im politischen Diskurs wird die Laizität vor allem mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verbunden; als Beweis dienen u.a. die Jules Ferry-Gesetze (1880-82), die den kostenfreien, obligatorischen und laizistischen Grundschulunterricht einführten, zugleich gesetzlich im Einklang mit dem Konkordat waren.<ref>Dazu Mona Ozouf, L’École, l’Église et la République (1871-1914), Paris 1982 [1962].
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</ref> Im Gegensatz dazu haben Historiker mehrmals betont, dass das laizistische Prinzip seit den frühen Jahren der Revolution die französische Politik mitgestaltet hat.<ref>Claude Langlois, La Revolution Française: Un Processus de Laïcisation?, in: Hubert Bost / Jean Ansaldi (Hg.), Genèse et Enjeux de la Laïcité: Christianismes et Laïcité, Paris 1990, S. 73-87, 81-84; Georges Weill, Histoire de l’Idée Laïque en France au XIXe Siècle, Paris 2004 [1929], S. 27-30.
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</ref> Tatsächlich hätte auch das Konkordat von 1801 die Kernprinzipien der Laizität nicht aufgehoben.<ref>Jean Baubérot, Vers un Nouveau Pacte Laïque?, Paris 1990, S. 21.
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</ref> Es ging also im 19. Jahrhundert niemals um die Erfindung der Laizität, sondern um den Umgang mit dem laizistischen Prinzip – das staatliche Unparteilichkeit in Sachen Religion anstrebte – in einem Konkordatsystem, das anerkannten Religionen (frz. ''cultes reconnus'') mehr Freiheit einräumte als nicht-anerkannten.<ref>Jacqueline Lalouette, La Séparation des Églises et de l’État, Paris 2005, S. 22.
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Je weiter das 19. Jahrhundert voranschritt, desto überzeugter wurden die Republikaner, dass der Laizität nicht länger der Stellenwert eines in der Vergangenheit verwurzelten Bezugspunkts, sondern jener einer politisch-rechtlichen Ordnung in der Gegenwart zukommen sollte. Galt ihre Kritik anfangs vor allem den theologischen Argumenten der Kirche und ihrer Hegemonialposition, fand nach der Gründung der Dritten Republik, die unter Katholiken auf Ablehnung stieß, eine Politisierung statt. Dass Versuche zur Annäherung von Kirche und Staat, so wie diese z.B. von Papst Leo XIII. unternommen wurden, die Trennung von 1905 am Ende nicht aufhalten konnten, war vor allem Folge zeitgenössischer Ereignisse wie der Dreyfus-Affäre.
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Insgesamt gilt, dass das Trennungsgesetz von 1905 sich zwar auf ein intellektuelles Erbe stützte, das seine Wurzeln in der Französischen Revolution hatte, aber dennoch als ''impromptu'' Entscheidung zu bewerten ist. Wie eine Analyse der Quellen nun zeigen wird, hatte die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich im 19. Jahrhundert nicht die Form einer linearen Erfolgsgeschichte. Vielmehr war es ein Streit um Deutungsangebote, in dem Staat und Kirche um Hegemonie rangen und Phasen von Annäherung und Distanzierung zwischen beiden sich abwechselten.
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''Das Spannungsverhältnis von Kirche und Staat hinterfragt: Quellenanalyse''
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Als 1905 die Zukunft religiös-politischer Beziehungen in Frankreich debattiert wurde, verwiesen viele Zeitgenossen auf die Verfassung vom 22. August 1795 (5. Fructidor, Jahr III), welche eine erste Trennung von Staat und Kirche vorgenommen hatte. Der Historiker Alphonse Aulard (1849-1928) würdigte sie als eine Maßnahme, die das politische Klima stabilisiert hatte; politische Extremisten und religiöse Fanatiker wurden marginalisiert und das Fortbestehen des Christentums akzeptiert.<ref>Alphonse Aulard, Notes sur l‘Histoire du Concordat, in: Revue Politique et Littéraire. Revue Bleue (5. November 1904); Nigel Aston, Religion and Revolution in France 1780-1804, Washington, D.C. 2000, S. 279.
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</ref> Dabei war die wirkliche Neuerung durch das Dekret vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) vorgegeben, das die Religionsfreiheit gewährleistete und die Trennung der Kirchen und des Staates regelte.<ref>Jean Baubérot, Laicity, in: Edward Berenson / Vincent Duclert / Christophe Prochasson (Hg.), The French Republic. History, Values, Debates, Ithaca 2011, S. 127-135, 129.
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</ref> Das Dekret beendete den Antikatholizismus der Schreckensherrschaft und verbot die Religionsausübung außerhalb dafür vorgesehener Räume, bestätigte jedoch die Aufhebung der Staatskirche und schützte Gläubige vor Angriffen.
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Die Bemühung, Kirche und Staat zu versöhnen, zugleich aber den Auswüchsen katholisch-klerikaler Macht im ''Ancien Régime'' entgegenzutreten und Andersdenkende und gläubige zu schützen, ist auch der Autorenschaft des Dekrets geschuldet. Vom Nationalkonvent auf Vorschlag dreier Exekutivorgane verabschiedet, ging das Dekret vor allem auf den Juristen François-Antoine Boissy d’Anglas (1756-1826) zurück.<ref>Romuals Szramkiewicz, Boissy d’Anglas, la Constitution de l’An III et la Politique Religieuse, in: Gérard Conac (Hg.), La Constitution de l’An III: Boissy d’Anglas et la Naissance du Libéralisme Constitutionnel, Paris 1999, S. 153-165, 156-157.
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</ref> 1789 als Vertreter des Dritten Standes in die Nationalversammlung gewählt, setzte sich der gebürtige Protestant für die Religionsfreiheit ein. Nach dem Fall Robespierres war Boissy Anführer der Moderaten und Mitglied des Wohlfahrtsausschusses. Seine religiöse und politische Zugehörigkeit erklärt, warum das Dekret eine staatliche Anerkennung der pastoralen Aufgaben der Kirche vornahm, welche anti-republikanische Ressentiments entschärfen und weltanschauliche Reibungen eindämmen sollte.
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Die Artikel des Dekrets umfassen vier Themenkomplexe: das Verbot der Störung eines Religionsdienstes oder Beschimpfung einer Religionslehre (Art. 1, 10), das Untersagen von finanzieller und logistischer Unterstützung seitens des Staates (Art. 2, 3, 8, 9), die räumliche Eingrenzung religiöser Symbolik und religiösen Handelns (Art. 4, 5, 7) und die Überwachung religiöser Praktiken (Art. 6); die Artikel 11 und 12 regeln das Verhältnis zu bestehenden Gesetzen. Das Dekret entwirft eine Ordnung, welche der Kirche die größtmögliche Freiheit einräumt, solange (''quid pro quo'') sie nicht die Republik gefährdet. Es unterscheidet zwischen den pastoralen Aufgaben der Kirche – hier gilt die Religionsfreiheit – und ihrem gesellschaftspolitischen Handeln – das durch die Trennung begrenzt wird. Das Dekret enthält somit Elemente, die auf eine Annäherung, aber auch auf eine Distanzierung von Religion und Politik hindeuten.
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Trotz des Antiklerikalismus des Direktoriums machten sich Stimmen breit, zumindest den gemäßigten Klerus stärker in das öffentliche Leben einzubinden; auf lokaler Ebene war die Kirche potentiell ein wichtiger Partner des Staates, der ihre Herrschaft zudem legitimieren konnte. Das Resultat dieser strategischen Neuorientierung war das Konkordat von 1801. Es erklärte die katholische Religion zum Glauben ‚der Mehrheit der Franzosen‘, sicherte der Kirche finanzielle Unterstützung zu und erlaubte die Rückkehr des exilierten romtreuen Klerus. Der konfiszierte Kirchenbesitz hingegen wurde nicht zurückgegeben und der Staat erhielt das Recht zur Ernennung neuer Bischöfe; die nachträglich hinzugefügten Organischen Artikel stärkten die Position religiöser Minderheiten. Das Konkordat, das die Trennung von 1795 aufhob, regelte die religiös-politischen Verhältnisse in Frankreich für die Dauer des 19. Jahrhunderts.
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Das Konkordat hatte der Kirche eine sichere Gesetzesgrundlage geschaffen, auf deren Basis sich eine katholische Wiederbelebung aufbauen konnte. Ausdruck fand diese Bewegung in der Kreierung von Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie in der Formierung des politischen Katholizismus. Dies ging mit einer inhaltlichen Verschiebung einher, die u.a. in der Popularität von Marienanbetungen und Wundern Ausdruck fand. Doch Ereignisse wie jene in Lourdes, wo die Jungfrau Maria 1858 Bernadette Soubirous erschienen sein soll, wirkten sich nicht nur positiv auf die Kirche aus. Kritiker betonten den Mangel an empirischen Beweisen für die Existenz solcher Marienerscheinungen, die sie als Beleg für die Antimodernität der Kirche bewerteten.
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Ernest Renan (1823-92), der mit dem 1863 veröffentlichten Buch ''Das Leben Jesu'' (frz. ''Vie de Jésus'') einen wichtigen Beitrag zur historischen Jesusforschung lieferte, gehörte zu den prominentesten Vertretern einer solchen positivistischen Kirchenkritik.<ref>Für einen Überblick über die Anfangsphasen der historischen Jesusforschung siehe Albert Schweitzer, ''Von Reimarus zu Wrede: Eine Geschichte der Leben Jesu-Forschung'', Tübingen 1906.
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</ref> Renan war ein besonders polyvalenter Denker; seine Interessen umfassten die Geschichte des Christentums, der semitischen Sprachen und der antiken Welt, aber auch die Evolutionsbiologie und politische Theorien.<ref>Zuletzt Jean Balcou, Ernest Renan. Une Biographie, Paris 2015.
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</ref> Diese Vielfalt ist teilweise der Biographie Renans geschuldet. Als Kind eines bretonischen Republikaners und einer aus der Gascogne stammenden Royalistin durchlief er in Tréguier ein Kleinseminar und anschließend ein Pariser Priesterseminar, wo er sich der katholischen Scholastik widmete. Nach dem Studium der Philosophie und Philologie trennte er sich vom angestrebten Priesterleben und wurde später einer der führenden republikanischen Denker. ''Das Leben Jesu'' bezeugt insofern Renans Lebenslauf, als es von großer Vertrautheit mit der Bibel und Sympathie mit der Figur Jesu bezeugt, aber dennoch nach den Kriterien des Positivismus entworfen ist.<ref>Das Buch hat Renan seiner Schwester Henriette gewidmet. Die gebildete Lehrerin ruhte seit 1861 in ‚Gottes Schoß‘ (frz. ''sein de Dieu''). Durch diese Formulierung bekannte sich Renan zum christlichen Glauben. Dazu das französische Original: Ernest Renan, Vie de Jésus, 9. Ausgabe, Paris 1863, S. I.
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''Das Leben Jesu'' besteht aus einer Einleitung und 28 Kapiteln, die, neben einer Einordnung Jesu in die Weltgeschichte (Kap. 1) und einer Charakterisierung seines Wirkens (Kap. 28), sein Leben chronologisch behandeln. In der Einleitung (nur im französischen Original aufgenommen) stellt Renan neben seinem Projekt zur Verfassung einer siebenbändigen Geschichte der ‚Ursprünge des Christentums‘, von der ''Das Leben Jesu'' der erste Band sei, sein Quellenmaterial vor, bewertet dessen historische Zuverlässigkeit und weist auf die divergierenden Berichte über Jesus hin.<ref>Renan verwendet (i) die Evangelien und die Schriften des Neuen Testaments, (ii) die Apokryphen des Alten Testaments, (iii) die Werke von Philo, (iv) jene von Josephus und (v) den Talmud. Renan, Vie de Jésus, S. IX.
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</ref> Besonders ausführlich problematisiert Renan die ‚historische Authentizität‘ der Evangelien; zwar sind sie nicht von den Evangelisten selbst geschrieben, doch ihre Entstehung im 1. Jahrhundert gibt ihnen ‚historischen Wert‘.<ref>Ebd., S. XXXVII.
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</ref> Im zweiten Teil der Einleitung übt Renan eine positivistische Kritik am Mirakelglauben: ‚Wir sagen nicht: „Der Mirakel ist unmöglich“; wir sagen: „Es gibt bisher noch kein belegtes Mirakel“‘.<ref>Ebd., S. LI.
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</ref> Damit steht Renans Programm für ''Das Leben Jesu'' fest; es gilt auf Basis einer kritischen Analyse historisch überlieferter Textquellen das Leben Jesu, besonders aber den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung des menschlichen Jesus in den göttlichen Jesus zu rekonstruieren.
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Tatsächlich wird Jesus Menschsein ein zentraler Platz im Buch eingeräumt. Bereits im ersten Absatz wird er als ‚ausgezeichnete Persönlichkeit‘ beschrieben, die ‚den Inhalt des künftigen Glaubens der Menschheit schuf‘.<ref>Ernest Renan, Das Leben Jesu, übersetzt von W. Kalt, Halle/Saale 1913, S. 1.
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</ref> Renan leitet das Christentum von einer menschlichen Initiative her und interpretiert das Göttliche, statt als etwas Transzendentes, als etwas Geistliches, das zudem unvollkommen (weil menschlich) ist.<ref>Ebd., S. 57.
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</ref> Weitere Aspekte, die hervorgehoben werden können, sind Jesu unkonventionelles und agitatorisches Handeln, seine Aufrichtigkeit und Leidenschaft, seine Geschicktheit in zwischenmenschlichen Beziehungen und seine Überzeugung von der eigenen Rolle in der Weltgeschichte.<ref>Der ultimative Beweis für den menschlichen Jesus findet Renan in dessen Tod, der er nicht auf eine göttliche Intervention, sondern auf Jesu ‚Kühnheit‘ zurückführt. Ebd., S. 131.
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</ref> Ob nun Renans Bewertung, dass die ‚Jesuslegende‘ die Erfindung einer Menschenmasse statt eine göttliche Offenbarung sei, seine Verwendung von Semantiken aus der Revolutionszeit oder die Zuschreibung eines Gewaltpotenzials am jüdisch-christlichen Monotheismus; die Sprengkraft von ''Das Leben Jesu'' ist offensichtlich. Damit wird auch die Entscheidung zu Renans Exkommunikation durch Papst Pius IX. (reg. 1846-78) verständlich.<ref>Ebd., S. 134 + 209.
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</ref> Zudem belegt das Buch die damals propagierte Idee der Existenz ‚zwei[er] Frankreichs‘.<ref>Zum ‘Krieg der zwei Frankreichs’ und dem begrenzten heuristischen Wert des Konzepts, siehe zusammenfassend James McMillan, ‚Priest Hits Girl‘: On the Front Line in the ‚War of the Two Frances‘, in: Christopher Clark / Wolfram Kaiser (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2009 [2003], S. 77-101; Theodor Zeldin, Were there Two Frances?, in: Conflicts in French Society: Anticlericalism, Education and Morals in the 19<sup>th</sup> Century, London 1970, S. 9-11.
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Pius‘ Nachfolger war der gemäßigtere Leo XIII. (reg. 1878-1903). Er war weder zu theologischen Reformen bereit noch gab er den Traum von der Restauration der verlorenen Kirchenstaaten jemals auf. Insgesamt war er aber bestrebt, die Kirche mit den politischen und sozialen Entwicklungen der Zeit in Einklang zu bringen. Die Verurteilung der elenden Lebensbedingungen und der Ausbeutung der Arbeiterklasse in der Enzyklika ''Rerum Novarum'' (1891) war ein erstes Indiz dieser Bemühung, Kirchenlehre und gesellschaftliche Realität zu harmonisieren. Einen weiteren Beleg liefert die Enzyklika ''Inmitten der Besorgnisse'' (frz. ''Au Milieu des Sollicitudes''), die am 16. Februar 1892 an den Klerus und die Katholiken Frankreichs gerichtet wurde. Die ausnahmsweise nicht auf Lateinisch verfasste Enzyklika fängt mit einer Lamentation über gegenwärtige Versuche zur ‚Vernichtung‘ des Christentums an, lobt aber ‚Liebe und Eifer‘ der Gläubigen für ihre Kirche.
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Im Hauptteil ermahnt Leo XIII. alle ‚rechtlich und vernünftig denkenden Franzosen‘, die politische Spaltung zu beenden. Dazu betont er zum einen die Bedeutung von Religion für den sozialen Zusammenhalt und den gesellschaftlichen Frieden, hinterfragt zum anderen das Verhältnis von Staat, Politik und Kirche. Laut dem Papst sollte zwischen ‚etablierter Gewalt‘, d.h. einer Regierungsform, und der Gesetzgebung unterschieden werden. Folglich sollen Katholiken ihre anti-republikanischen Polemiken einstellen – was implizit auf eine Akzeptanz der Republik hinausläuft – und ihre Angriffe auf Gesetze anti-religiöser Natur richten. Zur Fundierung seines Arguments zitiert Leo XIII. die Geschichte vom abtrünnigen Kaiser Julian, dessen christliche Soldaten den kaiserlichen Befehl zur Anbetung von Götzenbildern verweigerten, dem Befehl zur Bekämpfung eines irdischen Feindes aber trotzdem folgten.<ref>Zitiert in der Enzyklika als ‚Enarrat, in Psalm. CXXIV, n. 7, fin‘. Jemand?
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</ref> Folgt man Leo XIII., soll die Gewalt eines Herrschers akzeptiert werden, es sei denn sie verstößt gegen die göttlichen Gesetze; einen solchen Verstoß stellen antiklerikale Gesetze dar, nicht aber die republikanische Staatsform.
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''Inmitten der Besorgnisse'' gilt als Aufruf an die Katholiken zum ‚Anschluss‘ (frz. ''ralliement'') an die Republik. Die Enzyklika versucht Kirche und Staat zu versöhnen, auch in der Hoffnung, so den Antiklerikalismus zu dämpfen. Dementsprechend nimmt Leo XIII. im Fazit Bezug auf das Konkordat – um dessen Abschaffung die ‚Gegner der Religion‘ ringen – und auf das laizistische Prinzip, das er nicht nur als Verstoß gegen die göttlichen Gesetze, sondern auch gegen die Menschenrechte bewertet. Der Papst bediente sich also Argumentationsmustern, die aus der Revolutionszeit stammten und prägend für den Republikanismus waren.
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Dass die päpstliche Aufforderung zur Akzeptanz der Republik keineswegs alle Katholiken überzeugte, überrascht kaum. Grund dafür war nicht zuletzt das Verhalten der radikalen Republikaner, welche sich durch die Neueröffnung des Prozesses gegen Dreyfus und ihren Wahlsieg von 1902 in ihren Vorurteilen gegenüber der Kirche bestätigt fühlten. Dass sich die angestrebte Annäherung von Kirche und Staat zerschlug und sich Gefühle von ideologischer Distanzierung in solche von Anfeindung umwandelten, zeigen die Feierlichkeiten zur Enthüllung des Denkmals für Ernest Renan (1903) und zur Einweihung des Calvaire de Protestation (1904) in Tréguier.<ref>Eveline G. Bouwers, “Catholic and Breton Forever”: Violence and the Visual in Early-Twentieth Century France, in: Ingrid Gilcher-Holtey / Heinz-Gerhard Haupt / Willibald Steinmetz (Hg.), Writing Political History Today, Frankfurt am Main 2013, S. 259-290, 277-281.
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Die Denkmalinitiative für Renan entstammte dem republikanischen Club ‚Die Bretonen von Paris‘, dessen antiklerikale Sichtweise sich in der Ikonographie des Denkmals widerspiegelt; hinter der wenig schmeichelhaft abgebildeten Sitzfigur Renans steht Athena (Göttin der Weisheit und Symbol der Freidenker), einen Olivenkranz haltend. Zur Enthüllung waren neben bretonischen Republikanern auch Präsident Émile Combes, der Denker Anatole France und der Chemiker Marcellin Berthelot angereist. Sie alle sind auf dem Titelumschlag des ''Petit Journal'' abgebildet.
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Die Bildquelle zeigt den Moment, in dem die Gendarmen einige Protestierende in Richtung Rathaus zurückdrängen, während jauchzende Republikaner vor dem Dom stehen. Das Bild stimmt nicht ganz mit anderen Quellen überein; so hatten sich etwa 1.500 Katholiken im Dom versteckt, die am Ende der Feier aus der Kirche strömten, dort Republikaner attackierten und von Republikanern attackiert wurden.<ref>Ebd.
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</ref> Bemerkenswerter ist jedoch, dass die Bildquelle nicht den Triumph des kritischen Denkens und den Republikanismus mittels des Gedenkens an Renan feiert, sondern die Anfeindung zwischen Befürwortern und Gegnern staatlichen Antiklerikalismus beleuchtet. Rühmte sich ''Le Petit Journal'' seiner politischen Neutralität, greift die Zeitung hier das republikanische Narrativ eines unversöhnlichen und gesetzwidrigen Katholizismus auf und vermittelt dem Rest Frankreichs die Idee einer subversiven und anti-modernen Bretagne.<ref>Caroline Ford, Creating the Nation in Provincial France. Religion and Political Identity in Brittany, Princeton: 1993, S. 135-169.
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</ref> Dass es sich dabei um eine kulturelle Konstruktion – einen Pariser ‚Bretonismus‘ – handelt, zeigt auch die Darstellung der weiblichen Protestierenden; ihre ''coiffes'' (Kopfbedeckungen) gehören weder zum Tréguierer noch zu einem anderen bretonischen Kostüm.
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Das Bild der Bretagne als partikularistische Region findet auch Ausdruck in der Ansichtskarte, die eine vor dem Calvaire de Protestation am Vorabend seiner Einweihung (19. Mai 1904) versammelte Menschengruppe zeigt. Im Zentrum steht eine Kreuzigungsgruppe im bretonischen Stil; am Fuß sind der hl. Longinus, die Madonna, die hll. Johannes und Maria Magdalena sowie Maria Salome abgebildet. Die Gruppe steht am Eingang eines umzäunten Parks. Auf den Säulen des Zauns sind Skulpturen der Heiligen Georg und Mauritius aufgestellt (die Bildnisse der Heiligen Andreas, Brieuc, Tugdual und Petrus waren zum Zeitpunkt der Einweihung noch nicht fertiggestellt). Im Gegensatz zum Bild im ''Petit Journal'' strahlt die Ansichtskarte Harmonie aus. Die einzige Dissonanz findet sich auf der linken Säule, auf die Republikaner die Worte ‚Nieder mit der Kirche‘ (frz. ''À bas la Église'') geschmiert hatten. (Ansichtskarten vom Tag der Einweihung zeigen die Säule frisch gestrichen.)
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Die Feierlichkeiten in Tréguier bezeugten eine Verschärfung der Debatte um die Rolle von Religion im öffentlichen Leben, die sich ab 1901/02 bemerkbar machte. Vertieft wurde die Krise durch die Einberufung zweier pro-republikanischer, aber umstrittener Bischöfe durch den konservativen Papst Pius X. (reg. 1903-13) und die Aufkündigung diplomatischer Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl, beide im Sommer 1904. Dies setzte eine Folge von Ereignissen in Bewegung, deren unverhofften Ausgang das Gesetz zur Trennung der Kirchen und des Staates vom 9. Dezember 1905 darstellt. Wie im Jahre 1795, waren auch dieses Mal mehrere Protestanten an der Gesetzeskonzeption beteiligt; der ehemalige Pfarrer Ferdinand Buisson übernahm sogar den Vorsitz des Komitees zur Bearbeitung eines Gesetzesentwurfs.<ref>Dazu auch Mireille Gueissaz, Protestants et laïques d’origine protestante dans la loi de 1905, in: Matériaux pour l’Histoire de Notre Temps 78:1 (2005) S. 16-26.
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Das Gesetz von 1905 enthält 44 Artikel und ist in sechs Titel (frz. ''titres'') gegliedert, die neben allgemeinen Prinzipien vor allem die Regelungen für den Kirchenbesitz, die Renten von Religionsdienern, Kirchengebäude, religiöse Vereine und die polizeiliche Aufsicht festsetzen. Artikel 1 fungiert als eine Art Präambel. Er garantiert einerseits die ‚Gewissensfreiheit‘ und ‚freie Religionsausübung‘ und stellt anderseits Maßnahmen auf, die religiöse und kirchliche Praktiken einschränken und ihrer unkontrollierten Ausübung im ‚Interesse der öffentlichen Ordnung‘ vorbeugen. Die Länge und Präzision des Gesetzes im Vergleich zum Dekret von 1795 spiegelt die Reife des bürokratischen Staates wider.
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Das Trennungsgesetz regelt die Beziehung zwischen der Republik und der Nation in Bezug auf die Rolle von Religion im öffentlichen Leben. Dabei ergreift die Laizität die Kirchen (im Plural<ref>Im französischen wird den Begriff ''églises'' verwendet. Zwar ist der Begriff ‚Kirche‘ eigentlich christlich konnotiert, wird sie in diesem Kontext für alle Glaubensgemeinschaften verwendet.
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</ref>); so ist in Artikel 12 die Rede von Kathedralen und Kapellen, aber auch von Tempeln und Synagogen.<ref>Im Folgenden werden vor allem diejenigen Artikel angesprochen, die für das Thema Religion und Politik relevant sind.
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</ref> Das Gesetz greift teilweise auf das Dekret von 1795 und auf das Konkordat von 1801 zurück; es bestätigt die polizeiliche Überwachung von Gottesdiensten und schützt die Gefühle sowohl von Gläubigen als auch von Religionsgegnern. Insgesamt ist das Trennungsgesetz aber milder als das revolutionäre Dekret. So können die Gehälter mancher Religionsdiener weiterhin vom Staat bezahlt werden (Art. 2), ist die Religionsausübung im Freien (cf. Prozessionen) prinzipiell erlaubt (Art. 27) und dürfen an ausgewählten Orten religiöse Symbole angebracht werden (Art. 28). Neu ist das explizite Verbot jeglicher Vermischung von Religion und Politik: weder das Abhalten von politischen Versammlungen in für die Religionsausübung bestimmten Räumen (Art. 26) noch die Beleidigung von Staatsbeamten durch Religionsdiener (Art. 34) ist gestattet. Schließlich bezeugt das Dekret die Bedeutung, welche der Gewissensfreiheit damals zugesprochen wurde: die Gefühle jeder Person, gläubig oder nicht, sollten geschützt werden (z.B. Art. 31-35).
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Die Laizität war niemals der einzig mögliche Ausgang der Debatte um die Rolle von Religion im öffentlichen Leben der Dritten Republik gewesen; tatsächlich hatte kein Premierminister dieser Zeit sie entweder beabsichtigt oder gewollt.<ref>Maurice Larkin, Church and State after the Dreyfus Affair: The Separation Issue in France, London 1974, S. 2.
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</ref> Dementsprechend scharf war die Kritik aus dem Vatikan. Anfang Februar 1906 verurteilte Pius X. das laizistische Prinzip; im August folgte darauf ein Verbot zur Gründung ‚religiöser Vereine‘ (frz. ''associations cultuelles'') gefolgt, die zur Verwaltung des Kirchenbesitzes im Gesetz vorgesehen worden waren.<ref>Es handelt sich um die Enzykliken ''Vehementer Nos'' und ''Gravissimo Officii Munere'' (letztere wurde nur an die Erzbischöfe und Bischöfe gerichtet).
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</ref> Die Kritik des Heiligen Stuhls befeuerte und legitimierte den lokalen Widerstand gegen die Inventarisation des Kirchenbesitzes, die ab Anfang 1906 durchgeführt wurde und vielerorts gewalttätige Zwischenfälle auslöste.<ref>Siehe u.a. Bouwers, “Catholic and Breton Forever”, S. 282-286; Patrick Cabanel, La Révolte des Inventaires, in: Jean-Pierre Chantin / Daniel Moulinet (Hg.), La Séparation: les Hommes et les Lieux, Paris 2005, S. 91-108; Jean-Marie Mayeur, Religion et Politique: Géographie de la Résistance aux Inventaires (février-mars 1906), in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 21:6 (1966) S. 1259-1272.
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</ref> Bemüht, die Animosität der Katholiken gegenüber der ''république laïque'' zu reduzieren, wurden 1907-08 einige Änderungen im Gesetz vorgenommen. Zu einer Restauration der diplomatischen Beziehungen zwischen der Französischen Republik und dem Heiligen Stuhl kam es jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg. Bis heute gilt die Laizität weder in Elsass-Lothringen, das zu dieser Zeit zum Deutschen Kaiserreich gehörte, noch in den Überseegebieten Guyana und Mayotte.
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''Laizität heutzutage''
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Das Trennungsgesetz von 1905 hat das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich zwar geregelt, doch die Debatte um die Laizität keineswegs beendet. Zum einen sind Definition und Interpretation der Laizität immer wieder Diskussionsthema gewesen; zum anderen wurde die politische Umsetzung und gesetzliche Durchsetzung des laizistischen Prinzips oft hinterfragt, auch im Hinblick auf eine vermeintliche Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit.<ref>Jean Baubérot, Les 7 Laïcités Françaises, Paris 2015; Henri Peña-Ruiz, Qu’est-ce que la laïcité?, Paris 2003.
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</ref> Dass die Laizität vor allem als ''work-in-progress'' zu verstehen ist, belegt auch der staatliche Umgang mit dem Trennungsprinzip seit 1905.
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Erstens wurden mehrmals kleinere Änderungen im Gesetz vorgenommen, die auf eine Schwächung des Widerstandes (z.B. die obenzitierten Anpassungen von 1907-08), eine Vorbeugung möglichem Missbrauchs oder eine Angleichung an die politischen Umstände abzielten. Zudem wurde die Laizität mit der Gründung der Vierten Republik 1946 explizit zum Grundprinzip der Französischen Republik ernannt; im ersten Artikel der Verfassung heißt es: ‚Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik‘.<ref>Auf Französisch: ‚La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale‘. Die Verfassung der Fünften Republik (1958) enthält den gleichen Satz.
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</ref> Seitdem ist die Laizität nicht länger ‚nur‘ ein Gesetz, sondern Grundgerüst der Französischen Republik. Schließlich haben staatliche Akteure gerade in letzter Zeit immer wieder versucht das Bekenntnis der Republik zur Laizität aufrechtzuerhalten.
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So gründete Präsident Jacques Chirac (reg. 1995-2007) im Jahr 2003 eine Kommission zur Reflexion über die Anwendung des Prinzips der Laizität in der Republik. Diese Entscheidung war eine Reaktion auf die Herausforderungen, die von der Wiederkehr der Religion im Zuge des Multikulturalismus an eine säkular geglaubte Gesellschaft gestellt werden. Die Kommission unter Führung von Bernhard Stasi sah die Laizität auf mehreren Ebenen gefährdet, z.B. durch das Tragen von religiöser Kleidung in Staatsschulen.<ref>Commission de Reflexion sur l’Application du Principe de Laïcité dans la République, Rapport au Président de la République (11. Dezember 2003).
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</ref> Eine erste Reaktion darauf war das Gesetz über die religiösen Symbole in Staatsschulen vom 15. März 2004, das Schülern verbot, ‚eine religiöse Zugehörigkeit ostentativ zu manifestieren‘ – z.B. durch das Tragen eines Kopftuches, einer Kippa, eines Turbans oder eines großen Kruzifixes.<ref>Code de l’Éducation – Article L141-5-1 (Gesetz N° 2004-228 vom 15. März 2004).
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</ref> Außerdem wurde 2010 die Gesichtsverschleierung in öffentlichen Räumen verboten.<ref>Das Gesetz zur Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum trat am 11. Oktober 2010 in Kraft. Am 1. Juli 2014 hat der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass das Gesetz zwar einzelne muslimische Frauen – wie jene Frau, die in Straßburg geklagt hatte – benachteiligt, dass es aber nicht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht.
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Die Auseinandersetzungen mit der Laizität während des vergangenen Jahrhunderts zeigen, dass die aktuelle Konstellation von Religion, Politik und Gesellschaft in Frankreich nicht in Stein gemeißelt ist. Von den Vätern der Trennungsgesetze von 1795 und 1905 noch als endgültige Aufhebung religiös-politischer Konflikte gedacht, wird die heutige Laizität immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Neben sich verschiebenden Normensystemen, die sich infolge gesellschaftlicher Transformationen manifestieren, gehört zu diesen Herausforderungen die Konfrontation mit einem europäischen ‚Anderen‘; diese Gegenüberstellung präsentiert die Laizität als eine Option innerhalb eines Spektrums an Staat-Kirche-Regelungen. Insofern ist die heutige Laizität in Frankreich weder ein einheitliches noch ein vollendetes Prinzip, sondern als Momentaufnahme einer Bewegung von Annäherung und Distanzierung zwischen Staat und Kirche in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft zu bewerten.<ref>Jean Baubérot, Les 7 Laïcités Françaises, Paris 2015, S. 21.
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Version vom 2. Mai 2016, 14:25 Uhr

Eveline G. Bouwers

Einleitung

In Frankreich sind politische und religiöse Streitigkeiten seit Jahrhunderten eng miteinander verflochten. Bereits in der Frühen Neuzeit kam es aufgrund dessen im Land des ‚allerchristlichsten Königs‘ vielfach zu Konflikten, Gewalt und Krieg. Während der Hugenottenkriege (1562-98) kämpften die katholischen Adligen gegen die Zentralisierungsbestrebungen der Könige, die von den etwa 10 Prozent französischen Protestanten unterstützt wurden. Beendet wurde dieser Streit durch das Edikt von Nantes (1598), das den Hugenotten zwar Gewissensfreiheit, freie Religionsausübung und Bürgerrechte zusicherte, doch durch die Erhebung des Katholizismus zur Staatsreligion die Position religiöser Minderheiten langfristig schwächte. Tatsächlich wurde die Sonderstellung der Hugenotten zunehmend als Widerspruch zum absolutistischen Staatsideal empfunden. 1685 wiederrief Ludwig XIV. (reg. 1643-1715) dann das Nanter Edikt.

Seit dem 14. Jahrhundert hatten die Könige eine gewisse Autonomie der französischen Kirche vom Heiligen Stuhl angestrebt. Der Versuch die weltliche Macht der nationalen Bischöfe gegenüber jener des Papstes zu stärken wurde später als Gallikanismus (von Gallia, d.h. Frankreich) bezeichnet und von Ludwig XIV. zur Staatsraison erhoben. Wie auch der Absolutismus, geriet der Gallikanismus während der Aufklärung in die Kritik. Statt nach Tradition strebten die philosophes[1] nach Fortschritt und nach einer an der Vernunft orientierte Gesellschaftsgestaltung; die Hegemonie des Souveräns und der herrschenden Stände sollte durch das Gemeinwohl und die Einführung von Bürgerrechten ersetzt werden. An die Stelle des Aberglaubens traten Vernunft, Wissenschaft und Toleranz. Leitspruch der kirchenkritischen Ansichten der Philosophen wurde das Diktum Voltaires: ‚Rottet den niederträchtigen [Aberglauben] aus!‘ (Écrasez l’infâme!).

Das frühneuzeitliche Bündnis von Thron und Altar gab der Kirche zwar Macht, doch gefährdete es zugleich ihre Position. Als Teil des monarchischen Machtgefüges strahlten die verlorenen Kriege, den drohenden Staatsbankrott und der soziale Unmut des 18. Jahrhunderts auf sie aus. Dass neben dem Adel auch der höhere Klerus den Verzicht auf Privilegien verweigerte, sorgte für Unzufriedenheit. Dennoch richteten sich die Proteste vom Sommer 1789 keineswegs gegen all das, was kirchlich und religiös war; vielmehr schloss der niedrige Klerus sich teilweise dem Dritten Stand (d.h. allen, die weder zum Adel noch zum Klerus gehörten) an. Dennoch geriet die andauernde kirchliche Unterstützung für die Monarchie ins Visier der Revolutionäre. Nachdem der Besitz der Kirche im November konfisziert und die Klosterorden im Februar 1790 aufgehoben worden waren, verabschiedete die Verfassungsgebende Nationalversammlung im Juli des gleichen Jahres die Zivilkonstitution des Klerus, welche die Kirche unter staatliche Aufsicht stellte. Von den Priestern, nun Beamten, wurde ein Eidesschwur auf die Verfassung verlangt, den ihnen Papst Pius VI. (reg. 1775-99) aber untersagte. So entstanden ein verfassungstreuer und ein romtreuer Klerus, der gefangengenommen wurde oder emigrierte.

Je antiklerikaler sich die am 21. September 1792 gegründete Republik[2] entwickelte, desto größer wurde der Widerstand unter den Gläubigen. Nach der Ankündigung einer militärischen levée en masse[3] kam es im Westen Frankreichs zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen der Republik einerseits – die zwar einen Bedarf an Religiosität erkannte, doch diesen u.a. durch den von Robespierre geförderten Kult des Höchsten Wesens zu befriedigen versuchte – und den Royalisten sowie praktizierenden Katholiken anderseits. Nach dem Fall Robespierres versuchte das politisch deutlich gemäßigtere Direktorium die antirepublikanische Gesinnung der Gläubigen zu überwinden, indem es am 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) das Dekret zur ‚Freiheit der Religion und Trennung der Kirchen und des Staates verabschiedete (Quelle 1). Das Dekret regelte neben der religiösen Toleranz vor allem die staatliche Überwachung kirchlicher Organisationen und Akteure. Ihm war jedoch kein langes Leben beschert; bereits am 16. Juli 1801 (26. Messidor, Jahr IX) wurde es von einem Konkordat ersetzt, das den Katholizismus zur „Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“ machte und die staatliche Benennung und Besoldung des Klerus festsetzte.

Nach dem Fall Napoleons wurde am Wiener Kongress (1815) zwar die Restauration der Bourbonenmonarchie in Frankreich beschlossen, doch am Verhältnis von Kirche und Staat änderte sich zunächst wenig. Die Chartas[4] von Ludwig XVIII. (reg. 1814-24) und Louis-Philippe (reg. 1830-48) erklärten den Katholizismus weiterhin zur Mehrheits- statt zur Staatsreligion. Wenn auch das Konkordat trotz der vielen politischen Umwälzungen beibehalten wurde, zeichnete sich auf gesellschaftlicher Ebene zunehmend eine Spaltung zwischen den ‚zwei Frankreichs‘ (frz. deux Frances) ab, d.h. zwischen einem überwiegend progressiv-republikanischen und städtischen Frankreich einerseits und einem konservativ-katholischen und ländlichen Frankreich anderseits.

Die sakralen Verweise der restaurierten Monarchie und die Wiederherstellung kirchlichen Besitzes gingen mit einer katholischen Wiederbelebung einher, welche unter anderem eine wachsende Zahl von Klosterorden, die Entstehung einer katholischen Öffentlichkeit und den Ausbau eines kirchlichen Netzwerks von Sozialeinrichtungen zur Folge hatte. Diese ‚Verkirchlichung‘ des öffentlichen Lebens stieß unter Freidenkern, Andersgläubigen und Liberalen auf Widerstand. Immer häufiger stand die Macht der Kirche zur Debatte und griffen Intellektuelle die Lehrmeinungen Roms, die sie als vormodern und abergläubisch betrachteten, an. 1863 veröffentlichte der bretonische Schriftsteller und ehemalige Seminarist Ernest Renan (1823-1892) eine historische Biographie über Jesus, genannt Vie de Jésus (Quelle 2). Sein Versuch das Leben Jesu gemäß den Prinzipien der modernen Wissenschaft zu rekonstruieren, traf die Römisch-Katholische Kirche wie ein Blitz aus heiterem Himmel; Renan wurde daraufhin exkommuniziert.

Nach 1848 manifestierte sich in weiten Teilen Europas eine Spaltung zwischen ‚Liberalen‘, welche den Einfluss der Kirche im politischen Raum verringern wollten, und Ultramontanen, die eine Stärkung des Papsttums und der Bischöfe anstrebten. In Frankreich politisierten und polarisierten sich die weltanschaulichen und religiösen Gegensätze jedoch besonders stark. Nach der Gründung der Dritten Republik[5] (1870) bekannten sich die Katholiken – womit vor allem die aktiv praktizierenden Gläubigen gemeint sind – mehrheitlich zum politischen Konservatismus.[6] Während die republikanische Macht sich festigte, führte die katholische Unterstützung für nicht-demokratische Herrschaftsformen (egal ob Royalismus oder Imperialismus) zu ihrer politischen Isolierung. Außerdem bestärkte sie den Antiklerikalismus der Republikaner, der zunehmend eine laizistische Orientierung bekam.

Papst Leo XIII. (reg. 1878-1903), der als moderat und sozial galt, beobachtete die politische Marginalisierung der Katholiken mit Sorge. Nach dem Scheitern des konservativ-nationalistischen Blocks um General Boulanger in den Parlamentswahlen von 1889 rief er schließlich 1892 in der Enzyklika Au Milieu des Sollicitudes (‚Inmitten der Besorgnisse‘) zur Akzeptanz der Republik auf (Quelle 3). Dieser ‚Anschluss‘ (frz. ralliement) an die Republik wurde jedoch keineswegs von allen Mitgliedern des Klerus mitgetragen, wie die antirepublikanische Haltung vieler Ordensgemeinschaften und Katholiken zur Zeit der Dreyfus-Affäre zeigt. Diese Bestrebungen veranlassten die Regierung zu einer strengeren Überwachung und partiellen Aufhebung der Klosterorden, was mit dem Vereinsgesetz von 1901 umgesetzt wurde.

In einem Konflikt mit einem derartigen Emotionalisierungspotenzial wie jener um die politische und gesellschaftliche Rolle der Kirche, kam es nun gelegentlich sogar zu physischen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Republikanern. Vor dem Hintergrund des Verbots der Anwendung regionaler Sprachen für den Religionsunterricht griffen einzelne Katholiken im September 1903 die für die Enthüllung eines Denkmals für Ernest Renan auf dem Domplatz von Tréguier (im Norden der Bretagne) versammelten Republikaner an. Der Vorfall erregte großes Aufsehen in den Medien, wie das Bild aus Le Petit Journal zeigt (Quelle 4). In Reaktion auf das Renan-Denkmal beschlossen Katholiken die Errichtung eines Gegendenkmals in Form eines Kalvarienbergs (frz. calvaire), das am 19. Mai 1904 eingeweiht wurde und neben einer Kreuzigungsgruppe mehrere Statuen französischer und bretonischer Heiliger enthält. Zur Erinnerung wurden mehrere Ansichtskarten gedruckt (Quelle 5).

Hatten die Enthüllung des Renan-Denkmals und die Einweihung des Kalvarienbergs die innere Spaltung Frankreichs bereits offenbart, kam es im Sommer 1904 zu einem Eklat, als Papst Pius X. (reg. 1903-13) zwei pro-republikanische Bischöfe ohne Absprache mit dem französischen Kultusminister nach Rom einberief. Daraufhin brach die Abgeordnetenkammer die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl ab. Stimmen für die Trennung von Kirche und Staat wurde immer lauter, bis am 9. Dezember 1905 die séparation gesetzlich durchgeführt wurde (Quelle 6). Damit ging das Prinzip einer staatlich geförderten Kirche[7], das seine Wurzeln im Gallikanismus des Ancien Régime hatte und durch das Konkordat Napoleons in geänderter Form fortgeführt worden war, zu Ende.

Weiterführende Literatur

  • Nigel Aston, Religion and Revolution in France, 1780-1804, Washington D.C. 2000.
  • Campenhausen, Axel Freiherr von, Die Entstehung des französischen Models der Laïcité und seine Modifikationen, in: Irene Dingel u. Christiane Tietz, Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA. Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung, Göttingen 2012, S. 65-87.
  • Lisa Dittrich, Antiklerikalismus in Europa. Öffentlichkeit und Säkularisierung in Frankreich, Spanien und Deutschland (1848-1914), Göttingen 2014.
  • Jacqueline Lalouette, La Séparation des Églises et de l’État, Paris 2005.
  • Maurice Larkin, Church and State after the Dreyfus Affair: The Separation Issue in France, London 1974.
  1. Französische Denker der Aufklärung werden auch als philosophes bezeichnet.
  2. Die Republik wurde nie offiziell ausgerufen, doch gilt die Abschaffung der Monarchie am 22. September 1792 als ‚Stunde Null‘. An dem Tag begann auch der erste Tag des revolutionären Kalenders (1. Vendémiaire, Jahr I.).
  3. Die ‚levée en masse‘ wurde in Frankreich im August 1793 eingeführt. Sie legte eine Wehrpflicht für alle unverheirateten Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren fest.
  4. Eine Charta ist eine Art Urkunde mit politischen Versprechen; Ludwig XVIII. legte den Franzosen noch vor der Restauration der Monarchie eine Charta vor.
  5. Die Dritte Republik existierte von 1870 bis 1940 als Maréchal Pétain den ‚Französischen Staat‘ gründete. Ihre Vorgänge waren die Erste (1792-1804) und die Zweite (1848-1851) Republik. Aktuell befindet Frankreich sich in der Fünften Republik.
  6. Am 2. April 1871 führte die Pariser Kommune eine kurzlebige Trennung von Kirche und Staat ein.
  7. Das Konzept der Staatskirche wurde bereits während der Revolution abgeschafft.

Quelle 1

Dekret vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) zur Freiheit der Religion und Trennung der Kirche und des Staates.

Unter der von Robespierre angeführten Schreckensherrschaft (1792-94) war die Zahl und Intensität von politischen wie auch physischen Angriffen auf den Klerus und die Gläubigen rasant gestiegen. Verstärkt wurde diese antikatholische Haltung durch die Kreierung des ‚Kults des Höchsten Wesens‘. Nach dem Sturz Robespierres und der Beendung des Terrors versuchte der Nationalkonvent diesen Antiklerikalismus mittels des Dekrets vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) zu ‚entschärfen‘. Das Trennungsprinzip kehrte später in der thermidorischen Verfassung vom 22. August 1795 (5. Fructidor, Jahr III) zurück.

Nachdem er den Bericht seiner zusammengekommenen Wohlfahrts-, Sicherheits- und Gesetzgebungsausschüsse gehört hat, verfügt der Nationalkonvent:

Erster Artikel. Gemäß Artikel 7 der Erklärung der Menschenrechte[1] und Artikel 122 der Verfassung darf die Ausübung keiner einzigen Religion gestört werden.

2. Die Republik entlohnt keine einzige davon [cf. die Religion].

3. Sie [cf. die Republik] beschafft keine einzige Räumlichkeit, weder für die Religionsausübung noch für die Unterkunft der Religionsdiener.

4. Die Zeremonien aller Religionen sind außerhalb des dafür bestimmten Bereichs verboten.

5. Das Gesetz erkennt keinen Geistlichen an: keiner darf mit den Habiten, Ornaten oder Gewändern, die für religiöse Zeremonien bestimmt sind, in der Öffentlichkeit erscheinen.

6. Jede Versammlung von Bürgern zur Ausübung irgendeiner Religion unterliegt der Überwachung der ernannten Autoritäten. Diese Überwachung ist in den Maßnahmen der Polizei und der öffentlichen Sicherheit enthalten.

7. Kein Zeichen, das einer Religion gehört, darf an einem öffentlichen Ort oder im Freien aufgestellt werden, auf welche Art und Weise auch immer. Keine Beschriftung darf den Ort, der für sie [cf. die Religion] bestimmt ist, kennzeichnen. Kein Aufruf und keine öffentliche Einberufung darf erfolgen, um die Bürger dorthin einzuladen.

8. Die Kommunen oder Bezirke dürfen im Namen der Gemeinschaft keine Räumlichkeit zur Ausübung der Religion erwerben oder anmieten.

9. Es darf weder eine immerwährende oder lebenslange Stiftung noch eine Steuer für die Deckung der Kosten eingerichtet werden.

10. Wer die Zeremonien einer Religion mit Gewalt stört oder deren Gegenstände beleidigt, wird gemäß dem Polizeigesetz vom 22. Juli 1791 bestraft.

11. Das Gesetz vom 2. der Sansculotten, Jahr II, zu den kirchlichen Pensionen, bleibt unberührt und die Bestimmungen werden nach Form und Inhalt ausgeführt.

12. Jedes Dekret, dessen Bestimmungen im Gegensatz zu diesem Gesetz stehen, wird aufgehoben; und jede Anordnung gegen dieses Gesetz, die von den Repräsentanten des Volkes in den Departements veranlasst wurde, wird aufgehoben.

Bibliographie: Jean B. Duvergier (Hrsg.), Collection Complète des Lois, Décrets, Ordonnances, Règlemens et Avis du Conseil d’État, 38 Bde., Paris 1824-1938, Bd. 8, S. 32. Deutsche Übersetzung von Eveline G. Bouwers.

Quelle 2

Ernest Renan, Das Leben Jesu (1863).

Renan schrieb ‚Vie de Jésus‘ während einer Reise durch den Libanon im Jahre 1860 geschrieben. Im Buch versucht er das Leben von Jesus wie jenes anderer historischer Persönlichkeiten zu beschreiben. Gemäß dem Positivismus unterwirft er die Evangelien einer Quellenkritik; einerseits werden die Widersprüche zwischen den Evangelien beleuchtet, anderseits werden die Berichte, die über das Leben Jesu überliefert sind, mit anderen zeitgenössischen Quellen verglichen. Schließlich hinterfragt Renan die Idee der göttlichen Intervention, indem er einige Mirakel kritisch untersucht. Renan machte also einen Unterschied zwischen dem Menschen Jesus und dem Sohn Gottes.

(S. 1) Das Hauptereignis der Weltgeschichte ist die Revolution, durch welche die edelsten Teile der Menschheit von den alten Religionen, die man unter dem unbestimmten Namen „Heidentum“ zusammenfaßt, zu einer Religion hinübergeführt worden sind, die auf der göttlichen Einheit, der Dreieinigkeit, der Menschwerdung des Sohnes Gottes beruht. Diese Bekehrung hat fast ein Jahrtausend gebraucht, um sich zu vollziehen. Die neue Religion selbst hatte wenigstens dreihundert Jahre bedurft, um sich auszugestalten. Aber der Anfang der Revolution, um die es sich handelt, ist ein Ereignis, das unter der Regierung des Augustus und des Tiberius stattgefunden hat. Damals hat eine ausgezeichnete Persönlichkeit gelebt, die durch ihr kühnes Vorgehen und durch die Liebe, die sie einzuflößen wußte, den Inhalt des künftigen Glaubens der Menschheit schuf und seinen Ausgangspunkt feststellte. (…)

(S. 57) In der Tat ist es das Reich Gottes, nämlich das Reich des Geistes, das Jesus gegründet hat; und wenn er, im Schoße seines Vaters sitzend, sein Werk in der Geschichte Frucht tragen sieht, so kann er mit Recht sagen: „Das ist es, was ich gewollte habe!“ Das, was Jesus gegründet hat, was von ihm ewig bleiben wird, trotz aller Unvollkommenheiten, die von dem menschlichen Ursprung eines Werkes unzertrennlich sind, das ist die Lehre von der Freiheit des Geistes. (…)

(S. 59) Die Meinungen, die Jesu Programm mit umfaßt, verstoßen gegen die Grundsätze unserer positiven Wissenschaft. Wir kennen die Geschichte der Welt; die Umwälzungen von der Art derjenigen, die Jesus erwartete, vollziehen sich nur aus geologischen oder astronomischen Gründen, bei denen man nie einen Zusammenhang mit den sittlichen Dingen nachgewiesen hat. Aber wenn man gegen die großen (p. 60) schöpferischen Geister gerecht sein will, so darf man sich nicht an den Vorurteilen stoßen, die sie geteilt haben. Kolumbus hat Amerika entdeckt, indem er von sehr falschen Voraussetzungen ausging. Newton glaubte seine törichte Erklärung der Apokalypse eben so fest wie sein Weltsystem. Wird man irgend einen mittelmäßigen Mann unserer Zeit über einen Franz von Assisi, einen heiligen Bernhard, eine Johanna d’Arc, einen Luther stellen, weil er frei von den Irrtümer [sic] ist, die diese letzteren offenkundig gehegt haben? Sollte man die Menschen nach der Richtigkeit ihrer physikalischen Anschauungen und nach der mehr oder weniger genauen Kenntnis des wahren Weltsystems beurteilen? Verstehen wir die Stellung Jesu und das, was seine Kraft ausmachte, besser! Der Deismus des achtzehnten Jahrhunderts und eine gewisse Richtung des Protestantismus haben uns daran gewöhnt, den Gründer des christlichen Glaubens nur als einen großen Sittenlehrer, als einen Wohltäter der Menschheit zu betrachten. Wir sehen im Evangelium nur die schönen Grundsätze, die es enthielt; wir werfen klug einen Schleier über den fremdartigen geistigen Zustand, aus dem es hervorgegangen ist. Es gibt ja auch Leute, die bedauern, daß die französische Revolution mehr als einmal ihren Prinzipien untreu geworden sei, und daß es nicht weise und gemäßigte Menschen gewesen seien, die sie gemacht hätten. Wir sollten doch nicht mit so spießbürgerlichen Forderungen an diese außerordentlichen, riesenhaften Ereignisse herantreten. Wir wollen lieber fortfahren, die „Moral des Evangeliums“ zu bewundern, wir wollen in unserem religiösen Unterrichte die Schimäre fortlassen, die die Seele desselben war, und wir wollen nun und nimmer glauben, daß man mit einfachen Ideen von Glück oder individueller Sittlichkeit die Welt bewege. Jesu Idee war viel tiefer: es war die revolutionärste (S. 61) Idee, die jemals aus einem menschlichen Hirn hervorgegangen ist. Sie muß in ihrer Gesamtheit aufgefaßt werden, und man darf dabei nicht dasjenige ängstlich beiseite lassen, was sie zur Wiedergeburt der Menschheit wirksam gemacht hat. (…)

(S. 61) Was Jesus von den Agitatoren seiner Zeit und von denen aller Jahrhunderte unterscheidet, ist sein vollkommener Idealismus. Jesus ist in gewissem Sinne ein Anarchist, denn er hat keine Vorstellung vom bürgerlichen Regimente. Dieses Regiment erscheint ihm schlechtweg als ein Mißbrauch. Er spricht von ihm in unbestimmten Ausdrücken, (S. 62) wie ein Mann aus dem Volke, der keine Idee von Politik hat. Jede Obrigkeit erscheint ihm als ein natürlicher Feind des „Menschen Gottes“, er verkündigt seinen Jüngern Zerwürfnisse mit der obrigkeitlichen Gewalt, ohne einen Augenblick daran zu denken, daß darin ein Grund zum erröten liegen könnte. Aber niemals zeigt sich bei ihm eine Spur des Wunsches, sich in die Stellung der Mächtigen und Reichen zu erheben. Er will den Reichtum und die Macht vernichten, nicht sich ihrer bemächtigen. Er sagt seinen Jüngern Verfolgungen und Todesstrafen vorher, aber niemals läßt er den Gedanken an einen bewaffneten Widerstand durchblicken. Der Gedanke, daß der Mensch durch Leidensfähigkeit und Entsagung allmächtig ist, daß er durch Reinheit des Herzens über die rohe Gewalt triumphiert, ist Jesus durchaus eigentümlich. Jesus ist kein Spiritualist, denn alles kommt bei ihm auf eine greifbare Verwirklichung hinaus; aber er ist ein vollkommener Idealist, indem die Materie für ihn nur das Zeichen der Idee und die Wirklichkeit nur der lebendige Ausdruck dessen ist, was selbst nicht sichtbar wird.

(S. 131) Als Jesus nach Galiläa zurückkehrte, hatte er seinen jüdischen Glauben vollständig aufgegeben und befand sich in völlig revolutionärer Stimmung. Von nun an kommen seine Gedanken mit vollkommener Klarheit zum Ausdruck. Die nicht allzu weit tragenden Aussprüche aus der ersten Zeit seines Prophetentums, die zum Teil von den früheren Rabbinern entlehnt waren, die erhabenen Predigten aus seiner zweiten Periode über sittliche Fragen weichen jetzt einem entschlossenen Vorgehen auf ganz bestimmte Ziele: Das Gesetz soll abgeschafft werden; er wird es abschaffen. Der Messias ist erschienen; er ist es. Das Reich Gottes wird bald offenbar werden; durch ihn wird das geschehen. Zwar weiß er sehr wohl, daß er seiner Kühnheit zum Opfer fallen wird, aber das Gottesreich kann nicht ohne einen Gewaltakt gewonnen werden; Wirren und Bürgerzwist müssen es vorbereiten. Der Menschensohn wird nach seinem Tode in Glorie zurückkehren, von Engellegionen begleitet, und seine Feinde werden vernichtet werden.

Die Kühnheit einer solchen Auffassung der Dinge darf uns nicht überraschen. Jesus betrachtete schon seit lange sein Verhältnis zu Gott als das eines Sohnes zu seinem Vater. Was bei anderen ein unerträglicher Hochmut wäre, das (S. 132) darf man bei ihm nicht als Frevel behandeln. Der Titel „Davidssohn“ war der erste, den er annahm, wahrscheinlich ohne sich der leichten Einstellungen der Wahrheit bewußt zu sein, durch die man ihm die Berechtigung zur Führung dieses Titels glaubhaft zu machen suchte. Die Familie Davids war, wie es scheint, seit lange ausgestorben; weder die von Priestern stammenden Asmonäer noch Herodes noch die Römer dachten einen Augenblick daran, daß in ihrer Nähe irgendein Vertreter der Rechtsansprüche des davidischen Könighauses existieren könne. Aber seit dem Ende der Asmonäerherrschaft spukte in allen Köpfen das Traumbild eines unbekannten Abkömmlings der alten Könige, der die Nation an ihren Feinden rächen werde. Man glaubte allgemein, daß der Messias ein Davidssohn sein und wie David in Bethlehem das Licht der Welt erblicken werde. Jesus war anfangs diesem Glauben nicht sehr geneigt. Die Erinnerung an David, die die Masse des jüdischen Volkes beschäftigte, hatte nichts gemein mit dem himmlischen Reiche, an das er dachte. Er hielt sich für einen Sohn Gottes, nicht für einen Sohn Davids. Sein Reich und die Erlösung, die er im Sinne hatte, gehörten einer ganz anderen Sphäre an. Aber die öffentliche Meinung tat ihm gewissermaßen Gewalt an. Die unmittelbare Folgerung aus dem Satze „Jesus ist der Messias“ war der Satz: „Jesus ist ein Davidssohn.“ Deshalb duldete Jesus, daß man ihm einen Titel beilege, ohne den er nicht auf Erfolg rechnen durfte. Schließlich scheint er daran Gefallen gefunden zu haben, denn er vollbrachte bereitwilligst die Wunder, um die man ihn unter Nennung jenes Namens bat. Hier wie in mehreren anderen Fällen erschloß Jesus sich den Ideen, die seine Zeit bewegten, obgleich die seinen nicht genau damit übereinstimmten. Er sucht mit seiner Lehre vom „Gottesreich“ alles in Verbindung (S. 133) zu bringen, was gerade die Herzen seiner Volksgenossen entflammte und ihre Phantasie erhitzte. Aus diesem Grund habe wir ihn die Johannestaufe annehmen sehen, an der ihm doch nicht viel liegen konnte.

(S. 134) Die Jesuslegende ist also die freie Schöpfung einer begeisterten Masse, und unter dem Eindruck der Persönlichkeit Jesu schon bei seinen Lebzeiten entstanden. Jedes große Ereignis der Geschichte ist bisher Mittelpunkt eines Sagenkreises geworden, und Jesus hätte, wenn er auch gewollt hätte, jene Gebilde der Volksphantasie nicht vernichten können.

(S. 208) In seinem [d.h. Jesus – E.G.B.] Namen hat man Jahrhunderte lang Denkern von ebenso edler Gesinnung, wie die seine war, Folter- und Todesqualen bereitet. Noch heute verhängt man in Ländern, die sich christlich nennen, Strafen wegen religiöser Mängel. Jesus darf für diese Verirrungen natürlich nicht verantwortlich gemacht werden. Er konnte nicht ahnen, daß die verirrte Phantasie mancher Völker ihn einmal als schrecklichen Moloch auslassen würde, der nach Brandopfern von Menschenfleisch begehrt. Das Christentum ist unduldsam gewesen; aber die Unduldsamkeit ist keine spezifisch christliche Erscheinung. Sie ist vielmehr eine jüdische Erscheinung, insofern das Judentum zum erstenmal den Anspruch erhoben hat, die absolute Religion zu sein, und den Grundsatz aufgestellt hat, jeder Neuerer, selbst wenn er seine Lehre durch Wunder beglaubige, sei mit Steinwürfen zu empfangen und (S. 209) ohne vorheriges Gericht zu töten. Allerdings hat auch die Heidenwelt ihre religiösen Gewaltsamkeiten besessen. Aber wenn sie ein derartiges Gesetz gehabt hätte, wie die Juden, wäre sie dann zum Christentum übergegangen? Der Pentateuch ist somit das erste Gesetzbuch des religiösen Terrorismus gewesen. Das Judentum hat zuerst das Beispiel eines starren Dogmas, dem das Schwert zur Seite steht, gezeigt. Wenn die Christen, anstatt die Juden mit blinden Hasse zu verfolgen, mit jener Denkweise gebrochen hätten, die ihrem Herrn den Tod gebracht hat – wieviel mehr hätten sie in seinem Sinne gehandelt, wieviel mehr hätten sie sich um die Menschheit verdient gemacht.

Bibliographie: Ernest Renan, Das Leben Jesu, übersetzt von W. Kalt, Halle/Saale 1913.

Das französische Original: Ernest Renan, Vie de Jésus, Paris 1863.

URL: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k6102463z

Quelle 3

Papst Leo XIII., Inmitten der Besorgnisse (datiert Rom, den 16. Februar 1892).

Mit der Veröffentlichung seiner Enzyklika ‚Rerum Novarum‘ im Jahre 1891 bekam Papst Leo XIII. (reg. 1878-1903) den Spitznamen „Arbeiterpapst“. Doch der gebürtige Vincenzo Gioacchino Pecci war weit mehr als ein Kirchenvater, der die dunkele Seite des Kapitalismus verurteilte und der katholischen Soziallehre neue Impulse gab. Besonders bemüht war Leo XIII., die politische Isolierung der Kirche aufzuheben. In diesem Kontext veröffentlichte er 1892 die Enzyklika ‚Au Milieu des Sollicitudes‘, in der der Papst die Katholiken Frankreichs zur Akzeptanz der republikanischen Staatsform aufrief.

Inmitten der Besorgnisse

Enzyklika

Unseres Heiligen Vaters Leo XIII.

An die Erzbischöfe, Bischöfe, an den Klerus und an alle Katholiken Frankreichs

Ehrwürdige Brüder, teuerste Söhne.

Wie sollten Wir nicht von lebhaftem Schmerz erfüllt sein, wenn Wir in der gegenwärtigen Stunde an die Tragweite der ausgedehnten Verschwörung denken, die gewisse Leute angezettelt haben, um das Christentum in Frankreich zu vernichten, und an die Feindseligkeit, mit der sie die Verwirklichung ihrer Pläne verfolgen, wobei sie die nach dem Gefühl der Mehrheit des Volkes elementarsten Begriffe von Freiheit, Gerechtigkeit und Achtung vor den unveräußerlichen Rechten der katholischen Kirche mit Füßen treten? Und wie sollen Wir der Bitterkeit, die Uns erfüllt, und den Sorgen, die auf Uns einstürmen, Ausdruck verleihen, wenn Wir die unheilvollen Folgen dieser sträflichen Angriffe, die zum Verderben der Sitten, der Religion und selbst der rechtverstandenen politischen Interessen führen, eine nach der andern sich manifestieren sehen?

Auf der anderen Seite fühlen Wir einen nicht geringen Trost, wenn Wir sehen, wie dieses gleiche Volk Liebe und Eifer für den HI. Stuhl im gleichen Maße verdoppelt, wie es ihn immer mehr verlassen und, müssten Wir sagen, immer mehr in aller Welt angefeindet sieht. Bewegt von einem tiefen religiösen und echt patriotischen Gefühl sind die Vertreter aller sozialen Schichten Frankreichs zu verschiedenen Malen zu Uns geeilt, glücklich, der Kirche in den drängenden Nöten beizustehen, zugleich im Verlangen, Uns um Aufklärung und Rat zu bitten, um sicher zu sein, dass sie sich inmitten der gegenwärtigen Heimsuchungen nicht um einen Schritt von den Weisungen des Oberhauptes der Gläubigen entfernen.

[…]

Auch heute halten Wir es für angebracht und sogar für notwendig, erneut Unsere Stimme zu erheben und noch eindringlicher nicht nur alle Katholiken, sondern, möchten Wir sagen, alle rechtlich und vernünftig denkenden Franzosen zu ermahnen, jeden Keim politischen Haders zu ersticken, um ihre Kräfte einzig für die Befriedung ihres Vaterlandes einzusetzen. Diese Befriedung – alle kennen ihren Preis, alle wünschen sie immer sehnlicher herbei. Und Wir ersehnen sie mehr als irgendjemand sonst, denn Wir vertreten auf Erden den "Gott des Friedens"; daher laden Wir mit diesem Schreiben alle redlichen Seelen, alle großmütigen Herzen ein, Uns zu helfen, sie dauerhaft und wirksam zu machen.

[…]

Verschiedene politische Regierungen haben im Verlauf dieses Jahrhunderts in Frankreich einander abgelöst, und jede hatte ihre bestimmte Form: Kaiserreiche, Monarchien, Republiken. Wenn man im Abstrakten verbleibt, könnte man leicht definieren, welche, in sich betrachtet, die beste Form ist ; man kann auch mit vollem Recht sagen, daß jede von ihnen gut sei, sofern sie nur fähig ist, geradlinig auf ihr Ziel zuzugehen, auf das Gemeinwohl nämlich, für das die gesellschaftliche Autorität eingesetzt worden ist ; schließlich muß noch hinzugefügt werden, daß unter einem bestimmten Gesichtspunkt diese oder jene Regierungsform vorzuziehen sei, weil sie dem Charakter und den Sitten dieser oder jener bestimmten Nation besser angepaßt ist. In der Ordnung des theoretischen Denkens haben die Katholiken wie jeder andere Staatsbürger die volle Freiheit, die eine Regierungsform der andern vorzuziehen, ebendeshalb, weil keine der gesellschaftlichen Formen von sich aus den Regeln der gesunden Vernunft und den Maximen der christlichen Doktrin widerspricht. All dies genügt auch, um vollauf die Weisheit der Kirche zu rechtfertigen, wenn sie in ihren Beziehungen zu den politischen Gewalten von den sich unterscheidenden Formen absieht, um mit ihnen die großen religiösen Anliegen der Völker zu behandeln, aus dem Bewußtsein heraus, daß es ihre Pflicht ist, diese über alle anderen Interessen hinweg unter ihren Schutz zu nehmen.

[…]

Wenn folglich neue Regierungen, die diese unveränderliche Gewalt repräsentieren, sich gebildet haben, so ist ihre Annahme nicht nur erlaubt, sondern erfordert, nämlich geboten im Interesse des allgemeinen Wohls, das sie hervorgebracht hat und aufrecht erhält. Umso mehr, als die Rebellion den Haß unter den Bürgern schürt, Bürgerkriege provoziert und die ganze Nation in das Chaos der Anarchie stürzen kann. Und diese schwere Pflicht der Achtung und Unterwerfung bleibt bestehen, solange die Erfordernisse des Gemeinwohls es verlangen, denn dieses Gut ist in der Gesellschaft nach Gott das erste und letzte Gebot.

Das erklärt auch das kluge Vorgehen der Kirche, die die Beziehungen zu den zahlreichen Regierungen aufrecht erhalten hat, die in Frankreich in weniger als einem Jahrhundert einander abgelöst haben, und zwar in keinem Fall ohne heftige und tiefergreifende Erschütterungen hervorzurufen. Eine solche Haltung ist für alle Franzosen die sicherste und heilsamste Verhaltensweise in ihren staatsbürgerlichen Beziehungen zur Republik, die die gegenwärtige Staatsform der Nation ist. Fern seien von ihnen die politischen Zwistigkeiten, die sie trennen; alle ihre Anstrengungen müssen sich vereinigen, um die sittliche Größe ihres Vaterlandes zu bewahren oder zu erneuern.

Aber da erhebt sich ein Einwand: „Diese Republik, bemerkt man, ist von derartig antichristlichen Gefühlen beseelt, daß alle rechtlich denkenden Menschen, und mehr noch die Katholiken, sie aus Gewissensgründen nicht annehmen können.“ Das ist es vor allem, was zu den Meinungsverschiedenheiten Anlaß gegeben und sie noch vertieft hat. – Man hätte diese bedauerlichen Auseinandersetzungen vermeiden können, wenn man die wichtige Unterscheidung zwischen etablierter Gewalt und Gesetzgebung sorgfältig beachtet hätte. Die Gesetzgebung unterscheidet sich so weitgehend von den politischen Gewalten und ihrer Form, daß unter einer Regierung mit der besten Regierungsform die Gesetzgebung verwerflich sein kann, während andererseits unter einer Regierung mit der unvollkommensten Regierungsform eine ausgezeichnete Gesetzgebung bestehen kann. Es wäre ein leichtes, diese Wahrheit anhand der Geschichte zu beweisen; doch wozu? Alle sind davon überzeugt. Wer wüßte es besser als die Kirche, die sich immer bemüht hat, mit allen politischen Regimen normale Beziehungen zu unterhalten? Gewiß kann sie mehr als jede andere Macht sagen, wieviel Erleichterung und wieviel Leid ihr die Gesetze der verschiedenen Regierungen gebracht haben, die nacheinander vom Römischen Reich an bis in unsere Tage die Völker gelenkt haben.

Die von uns gemachte Unterscheidung ist nicht nur von höchster praktischer Bedeutung, sie ist auch innerlich und sachlich begründet: Die Gesetzgebung ist das Werk der Menschen, die die Gewalt besitzen und tatsächlich die Nation regieren. Darauf folgt, daß die Qualität der Gesetze praktisch mehr von der Qualität dieser Menschen abhängt als von der Regierungsform. Diese Gesetze werden gut oder schlecht sein, je nachdem, ob die Gesetzgeber von guten oder schlechten Prinzipien durchdrungen sind und je nachdem sie sich von politischer Klugheit oder von der Leidenschaft leiten lassen.

Daß in Frankreich seit mehreren Jahren die Gesetzgebung verschiedene wichtige Maßnahmen verfügt hat, die eingegeben sind von feindseligen Absichten gegen die Religion und folglich auch gegen die Interesse der Nation, ist allgemeine Überzeugung und wird leider durch die Evidenz der Tatsachen bestätigt. Wir selbst haben Uns, getreu Unserer heiligen Pflicht, mit lebhaften Klagen an das damalige Oberhaupt der Republik gewandt. Diese Bestrebungen blieben jedoch bestehen, das Übel verschlimmerte sich noch, und niemand kann sich wundern, daß die Glieder des französischen Episkopats, vom Heiligen Geist eingesetzt, ihre verschiedenen ehrwürdigen Kirchen zu leiten, es, wie noch vor kurzem, als ihre Pflicht erachtet haben, öffentlich ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen angesichts der Lage der katholischen Religion in Frankreich. Armes Frankreich! Gott allein kann den Abgrund des Unheils ermessen, in das es stürzen wird, wenn diese Gesetzgebung sich nicht bessert, sondern weiter auf fiesen Abwegen verharrt, die dahin führen werden, aus Geist und Herz der Franzosen die Religion auszurotten, die sie groß gemacht hat.

[…]

Bevor Wir unser Schreiben beschließen, wollen Wir noch zwei Punkte kurz berühren, die untereinander eng verbunden sind und, da sie eng mit den religiösen Interessen verknüpft sind, unter den Katholiken gewisse Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen haben. – Der eine betrifft das Konkordat. […] Der zweite Punkt [ist] das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche, die einer Trennung der menschlichen von der christlichen und göttlichen Gesetzgebung gleichkommt. Wir wollen Uns hier nicht dabei aufhalten, die ganze Absurdität der These dieser Trennung zu beweisen; jeder wird sie von selbst erkennen. Sobald der Staat sich weigert, Gott zu geben, was Gottes ist, verweigert er mit folgerichtiger Notwendigkeit auch den Bürgern, worauf sie als Menschen ein Anrecht haben; denn, ob man will oder nicht, die wahren Menschenrechte entspringen gerade aus den Pflichten gegenüber Gott. Daraus folgt, daß der Staat, der in dieser Beziehung den wichtigsten Zweck seines Daseins verfehlt, in Wahrheit dahin gelangt, sich selbst aufzugeben und den Grund für seine eigene Existenz in Abrede zu stellen. Diese erstrangigen Wahrheiten sich durch die Stimme der natürlichen Vernunft selbst so klar ausgesprochen, daß sie sich jedem Menschen aufdrängen, der nicht durch stürmische Leidenschaften verblendet ist. Deshalb sollten die Katholiken sich hüten, diese Trennung zu unterstützen.

Bibliographie: Leo XIII. Inmitten der Besorgnisse, in: Arthur Utz & Brigitta Gräfin von Galen (Hrsg.), Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen Entfaltung. Ein Sammlung päpstlicher Dokumente vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart, 4 Bde., Aachen 1976, Bd. 3, S. 2356-2379.

Für das französische Original: http://w2.vatican.va/content/leo-xiii/fr/encyclicals/documents/hf_l-xiii_enc_16021892_au-milieu-des-sollicitudes.html

Quelle 4

Illustrierter Bericht über die Enthüllung des Renan-Denkmals in Tréguier am 17. September 1903.

Seine Heimatstadt Tréguier, bis zur Revolution Bistumssitz, hatte Ernest Renan einst als ‚ein großes Kloster’ beschrieben. Entsprechend konfliktgeladen war die Errichtung eines Denkmals für den Autor von ‚Das Leben Jesu‘ auf dem Platz vor dem Dom; während der Feierlichkeiten am 17. September 1903 kam es sogar zu physischen Auseinandersetzungen. Das hier gezeigte Bild wurde veröffentlicht in der illustrierten Sonntagsausgabe der Pariser Tageszeitung ‚Le Petit Journal‘ (1863-1944), die während der Dritten Republik zu den größten Zeitungen Frankreichs gehörte. Die Zeitung hatte den Charakter eines Feuilletons; tagesaktuelle politische Nachrichten wurden eher selten aufgenommen.

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Bibliographie: Inauguration de la Statue de Renan. Les Incidents de Trèguier, in: Le Petit Journal Illustré (27. September 1903) © Privatsammlung Eveline G. Bouwers.

Die Französische Nationalbibliothek hat sowohl Le Petit Journal wie auch ihre Sonntagsausgabe digitalisiert:

URL (Le Petit Journal): http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/cb32895690j/date

URL (Le Petit Journal Illustré): http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/cb32836564q/date

Quelle 5

Ansichtskarte des Kalvarienbergs in Tréguier am Vorabend der Einweihung am 19. Mai 1904.

Empört über die Errichtung eines Renan-Denkmals auf dem Domplatz, beschlossen die Katholiken Tréguiers den Bau eines Kalvarienbergs. Der ‚calvaire‘ genoss besonders in der Bretagne große Beliebtheit. Das in Tréguier aufgestellte Exemplar, das wahlweise ‚Calvaire de Protestation‘ und ‚Calvaire de Réparation‘ genannt wird, befindet sich am Eingang eines Parks außerhalb des historischen Zentrums. Für die Einweihung am 19. Mai 1904 reisten neben vielen Gläubigen der Bischof von Saint-Brieuc und der Erzbischof von Rennes an. Zur Erinnerung wurden mehrere Ansichtskarten gedruckt, für die die vorliegende Quelle ein Beispiel ist. Solche Ansichtskarten erfreuten sich um 1900 großer Popularität, da neue Drucktechniken zwar eine größere visuelle Varietät ermöglichten, zugleich aber die Kosten drückten.

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Bibliographie: Tréguier – Le Calvaire de Protestation. Vue prise la veille de la Fête (1904) © Archives Départementales des Côtes-d’Armor, Saint-Brieuc.

Quelle 6

Das Gesetz vom 9. Dezember 1905 zur Trennung der Kirchen und des Staates

Nachdem bereits im Juli 1905 die Abgeordnetenkammer sich mehrheitlich (341 gegen 233) für das Trennungsgesetz ausgesprochen hatte, stimmte auch der Senat Anfang Dezember zu (179 gegen 103). Damit war die gesetzliche Trennung der Kirchen (im Plural!) und des Staates geregelt. Seit dem Inkrafttreten wurde das Trennungsgesetz mehrfach leicht geändert; das ihm zugrundeliegende Prinzip bleibt aber nach wie vor der Laizismus.

ERSter titel : Grundsätze

Erster Artikel

Die Republik sichert die Freiheit des Gewissens. Sie garantiert die freie Ausübung der Religionen mit keinen anderen als den im Folgenden im Interesse der öffentlichen Ordnung festgesetzten Einschränkungen.

Artikel 2

Die Republik anerkennt, entlohnt und subventioniert keine Religion. Folglich werden vom 1. auf die Verkündung des vorliegenden Gesetzes folgenden Januar an alle auf die Ausübung von Religionen bezogenen Ausgaben aus den Etats des Staates, der Departements und der Kommunen gestrichen. In die genannten Etats können jedoch Ausgaben aufgenommen werden, die sich auf die Dienste der Seelsorge beziehen und die für die Sicherung der freien Religionsausübung in öffentlichen Einrichtungen wie Gymnasien, Sekundarschulen, Krankenhäuser, Heilanstalten und Gefängnissen bestimmt sind.

Die öffentlichen Religionseinrichtungen werden abgeschafft, unter der Einschränkung der in Artikel 3 formulierten Bestimmungen.

TITEL III: RELIGIONSGEBÄUDE

Artikel 12

Die Gebäude, die der Nation zur Verfügung gestellt wurden und die, kraft des Gesetzes vom 18. Germinal, Jahr X, der öffentlichen Ausübung der Religionen oder der Unterbringung ihrer Geistlichen dienen (Kathedralen, Kirchen, Kapellen, Tempel, Synagogen, Erzbischofssitze, Bischofssitze, Pfarrhäuser, Seminare), sowie ihre Grundstücke / Nebengebäude und die Ausstattungsgegenstände, mit denen sie zu dem Zeitpunkt versehen waren, zu dem die besagten Gebäude den Religionen übergeben wurden, sind und bleiben Eigentum des Staates, der Departements, der Kommunen.

Für diese, wie für die nach dem Erlass des Gesetzes vom 18. Germinal, Jahr X, [übergebenen] Gebäude, deren Eigentümer der Staat, die Departements und die Kommunen wären, darin eingeschlossen die protestantischen theologischen Fakultäten, wird entsprechend der Bestimmungen der folgenden Artikel verfahren.

[Dieser Artikel wurde leicht geändert; hinzugefügt wurde der Verweis auf ‚öffentliche Einrichtungen interkommunaler Zusammenarbeit‘.]

TITEL V: RELIGIONSAUFSICHT

Artikel 25

Die Versammlungen zur Zelebration einer Religion, die in Räumlichkeiten abgehalten werden, die einer religiösen Vereinigung gehören oder ihr zur Verfügung gestellt sind, sind öffentlich. Sie sind von den Formalitäten des Artikels 8 des Gesetzes vom 30. Juni 1881 befreit, bleiben aber im Interesse der öffentlichen Ordnung der Überwachung durch die Autoritäten unterstellt. Sie können nur nach einer nach den Formen des Artikels 2 desselben Gesetzes erbrachten und die Örtlichkeit, in der sie abgehalten werden, angebenden Erklärung stattfinden.

Eine einzige Erklärung reicht für die Gesamtheit der ständigen, regelmäßigen oder außerplanmäßigen Versammlungen aus, die im Jahr stattfinden werden.

Artikel 26

Es ist verboten, politische Versammlungen in den Räumlichkeiten abzuhalten, die normalerweise der Ausübung einer Religion dienen.

Artikel 27

Die Zeremonien, Prozessionen und andere äußerliche Manifestationen einer Religion, werden in Übereinstimmung mit den Artikeln 93 und 97 des Gemeindegesetzes vom 5. April 1884 geregelt.

Das Glockengeläut wird durch eine Gemeindeverordnung geregelt, und, im Falle einer Uneinigkeit zwischen dem Bürgermeister und dem Vorsitzenden oder Leiter der religiösen Vereinigung, durch eine Verordnung des Präfekten.

Die durch Artikel 43 des gegenwärtigen Gesetzes vorgesehene Regelung der öffentlichen Verwaltung bestimmt die Bedingungen und die Fälle, in denen ziviles Geläut stattfinden darf.

[Dieser Artikel wurde insofern geändert, als die rechtskräftigen Bestimmungen nun auf andere Artikel verweisen]

Artikel 28

Es ist künftig verboten, irgendein religiöses Zeichen oder Emblem an öffentlichen Gebäuden oder jeglicher öffentlicher Stätte zu errichten oder anzubringen, mit Ausnahme der der Religion dienenden Gebäude, Grabstätten auf Friedhöfen, Grabmonumenten sowie Museen oder Ausstellungen.

Artikel 30

Gemäß den Bestimmungen des Artikels 2 des Gesetzes vom 28. März 1882 darf religiöser Unterricht Kindern im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren, die in öffentliche Schulen eingeschrieben sind, nur außerhalb der Schulzeiten erteilt werden.

Gegen Geistliche einer Religion, die gegen diese Vorschriften verstoßen, werden die Bestimmungen des Artikels 14 des oben erwähnten Gesetzes zur Anwendung gebracht.

[Dieser Artikel wurde 2000 abgeschafft]

Artikel 31

Mit einer Geldbuße von 60 bis 200 Francs und mit einer Gefängnishaft von sechs Tagen bis zwölf Monaten oder nur mit einer dieser beiden Strafen werden diejenigen bestraft, die, sei es durch Tätlichkeiten, Gewalt oder Drohungen gegen eine Person, sei es, indem sie sie fürchten lassen, ihre Arbeitsstelle zu verlieren oder sich selbst, ihre Familie oder ihren Besitz einem Schaden auszusetzen, [diese Person] dazu bringen, eine Religion auszuüben oder auf ihre Ausübung zu verzichten, einer religiösen Vereinigung anzugehören oder aufzuhören ihr anzugehören, sich an den Kosten einer Religion zu beteiligen oder darauf zu verzichten, sich an ihnen zu beteiligen.

[Dieser Artikel wurde geändert; statt einer Geldstrafe von sechszehn bis zweihundert Francs gilt nun ‚la peine d'amende prévue pour les contraventions de la 5ème classe‘.]

Artikel 32

Mit denselben Strafen werden diejenigen bestraft, die die Ausübungen einer Religion durch Störungen oder durch in der zu diesen Ausübungen dienenden Räumlichkeit verursachte Unordnung verhindern, verzögern oder unterbrechen.

Artikel 34

Jeder Geistliche einer Religion, der an den Orten, an denen die Religion ausgeübt wird, öffentlich durch das Abhalten von Reden oder Lesungen, das Verteilen von Schriften oder das Anbringen von Plakaten einen mit einer öffentlichen Aufgabe beauftragten Bürger beleidigt oder diffamiert, wird mit einer Geldbuße von 500 bis 3.000 Francs und zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat bis einem Jahr oder nur mit einer der beiden Strafen bestraft.

Die Wahrheit der Diffamierung kann, sofern sie in Verbindung mit den Ämtern [der diffamierten Person] steht, vor einem Strafgericht in den durch Artikel 52 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 vorgesehenen Formen festgestellt werden. Die durch Artikel 56 desselben Gesetzes erlassenen Vorschriften gelten für die Vergehen dieses und des folgenden Artikels.

[Dieser Artikel wurde geändert; statt 500 bis 3000 Francs gilt nun eine Strafe von 3,750,- Euro]

Artikel 35

Wenn eine an den Orten, an denen die Religion ausgeübt wird, öffentlich gehaltene Rede oder eine ausgehängte oder verteilte Schrift eine direkte Aufforderung enthält, sich der Ausführung der Gesetze oder rechtlichen Schritten der öffentlichen Autorität zu widersetzen oder darauf abzielt, einen Teil der Bürger gegen die anderen aufzuwiegeln oder zu bewaffnen, wird der Geistliche der Religion, der sich dafür als schuldig erweist, mit einer Gefängnishaft von drei Monaten bis zwei Jahren bestraft, ohne Einschränkung der Strafen für die Mittäterschaft in dem Fall, dass auf die Aufforderung ein Aufstand, eine Revolte oder ein Bürgerkrieg folgt.

Bibliographie: Loi du 9 Décembre 1905 Concernant la Séparation des Eglises et de l‘Etat, in: 1905, la Séparation des Eglises et de l’Etat: les Textes Fondateurs. Présentation de Dominique de Villepin, Introduction de Jean-Michel Gaillard, Textes choisis et présentés par Yves Bruley, Postface d'André Damien, Paris 2004, S. 435-448. Deutsche Übersetzung von Eveline G. Bouwers.

Die aktuelle Fassung des Gesetzes befindet sich auf Légifrance.

URL: https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000508749

Essay

Als im September 1903 die Errichtung eines Denkmals für den Schriftsteller Ernest Renan auf dem Domplatz des ehemaligen Bistumssitzes Tréguier gefeiert wurde, war dies keine isolierte Aktion einiger lokalen Republikaner. Ebenso wenig ging der mithilfe eines Kalvarienbergs artikulierte katholische Protest aus dem Frühjahr 1904 auf einen als einmalig begangen wahrgenommenen Affront zurück. Vielmehr waren die im Dialog zueinander stehenden Denkmäler die Früchte einer seit der Revolution tobenden Debatte um die Rolle von Religion und religiösen Institutionen, besonders jener der Römisch-Katholischen Kirche, in der französischen Öffentlichkeit. Seinen bisherigen Höhepunkt fand dieser Streit in der Trennung von Kirche und Staat am 9. Dezember 1905.

In diesem Essay werden das Verhältnis von Religion und Politik in Frankreich sowie die Genese der Trennung von der Französischen Revolution bis zur Dritten Republik anhand ausgewählter Quellen aus den Bereichen Recht, Wissenschaft, Theologie und Bildmedien untersucht. Es wird gezeigt, dass das Gesetz von 1905 nicht das Resultat eines linearen Säkularisierungsnarrativs war, sondern im Sinne einer konjunkturellen Bewegung von Annäherung und Distanzierung zwischen Staat und Kirche zu bewerten ist, für die die Weichen bereits zur Zeit der ersten Trennung 1795 gestellt worden waren.[2] Zunächst werden der Begriff „Laizität“ und sein Verhältnis zum Republikanismus beleuchtet. Anschließend erfolgt eine Quellenanalyse, die einen differenzierteren Blick auf die ambivalente Beziehung von Religion und Politik in Frankreich im langen 19. Jahrhundert erlauben soll; tatsächlich war das Trennungsgesetz zu keinem Zeitpunkt die einzig logische Schlussfolgerung vorheriger Entwicklungen. Im Fazit wird die Rolle der Laizität in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Debatte hinterfragt.

Die ‚älteste Tochter der Kirche‘ verlässt das Haus: die Laizität in Frankreich

Im Französischen wird zwischen laïcité (Laizität) und laïcisme (Laizismus) unterschieden. Der erste Begriff verweist auf die institutionelle Trennung von Kirche und Staat sowie auf die Neutralität bzw. Unparteilichkeit eines Staates gegenüber den verschiedenen Religionen. Hingegen bezeichnet der zweite Begriff die Bemühung, jeglichen Einfluss von Religion – auch über die Kirche und den Klerus hinaus (cf. Antiklerikalismus) – aus der Öffentlichkeit, und somit aus der Politik, auszuklammern.[3] Während die Laizität eine gesetzlich-politische Realität beschreibt, verweist der Laizismus auf das ideologische Programm zur Realisierung einer solchen Trennung. Anders als die sich graduell gestaltende Säkularisierung wird laïcisation (Laizisierung) als programmatische Auseinandersetzung um die ‚soziale Rolle‘ von Religion im ‚institutionellen Bereich‘ verstanden.[4]

In Frankreich ist die Auseinandersetzung um die Laizität seit jeher eng mit der Debatte um republikanische Deutungsmuster verbunden. Diese gliedern sich in zwei Großnarrative. Das erste Narrativ betont republikanische Werte wie populäre Souveränität, eine rational politische Ordnung und Gleichheit, die aus der Französischen Revolution hervorgegangen sind und als Leitfaden für staatliche Veränderungen dienen sollen. Laut des zweiten Narrativs ist die Republik eine Institution, die seit dem späten 19. Jahrhundert als ‚Verkörperung von konsensueller Stabilität‘ fungiert; der Fluchtpunkt ist hier die Dritte Republik mit ihren Symbolen.[5] Eine wichtige Rolle kommt in diesem Narrativ der Laizität zu.[6]

Im politischen Diskurs wird die Laizität vor allem mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verbunden; als Beweis dienen u.a. die Jules Ferry-Gesetze (1880-82), die den kostenfreien, obligatorischen und laizistischen Grundschulunterricht einführten, zugleich gesetzlich im Einklang mit dem Konkordat waren.[7] Im Gegensatz dazu haben Historiker mehrmals betont, dass das laizistische Prinzip seit den frühen Jahren der Revolution die französische Politik mitgestaltet hat.[8] Tatsächlich hätte auch das Konkordat von 1801 die Kernprinzipien der Laizität nicht aufgehoben.[9] Es ging also im 19. Jahrhundert niemals um die Erfindung der Laizität, sondern um den Umgang mit dem laizistischen Prinzip – das staatliche Unparteilichkeit in Sachen Religion anstrebte – in einem Konkordatsystem, das anerkannten Religionen (frz. cultes reconnus) mehr Freiheit einräumte als nicht-anerkannten.[10]

Je weiter das 19. Jahrhundert voranschritt, desto überzeugter wurden die Republikaner, dass der Laizität nicht länger der Stellenwert eines in der Vergangenheit verwurzelten Bezugspunkts, sondern jener einer politisch-rechtlichen Ordnung in der Gegenwart zukommen sollte. Galt ihre Kritik anfangs vor allem den theologischen Argumenten der Kirche und ihrer Hegemonialposition, fand nach der Gründung der Dritten Republik, die unter Katholiken auf Ablehnung stieß, eine Politisierung statt. Dass Versuche zur Annäherung von Kirche und Staat, so wie diese z.B. von Papst Leo XIII. unternommen wurden, die Trennung von 1905 am Ende nicht aufhalten konnten, war vor allem Folge zeitgenössischer Ereignisse wie der Dreyfus-Affäre.

Insgesamt gilt, dass das Trennungsgesetz von 1905 sich zwar auf ein intellektuelles Erbe stützte, das seine Wurzeln in der Französischen Revolution hatte, aber dennoch als impromptu Entscheidung zu bewerten ist. Wie eine Analyse der Quellen nun zeigen wird, hatte die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich im 19. Jahrhundert nicht die Form einer linearen Erfolgsgeschichte. Vielmehr war es ein Streit um Deutungsangebote, in dem Staat und Kirche um Hegemonie rangen und Phasen von Annäherung und Distanzierung zwischen beiden sich abwechselten.

Das Spannungsverhältnis von Kirche und Staat hinterfragt: Quellenanalyse

Als 1905 die Zukunft religiös-politischer Beziehungen in Frankreich debattiert wurde, verwiesen viele Zeitgenossen auf die Verfassung vom 22. August 1795 (5. Fructidor, Jahr III), welche eine erste Trennung von Staat und Kirche vorgenommen hatte. Der Historiker Alphonse Aulard (1849-1928) würdigte sie als eine Maßnahme, die das politische Klima stabilisiert hatte; politische Extremisten und religiöse Fanatiker wurden marginalisiert und das Fortbestehen des Christentums akzeptiert.[11] Dabei war die wirkliche Neuerung durch das Dekret vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) vorgegeben, das die Religionsfreiheit gewährleistete und die Trennung der Kirchen und des Staates regelte.[12] Das Dekret beendete den Antikatholizismus der Schreckensherrschaft und verbot die Religionsausübung außerhalb dafür vorgesehener Räume, bestätigte jedoch die Aufhebung der Staatskirche und schützte Gläubige vor Angriffen.

Die Bemühung, Kirche und Staat zu versöhnen, zugleich aber den Auswüchsen katholisch-klerikaler Macht im Ancien Régime entgegenzutreten und Andersdenkende und gläubige zu schützen, ist auch der Autorenschaft des Dekrets geschuldet. Vom Nationalkonvent auf Vorschlag dreier Exekutivorgane verabschiedet, ging das Dekret vor allem auf den Juristen François-Antoine Boissy d’Anglas (1756-1826) zurück.[13] 1789 als Vertreter des Dritten Standes in die Nationalversammlung gewählt, setzte sich der gebürtige Protestant für die Religionsfreiheit ein. Nach dem Fall Robespierres war Boissy Anführer der Moderaten und Mitglied des Wohlfahrtsausschusses. Seine religiöse und politische Zugehörigkeit erklärt, warum das Dekret eine staatliche Anerkennung der pastoralen Aufgaben der Kirche vornahm, welche anti-republikanische Ressentiments entschärfen und weltanschauliche Reibungen eindämmen sollte.

Die Artikel des Dekrets umfassen vier Themenkomplexe: das Verbot der Störung eines Religionsdienstes oder Beschimpfung einer Religionslehre (Art. 1, 10), das Untersagen von finanzieller und logistischer Unterstützung seitens des Staates (Art. 2, 3, 8, 9), die räumliche Eingrenzung religiöser Symbolik und religiösen Handelns (Art. 4, 5, 7) und die Überwachung religiöser Praktiken (Art. 6); die Artikel 11 und 12 regeln das Verhältnis zu bestehenden Gesetzen. Das Dekret entwirft eine Ordnung, welche der Kirche die größtmögliche Freiheit einräumt, solange (quid pro quo) sie nicht die Republik gefährdet. Es unterscheidet zwischen den pastoralen Aufgaben der Kirche – hier gilt die Religionsfreiheit – und ihrem gesellschaftspolitischen Handeln – das durch die Trennung begrenzt wird. Das Dekret enthält somit Elemente, die auf eine Annäherung, aber auch auf eine Distanzierung von Religion und Politik hindeuten.

Trotz des Antiklerikalismus des Direktoriums machten sich Stimmen breit, zumindest den gemäßigten Klerus stärker in das öffentliche Leben einzubinden; auf lokaler Ebene war die Kirche potentiell ein wichtiger Partner des Staates, der ihre Herrschaft zudem legitimieren konnte. Das Resultat dieser strategischen Neuorientierung war das Konkordat von 1801. Es erklärte die katholische Religion zum Glauben ‚der Mehrheit der Franzosen‘, sicherte der Kirche finanzielle Unterstützung zu und erlaubte die Rückkehr des exilierten romtreuen Klerus. Der konfiszierte Kirchenbesitz hingegen wurde nicht zurückgegeben und der Staat erhielt das Recht zur Ernennung neuer Bischöfe; die nachträglich hinzugefügten Organischen Artikel stärkten die Position religiöser Minderheiten. Das Konkordat, das die Trennung von 1795 aufhob, regelte die religiös-politischen Verhältnisse in Frankreich für die Dauer des 19. Jahrhunderts.

Das Konkordat hatte der Kirche eine sichere Gesetzesgrundlage geschaffen, auf deren Basis sich eine katholische Wiederbelebung aufbauen konnte. Ausdruck fand diese Bewegung in der Kreierung von Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie in der Formierung des politischen Katholizismus. Dies ging mit einer inhaltlichen Verschiebung einher, die u.a. in der Popularität von Marienanbetungen und Wundern Ausdruck fand. Doch Ereignisse wie jene in Lourdes, wo die Jungfrau Maria 1858 Bernadette Soubirous erschienen sein soll, wirkten sich nicht nur positiv auf die Kirche aus. Kritiker betonten den Mangel an empirischen Beweisen für die Existenz solcher Marienerscheinungen, die sie als Beleg für die Antimodernität der Kirche bewerteten.

Ernest Renan (1823-92), der mit dem 1863 veröffentlichten Buch Das Leben Jesu (frz. Vie de Jésus) einen wichtigen Beitrag zur historischen Jesusforschung lieferte, gehörte zu den prominentesten Vertretern einer solchen positivistischen Kirchenkritik.[14] Renan war ein besonders polyvalenter Denker; seine Interessen umfassten die Geschichte des Christentums, der semitischen Sprachen und der antiken Welt, aber auch die Evolutionsbiologie und politische Theorien.[15] Diese Vielfalt ist teilweise der Biographie Renans geschuldet. Als Kind eines bretonischen Republikaners und einer aus der Gascogne stammenden Royalistin durchlief er in Tréguier ein Kleinseminar und anschließend ein Pariser Priesterseminar, wo er sich der katholischen Scholastik widmete. Nach dem Studium der Philosophie und Philologie trennte er sich vom angestrebten Priesterleben und wurde später einer der führenden republikanischen Denker. Das Leben Jesu bezeugt insofern Renans Lebenslauf, als es von großer Vertrautheit mit der Bibel und Sympathie mit der Figur Jesu bezeugt, aber dennoch nach den Kriterien des Positivismus entworfen ist.[16]

Das Leben Jesu besteht aus einer Einleitung und 28 Kapiteln, die, neben einer Einordnung Jesu in die Weltgeschichte (Kap. 1) und einer Charakterisierung seines Wirkens (Kap. 28), sein Leben chronologisch behandeln. In der Einleitung (nur im französischen Original aufgenommen) stellt Renan neben seinem Projekt zur Verfassung einer siebenbändigen Geschichte der ‚Ursprünge des Christentums‘, von der Das Leben Jesu der erste Band sei, sein Quellenmaterial vor, bewertet dessen historische Zuverlässigkeit und weist auf die divergierenden Berichte über Jesus hin.[17] Besonders ausführlich problematisiert Renan die ‚historische Authentizität‘ der Evangelien; zwar sind sie nicht von den Evangelisten selbst geschrieben, doch ihre Entstehung im 1. Jahrhundert gibt ihnen ‚historischen Wert‘.[18] Im zweiten Teil der Einleitung übt Renan eine positivistische Kritik am Mirakelglauben: ‚Wir sagen nicht: „Der Mirakel ist unmöglich“; wir sagen: „Es gibt bisher noch kein belegtes Mirakel“‘.[19] Damit steht Renans Programm für Das Leben Jesu fest; es gilt auf Basis einer kritischen Analyse historisch überlieferter Textquellen das Leben Jesu, besonders aber den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung des menschlichen Jesus in den göttlichen Jesus zu rekonstruieren.

Tatsächlich wird Jesus Menschsein ein zentraler Platz im Buch eingeräumt. Bereits im ersten Absatz wird er als ‚ausgezeichnete Persönlichkeit‘ beschrieben, die ‚den Inhalt des künftigen Glaubens der Menschheit schuf‘.[20] Renan leitet das Christentum von einer menschlichen Initiative her und interpretiert das Göttliche, statt als etwas Transzendentes, als etwas Geistliches, das zudem unvollkommen (weil menschlich) ist.[21] Weitere Aspekte, die hervorgehoben werden können, sind Jesu unkonventionelles und agitatorisches Handeln, seine Aufrichtigkeit und Leidenschaft, seine Geschicktheit in zwischenmenschlichen Beziehungen und seine Überzeugung von der eigenen Rolle in der Weltgeschichte.[22] Ob nun Renans Bewertung, dass die ‚Jesuslegende‘ die Erfindung einer Menschenmasse statt eine göttliche Offenbarung sei, seine Verwendung von Semantiken aus der Revolutionszeit oder die Zuschreibung eines Gewaltpotenzials am jüdisch-christlichen Monotheismus; die Sprengkraft von Das Leben Jesu ist offensichtlich. Damit wird auch die Entscheidung zu Renans Exkommunikation durch Papst Pius IX. (reg. 1846-78) verständlich.[23] Zudem belegt das Buch die damals propagierte Idee der Existenz ‚zwei[er] Frankreichs‘.[24]

Pius‘ Nachfolger war der gemäßigtere Leo XIII. (reg. 1878-1903). Er war weder zu theologischen Reformen bereit noch gab er den Traum von der Restauration der verlorenen Kirchenstaaten jemals auf. Insgesamt war er aber bestrebt, die Kirche mit den politischen und sozialen Entwicklungen der Zeit in Einklang zu bringen. Die Verurteilung der elenden Lebensbedingungen und der Ausbeutung der Arbeiterklasse in der Enzyklika Rerum Novarum (1891) war ein erstes Indiz dieser Bemühung, Kirchenlehre und gesellschaftliche Realität zu harmonisieren. Einen weiteren Beleg liefert die Enzyklika Inmitten der Besorgnisse (frz. Au Milieu des Sollicitudes), die am 16. Februar 1892 an den Klerus und die Katholiken Frankreichs gerichtet wurde. Die ausnahmsweise nicht auf Lateinisch verfasste Enzyklika fängt mit einer Lamentation über gegenwärtige Versuche zur ‚Vernichtung‘ des Christentums an, lobt aber ‚Liebe und Eifer‘ der Gläubigen für ihre Kirche.

Im Hauptteil ermahnt Leo XIII. alle ‚rechtlich und vernünftig denkenden Franzosen‘, die politische Spaltung zu beenden. Dazu betont er zum einen die Bedeutung von Religion für den sozialen Zusammenhalt und den gesellschaftlichen Frieden, hinterfragt zum anderen das Verhältnis von Staat, Politik und Kirche. Laut dem Papst sollte zwischen ‚etablierter Gewalt‘, d.h. einer Regierungsform, und der Gesetzgebung unterschieden werden. Folglich sollen Katholiken ihre anti-republikanischen Polemiken einstellen – was implizit auf eine Akzeptanz der Republik hinausläuft – und ihre Angriffe auf Gesetze anti-religiöser Natur richten. Zur Fundierung seines Arguments zitiert Leo XIII. die Geschichte vom abtrünnigen Kaiser Julian, dessen christliche Soldaten den kaiserlichen Befehl zur Anbetung von Götzenbildern verweigerten, dem Befehl zur Bekämpfung eines irdischen Feindes aber trotzdem folgten.[25] Folgt man Leo XIII., soll die Gewalt eines Herrschers akzeptiert werden, es sei denn sie verstößt gegen die göttlichen Gesetze; einen solchen Verstoß stellen antiklerikale Gesetze dar, nicht aber die republikanische Staatsform.

Inmitten der Besorgnisse gilt als Aufruf an die Katholiken zum ‚Anschluss‘ (frz. ralliement) an die Republik. Die Enzyklika versucht Kirche und Staat zu versöhnen, auch in der Hoffnung, so den Antiklerikalismus zu dämpfen. Dementsprechend nimmt Leo XIII. im Fazit Bezug auf das Konkordat – um dessen Abschaffung die ‚Gegner der Religion‘ ringen – und auf das laizistische Prinzip, das er nicht nur als Verstoß gegen die göttlichen Gesetze, sondern auch gegen die Menschenrechte bewertet. Der Papst bediente sich also Argumentationsmustern, die aus der Revolutionszeit stammten und prägend für den Republikanismus waren.

Dass die päpstliche Aufforderung zur Akzeptanz der Republik keineswegs alle Katholiken überzeugte, überrascht kaum. Grund dafür war nicht zuletzt das Verhalten der radikalen Republikaner, welche sich durch die Neueröffnung des Prozesses gegen Dreyfus und ihren Wahlsieg von 1902 in ihren Vorurteilen gegenüber der Kirche bestätigt fühlten. Dass sich die angestrebte Annäherung von Kirche und Staat zerschlug und sich Gefühle von ideologischer Distanzierung in solche von Anfeindung umwandelten, zeigen die Feierlichkeiten zur Enthüllung des Denkmals für Ernest Renan (1903) und zur Einweihung des Calvaire de Protestation (1904) in Tréguier.[26]

Die Denkmalinitiative für Renan entstammte dem republikanischen Club ‚Die Bretonen von Paris‘, dessen antiklerikale Sichtweise sich in der Ikonographie des Denkmals widerspiegelt; hinter der wenig schmeichelhaft abgebildeten Sitzfigur Renans steht Athena (Göttin der Weisheit und Symbol der Freidenker), einen Olivenkranz haltend. Zur Enthüllung waren neben bretonischen Republikanern auch Präsident Émile Combes, der Denker Anatole France und der Chemiker Marcellin Berthelot angereist. Sie alle sind auf dem Titelumschlag des Petit Journal abgebildet.

Die Bildquelle zeigt den Moment, in dem die Gendarmen einige Protestierende in Richtung Rathaus zurückdrängen, während jauchzende Republikaner vor dem Dom stehen. Das Bild stimmt nicht ganz mit anderen Quellen überein; so hatten sich etwa 1.500 Katholiken im Dom versteckt, die am Ende der Feier aus der Kirche strömten, dort Republikaner attackierten und von Republikanern attackiert wurden.[27] Bemerkenswerter ist jedoch, dass die Bildquelle nicht den Triumph des kritischen Denkens und den Republikanismus mittels des Gedenkens an Renan feiert, sondern die Anfeindung zwischen Befürwortern und Gegnern staatlichen Antiklerikalismus beleuchtet. Rühmte sich Le Petit Journal seiner politischen Neutralität, greift die Zeitung hier das republikanische Narrativ eines unversöhnlichen und gesetzwidrigen Katholizismus auf und vermittelt dem Rest Frankreichs die Idee einer subversiven und anti-modernen Bretagne.[28] Dass es sich dabei um eine kulturelle Konstruktion – einen Pariser ‚Bretonismus‘ – handelt, zeigt auch die Darstellung der weiblichen Protestierenden; ihre coiffes (Kopfbedeckungen) gehören weder zum Tréguierer noch zu einem anderen bretonischen Kostüm.

Das Bild der Bretagne als partikularistische Region findet auch Ausdruck in der Ansichtskarte, die eine vor dem Calvaire de Protestation am Vorabend seiner Einweihung (19. Mai 1904) versammelte Menschengruppe zeigt. Im Zentrum steht eine Kreuzigungsgruppe im bretonischen Stil; am Fuß sind der hl. Longinus, die Madonna, die hll. Johannes und Maria Magdalena sowie Maria Salome abgebildet. Die Gruppe steht am Eingang eines umzäunten Parks. Auf den Säulen des Zauns sind Skulpturen der Heiligen Georg und Mauritius aufgestellt (die Bildnisse der Heiligen Andreas, Brieuc, Tugdual und Petrus waren zum Zeitpunkt der Einweihung noch nicht fertiggestellt). Im Gegensatz zum Bild im Petit Journal strahlt die Ansichtskarte Harmonie aus. Die einzige Dissonanz findet sich auf der linken Säule, auf die Republikaner die Worte ‚Nieder mit der Kirche‘ (frz. À bas la Église) geschmiert hatten. (Ansichtskarten vom Tag der Einweihung zeigen die Säule frisch gestrichen.)

Die Feierlichkeiten in Tréguier bezeugten eine Verschärfung der Debatte um die Rolle von Religion im öffentlichen Leben, die sich ab 1901/02 bemerkbar machte. Vertieft wurde die Krise durch die Einberufung zweier pro-republikanischer, aber umstrittener Bischöfe durch den konservativen Papst Pius X. (reg. 1903-13) und die Aufkündigung diplomatischer Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl, beide im Sommer 1904. Dies setzte eine Folge von Ereignissen in Bewegung, deren unverhofften Ausgang das Gesetz zur Trennung der Kirchen und des Staates vom 9. Dezember 1905 darstellt. Wie im Jahre 1795, waren auch dieses Mal mehrere Protestanten an der Gesetzeskonzeption beteiligt; der ehemalige Pfarrer Ferdinand Buisson übernahm sogar den Vorsitz des Komitees zur Bearbeitung eines Gesetzesentwurfs.[29]

Das Gesetz von 1905 enthält 44 Artikel und ist in sechs Titel (frz. titres) gegliedert, die neben allgemeinen Prinzipien vor allem die Regelungen für den Kirchenbesitz, die Renten von Religionsdienern, Kirchengebäude, religiöse Vereine und die polizeiliche Aufsicht festsetzen. Artikel 1 fungiert als eine Art Präambel. Er garantiert einerseits die ‚Gewissensfreiheit‘ und ‚freie Religionsausübung‘ und stellt anderseits Maßnahmen auf, die religiöse und kirchliche Praktiken einschränken und ihrer unkontrollierten Ausübung im ‚Interesse der öffentlichen Ordnung‘ vorbeugen. Die Länge und Präzision des Gesetzes im Vergleich zum Dekret von 1795 spiegelt die Reife des bürokratischen Staates wider.

Das Trennungsgesetz regelt die Beziehung zwischen der Republik und der Nation in Bezug auf die Rolle von Religion im öffentlichen Leben. Dabei ergreift die Laizität die Kirchen (im Plural[30]); so ist in Artikel 12 die Rede von Kathedralen und Kapellen, aber auch von Tempeln und Synagogen.[31] Das Gesetz greift teilweise auf das Dekret von 1795 und auf das Konkordat von 1801 zurück; es bestätigt die polizeiliche Überwachung von Gottesdiensten und schützt die Gefühle sowohl von Gläubigen als auch von Religionsgegnern. Insgesamt ist das Trennungsgesetz aber milder als das revolutionäre Dekret. So können die Gehälter mancher Religionsdiener weiterhin vom Staat bezahlt werden (Art. 2), ist die Religionsausübung im Freien (cf. Prozessionen) prinzipiell erlaubt (Art. 27) und dürfen an ausgewählten Orten religiöse Symbole angebracht werden (Art. 28). Neu ist das explizite Verbot jeglicher Vermischung von Religion und Politik: weder das Abhalten von politischen Versammlungen in für die Religionsausübung bestimmten Räumen (Art. 26) noch die Beleidigung von Staatsbeamten durch Religionsdiener (Art. 34) ist gestattet. Schließlich bezeugt das Dekret die Bedeutung, welche der Gewissensfreiheit damals zugesprochen wurde: die Gefühle jeder Person, gläubig oder nicht, sollten geschützt werden (z.B. Art. 31-35).

Die Laizität war niemals der einzig mögliche Ausgang der Debatte um die Rolle von Religion im öffentlichen Leben der Dritten Republik gewesen; tatsächlich hatte kein Premierminister dieser Zeit sie entweder beabsichtigt oder gewollt.[32] Dementsprechend scharf war die Kritik aus dem Vatikan. Anfang Februar 1906 verurteilte Pius X. das laizistische Prinzip; im August folgte darauf ein Verbot zur Gründung ‚religiöser Vereine‘ (frz. associations cultuelles) gefolgt, die zur Verwaltung des Kirchenbesitzes im Gesetz vorgesehen worden waren.[33] Die Kritik des Heiligen Stuhls befeuerte und legitimierte den lokalen Widerstand gegen die Inventarisation des Kirchenbesitzes, die ab Anfang 1906 durchgeführt wurde und vielerorts gewalttätige Zwischenfälle auslöste.[34] Bemüht, die Animosität der Katholiken gegenüber der république laïque zu reduzieren, wurden 1907-08 einige Änderungen im Gesetz vorgenommen. Zu einer Restauration der diplomatischen Beziehungen zwischen der Französischen Republik und dem Heiligen Stuhl kam es jedoch erst nach dem Ersten Weltkrieg. Bis heute gilt die Laizität weder in Elsass-Lothringen, das zu dieser Zeit zum Deutschen Kaiserreich gehörte, noch in den Überseegebieten Guyana und Mayotte.

Laizität heutzutage

Das Trennungsgesetz von 1905 hat das Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich zwar geregelt, doch die Debatte um die Laizität keineswegs beendet. Zum einen sind Definition und Interpretation der Laizität immer wieder Diskussionsthema gewesen; zum anderen wurde die politische Umsetzung und gesetzliche Durchsetzung des laizistischen Prinzips oft hinterfragt, auch im Hinblick auf eine vermeintliche Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit.[35] Dass die Laizität vor allem als work-in-progress zu verstehen ist, belegt auch der staatliche Umgang mit dem Trennungsprinzip seit 1905.

Erstens wurden mehrmals kleinere Änderungen im Gesetz vorgenommen, die auf eine Schwächung des Widerstandes (z.B. die obenzitierten Anpassungen von 1907-08), eine Vorbeugung möglichem Missbrauchs oder eine Angleichung an die politischen Umstände abzielten. Zudem wurde die Laizität mit der Gründung der Vierten Republik 1946 explizit zum Grundprinzip der Französischen Republik ernannt; im ersten Artikel der Verfassung heißt es: ‚Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik‘.[36] Seitdem ist die Laizität nicht länger ‚nur‘ ein Gesetz, sondern Grundgerüst der Französischen Republik. Schließlich haben staatliche Akteure gerade in letzter Zeit immer wieder versucht das Bekenntnis der Republik zur Laizität aufrechtzuerhalten.

So gründete Präsident Jacques Chirac (reg. 1995-2007) im Jahr 2003 eine Kommission zur Reflexion über die Anwendung des Prinzips der Laizität in der Republik. Diese Entscheidung war eine Reaktion auf die Herausforderungen, die von der Wiederkehr der Religion im Zuge des Multikulturalismus an eine säkular geglaubte Gesellschaft gestellt werden. Die Kommission unter Führung von Bernhard Stasi sah die Laizität auf mehreren Ebenen gefährdet, z.B. durch das Tragen von religiöser Kleidung in Staatsschulen.[37] Eine erste Reaktion darauf war das Gesetz über die religiösen Symbole in Staatsschulen vom 15. März 2004, das Schülern verbot, ‚eine religiöse Zugehörigkeit ostentativ zu manifestieren‘ – z.B. durch das Tragen eines Kopftuches, einer Kippa, eines Turbans oder eines großen Kruzifixes.[38] Außerdem wurde 2010 die Gesichtsverschleierung in öffentlichen Räumen verboten.[39]

Die Auseinandersetzungen mit der Laizität während des vergangenen Jahrhunderts zeigen, dass die aktuelle Konstellation von Religion, Politik und Gesellschaft in Frankreich nicht in Stein gemeißelt ist. Von den Vätern der Trennungsgesetze von 1795 und 1905 noch als endgültige Aufhebung religiös-politischer Konflikte gedacht, wird die heutige Laizität immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Neben sich verschiebenden Normensystemen, die sich infolge gesellschaftlicher Transformationen manifestieren, gehört zu diesen Herausforderungen die Konfrontation mit einem europäischen ‚Anderen‘; diese Gegenüberstellung präsentiert die Laizität als eine Option innerhalb eines Spektrums an Staat-Kirche-Regelungen. Insofern ist die heutige Laizität in Frankreich weder ein einheitliches noch ein vollendetes Prinzip, sondern als Momentaufnahme einer Bewegung von Annäherung und Distanzierung zwischen Staat und Kirche in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft zu bewerten.[40]

  1. Im Original ist tatsächlich nur vom Déclaration des Droits de l’Homme die Rede; der vollständigen Namen des Dokuments ist jedoch Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen (d.h. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte).
  2. Pierre Cabanel, Entre Religions et Laïcité, XIXe-XXIe Siècle, Toulouse 2007.
  3. Axel Frhr. von Campenhausen, Die Entstehung des französischen Models der laïcité und seine Modifikationen, in: Irene Dingel / Christiane Tietz (Hg.), Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA. Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung, Göttingen 2012, S. 65-87, 65-66; Laïcité, in: Larousse.fr. URL: [[../customXml/item1.xml|http://larousse.fr/dictionnaires/francais/la%C3%AFcit%C3%A9/45938]] (Zugriff am 18. März 2016).
  4. Die Verwendung des Begriffs laïcisation ist eher unüblich. Jean Baubérot, Laïcité 1905-2005. Entre Passion et Raison, Paris 2004, S. 53. Zum Unterschied von ‚Säkularisation‘ (die gesetzlich-politische Enteignung kirchlichen Besitzes) und ‚Säkularisierung‘ (die Verringerung des Einflusses von Kirche und Religion in der Gesellschaft) siehe Hartmut Lehmann, Säkularisierung. Der europäischen Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004, S. 36-56.
  5. Emile Chabal, A Divided Republic: Nation, State and Citizenship in Contemporary France, Cambridge 2015, S. 10.
  6. Claude Nicolet, L’Idée Républicaine en France (1789-1924): Essai d’Histoire Critique, Paris 1982, S. 268.
  7. Dazu Mona Ozouf, L’École, l’Église et la République (1871-1914), Paris 1982 [1962].
  8. Claude Langlois, La Revolution Française: Un Processus de Laïcisation?, in: Hubert Bost / Jean Ansaldi (Hg.), Genèse et Enjeux de la Laïcité: Christianismes et Laïcité, Paris 1990, S. 73-87, 81-84; Georges Weill, Histoire de l’Idée Laïque en France au XIXe Siècle, Paris 2004 [1929], S. 27-30.
  9. Jean Baubérot, Vers un Nouveau Pacte Laïque?, Paris 1990, S. 21.
  10. Jacqueline Lalouette, La Séparation des Églises et de l’État, Paris 2005, S. 22.
  11. Alphonse Aulard, Notes sur l‘Histoire du Concordat, in: Revue Politique et Littéraire. Revue Bleue (5. November 1904); Nigel Aston, Religion and Revolution in France 1780-1804, Washington, D.C. 2000, S. 279.
  12. Jean Baubérot, Laicity, in: Edward Berenson / Vincent Duclert / Christophe Prochasson (Hg.), The French Republic. History, Values, Debates, Ithaca 2011, S. 127-135, 129.
  13. Romuals Szramkiewicz, Boissy d’Anglas, la Constitution de l’An III et la Politique Religieuse, in: Gérard Conac (Hg.), La Constitution de l’An III: Boissy d’Anglas et la Naissance du Libéralisme Constitutionnel, Paris 1999, S. 153-165, 156-157.
  14. Für einen Überblick über die Anfangsphasen der historischen Jesusforschung siehe Albert Schweitzer, Von Reimarus zu Wrede: Eine Geschichte der Leben Jesu-Forschung, Tübingen 1906.
  15. Zuletzt Jean Balcou, Ernest Renan. Une Biographie, Paris 2015.
  16. Das Buch hat Renan seiner Schwester Henriette gewidmet. Die gebildete Lehrerin ruhte seit 1861 in ‚Gottes Schoß‘ (frz. sein de Dieu). Durch diese Formulierung bekannte sich Renan zum christlichen Glauben. Dazu das französische Original: Ernest Renan, Vie de Jésus, 9. Ausgabe, Paris 1863, S. I.
  17. Renan verwendet (i) die Evangelien und die Schriften des Neuen Testaments, (ii) die Apokryphen des Alten Testaments, (iii) die Werke von Philo, (iv) jene von Josephus und (v) den Talmud. Renan, Vie de Jésus, S. IX.
  18. Ebd., S. XXXVII.
  19. Ebd., S. LI.
  20. Ernest Renan, Das Leben Jesu, übersetzt von W. Kalt, Halle/Saale 1913, S. 1.
  21. Ebd., S. 57.
  22. Der ultimative Beweis für den menschlichen Jesus findet Renan in dessen Tod, der er nicht auf eine göttliche Intervention, sondern auf Jesu ‚Kühnheit‘ zurückführt. Ebd., S. 131.
  23. Ebd., S. 134 + 209.
  24. Zum ‘Krieg der zwei Frankreichs’ und dem begrenzten heuristischen Wert des Konzepts, siehe zusammenfassend James McMillan, ‚Priest Hits Girl‘: On the Front Line in the ‚War of the Two Frances‘, in: Christopher Clark / Wolfram Kaiser (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2009 [2003], S. 77-101; Theodor Zeldin, Were there Two Frances?, in: Conflicts in French Society: Anticlericalism, Education and Morals in the 19th Century, London 1970, S. 9-11.
  25. Zitiert in der Enzyklika als ‚Enarrat, in Psalm. CXXIV, n. 7, fin‘. Jemand?
  26. Eveline G. Bouwers, “Catholic and Breton Forever”: Violence and the Visual in Early-Twentieth Century France, in: Ingrid Gilcher-Holtey / Heinz-Gerhard Haupt / Willibald Steinmetz (Hg.), Writing Political History Today, Frankfurt am Main 2013, S. 259-290, 277-281.
  27. Ebd.
  28. Caroline Ford, Creating the Nation in Provincial France. Religion and Political Identity in Brittany, Princeton: 1993, S. 135-169.
  29. Dazu auch Mireille Gueissaz, Protestants et laïques d’origine protestante dans la loi de 1905, in: Matériaux pour l’Histoire de Notre Temps 78:1 (2005) S. 16-26.
  30. Im französischen wird den Begriff églises verwendet. Zwar ist der Begriff ‚Kirche‘ eigentlich christlich konnotiert, wird sie in diesem Kontext für alle Glaubensgemeinschaften verwendet.
  31. Im Folgenden werden vor allem diejenigen Artikel angesprochen, die für das Thema Religion und Politik relevant sind.
  32. Maurice Larkin, Church and State after the Dreyfus Affair: The Separation Issue in France, London 1974, S. 2.
  33. Es handelt sich um die Enzykliken Vehementer Nos und Gravissimo Officii Munere (letztere wurde nur an die Erzbischöfe und Bischöfe gerichtet).
  34. Siehe u.a. Bouwers, “Catholic and Breton Forever”, S. 282-286; Patrick Cabanel, La Révolte des Inventaires, in: Jean-Pierre Chantin / Daniel Moulinet (Hg.), La Séparation: les Hommes et les Lieux, Paris 2005, S. 91-108; Jean-Marie Mayeur, Religion et Politique: Géographie de la Résistance aux Inventaires (février-mars 1906), in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations 21:6 (1966) S. 1259-1272.
  35. Jean Baubérot, Les 7 Laïcités Françaises, Paris 2015; Henri Peña-Ruiz, Qu’est-ce que la laïcité?, Paris 2003.
  36. Auf Französisch: ‚La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale‘. Die Verfassung der Fünften Republik (1958) enthält den gleichen Satz.
  37. Commission de Reflexion sur l’Application du Principe de Laïcité dans la République, Rapport au Président de la République (11. Dezember 2003).
  38. Code de l’Éducation – Article L141-5-1 (Gesetz N° 2004-228 vom 15. März 2004).
  39. Das Gesetz zur Gesichtsverschleierung im öffentlichen Raum trat am 11. Oktober 2010 in Kraft. Am 1. Juli 2014 hat der Europäische Gerichtshof beschlossen, dass das Gesetz zwar einzelne muslimische Frauen – wie jene Frau, die in Straßburg geklagt hatte – benachteiligt, dass es aber nicht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht.
  40. Jean Baubérot, Les 7 Laïcités Françaises, Paris 2015, S. 21.