Religion und Politik in Frankreich: Von der Französischen Revolution bis zur Dritten Republik

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Eveline G. Bouwers

Einleitung

In Frankreich sind politische und religiöse Streitigkeiten seit Jahrhunderten eng miteinander verflochten. Bereits in der Frühen Neuzeit kam es aufgrund dessen im Land des ‚allerchristlichsten Königs‘ vielfach zu Konflikten, Gewalt und Krieg. Während der Hugenottenkriege (1562-98) kämpften die katholischen Adligen gegen die Zentralisierungsbestrebungen der Könige, die von den etwa 10 Prozent französischen Protestanten unterstützt wurden. Beendet wurde dieser Streit durch das Edikt von Nantes (1598), das den Hugenotten zwar Gewissensfreiheit, freie Religionsausübung und Bürgerrechte zusicherte, doch durch die Erhebung des Katholizismus zur Staatsreligion die Position religiöser Minderheiten langfristig schwächte. Tatsächlich wurde die Sonderstellung der Hugenotten zunehmend als Widerspruch zum absolutistischen Staatsideal empfunden. 1685 wiederrief Ludwig XIV. (reg. 1643-1715) dann das Nanter Edikt.

Seit dem 14. Jahrhundert hatten die Könige eine gewisse Autonomie der französischen Kirche vom Heiligen Stuhl angestrebt. Der Versuch die weltliche Macht der nationalen Bischöfe gegenüber jener des Papstes zu stärken wurde später als Gallikanismus (von Gallia, d.h. Frankreich) bezeichnet und von Ludwig XIV. zur Staatsraison erhoben. Wie auch der Absolutismus, geriet der Gallikanismus während der Aufklärung in die Kritik. Statt nach Tradition strebten die philosophes[1] nach Fortschritt und nach einer an der Vernunft orientierte Gesellschaftsgestaltung; die Hegemonie des Souveräns und der herrschenden Stände sollte durch das Gemeinwohl und die Einführung von Bürgerrechten ersetzt werden. An die Stelle des Aberglaubens traten Vernunft, Wissenschaft und Toleranz. Leitspruch der kirchenkritischen Ansichten der Philosophen wurde das Diktum Voltaires: ‚Rottet den niederträchtigen [Aberglauben] aus!‘ (Écrasez l’infâme!).

Das frühneuzeitliche Bündnis von Thron und Altar gab der Kirche zwar Macht, doch gefährdete es zugleich ihre Position. Als Teil des monarchischen Machtgefüges strahlten die verlorenen Kriege, den drohenden Staatsbankrott und der soziale Unmut des 18. Jahrhunderts auf sie aus. Dass neben dem Adel auch der höhere Klerus den Verzicht auf Privilegien verweigerte, sorgte für Unzufriedenheit. Dennoch richteten sich die Proteste vom Sommer 1789 keineswegs gegen all das, was kirchlich und religiös war; vielmehr schloss der niedrige Klerus sich teilweise dem Dritten Stand (d.h. allen, die weder zum Adel noch zum Klerus gehörten) an. Dennoch geriet die andauernde kirchliche Unterstützung für die Monarchie ins Visier der Revolutionäre. Nachdem der Besitz der Kirche im November konfisziert und die Klosterorden im Februar 1790 aufgehoben worden waren, verabschiedete die Verfassungsgebende Nationalversammlung im Juli des gleichen Jahres die Zivilkonstitution des Klerus, welche die Kirche unter staatliche Aufsicht stellte. Von den Priestern, nun Beamten, wurde ein Eidesschwur auf die Verfassung verlangt, den ihnen Papst Pius VI. (reg. 1775-99) aber untersagte. So entstanden ein verfassungstreuer und ein romtreuer Klerus, der gefangengenommen wurde oder emigrierte.

Je antiklerikaler sich die am 21. September 1792 gegründete Republik[2] entwickelte, desto größer wurde der Widerstand unter den Gläubigen. Nach der Ankündigung einer militärischen levée en masse[3] kam es im Westen Frankreichs zu einem blutigen Bürgerkrieg zwischen der Republik einerseits – die zwar einen Bedarf an Religiosität erkannte, doch diesen u.a. durch den von Robespierre geförderten Kult des Höchsten Wesens zu befriedigen versuchte – und den Royalisten sowie praktizierenden Katholiken anderseits. Nach dem Fall Robespierres versuchte das politisch deutlich gemäßigtere Direktorium die antirepublikanische Gesinnung der Gläubigen zu überwinden, indem es am 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) das Dekret zur ‚Freiheit der Religion und Trennung der Kirchen und des Staates verabschiedete (Quelle 1). Das Dekret regelte neben der religiösen Toleranz vor allem die staatliche Überwachung kirchlicher Organisationen und Akteure. Ihm war jedoch kein langes Leben beschert; bereits am 16. Juli 1801 (26. Messidor, Jahr IX) wurde es von einem Konkordat ersetzt, das den Katholizismus zur „Religion der großen Mehrheit der französischen Bürger“ machte und die staatliche Benennung und Besoldung des Klerus festsetzte.

Nach dem Fall Napoleons wurde am Wiener Kongress (1815) zwar die Restauration der Bourbonenmonarchie in Frankreich beschlossen, doch am Verhältnis von Kirche und Staat änderte sich zunächst wenig. Die Chartas[4] von Ludwig XVIII. (reg. 1814-24) und Louis-Philippe (reg. 1830-48) erklärten den Katholizismus weiterhin zur Mehrheits- statt zur Staatsreligion. Wenn auch das Konkordat trotz der vielen politischen Umwälzungen beibehalten wurde, zeichnete sich auf gesellschaftlicher Ebene zunehmend eine Spaltung zwischen den ‚zwei Frankreichs‘ (frz. deux Frances) ab, d.h. zwischen einem überwiegend progressiv-republikanischen und städtischen Frankreich einerseits und einem konservativ-katholischen und ländlichen Frankreich anderseits.

Die sakralen Verweise der restaurierten Monarchie und die Wiederherstellung kirchlichen Besitzes gingen mit einer katholischen Wiederbelebung einher, welche unter anderem eine wachsende Zahl von Klosterorden, die Entstehung einer katholischen Öffentlichkeit und den Ausbau eines kirchlichen Netzwerks von Sozialeinrichtungen zur Folge hatte. Diese ‚Verkirchlichung‘ des öffentlichen Lebens stieß unter Freidenkern, Andersgläubigen und Liberalen auf Widerstand. Immer häufiger stand die Macht der Kirche zur Debatte und griffen Intellektuelle die Lehrmeinungen Roms, die sie als vormodern und abergläubisch betrachteten, an. 1863 veröffentlichte der bretonische Schriftsteller und ehemalige Seminarist Ernest Renan (1823-1892) eine historische Biographie über Jesus, genannt Vie de Jésus (Quelle 2). Sein Versuch das Leben Jesu gemäß den Prinzipien der modernen Wissenschaft zu rekonstruieren, traf die Römisch-Katholische Kirche wie ein Blitz aus heiterem Himmel; Renan wurde daraufhin exkommuniziert.

Nach 1848 manifestierte sich in weiten Teilen Europas eine Spaltung zwischen ‚Liberalen‘, welche den Einfluss der Kirche im politischen Raum verringern wollten, und Ultramontanen, die eine Stärkung des Papsttums und der Bischöfe anstrebten. In Frankreich politisierten und polarisierten sich die weltanschaulichen und religiösen Gegensätze jedoch besonders stark. Nach der Gründung der Dritten Republik[5] (1870) bekannten sich die Katholiken – womit vor allem die aktiv praktizierenden Gläubigen gemeint sind – mehrheitlich zum politischen Konservatismus.[6] Während die republikanische Macht sich festigte, führte die katholische Unterstützung für nicht-demokratische Herrschaftsformen (egal ob Royalismus oder Imperialismus) zu ihrer politischen Isolierung. Außerdem bestärkte sie den Antiklerikalismus der Republikaner, der zunehmend eine laizistische Orientierung bekam.

Papst Leo XIII. (reg. 1878-1903), der als moderat und sozial galt, beobachtete die politische Marginalisierung der Katholiken mit Sorge. Nach dem Scheitern des konservativ-nationalistischen Blocks um General Boulanger in den Parlamentswahlen von 1889 rief er schließlich 1892 in der Enzyklika Au Milieu des Sollicitudes (‚Inmitten der Besorgnisse‘) zur Akzeptanz der Republik auf (Quelle 3). Dieser ‚Anschluss‘ (frz. ralliement) an die Republik wurde jedoch keineswegs von allen Mitgliedern des Klerus mitgetragen, wie die antirepublikanische Haltung vieler Ordensgemeinschaften und Katholiken zur Zeit der Dreyfus-Affäre zeigt. Diese Bestrebungen veranlassten die Regierung zu einer strengeren Überwachung und partiellen Aufhebung der Klosterorden, was mit dem Vereinsgesetz von 1901 umgesetzt wurde.

In einem Konflikt mit einem derartigen Emotionalisierungspotenzial wie jener um die politische und gesellschaftliche Rolle der Kirche, kam es nun gelegentlich sogar zu physischen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Republikanern. Vor dem Hintergrund des Verbots der Anwendung regionaler Sprachen für den Religionsunterricht griffen einzelne Katholiken im September 1903 die für die Enthüllung eines Denkmals für Ernest Renan auf dem Domplatz von Tréguier (im Norden der Bretagne) versammelten Republikaner an. Der Vorfall erregte großes Aufsehen in den Medien, wie das Bild aus Le Petit Journal zeigt (Quelle 4). In Reaktion auf das Renan-Denkmal beschlossen Katholiken die Errichtung eines Gegendenkmals in Form eines Kalvarienbergs (frz. calvaire), das am 19. Mai 1904 eingeweiht wurde und neben einer Kreuzigungsgruppe mehrere Statuen französischer und bretonischer Heiliger enthält. Zur Erinnerung wurden mehrere Ansichtskarten gedruckt (Quelle 5).

Hatten die Enthüllung des Renan-Denkmals und die Einweihung des Kalvarienbergs die innere Spaltung Frankreichs bereits offenbart, kam es im Sommer 1904 zu einem Eklat, als Papst Pius X. (reg. 1903-13) zwei pro-republikanische Bischöfe ohne Absprache mit dem französischen Kultusminister nach Rom einberief. Daraufhin brach die Abgeordnetenkammer die diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl ab. Stimmen für die Trennung von Kirche und Staat wurde immer lauter, bis am 9. Dezember 1905 die séparation gesetzlich durchgeführt wurde (Quelle 6). Damit ging das Prinzip einer staatlich geförderten Kirche[7], das seine Wurzeln im Gallikanismus des Ancien Régime hatte und durch das Konkordat Napoleons in geänderter Form fortgeführt worden war, zu Ende.

Weiterführende Literatur

  • Nigel Aston, Religion and Revolution in France, 1780-1804, Washington D.C. 2000.
  • Campenhausen, Axel Freiherr von, Die Entstehung des französischen Models der Laïcité und seine Modifikationen, in: Irene Dingel u. Christiane Tietz, Kirche und Staat in Deutschland, Frankreich und den USA. Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Beziehung, Göttingen 2012, S. 65-87.
  • Lisa Dittrich, Antiklerikalismus in Europa. Öffentlichkeit und Säkularisierung in Frankreich, Spanien und Deutschland (1848-1914), Göttingen 2014.
  • Jacqueline Lalouette, La Séparation des Églises et de l’État, Paris 2005.
  • Maurice Larkin, Church and State after the Dreyfus Affair: The Separation Issue in France, London 1974.
  1. Französische Denker der Aufklärung werden auch als philosophes bezeichnet.
  2. Die Republik wurde nie offiziell ausgerufen, doch gilt die Abschaffung der Monarchie am 22. September 1792 als ‚Stunde Null‘. An dem Tag begann auch der erste Tag des revolutionären Kalenders (1. Vendémiaire, Jahr I.).
  3. Die ‚levée en masse‘ wurde in Frankreich im August 1793 eingeführt. Sie legte eine Wehrpflicht für alle unverheirateten Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren fest.
  4. Eine Charta ist eine Art Urkunde mit politischen Versprechen; Ludwig XVIII. legte den Franzosen noch vor der Restauration der Monarchie eine Charta vor.
  5. Die Dritte Republik existierte von 1870 bis 1940 als Maréchal Pétain den ‚Französischen Staat‘ gründete. Ihre Vorgänge waren die Erste (1792-1804) und die Zweite (1848-1851) Republik. Aktuell befindet Frankreich sich in der Fünften Republik.
  6. Am 2. April 1871 führte die Pariser Kommune eine kurzlebige Trennung von Kirche und Staat ein.
  7. Das Konzept der Staatskirche wurde bereits während der Revolution abgeschafft.

Quelle 1

Dekret vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) zur Freiheit der Religion und Trennung der Kirche und des Staates.

Unter der von Robespierre angeführten Schreckensherrschaft (1792-94) war die Zahl und Intensität von politischen wie auch physischen Angriffen auf den Klerus und die Gläubigen rasant gestiegen. Verstärkt wurde diese antikatholische Haltung durch die Kreierung des ‚Kults des Höchsten Wesens‘. Nach dem Sturz Robespierres und der Beendung des Terrors versuchte der Nationalkonvent diesen Antiklerikalismus mittels des Dekrets vom 21. Februar 1795 (3. Ventôse, Jahr III) zu ‚entschärfen‘. Das Trennungsprinzip kehrte später in der thermidorischen Verfassung vom 22. August 1795 (5. Fructidor, Jahr III) zurück.

Nachdem er den Bericht seiner zusammengekommenen Wohlfahrts-, Sicherheits- und Gesetzgebungsausschüsse gehört hat, verfügt der Nationalkonvent:

Erster Artikel. Gemäß Artikel 7 der Erklärung der Menschenrechte[1] und Artikel 122 der Verfassung darf die Ausübung keiner einzigen Religion gestört werden.

2. Die Republik entlohnt keine einzige davon [cf. die Religion].

3. Sie [cf. die Republik] beschafft keine einzige Räumlichkeit, weder für die Religionsausübung noch für die Unterkunft der Religionsdiener.

4. Die Zeremonien aller Religionen sind außerhalb des dafür bestimmten Bereichs verboten.

5. Das Gesetz erkennt keinen Geistlichen an: keiner darf mit den Habiten, Ornaten oder Gewändern, die für religiöse Zeremonien bestimmt sind, in der Öffentlichkeit erscheinen.

6. Jede Versammlung von Bürgern zur Ausübung irgendeiner Religion unterliegt der Überwachung der ernannten Autoritäten. Diese Überwachung ist in den Maßnahmen der Polizei und der öffentlichen Sicherheit enthalten.

7. Kein Zeichen, das einer Religion gehört, darf an einem öffentlichen Ort oder im Freien aufgestellt werden, auf welche Art und Weise auch immer. Keine Beschriftung darf den Ort, der für sie [cf. die Religion] bestimmt ist, kennzeichnen. Kein Aufruf und keine öffentliche Einberufung darf erfolgen, um die Bürger dorthin einzuladen.

8. Die Kommunen oder Bezirke dürfen im Namen der Gemeinschaft keine Räumlichkeit zur Ausübung der Religion erwerben oder anmieten.

9. Es darf weder eine immerwährende oder lebenslange Stiftung noch eine Steuer für die Deckung der Kosten eingerichtet werden.

10. Wer die Zeremonien einer Religion mit Gewalt stört oder deren Gegenstände beleidigt, wird gemäß dem Polizeigesetz vom 22. Juli 1791 bestraft.

11. Das Gesetz vom 2. der Sansculotten, Jahr II, zu den kirchlichen Pensionen, bleibt unberührt und die Bestimmungen werden nach Form und Inhalt ausgeführt.

12. Jedes Dekret, dessen Bestimmungen im Gegensatz zu diesem Gesetz stehen, wird aufgehoben; und jede Anordnung gegen dieses Gesetz, die von den Repräsentanten des Volkes in den Departements veranlasst wurde, wird aufgehoben.

Bibliographie: Jean B. Duvergier (Hrsg.), Collection Complète des Lois, Décrets, Ordonnances, Règlemens et Avis du Conseil d’État, 38 Bde., Paris 1824-1938, Bd. 8, S. 32. Deutsche Übersetzung von Eveline G. Bouwers.

  1. Im Original ist tatsächlich nur vom Déclaration des Droits de l’Homme die Rede; der vollständigen Namen des Dokuments ist jedoch Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen (d.h. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte).