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Religion und Politik im Osmanischen Reich: Grundlinien vom 16. bis 18. Jahrhundert

von Denise Klein

Einleitung

Das Verhältnis von Religion und Politik war im Osmanischen Reich nicht weniger komplex und dem Wandel unterworfen als in den christlichen Staaten Europas der Neuzeit. Anders als in der Forschung zu Mittel- und Westeuropa bildete das Thema jedoch lange keinen Schwerpunkt osmanistischer Forschung. Inspiriert von der Neuausrichtung geschichtswissenschaftlicher Forschung durch die Annales-Schule und beflügelt von den Möglichkeiten, die sich angesichts der reichen aber kaum erschlossenen Archivbestände aus osmanischer Zeit boten, erweiterte sich die zuvor vornehmlich politikgeschichtlich ausgerichtete Forschung zum Osmanischen Reich seit den 1970er Jahren um die Analyse wirtschaftlicher und sozialer Konfigurationen. Religion wurde in dem Kontext kaum thematisiert. Fragen zur Rolle von Religion in Staat und Gesellschaft überließ man entweder islamischen Theologen oder Historikern, die sich auf die verschiedenen christlichen und jüdischen Gemeinschaften des Reiches spezialisiert hatten.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich die historische Forschung jedoch vermehrt mit den religiösen Vorstellungen und Praktiken von Muslimen und Nicht-Muslimen im Osmanischen Reich und dem sich wandelnden Spannungsverhältnis von Religion und Politik. Die Historiker bedienen sich dabei neuer Ansätze der Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte, wählen oft religionsübergreifende Perspektiven, und richten ihren Blick auch auf zeitgenössische Phänomene in den christlichen Staaten Europas und anderen Weltregionen. Aktuelle Forschungsdiskussionen zur Geschichte Mittel- und Westeuropas in der Neuzeit, auch und gerade zum Thema Politik und Religion, werden in der osmanistischen Forschung daher relativ weit rezipiert.

Ganz im Gegensatz dazu werden Forschungen zur osmanischen Geschichte und zur osmanischen Verflechtungsgeschichte mit dem restlichen Europa in den europäischen Geschichtswissenschaften kaum wahrgenommen. Das Osmanische Reich spielt weiterhin kaum eine Rolle in der europäischen Geschichtswissenschaft, wie sie -- als Erforschung der Geschichte des christlichen Europas -- an den meisten historischen Fakultäten europäischer Universitäten betrieben wird. Zwar fungiert das islamische Großreich im Süden Europas nicht mehr automatisch als das »Andere«. Auch dient es in Erzählungen zur Geschichte der europäischen Neuzeit nicht mehr unbedingt unreflektiert als Gegenfolie zum christlichen Europa und dortigen Entwicklungen. Ein eigenständiger, nicht zu reden von einem seiner historischen Rolle entsprechenden Platz, wurde dem Osmanischen Reich in der europäischen Geschichtsschreibung bislang allerdings nicht eingeräumt. Angesichts dieser Leerstelle im Curriculum von Geschichtsstudenten bemüht sich der vorliegende Beitrag um die Darstellung einiger Grundlinien des Zusammenspiels von Religion und Politik im Osmanischen Reich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert.

Das Osmanische Reich: Eine Einführung[1]

Die turkmenische Dynastie der Osmanen erschien um 1300 im westlichen Kleinasien und brachte innerhalb von nur 150 Jahren die Herrschaftsgebiete des byzantinischen Kaisers in Südosteuropa und Anatolien inklusive der Hauptstadt Konstantinopel unter ihre Kontrolle. Mit der Eroberung des Großteils der arabisch-sprachigen islamischen Welt Anfang des 16. Jahrhunderts und der Ausbildung und Festigung zentralstaatlicher Organe erstarkte der sunnitisch-islamische Charakter des Reiches. Als Herren der Heiligen Stätten in Mekka und Medina konnten sich die Sultane zu Hütern des Islams stilisieren. Mit dem anfangs nur sporadisch geführten, seit dem späten 18. Jahrhundert vermehrt auch gezielt eingesetzten Kalifentitel signalisierten sie ihren Vertretungsanspruch für die Gemeinschaft der Muslime.

Die Stabilität der dynastischen Herrschaft der Osmanen gewährleistete eine durch Steuerbefreiung privilegierte, dem Sultan loyale Elite. Sie kontrollierte Militär, Verwaltung und Justiz und setzte sich in der Phase der Eroberungen vorwiegend aus im Balkan zwangsrekrutierten christlichen Jungen zusammen, die für den Palast- und hohen Staats- sowie den Militärdienst ausgebildet wurden. Nach Mitte des 16. Jahrhunderts lenkten zunehmend einflussreiche Wesire und Paschas in Istanbul und den Provinzen das Reich, während sich die Sultane oft aus der Tagespolitik zurückzogen und primär als übergeordnete Legitimationsinstanz dienten. Diese sich wandelnde politisch-wirtschaftliche Elite des osmanischen Staates prägte den politischen Diskurs und das kulturelle Leben maßgeblich, insbesondere in den wichtigen Städten des Reiches wie Istanbul, Kairo, Damaskus, Bagdad, Edirne oder Bursa.

Trotz eines regen urbanen Lebens waren die osmanische Gesellschaft und Wirtschaft vornehmlich agrarisch geprägt. Die meisten Menschen lebten auf dem Land und zahlten Steuern; als Bauern, Knechte, Handwerker und Händler. Die Bevölkerung war religiös, sprachlich und kulturell weitaus heterogener als die meisten christlichen Staaten Europas. Die nicht-muslimischen Gemeinschaften des Reiches, insbesondere orthodoxe Christen, Armenier, Kopten und Juden, galten als »Schutzbefohlene« des Sultans und genossen eine gewisse Autonomie, etwa in der Rechtsprechung. Durch die Verpflichtung zur Zahlung einer Kopfsteuer zusätzlich zu den von allen Steuerpflichtigen zu entrichtenden Abgaben und einigen anderen Regelungen wie Kleidervorschriften waren sie den muslimischen Untertanen des Sultans gegenüber jedoch schlechter gestellt.

Zwischen der Mitte des 16. und dem Ende des 18. Jahrhunderts wechselten Krisen- und Stabilisierungsphasen einander ab. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel in dieser Epoche, die ihn begleitenden Dezentralisierungstendenzen durch mächtige Lokalgouverneure und Provinznotabeln, substantielle Territorialverluste und die expandierenden europäischen Mächte machten immer wieder einschneidende Reformen notwendig. Jedoch änderten erst die von westlichen Vorbildern inspirierten Neuordnungen des 19. Jahrhunderts den Charakter des Reiches grundlegend. Neben der Stärkung des Zentralstaats durch neue Institutionen in Verwaltung, Bildung und Militär und die Einführung moderner Technologien ging es den Reformern vor allem um die Schaffung loyaler osmanischer Bürger, um den im Balkan aufkommenden Nationalbewegungen und dem ausgreifenden europäischen Imperialismus zu begegnen. Eine zentrale Neuerung in diesem Kontext war die Gleichbehandlung aller Männer unabhängig von Religion und sozialem Stand.

Mit den Reformen entstand eine junge intellektuelle Elite, die politisch und kulturell neue Wege beschritt und konstitutionelle Ideen propagierte. 1908 entmachtete die Revolution der Jungtürken, einer in diesem Milieu entstandenen Bewegung, faktisch die osmanische Dynastie. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg an Seiten der Mittelmächte zerbrach das Reich. 1922 wurde das Sultanat, zwei Jahre darauf das Kalifat abgeschafft. Nachdem sich in Südosteuropa bereits seit dem 19. Jahrhundert Nationalstaaten gebildet hatten und Ägypten dem Einfluss Istanbuls entglitten war, gerieten nun auch die übrigen arabischen Besitzungen des Sultans unter die Kontrolle der europäischen Staaten. Auf dem Gebiet der Türkei wurde 1923 die Republik ausgerufen.

Aufbau

Die vier im Folgenden vorgestellten Quellen beschreiben einige Grundkonstellationen des religiös-politischen Spannungsfeldes im Osmanischen Reich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Sie fokussieren also auf die Zeit, nachdem die rasante Expansion des Reiches abgeschlossen und die wesentlichen Strukturen ausgebildet waren und bevor es zur grundlegenden Neugestaltung des Staates und den weitreichenden territorialen Verlusten während des 19. Jahrhunderts kam.

Die politische Schrift Die Grundlagen von Herrschaft. Über die Weltordnung (Usûlu'l-Hikem fî Nizâmu'l-Âlem) des osmanischen Gelehrten Hasan Kâfî Akhisarî (1544--1616) Quelle 1 bietet eine Einführung in osmanische Vorstellungen von weltlicher Herrschaft und gesellschaftlicher Ordnung sowie in die politisch-moralischen Diskurse des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Besonderes Augenmerk der Diskussion gilt der Idee einer gottgegebenen Weltordnung, mit deren Bewahrung der Herrscher zwar beauftragt, nach Ansicht des Autors und einiger seiner Zeitgenossen jedoch mitunter überfordert war.[2] Das anonyme Rålamb Kostümalbum aus der Mitte des 17. Jahrhunderts Quelle 2 gibt in 121 Zeichnungen osmanischer Männer und Frauen unterschiedlicher sozialer, religiöser, ethnischer und kultureller Zugehörigkeit Einblick in die Istanbuler Gesellschaft. Ihre verschiedenartigen Kopfbedeckungen, die hier beispielhaft besprochen werden, zeigen, inwieweit Kleidung gesellschaftliche Zugehörigkeit und Differenz markierte. Die Verwendung solcher äußeren Zeichen wurde in der Praxis immer wieder neu ausgehandelt, wobei neben den staatlichen Autoritäten insbesondere bessergestellte Gruppen ein Interesse daran hatten, dass sich die soziale Ordnung in der visuellen Ordnung spiegelte. Ein Edikt Sultan Murads IV (1623--1640) zur Kleidung von Christen und Juden Quelle 3 zeugt von diesem täglichen Ringen um religiöse Differenzierung und soziale Hierarchien. Eine 1726er Zunftordnung der Simit-Bäcker (Quelle 4) zeigt aus einer etwas anderen Perspektive, wie das alltägliche Miteinander von Osmanen unterschiedlicher Zugehörigkeiten und staatliche Regulierung von Differenz in der Praxis zusammenspielten. Der Blick auf Berufsgemeinschaften und ihren Umgang mit sozialer Mobilität unterstreicht den situativen Charakter gesellschaftlicher Gruppenbildung und Formen von Solidarität jenseits ethnisch-religiöser Loyalitäten.

Weiterführende Literatur

  • Cambridge History of Turkey, 4 Bde., Cambridge 2006--2013.
  • Klaus KREISER/Christoph K. NEUMANN, Kleine Geschichte der Türkei, Stuttgart 22009.
  • Carolin FINKEL, Osman's Dream. The History of the Ottoman Empire, New York 2005.
  • Donald QUATAERT, The Ottoman Empire, 1700--1922, Cambridge 22005.
  • Suraiya FAROQHI, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, München 22003.

Quelle 1: Ḥasan Kāfī Aḳḥiṣārī, Die Grundlagen von Herrschaft. Über die Weltordnung (Uṣūlu'l-Ḥikem fī Niẓāmu'l-ʿĀlem), Ende 16. Jh.

Einleitung

Die Übersetzung basiert auf einer älteren ungarischen Übersetzung, die wiederum auf einer Handschrift von Akhisarîs Werk aus Istanbul gründet. Dass die Übersetzung aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt, merkt man dem Text an, nicht nur an der Verwendung einer heute nicht mehr üblichen Terminologie und zum Teil fehlerhafter Erläuterungen in den Fußnoten, sondern vor allem an zahlreichen Kürzungen und Auslassungen von als wenig sachdienlich empfundener Passagen. Die Wahl der Übersetzung erfolgte in Ermangelung einer Alternative und in der Hoffnung auf eine entsprechend kritische Verwendung. Lesern des Türkischen wird ergänzend die Lektüre der ebenfalls nicht unproblematischen, aber ungekürzten Textausgabe von Mehmed İpşirli empfohlen. Es handelt sich um die Transkription eines unter Hinzuziehung mehrerer Handschriften erstellten Ausgangstextes des osmanischen Originals, das wegen seiner einfachen Sprache auch mit Kenntnissen des modernen Türkisch einigermaßen verständlich ist: Mehmet İPŞIRLI, Hasan Kâfî el-Akhisarî ve Devlet Düzenine Ait Eseri Usûlü'l-Hikem fî Nizâmi'l-'Âlem, in: İstanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Tarih Enstitütü Dergisi 10--11 (1981), S. 239--278, hier S. 247--254.

Quellentext

Die im Jahre 1004[3] nach der Flucht des Propheten in der Ordnung der Welt eingetretenen Störungen und die in den Angelegenheiten der Menschen, insbesondere im islamitischen Reich sich zeigenden Übelstände und Wirrsale möge Allah abwenden und den islamitischen Ländern zur Wohlfahrt verhelfen bis zum Tag der Auferstehung.

Als ich hiefür eines Nachts die im Sünnet[4] vorgeschriebenen Gebete verrichtete, wandte ich mich in meinem Herzen zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, um den Grund dieser Wirrsale zu erfahren. Und durch die Eingebung der Gnade des erhabenen Gottes gelang es mir auch, diesen zu erkennen. Allah der Gerechte wendet seine Gnade niemals von einem Volk, solange die Taten dieses Volkes sich nicht in eitle Taten verwandeln, und solange das Volk die Gerechtigkeit in allen seinen Taten bewahrt.

Seit zehn Jahren, ja sogar schon seit längerer Zeit wende ich meine Aufmerksamkeit den Ereignissen zu. In den seit dem Jahre 980[5] vorgefallenen komplizierten und verworrenen Vorgängen habe ich einigen Grund entdeckt.

Erster Grund. Im Verhältnis zu den früheren Zuständen zeigte sich Läßigkeit in der Übung der Gerechtigkeit, in der Regierung hingegen Sorglosigkeit. Diese Sorglosigkeit hat zur Folge, daß die Regierungsgeschäfte ungeeigneten und unfähigen Menschen anvertraut werden.

Zweiter Grund. In den Beratungen wurde von der richtigen Meinung abgewichen, die Vornehmen wurden selbstgefällig und zogen sich von der Berührung mit den Ulemas und andern verständigen Leuten zurück, ja wenn von diesen jemand zu den Beratungen erscheint, sehen sie ihn mit Verachtung an. Wo ist die Zeit, wo die großen Vorfahren die Ulemas aufsuchten, um von ihnen die richtige Meinung und die Weisheit zu lernen?

Dritter Grund. In der Leitung und Zucht des Heeres herrscht Sorglosigkeit, als deren Folge in den Gefechten von den Waffen nicht der rechte Gebrauch gemacht werden kann. Die Soldaten fürchten ihre Serasker nicht und ehren sie nicht besonders.

Schließlich ist der letzte Grund aller dieser Gründe die Bestechlichkeit, die Geldgier und die Sucht nach Weibern, nach deren Worten man sich richtet. Als ich diese Gründe erkannt hatte, bat ich unter Tränen Allah um Hilfe und unter Klagen über die Wirrsale unserer Zeit erflehte ich Aufklärung von Allah. Allah gab mir den Gedanken ein, ein kleines kurzes Buch zu schreiben über die Ordnung der Welt, ein Büchlein, das nur wenig Worte, aber in diesen wenigen Worten um so tieferen Sinn enthalten und bei der Neuordnung der Gesetze der Welt als Wegweiser dienen solle. Ich fand es zweckmäßig, dies Buch so zu schreiben, daß es die wahren Worte der Weisen enthalte.

Die Worte der weitblickenden Menschen enthält also dies Buch, denn ich habe es aus den Schriften der alten Ulemas, aus den Büchern der Weisen und Großen zusammengestellt. Vor allem aber aus den Büchern Envar-ül-tensil[6] und Rausat-ül-ulema[7], weiter aus dem Tefsir-i-Kadi[8], das man auch Envar-i-tensil nennt, und aus dem Rausat-ül-akhbar[9], das ein Auszug aus dem Buch Rebi-ül-ebrar[10]-Zakmakhsaris[11] ist und auch Rausat-ül-ulema genannt wird und aus mehrern andern vorzüglichen Büchern dieser Art. Möge Allah dies Buch erhöhen und Gnade und Hilfe den Padischahs, Ausdauer auf dem Wege der Standhaftigkeit den Veziren verleihen, die Klugen zu Führern machen, den Armen aber Unterstützung und Barmherzigkeit angedeihen lassen.

Die Methode der Regierung[12] nannte ich dies Buch und schrieb es unter Erläuterung des Buches »Die Ordnung der Welt«[13] nieder. Das Buch besteht aus einer Einleitung und vier Kapiteln.

Die Einleitung stellt die Ursachen der Ordnung der Welt dar. Die Ursache der Ordnung der Welt ist, daß Gott deren Bestehen so lange will, als es nur Menschen geben wird, d. h. bis zum Tag der Auferstehung. Die Menschen untereinander bedürfen gewisser Gesetze, weil sie miteinander viele böse Angelegenheiten haben, um diese in Ordnung besorgen zu können. Die Menschen sind nach ihrer Beschäftigung viererlei: 1. Männer des Schwertes, 2. Männer der Feder, 3. Ackerbauer, 4. Handwerker und Kaufleute. Alle diese beherrscht der Padischah, Emir oder ein anderer.

Die erste Klasse ist die der Schwerttragenden. In diese Klasse gehören die Padischahs, Vezire, Beglerbegs, Begs und andere solche Führer und Soldaten. Ihre Pflicht ist, den Feind fernzuhalten, den Frieden und die Ruhe zu bewahren.

Die zweite Klasse bilden die Männer der Feder, zu denen die Ulemas, die Gelehrten und die betenden andächtigen Männer gehören, die zum Krieg nicht geeignet sind, sich aber mit Gebet, Andacht und Wissenschaft beschäftigen. Ihre Aufgabe ist es, Bücher zu schreiben, die Befehle des Scheriats[14] durch das Wort zu verkünden und zu bewahren. Ihre Pflicht ist es, Ratschläge zu erteilen, die Religion zu lehren und Liebe zu ihr zu erwecken, für das ganze Volk zu beten und den Padischah zum Guten anzuleiten. Der Padischah ist im Reich das, was im Körper das Herz ist. Wenn das Herz gesund ist, dann wird der ganze Körper gesund sein.

Die dritte Klasse gehört den Ackerbauern. Diese nennt man Raja und Beraja[15] und ihre Beschäftigung ist der Bau von Getreide, Obst und Wein und die Viehzucht. Die Arbeit dieser Klasse ist vor allem notwendig und neben der der Gelehrten und Krieger die vornehmste.

Die vierte Klasse ist die der Handwerker und Kaufleute. Diese sind ihrer Beschäftigung nach sehr verschieden.

Jedermann muß einer dieser vier Klassen angehören, damit nicht Elend eintrete, deshalb sagten einige der alten Weisen, daß alle, die ohne Arbeit leben und keiner Klasse angehören, als unnütz getötet werden sollen, da sie den übrigen nur zur Last fallen. Zu Zeiten der alten Sultane wurden diese alljährlich zusammengesucht und ausgewiesen. Insbesondere in den Häfen wurde darüber gewacht und verhindert, daß solche Araber[16] Rums Boden betreten. Dies ist der Grund, weshalb auf dem Gebiet Rums in den alten Zeiten Wohlstand und Überfluß herrschte. Auch jetzt ist es nötig, die Beschäftigungslosen auszuweisen.

Jede Klasse aber befasse sich eifrig mit ihren Angelegenheiten und gehe nicht müßig, denn das widerspräche der Ordnung und verursachte Störungen. Auch solle man nicht die Angehörigen einer Klasse zur Ausführung der Beschäftigung der andern Klasse zwingen, denn daraus entspringt nur Übel und Unordnung. Wenn die Ackerbauer und Gewerbetreibenden gezwungen werden, die Waffen zu ergreifen und in den Krieg zu ziehen, dann ist niemand da, der den Boden bebaut, und aus Mangel an Getreide, Obst und Haustieren tritt große Teuerung ein. Daher kommt es, daß man heute 10 Akcse für etwas zahlen muß, was früher 1 Akcse kostete, ja daß es sogar für 10 Akcse nicht erhältlich ist. Wenn man die Bevölkerung der Städte zum Kriegsdienst zwingt, lockert sich die Disziplin, denn diese Soldaten werden lässig sein.

Früher war dies auch anders; aber seit 1001[17] bis jetzt, insbesondere in Kroatien und Bosnien, wo ununterbrochen Krieg herrschte, schickten die Serasker alle Jahre ihre Leute in die Vilajets und führten die ackerbautreibenden Raja und die Bewohner der Städte, die Handwerker, mit Gewalt in den Krieg, und so blieben die Acker unbebaut, in den Dschamiks der Städte blieben keine Beter, und Not und Elend erhob das Haupt. Aber auch kriegerischen Mut besaßen sie nicht, sondern flüchteten.[18]

Ein solches Vorgehen verursacht Unordung, schwächt das Reich und bewirkt den Untergang des Sultanats. Möge Allah das islamitische Volk und das osmanische Reich vor solchem Wirrsal behüten!

Bibliographie

[Emmerich von] KARÁCSON und [Ludwig von] THALLÓCZY, Eine Staatsschrift des bosnischen Mohammedaners Molla Hassan Elkjáfi »über die Art und Weise des Regierens«, in: Archiv für Slavische Philologie 32 (1911), S. 139--158, hier S. 144--147.

Quelle 2: Das Rålamb Kostümalbum, Mitte 17. Jh.

Bildquellen

Bibliographie

Schwedische Nationalbibliothek, Cod.Rål. 8:o nr 10. Bilder abgerufen unter: http://goran.baarnhielm.net/draktbok/eng/intro.htm (Aufruf am: 17.09.2017) und http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Rålamb_Costume_Book (Aufruf am: 17.09.2017).

Quelle 3: Ferman / Kleiderordnung, erstes Drittel 17. Jh.

Quellentext

Geschrieben von Osman Efendi, gemäß der Abschrift des Dekrets, die vom Kommandanten (Serdâr) übergeben wurde

Dem Istanbuler Kadi wird befohlen: Die Ungläubigen [Christen] sollen keine Pferde reiten, keinen Pelz und keine Kappe aus Zobelfell, und keinen europäischen Samt und Satin tragen. Ihre Frauen sollen sich nicht nach Art der Musliminnen kleiden und keine »Pariser« Übermäntel (ferâce) tragen. Es gehört -- nach Scharia und kanun[19] -- zu den religiösen Pflichten, dass [die Ungläubigen] durch ihre Kleidung und ihr Erscheinungsbild herabgesetzt und gedemütigt werden. Seit einiger Zeit werden [diese Regeln] vernachlässigt. Mit Erlaubnis der Richter reiten Ungläubige [Christen] und Juden zu Pferd und mit Gewand über den Markt. Wenn sie, eingekleidet in Zobelfellpelz und wertvolle Kleidung, auf dem Markt auf Muslime treffen, gehen sie nicht vom Gehweg herunter. Sie und ihre Frauen besitzen mehr Prunk und Pracht als die Muslime. Sie werden nicht gemäß der Scharia herabgesetzt und unterworfen. Weil mir [diese Verstöße] zu Ohren kamen und meiner glücklichen Schwelle mitgeteilt wurden, habe ich befohlen, dass entsprechend der Gesetze zu handeln ist und solche Zustände von nun an unterbleiben. Dieses Mal soll Mustafa, Vorderster unter Seinesgleichen bei meinem aktuellen großherrlichen Feldzug -- möge sein Wert steigen!--, beginnen, dagegen vorzugehen.

Ich habe befohlen: Wenn es dazu kommt, handele entsprechend meines Befehls in dieser Angelegenheit. Erniedrige und unterwerfe die Gruppe der Ungläubigen durch ihre Kleidung und ihr Erscheinungsbild entsprechend der Scharia und dem kanun. Lass sie von nun an nicht mehr auf Pferden reiten, sich in Zobelfellpelz, Zobelfellkappen, Satin und Samt kleiden. Erlaubt ihren Frauen nicht hohe Kappen und »Pariser« Stoffe zu tragen. Sie sollen nicht wie Muslime und in muslimischer Kleidung herumlaufen. Verhindere und entferne die hier beschriebenen Zustände. Verliert keine Minute meinen Befehl in dieser Angelegenheit durchzusetzen!

Bibliographie

85 Numaralı Mühimme Defteri (1040--1041 (1042) / 1630--1631 (1632)), Ankara 2002, 127, Nr. 206.

Quelle 4: Auszug aus den Istanbuler Gerichtsakten von 1726

Quellentext

»Bâ sah«[20]

Es wurde befohlen, die bestehende Ordnung so wie sie hier beschrieben ist einzuhalten und ihr nicht zuwiderzuhandeln.

Dieses Verzeichnis führt diejenigen Bäcker namentlich auf, die in den Istanbuler Çörek-Bäckereien Simit herstellen, und wurde mit Hilfe des Zunftvorstehers (kethüdâ) erstellt.[21]

Am 16. Rebî‛ilâhir [1]139 [11. Dezember 1726]

in Tavukpazarı: Hacı İbrahimin Nahılbend: Seyyid Ebubekirin Hocapaşa: Hacı Ahmedaußerhalb von Yedikule: Selim Beşein Koca Mustafa Paşa: Hasan
in Dörtyolağzı: Hasan Beşein Kırkdörtkapı: Hasan Beşein der Nähe vom İfraziye-Han: Ahmedin Zincirlikuyu: Mehmed Beşein der Nähe der Fethiye Moschee: Mehmed Beşe
am Havuzlu-Hamam: Ahmedam Çukurbostankapı: Hacı Ebubekirin Sultan Selim: Ahmedin Hüsrev Paşa: Seyyid Abdullahan der Çavuş-Moschee: Hacı Mehmed
in Sofular: İbrahimin Horhor: Yusufin Saraçhâne: Hüseyinin Karaman-ı kebîr: Hacı Hasanam Azebler-Markt: İsmail
am Hâce Hâtun Hamam: İbrahim Beşeam Valens-Aquädukt: Mustafain Kuşbâzlar: Hüseyinin Küçük Mustafa Paşa: Seyyid Hüseyinin Hocapaşa: Seyyid Mehmed
am Çardaklı-Hamam: Seyyid Hasanin der Çinili-Bäckerei am Hafen von Kadırga: Mehmed Beşediesmal (?) am Hafen von Kadırga: Seyyid Hasanin Altımermer: Küçük Mehmedin Bâli Paşa: Mehmed
in Gedik Paşa: Seyyid Mehmedin der Nähe von Kumkapı: Seyyid Mehmedin Nişancı: Hacı Mehmedgegenüber vom Langa-Hamam: Ahmed und Aliam Anlegesteg von Davudpaşa: Mustafa Beşe
am Ağa-Hamam: Yusufim Samatyakapı: Hasan Beşein Küçük Mustafa Paşa: Seyyid Hüseyinin Üsküblü: Hacı Mehmedaußerhalb von Yedikule: Selim und Mustafa
auch in Üsküblü: A’mâ Mehmedin Esekapı: Mehmedam Kazasker-Hamam: Mehmed Beşein Yenibahçe: İsmailin Haydar Paşa: Mustafa
in Nakkaş Paşa: Mehmed Beşeam Odabaşı-Markt: Musa Beşein Beltaşı: Hacı Mehmedam Küçük-Hamam: Hasanam Ortakapı: Hacı Mehmed
gegenüber von Acı-Brunnen: Mehmedin Karagümrük: Hâfızam Draman-Markt: Usta Hasan Beşein Karaman-ı sagîr: İbrahimam Kaliçeciler Köşk: Kö[r] Mustafa
in Şehzâdebaşı: Mustafain der Nähe vom Süleymaniye-Hamam: İsmailim Vefâ-Markt: Halilam Vefâ-Hamam: Mehmedin Koska: Çerye zimmî[22]
in Kadıçeşme: Şâhin zimmîin Karagümrük: Arnavud zimmîam Sultan-Hamam: Yani zimmîin der Nähe von Balat: Yani zimmîin der Nähe vom Fener-Hamam: Nikola zimmî
Am Fenerkapı: Sakızlı Yaniim Kıbtiyân [Roma]-Viertel: Nikola zimmîam Kıbtîler-Hamam: der andere Nikolain İncirdibi in Kumkapı: Yani zimmîam Balat-Hamam: Nikola
in Nişancı: Topal Dimoam Langa-Brunnen: Serkisin Mi’mâr: Köse Yaniam Samatya-Markt: Yuvan zimmîin Sulumanastır: Ayvaz zimmî
am Mirahor-Markt: Bıyıklı Yani[77a] außerhalb von Yedikule: Bıyıklı Dimoim Silivrikapı: Karaca zimmîam Ali Paşa-Markt: Yuvan zimmîin der Nähe von Eğrikapı: Yuvan zimmî
in Şehremîni: Karaca zimmîin Sarıgez: Coco zimmî[23]in Mutaflarbaşı: Yuvan zimmî

Die oben verzeichneten Simit-Bäcker fungieren gegenseitig als Bürgen (kefīl) und ihr Zunftvorsteher Mehmed Beşe fungiert als ihr gemeinsamer Bürge. Ab heute dürfen keine Simits mehr unter dem aktuell festgesetzten Marktpreis (narh) gefertigt werden. Entsprechend der alten Ordnung darf kein Albaner und Bulgare für seine Bäckerei einen Straßenverkäufer einstellen und einen Simit-Verkaufsstand betreiben, wenn er nicht einen Bürgen mit Zustimmung des Zunftvorstehers (kethüda) und seines Vertreters (yiğitbaşı) vorweisen kann. Wenn jemand dem zuwiderhandelt, wird er vor Gericht gebracht und hart bestraft. Weil es unter ihnen diese Ordnung gibt, der jeder zugestimmt und sich verpflichtet hat, erschienen [Zunftmitglieder] vor Gericht und ersuchten um einen großherrlichen Befehl (hükm-i hümâyûn), der verfügte, dass diese Ordnung einzuhalten und ihr nicht zuwiderzuhandeln sei. Der letztliche Befehl (fermân) liegt beim Befehlshaber [dem Sultan].

Bibliographie

İstanbul Kadı Sicilleri: İstanbul Mahkemesi 24 Numarali Sicil (H. 1138--1151/ M. 1726--1738), Istanbul 2010, 338--340, Nr. 257 (fol. 76b--1).

Essay zu Religion und Politik im Osmanischen Reich

Einleitung

Wie andere Imperien zeichnete sich das Osmanische Reich durch eine beträchtliche geographische Ausdehnung und eine außergewöhnliche Heterogenität im Inneren aus. Der Herrschaftsbereich des seit 1453 in Istanbul residierenden Sultans erstreckte sich über drei Kontinente -- Europa, Asien und Afrika -- und schloss Bevölkerungen unterschiedlichster religiöser, ethnischer und kultureller Zugehörigkeiten ein. Wie kaum anders zu erwarten, wandelten sich im Verlauf der mehr als sechs Jahrhunderte andauernden osmanischen Herrschaft sowohl die Formen von Differenz als auch der Umgang mit als different wahrgenommenen Gruppen innerhalb der Gesellschaft und von Seiten des osmanischen Staates.

Die traditionelle Geschichtsschreibung zum Osmanischen Reich räumt Religion einen zentralen Stellenwert im dynamischen Zusammenspiel von gelebter Differenz und Politik ein. Die Sultansherrschaft wird, in Abgrenzung zu den zeitgenössischen christlichen Reichen in Europa und dem schiitisch-islamischen Iran, primär als sunnitisch-islamisch charakterisiert. In Beschreibungen der osmanischen Gesellschaft wird insbesondere deren religiöse Vielfalt und die ungleiche Politik gegenüber den verschiedenen Religionsgemeinschaften hervorgehoben.

Diese Sichtweise ist in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Einerseits tendiert sie dazu, Verzerrungen in den Quellen fortzuschreiben, insbesondere die Wahrnehmungsweisen europäischer Reisender der Frühneuzeit, die das Neben- und Miteinander unterschiedlicher Religionen, das sie im Osmanischen Reich antrafen, nicht gewohnt waren und in ihren Berichten besonders herausstrichen. Andererseits dient die Betonung von Religion als Marker gesellschaftlicher Differenz und handlungsleitendes Kriterium osmanischer Politik nationalistisch motivierten oder zumindest ideologisch belasteten Darstellungen osmanischer Geschichte. Die beiden konkurrierenden Narrative in diesem Zusammenhang lassen sich als »Erzählung vom türkischen Joch« und »Erzählung von der Pax Ottomanica« beschreiben.

Die »Erzählung vom türkischen Joch« ist vorzugsweise bei Historikern anzutreffen, die über die Geschichte Südosteuropas forschen. Grob gesagt, schreibt sie die Nationalgeschichten fort, die im Zuge der Auflösung osmanischer Herrschaft und der Entstehung von Nationalstaaten auf der Balkanhalbinsel im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entstanden sind. Diese Historiographie orientiert sich an ethnisch-religiös definierten Nationen und konstruiert binäre Identitäten des Eigenen und Fremden: Die unterdrückten Balkanchristen stehen den muslimisch-türkischen Unterdrückern gegenüber. Die Komplexität der osmanischen Herrschaft in Südosteuropa, insbesondere die prominente Rolle der lokalen Eliten bei der Herrschaftsausübung, und die zahlreichen Übernahmen und Symbiosen, zu denen es über die Jahrhunderte des Zusammenlebens kam, werden gezielt unterschlagen.[24]

Die »Erzählung von der Pax Ottomanica« wird vorwiegend von Historikern vertreten, die mit osmanisch-sprachigem Quellenmaterial arbeiten. Sie erfährt im Rahmen des »Neo-Osmanismus«, der ideologisch motivierten Wiederbelebung des osmanischen Erbes in der Türkei der letzten Jahre, aktuell eine neue Blüte. Das Osmanische Reich wird darin als Oase der Toleranz beschrieben, die erst durch den aufkommenden Nationalismus und westlichen Imperialismus des 19. Jahrhunderts zerstört wurde. Zwar genossen religiöse Minderheiten unter der Herrschaft des Sultans in der Tat weitaus größere Freiheiten und Schutz als im zeitgenössischen christlichen Europa. Nichtsdestotrotz suggeriert diese Darstellung einen modernen Gleichheitsgrundsatz und verschleiert, dass Toleranz im osmanischen Kontext auf einer angenommenen Ungleichheit von Menschen gründete und jeweils das Ergebnis sich wandelnder imperialer Herrschaftspraktiken war. Zudem neigen Vertreter dieser Sichtweise dazu, den hegemonialen Charakter osmanischer Herrschaft sowie Unterdrückung und Gewalt von Seiten des Staates zu unterschlagen.[25]

Während diese beiden Narrative weiterhin von einigen Akteuren stark gemacht werden und die öffentliche Wahrnehmung des Osmanischen Reiches in den Nachfolgestaaten und darüber hinaus dominieren, distanziert sich die Forschung immer dezidierter von derartig einseitigen ideologisierenden Erzählungen und betont stattdessen die Komplexität und Dynamik im Verhältnis von Religion und Politik. Neuere Untersuchungen unterstreichen den Pragmatismus osmanischer Herrschaftspraktiken und zeigen, dass sich der sunnitische Charakter des Reiches erst schrittweise, in Abgrenzungsprozessen gegenüber religiösen Strömungen innerhalb und politischen Entwicklungen außerhalb des osmanischen Herrschaftsgebiets herausbildete und von zeitgenössischen Akteuren immer wieder in Frage gestellt wurde.[26] Im Rahmen des aufkeimenden Interesses an individuellen und kollektiven osmanischen Identitäts- und Alteritätskonstruktionen wird Religion mehr und mehr als eine von verschiedenen, kontextabhängigen Zugehörigkeiten begriffen und vor dem Hintergrund sich wandelnder politisch-gesellschaftlicher Gegebenheiten beschrieben.[27]

Ziel dieses Essays ist es, anhand einer Betrachtung der vier ausgewählten Quellen in diese neueren Forschungsdiskussionen einzuführen und das Spannungsfeld von Religion und Politik im Osmanischen Reich des 16. bis 18. Jahrhunderts in doppelter Perspektive aus Denken und Handeln zu reflektieren. Konkret erfolgt dies in einem Dreischritt: von Vorstellungen über Religion und Politik (Quelle 1) über die Kennzeichnung religiöser Differenz (Quelle 2) zum Aushandeln von Zugehörigkeit und alltäglichen Praktiken im Umgang mit Differenz in einer multireligiösen Gesellschaft (Quellen 3 und 4). Dabei sollen vor allem zwei Dinge deutlich werden. Erstens: Das osmanische Weltbild dieser Zeit war religiös fundiert, weshalb Religion in dem diskursiven Feld, in dem Machtverhältnisse ausgehandelt und legitimiert wurden, den Referenzrahmen bildete. Zweitens: In der sozialen Praxis wirkte Religion in einem komplexen Geflecht unterschiedlicher Differenzen und Zugehörigkeiten, die je nach Kontext und Akteuren aktiviert und handlungsleitend wurden.

Die Epoche zwischen der Mitte des 16. und dem Ende des 18. Jahrhunderts zeichnet sich durch einen besonderen Umgang mit Differenz aus; nicht zuletzt, weil Religion eine andere Rolle in Politik und Gesellschaft spielte als in der vorausgehenden Phase der raschen Expansion des Reiches und im sich anschließenden Reformzeitalter. Istanbul steht im Fokus der Diskussion, weil die Stadt das politische und intellektuelle Zentrum des Reiches und die Stadtgesellschaft Spiegel der vielen verschiedenen, unter der Herrschaft des Sultans lebenden, Bevölkerungen war. Außerdem ist der Quellenbestand hier besonders reich und ein sekundäres Anliegen des Beitrags ist es, anhand der ausgewählten vier Quellen in wesentliche Quellengattungen und -bestände für die Erforschung osmanischer Geschichte einzuführen.

Religion und politisches Denken: Die göttliche Ordnung

Die religiöse Fundierung des osmanischen Weltbilds offenbart sich in einer Vielzahl von Quellen, von normativen Texten wie Gesetzessammlungen bis hin zu Poesie und Architektur. Zwischen der Mitte des 16. und 18. Jahrhunderts erlebten Abhandlungen über moralisches Verhalten und gute Regierungsführung eine besondere Blüte. Als eine Art osmanischer Fürstenspiegel in Weiterführung iranischer und islamischer Traditionen griffen diese nasihatname-Schriften einerseits tradierte Vorstellungen und literarische Motive auf. Andererseits sind sie Spiegel zeitgenössischer Diskurse der hauptstädtischen Elite über Politik und Moral in Zeiten eines tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels. Zudem sind die Traktate Ausdruck von Konkurrenzen und Machtkämpfen innerhalb der sich wandelnden Elite des Reiches. In jedem Fall sind die Texte nicht, wie lange angenommen, ein eins-zu-eins Abbild gesellschaftlicher Realitäten und Zeugnis eines vermeintlichen Verfalls des Reiches, wie ihn die ältere Historiographie in einer Logik von Aufstieg-Blütezeit-Niedergang postulierte.[28]

Die Grundlagen von Herrschaft. Über die Weltordnung des Ḥasan Kāfī Aḳḥiṣārī (1544--1616) ist ein prominentes Beispiel der nasihatname-Gattung und eines der wichtigsten Werke der osmanischen politischen Literatur. Der Verfasser war Gelehrter und Richter mittleren Ranges aus Bosnien, der auch Abhandlungen über islamisches Recht, Theologie, Logik und Sprachwissenschaft hinterließ. Eine erste arabische Version seines berühmten politischen Traktats fertigte er 1596 während eines Ungarn-Feldzugs an und legte sie hohen osmanischen Würdenträgern vor; eine annotierte osmanische Übersetzung folgte im Jahr darauf. Der Text ist in zahlreichen Abschriften überliefert, wurde oft zitiert und früh gedruckt.[29]

Das Traktat lässt sich in sechs Abschnitte gliedern: eine Einleitung, vier Kapitel und einen Schlussteil. In der Einleitung (Quelle 1) preist der Autor den herrschenden Sultan Mehmed III (1596--1603) und erläutert, wie es zum Abfassen der »Abhandlung über die Weltordnung« kam und was er mit seinem Text erreichen möchte: Er möge dem Sultan und der politischen Elite des Staates als Ratgeber dienen, um die gottgegebene Ordnung wiederherzustellen, die in jüngster Vergangenheit ins Wanken geraten sei. Es folgt eine Erläuterung der Grundpfeiler dieser Ordnung und eine Auflistung der vier Ursachen, die der Autor dank einer göttlichen Eingebung (ilhâm) für die aktuell kritische Lage ausmachen konnte.

Die vier Kapitel führen diese Gründe genauer aus, die sich so oder ähnlich in vielen nasihatname-Schriften finden. Unterlegt ist die Argumentation mit Zitaten aus Koran und Hadis -- den überlieferten Taten und Worten des Propheten Muhammad -- sowie Beispielen aus der Literatur und der vorislamischen und islamischen Geschichte. Das erste Kapitel erinnert an die zentrale Bedeutung von Gerechtigkeit sowohl für die Zusicherung der Unterstützung Gottes als auch für die Herrschaftssicherung und moniert, dass immer häufiger Gesetze missachtet und Pflichten vernachlässigt würden. Zweitens ruft der Text den Sultan und seine Wesire dazu auf, endlich wieder den Worten gelehrter Männer -- gemeint ist damit natürlich auch der Autor selbst -- Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Ratschläge zu befolgen. Das dritte Kapitel befasst sich mit Achtlosigkeiten bei der Kriegführung, vom Waffengebrauch über die Musterung bis hin zur Motivation. Schließlich wendet sich der Autor gegen herrschendes Unrecht (zulm) wie die Unterdrückung der steuerzahlenden Untertanen, schlechte Neuerungen (bid'at) wie das Kaffeehaus, und den moralischen Verfall wie die um sich greifende Gier, die er gemeinsam für das Ausbleiben von Gottes Hilfe und militärische Niederlagen verantwortlich macht. Das Traktat endet mit dem erneuten Aufruf, die dort formulierten Ratschläge zur Wiederherstellung der Ordnung umzusetzen, gefolgt von einem Gebet und dem Kolophon, also einer Nachschrift mit Angaben zu Verfasser, Datum der Abfassung und guten Wünschen.

In der einleitenden Darstellung Akhisarîs spiegelt sich eine Grundüberzeugung der wahrscheinlich meisten Osmanen seiner Zeit: Gott der Allmächtige erschuf nicht nur Himmel, Erde und alles Leben dort, er sah auch eine bestimmte Ordnung für das Zusammenleben der Menschen vor. Im Diesseits lebten die Menschen, so Akhisarî zur Begründung, in komplexen und mitunter konfliktbehafteten sozialen Beziehungen, weshalb sie einer »Form und Regulierung bedürften« (üslûp ve ka'ideye ihtiyâc).[30] Mit Gottes Hilfe hätten gelehrte Männer die Menschheit deswegen in vier Gruppen eingeteilt. Die Vorstellung von vier hierarchisch angeordneten Klassen, oft bezeichnet als »vier Säulen« (erkân-i erba'a), geht auf iranische Traditionen zurück und wird in zahlreichen osmanischen Texten beschrieben. Laut Akhisarî bildeten jene Männer, die zum Dienst mit dem Schwert berufen waren, die höchste soziale Klasse. Anders als andere Autoren, die den Sultan außerhalb des Systems stellen, sieht Akhisarî ihn als Teil dieser Klasse der Wesire, Verwalter, Befehlshaber und Soldaten. Ihnen oblag es, alle vier gesellschaftlichen Gruppen unter Kontrolle zu halten (zabt), den Staat zu lenken (siyaset), Gerechtigkeit zu üben (adalet) und gegen die Feinde in den Krieg zu ziehen. Die zweite Klasse sei zum Dienst mit dem Stift berufen. Die Männer der Religion und des Wissens müssten Ratschläge erteilen, Herrschern wie auch Beherrschten die Gebote und Verbote Gottes aufzeigen, sein Gesetz anwenden, die Religion lehren und die Menschen im Glauben anleiten. Und sie müssten beten, für das Wohl des Herrschers und des Volkes. Die dritte Klasse sei zur Landwirtschaft und Viehzucht bestimmt, die vierte Klasse zu Handwerk und Handel.[31]

Diese »Weltordnung« (nizâm-i âlem), wie die Osmanen sie nannten und wie sie im Titel des Werks und im Text mehrfach auftaucht, galt es zu bewahren. Dafür war in erster Linie der Herrscher zuständig, den Gott als seinen Schatten auf Erden -- daher der Sultanstitel »Schatten Gottes« (zıllullah) -- auswählte, einsetzte und mit Macht und Wissen ausstattete. Das Gesetz Gottes, die Scharia, war Basis und Leitfaden jeder gottgefälligen Herrschaft. Wie Akhisarî betonen die meisten zeitgenössischen Autoren, dass Gerechtigkeit (adalet), also die Absenz von Unrecht (zulm), wichtige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Weltordnung, für Friede und Wohlstand sei. Deswegen spielte Gerechtigkeit auch in der Legitimation von Herrschaft und dem Infragestellen dessen eine Schlüsselrolle. Erst Gerechtigkeit ermögliche das reibungslose Ineinandergreifen der einzelnen Teile des Systems, erst so schließe sich der Kreis, den die Osmanen »Kreis der Gerechtigkeit« (dâire-i adliyye) nannten und mit dem sie die gegenseitige Abhängigkeit beziehungsweise das harmonische Zusammenwirken der gesellschaftlichen Gruppen zu aller Vorteil beschrieben. Vereinfacht gesagt, drückt sich in der Kreismetapher folgende Idee aus: Um die Ordnung zu garantieren und Gerechtigkeit zu üben, braucht ein Herrscher Soldaten. Soldaten kosten Geld. Geld erwirtschaften die Untertanen. Um Wohlstand zu schaffen, bedürfen die Untertanen Gerechtigkeit, also Gesetze und Schutz. Und damit schließt sich der Kreis.[32]

Die osmanische Idee der Weltordnung und ihrer Umsetzung in der Praxis beschreibt Differenz als Gott gegeben und weist jedem Einzelnen einen konkreten Platz in der Gesellschaft zu. Akhisarî betont, dass niemand außerhalb dieses Systems stehen dürfe oder anfangen dürfe, plötzlich die Arbeit einer anderen als die seiner eigenen Gruppe auszuüben. Wenn sich etwa Bauern als Soldaten versuchten oder eingezogen würden anstatt ihre Äcker zu bebauen und Steuern zu zahlen, sei das Gleichgewicht gestört und das Wohlergehen des Staates gefährdet. In einer solchen, strikt nach Aufgaben gegliederten Gesellschaft, bliebe eigentlich kein Raum für soziale Mobilität. Dabei war diese soziale Mobilität Realität, gerade in der Zeit, als die nasihatname-Autoren ihre Idealvorstellungen fixer sozialer Klassen formulierten. Tatsächlich war es gerade dieses Aufweichen sozialer Grenzen und das Eindringen von Männern aus dem Volk in die Elite, kurz, der gesellschaftliche Wandel seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, der Mitglieder der alten Elite wie Akhisarî dazu bewog, ihre politisch-moralischen Vorstellungen zu formulieren. Hinter ihrer vehementen Kritik an Aufsteigern und Migranten stand ganz wesentlich die Konkurrenz um die eigenen Privilegien und die Notwendigkeit, soziale Differenz und Zugehörigkeit neu auszuhandeln. Diese persönliche Betroffenheit der nasihatname-Autoren war demnach wichtiger Beweggrund für ihren oft artikulierten Aufruf an den Herrscher -- ein wichtiger Adressat ihrer Schriften -- »er solle dafür sorgen, dass jede Klasse bei ihrer Arbeit bleibt« (her sınıf ehlini kendü 'amelinde sâbit ve ka'im eyleye).[33]

Religion und Politik im Blick: Kleidung als äußeres Zeichen von

Differenz

Damit sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nicht leicht vermischten, galt es, sie unterscheidbar zu machen. Wie in den meisten frühneuzeitlichen Staaten waren Kleidung und Körperschmuck auch im Osmanischen Reich wichtige äußere Zeichen für die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Europäische Reisende schrieben mit Vorliebe über die unterschiedlichen Bewohner des Reiches und ihre verschiedenartigen Kleidungsstile. Immer häufiger erworben sie auch Abbildungen der ihnen mitunter fremd erscheinenden Menschen, was im 17. Jahrhundert zur Herausbildung eines eigenen Markts für osmanische Kostümbücher führte.[34] Kleinformatige Bilder und Zeichnungen von Figuren und Szenen sowie deren Zusammenstellung in Alben waren typische Kunstformen im Osmanischen Reich und der islamischen Welt -- bereits bevor diese Büchlein als Sammlerstück, Geschenk oder gern gesehenes Mitbringsel für europäische Orientreisende in Mode kamen. Die Miniatur-Alben dienten der Unterhaltung und wohl auch der Veranschaulichung von Geschichten, die am Hof, in den literarischen Salons der Eliten, in den Kaffeehäusern oder auf dem Bazar vorgetragen wurden.

Das Rålamb Kostümalbum (Quelle 2) ist ein anonymes Kostümalbum aus dem 17. Jahrhundert, das vom schwedischen Gesandten an der Hohen Pforte Claes Rålamb 1657--58 in Istanbul erworben wurde. Ob es wie viele solcher Alben von einem lokalen Bazar-Künstler oder einem Europäer nach dem Vorbild osmanischer Miniaturmaler angefertigt wurde, ist nicht abschließend zu klären. Das Album enthält 121 Miniaturen, die verschiedene, namentlich bezeichnete osmanische Amtsträger und Bevölkerungsgruppen in ihrer typischen Kleidung zeigen.[35] Wie für Kostümalben von Basarkünstlern typisch, zeigt das Rålamb Album die Figuren meist vor weißem Hintergrund und losgelöst von ihrem sozialen Kontext. Die Abbildungen beschreiben weniger Individuen als Prototypen gesellschaftlicher Gruppen. Diese stereotype Beschreibung half dem Betrachter, die soziale Struktur der osmanischen Gesellschaft aufzuschlüsseln und das Gegenüber darin zu verorten, um ihm dann seiner sozialen Stellung entsprechend zu begegnen.

Die Miniaturen im Rålamb Kostümalbum geben einen Überblick über die wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen und die Äußerlichkeiten, die diese visuell voneinander abgrenzten. Kopfbedeckungen spielten dabei seit der osmanischen Frühzeit eine besondere Rolle. So ließ sich an Turban, Kappe oder Filz eines Mannes nicht nur erkennen, ob er Mitglied der steuerbefreiten Elite oder steuerzahlender Untertan war. Form und Farbe seiner Kopfbedeckung zeigten im ersten Fall, ob er Mitglied der militärischen, religiösen oder administrativen Elite war, welcher Einheit er angehörte und welchen Rang er dort einnahm, und im zweiten Fall, ob er Muslim, Christ oder Jude war und oft auch aus welcher Region er kam und welcher sozialen Schicht und Berufsgruppe er angehörte. Status und Ehre nahm ein osmanischer Mann auch gerne mit ins Grab; eine Steinvariante seiner Kopfbedeckung zierte üblicherweise seinen Grabstein.[36]

Mitglieder der osmanischen Elitetruppe der Janitscharen beispielsweise trugen weiße, über den Nacken bis auf den Rücken reichende Filzhauben (keçe) (Abb. 67, 75). Je nach Rang und Anlass waren die Hauben unterschiedlich gestaltet und mit Federn verziert. Zudem gab es regionale Verschiedenheiten, wie die rötliche und etwas anders geformte Kopfbedeckung von Janitscharen aus der Provinz Ägypten zeigt (Abb. 69). Unter den edel gekleideten Turbanträgern, die im Rålamb Album abgebildet sind, finden sich der höchste Richter des Reiches (Abb. 132) und der ihm im Rang folgende oberste Heeresrichter der europäischen Provinzen (Abb. 77); beide sind aufgrund der Form ihres gewickelten Kopfschmucks klar der religiösen Elite zuordnen. Die grüne Farbe eines Turbans zeigt an, dass es sich bei dessen Träger um einen Nachkommen des Propheten Muhammads handelt, wenn nicht gar um den Vorsteher dieser hoch geehrten Gemeinschaft der Scherifen und Seyyids (Abb. 40).

Deutlich einfacher gestaltete Turbane aus weißem Stoff, oft um eine rote Kappe gewunden, trugen die meisten muslimischen Stadtbewohner; so ein Barbier (Abb. 14), ein Eier- oder Käseverkäufer (Abb. 19) und ein »Istanbuler« (Abb. 39). Letzterer hat noch keinen Bartwuchs, trägt einen mit Pelz gefütterten Kaftan, ein Buch im Gürtel und schwingt den, womöglich mit Parfüm getränkten, Bommel seines Mantels. Diese körperlichen Merkmale, Kleidung, Accessoires und Haltung demaskieren ihn als »Stadtjungen« (şehir oğlanı); so nannten zeitgenössische Autoren die seit dem 17. Jahrhundert vermehrt anzutreffende Gruppe jugendlicher Müßiggänger, die aus gebildeten und wohlhabenden Verhältnissen stammten und ihre Zeit in literarischen Salons und Kaffeehäusern verbrachten. Vor ihren Reizen solle man sich in Acht nehmen, hieß es.[37]

Nicht-muslimische Istanbuler trugen meist ähnliche Kleidung, Bart und oft auch einen Turban, so etwa Armenier aus der Mittelschicht (Abb. 20, 80). Jedoch war ihr Turban weder weiß noch grün, das Tragen dieser beiden Farben war Muslimen vorbehalten. Differenzierungen innerhalb der Religionsgemeinschaften drückten sich ebenfalls in unterschiedlichem Kopfschmuck und Kleidung aus, etwa bei islamischen Mystikern, Sufis. Die ockerfarbene hohe Filzmütze identifizierte Mitglieder der im Osmanischen Reich weit verbreiteten Mevlevi-Bruderschaft, die aufgrund ihrer speziellen Form des zikr, des Gedenkens Gottes, auch als »tanzende Derwische« bekannt sind (Abb. 133). Ein Qalandar-Derwisch hingegen war meist einfach bekleidet, trug Ohrring und war ausgestattet mit der für Wander-Derwische typischen Bettelschale und dem Blashorn, mit dem er von seiner Ankunft kündete (Abb. 134).[38]

Die Kleidung der im Rålamb Kostümalbum abgebildeten Frauen zeugt in ähnlicher Weise von ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihrem sozialen Stand, ihrer Religion, ihrem Alter und der Situation, in der ein Kleidungsstück getragen wurde. Lange Pluderhosen (şalvar), ein weites Mantelkleid (entâri), ein locker fallender Übermantel für außer Haus (ferâce) und ein Schleier waren die Grundausstattung einer osmanischen Frau aus der Hauptstadt. Für besondere Anlässe, wie die Hochzeit (Abb. 70), gab es natürlich besondere Kleidung. Und selbstverständlich kleideten sich die Bewohnerinnen der osmanischen Hauptstadt zu Hause anders als wenn sie zum Einkaufen gingen oder sich für den Hammam-Besuch oder einen Ausflug ins Grüne zurechtmachten. Zum Beispiel trugen Istanbuler Jüdinnen im 18. Jahrhundert auf der Straße meist türkische Mode in gedeckten Tönen, während sie zu Hause Kleidung in bunteren Farben bevorzugten.[39]

Insgesamt unterschied sich das äußere Erscheinungsbild einer erwachsenen Muslima aus gehobenen Verhältnissen (Abb. 6, 8) deutlich weniger von dem ihrer griechischen (Abb. 56, 76), armenischen (Abb. 21, 71) oder jüdischen (Abb. 72, 73) Altersgenossinnen aus vergleichbarem Haus als von dem einer Muslima aus dem Iran (Abb. 99) oder dem eines unverheirateten muslimischen Mädchens aus Istanbul (Abb. 7), deren Äußeres wiederum der eines griechischen Mädchens aus der Hauptstadt (Abb. 55) ähnelte. Kleidung war durch äußere Vorgaben beschränkt und bestimmten Traditionen und Gewohnheiten verpflichtet; sie war aber immer auch abhängig von aktuellen Moden und persönlichen Vorlieben. Sowohl die unterschiedlichen Kappen unter den Schleiern der Istanbuler Frauen als auch der Gesichtsschleier (yaşmak) der abgebildeten Griechinnen scheinen solche Modeerscheinungen gewesen zu sein.

Differenz verhandeln: Kleiderordnungen und ihre (Nicht-)Befolgung

Kleidung und Körperschmuck beschrieben nicht nur Differenz und Zugehörigkeit, sie waren auch Objekt sowohl sozialer Kontrolle als auch staatlicher Regulierung. Die Bewohner des Reiches waren je nach geschlechtlicher, sozialer und religiöser Zugehörigkeit genötigt, bestimmte Kopfbedeckungen, Kleidungsstücke, Stoffe, Farben oder Accessoires zu tragen oder zu vermeiden. Die visuelle Ordnung sollte dabei die soziale Ordnung widerspiegeln, insbesondere die Höherstellung der Elite gegenüber den steuerzahlenden Untertanen und die Überlegenheit der Muslime gegenüber den Nicht-Muslimen. Letzteren Gruppen waren deswegen wertvolle Stoffe und Luxusgüter sowie bestimmte soziale Praktiken verboten.

Ein Beispiel für die staatlich verordnete Visualisierung und Hierarchisierung religiöser Differenz ist ein von Sultan Murad IV (1623--1640) im Jahr 1631 erlassenes Befehlsschreiben, ein ferman, der sich mit dem öffentlichen Erscheinungsbild nicht-muslimischer Männer und Frauen beschäftigt (Quelle 3). Darin werden das Tragen von Zobelfell und das Reiten auf Pferden sowie andere Grenzüberschreitungen der Kleiderordnung durch Christen und Juden beklagt, von denen einige »mehr Prunk und Pracht besitzen als die Muslime« (ehl-i İslâm'dan ziyâde şevket sâhıbleri). An die zuständige staatliche Stelle erging der Befehl, diesen Praktiken ein Ende zu bereiten. Der Istanbuler Richter habe dafür Sorge zu tragen, dass Nicht-Muslime in Zukunft durch ihre Kleidung und ihr Auftreten gedemütigt (tonda ve libâsda ve tarz [ü] üslûbda tahkîr u tezlîl eyle) und ihre Unterlegenheit gegenüber den Muslimen zum Ausdruck gebracht würde.[40]

Nichtsdestotrotz ergaben sich bei der Umsetzung solcher Vorschriften in der Praxis immer kleinere oder größere Spielräume, je nach politischer Lage, sozialem Umfeld und persönlichen Umständen. Kleidung bot ihrem Träger oder ihrer Trägerin die Möglichkeit, sich auszudrücken und wurde dementsprechend eingesetzt. Dies war insbesondere dann von Bedeutung, wenn die von außen zugeschriebene Identität nicht mit der selbst wahrgenommenen oder gewünschten Gruppenzugehörigkeit identisch war. Dabei ließen sich anhand von Kleidung nicht nur ethnisch-kulturelle Aspekte der eigenen Identität und die Verortung der eigenen Person innerhalb der Gesellschaft betonen. Kleidung konnte einen Wechsel der Identität und Gruppenzugehörigkeit anzeigen, insbesondere beim Religionsübertritt. Konvertiten zum Islam erhielten neben einem neuen Namen üblicherweise Kleiderspenden und ein Ehrenkleid, was ihre neue religiöse Identität und ihren veränderten sozialen Status für alle ersichtlich machte. Nicht wenige schrieben Petitionen an die Hohe Pforte, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung -- das sogenannte »Kleidergeld« (kisve bahası) -- für den Erwerb ihrer neuen, muslimischen, Kleidung. Auch bei vorgetäuschten Religionsübertritten spielte Kleidung mitunter eine Rolle, etwa bei Neo-Märtyrern, die nicht eine neue Religion, sondern im Gegenteil die Überlegenheit ihrer eigenen Religion und ihre persönliche Glaubensfestigkeit durch den eigenen Tod zu illustrieren suchten. Sie waren ein nicht seltenes Phänomen auf dem osmanischen Balkan und eines der wenigen Mittel der orthodoxen Kirche, der Islamisierung, die trotz der insgesamt eher zurückhaltend bis ablehnenden Haltung der staatlichen Autoritäten voranschritt, entgegenzutreten. Einige dieser christlichen Eiferer unterstrichen ihren strategischen Übertritt zum Islam mit dem Anlegen muslimischer Kleidung, nur um anschließend der neuen Religion abzuschwören, ihre äußeren Zeichen zu verwerfen und dafür mit dem Märtyrertod bestraft zu werden.[41]

Durch Kleidung ließ sich in verschiedener Weise und in unterschiedlicher Absicht die eigene Identität verschleiern. Es gibt zahlreiche Berichte über Sultane, die als »normale« Osmanen durch die Straßen Istanbuls wandelten, um sich ein Bild über den Zustand ihres Landes zu machen. Sultan Osman III (1754--1757) ging es dabei sogar vorwiegend darum zu überprüfen, ob seine Untertanen sich an die Kleiderordnungen hielten.[42] Dutzende von Befehlsschreiben befassen sich mit Osmanen, die sich verkleideten, um unentdeckt Untaten zu begehen. So trieben 1630/31 im Istanbuler Umland in Janitscharenuniform getarnte Straßenräuber ihr Unwesen.[43] Im Istanbul des 17. Jahrhunderts unterhielten Geschichtenerzähler ihr Publikum auch gerne mit Abenteuergeschichten von jungen Männern aus der urbanen Mittelklasse, die von ihrem Umfeld abgelehnt wurden und sich deshalb als Derwische verkleideten, um mit ihren Geliebten aus der Stadt zu flüchten.[44]

Vor allem ließ sich durch Kleidung jedoch die Zugehörigkeit zu einer sozial höher angesehenen Gruppe suggerieren, was neben einer veränderten Wahrnehmung durch andere auch eine veränderte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben versprach. Ein dahingehender Wandel osmanischer Kleidungspraktiken lässt sich gerade im frühen 18. Jahrhundert feststellen, als sich durch politische Stabilität, ökonomische Prosperität und gesellschaftlichen Wandel eine neue Öffentlichkeit und urbane Kultur herausbildete, die Freizeit und Konsum feierte und sich das extravagante Leben und Feiern am Hof zum Vorbild nahm.[45] Immer mehr Händler und Handwerker kleideten sich wie Mitglieder der urbanen Elite und immer mehr Nicht-Muslime ignorierten die ihnen vorgeschriebenen Farben und Stoffe, und frönten offen und für alle ersichtlich dem Luxus. Für noch größeres Aufsehen sorgte, dass die osmanischen Frauen neuen Moden nachhingen. Viele Zeitgenossen goutierten weder den Trend hin zu figurbetonten Übermänteln aus weichfallenden Stoffen noch den zu transparenten Gesichtsschleiern aus feinem Musselin. Auch erregten sie sich über die extravaganten Stoffe und Pelze sowie den vielen Schmuck gemeiner Istanbulerinnen, die den Damen der Oberschicht nacheiferten. Mit dem Anlegen neuer Kleidung kam es zudem zur Ausbildung und Übernahme neuer sozialer Praktiken, die Anlass zur Kritik boten: Man(n) -- hier ein muslimischer Barbier und ein griechisch-orthodoxer Priester aus Damaskus des 18. Jahrhunderts -- störte sich nicht nur an der unangemessenen Kleidung der Frauen, sondern auch daran, dass die Damen in der Öffentlichkeit rauchten, Kaffee tranken, Picknicks veranstalteten und freizügig mit Männern plauderten.[46]

In der Tat kam es in den 1720er Jahren zu einer ganzen Reihe sultanischer Erlasse, die die Einhaltung bestehender Kleiderordnungen forderten und insbesondere auf die Reglementierung der Kleidung der weiblichen Bewohner des Reiches zielten. Neben den üblichen Verweisen auf religiöse Gesetze und althergebrachte Praktiken wurden die fermane mit ökonomischen, sozialen und moralischen Begründungen unterfüttert. Die Extravaganz der osmanischen Frauen würde ihre Ehemänner in den Ruin treiben, ihre Vorliebe für teure Importware dem einheimischen Handwerk schaden und die Preise in die Höhe treiben, hieß es. Dem Hang einiger Musliminnen zu christlicher Mode, um verführerisch Blicke auf sich zu lenken, sei Einhalt zu gebieten, ebenso dem Drang einiger Nicht-Musliminnen, muslimische Damenmode zu imitieren, um in der Öffentlichkeit eine höhere Stellung vorzutäuschen. Dabei argumentierte man auch mit der göttlichen Ordnung (nizâm), die durch die Scharia garantiert und durch verwerfliche Neurungen (bidʿat) und grenzüberschreitendes unmoralisches Verhalten gefährdet sei.[47] An einem keuschen und ihrem Status angemessenen Auftreten von Frauen in der Öffentlichkeit war neben dem Staat auch anderen, vor allem anderen Männern gelegen: Ehemännern, Nachbarn und -- wie kommunale Kleiderordnungen und das Beispiel des Damaszener Priesters zeigen -- den Vorstehern der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Schließlich entschied die Reinheit und Züchtigkeit der Frauen nicht nur über die moralische Ordnung der Gesellschaft insgesamt, sondern auch über den Zustand der eigenen Glaubensgemeinschaft.

Die Initiative für den Erlass neuer oder, wie meist der Fall, die erneute Bekräftigung bestehender Kleiderordnungen ging deswegen keineswegs allein von staatlichen Autoritäten aus, sie waren oft die Reaktion auf Beschwerden. Während der Staat primär darum bemüht war, mittels visueller Zensur die Kontrolle des Sultans über seine Untertanen herauszustellen und letzteren zu versichern, dass der Herrscher in der Lage war, die gesellschaftliche Ordnung aufrechtzuerhalten, ging es den unterschiedlichen Beschwerdeführern meist um ihre Privilegien und die Moral. Visuelle Grenzüberschreitungen stellten die Zugehörigkeit und Sonderrechte gesellschaftlicher Gruppen in Frage und veranlasste diese, dagegen vorzugehen: Istanbuler aus der Elite wollten ihren Status markieren und Aufsteiger aus dem Volk fernhalten, Muslime wollten eindeutig als Mitglieder einer privilegierten Bevölkerungsgruppe erkennbar sein, und alteingesessene Handwerker wollten sicher gehen, dass nicht unbefugte Außenseiter den Profit ihrer Zunft schmälerten.

Nichtsdestotrotz wurde die Umsetzung von Kleiderordnungen im Osmanischen Reich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert meist recht lasch gehandhabt. Unter Istanbuler Christinnen und Jüdinnen sowie Sklavinnen gehörte es bereits im 16. Jahrhundert zum guten Ton, in der Öffentlichkeit Schleier zu tragen, obwohl dies eigentlich den Musliminnen vorbehalten war. Die Miniaturen im Rålamb Kostümalbum legen nahe, dass diese Praxis im 17. Jahrhundert fortbestand. Sie zeigen zudem eine ganze Reihe weiterer »Verstöße«. So tragen zwar die dort abgebildeten armenischen Männer (Abb. 20, 80) die ihnen vorgeschriebenen roten Schuhe, die Füße der griechischen Männer (Abb. 54, 78) jedoch schmücken gelbe Schuhe, ein immer wieder betontes Privileg der Muslime. Offensichtlich ließen es sich erfolgreiche Männer aus der Mittelschicht, ob Muslim oder Nicht-Muslim, nicht lange nehmen, aktuellen Moden zu folgen und ihren Wohlstand auch durch öffentlich zur Schau gestellte Luxusgüter auszudrücken. Und auch die osmanischen Frauen ließen sich ihr Konsumverhalten nur sehr bedingt vorschreiben.[48] Da daran nicht wenige verdienten, sahen sich die Kritiker solchen Verhaltens immer auch dessen Profiteuren gegenüber und der Staat sich gezwungen, zwischen den verschiedenen Interessensgruppen zu vermitteln. Die Sichtbarkeit gesellschaftlicher Differenz und Zugehörigkeit wurde also von den unterschiedlichen Mitgliedern der Gesellschaft und den religiösen und staatlichen Autoritäten immer wieder neu verhandelt.

Umgang mit dem Anderen: Leben und Arbeiten in der multireligiösen Großstadt

Neben den äußeren Zeichen gesellschaftlicher Differenz und Zugehörigkeit wurden auch diese selbst immer wieder neu ausgehandelt. Osmanen klagten nicht nur über das, was sie als Verletzung der visuellen Ordnung und der geregelten Form des sozialen Umgangs durch andere Gruppen empfanden, sondern ebenso darüber, dass »Fremde« auch sonst so täten als gehörten sie dazu oder gar tatsächlich Aufnahme in die eigene Gruppe fanden, obwohl ihnen des eigentlich gar nicht zustünde. Während Mitglieder der Elite wie Akhisarî in nasihatname gegen Aufsteiger in ihre Kreise wetterten, blieb den meisten steuerzahlenden Untertanen nur der Weg vor Gericht; sie konnten beim lokalen Kadi oder auch beim Sultan selbst Beschwerde einreichen. Die Gerichtsakten osmanischer Kadis (kadı sicilleri) verzeichnen unzählige Streitigkeiten, bei denen Individuen oder Gruppen ihre Rechte durch Außenseiter verletzt sahen.

Gerichtsakten sind die wichtigste Quellengattung zur osmanischen Sozialgeschichte. Kadis notierten in ihren Registerbüchern Gerichtsverhandlungen und -beschlüsse, beurkundeten Rechtsgeschäfte wie Scheidungen und die Freilassung von Sklaven, verzeichneten Transaktionen wie Verkäufe und Nachlässe, und hielten Regelungen wie Zunftsordnungen, Steuern oder Marktpreise fest. Ferner kopierten sie alle an sie gesandten Befehlsschreiben des Sultans und der Regierung. Die Einträge beschränken sich nicht auf die muslimischen Bewohner des Reiches. Obwohl Nichtmuslimen bei Konflikten innerhalb ihrer Gemeinschaft eigene religiöse Gerichte offenstanden, bevorzugten sie nicht selten den islamischen Kadi.[49]

Ein Auszug aus den Istanbuler Gerichtsakten aus dem Jahr 1726 protokolliert den Fall einer Streitigkeit zwischen Mitgliedern einer Istanbuler Handwerkerzunft (taife, esnâf) um die Einstellung neuer Mitarbeiter in einigen Betrieben (Quelle 4). Die Simit-Bäcker der Stadt waren vor Gericht erschienen, um ein Befehlsschreiben des Sultans (hükm-i hümayun) zu erwirken, das die Regulierungen ihrer Zunft und die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft bestätigt. Der Befehl (buyuruldu), der daraufhin erging, entschied entsprechend ihres Antrags. Über dessen Umsetzung oder Nicht-Umsetzung ist aus den Quellen jedoch nichts bekannt.

Die Namen der gelisteten Zunftmitglieder zeigen, dass es sich um eine religiös gemischte Berufsvereinigung handelte. Das war nichts Ungewöhnliches, solange der Zunftvorsteher (kethüda) Muslim war.[50] In der Liste zuerst aufgeführt sind, entsprechend der sozialen Hierarchie, die muslimischen Zunftmitglieder. Unter ihnen finden sich Mekka-Pilger (Hacı), Nachkommen des Propheten Muhammad (Seyyid) und Janitscharen, wobei der Titel beşe nicht eindeutig Auskunft darüber gibt, ob es sich um ein aktives Mitglied der osmanischen Eliteeinheit handelte oder nicht. In jedem Fall zeigt ihre Existenz die poröser werdenden sozialen Grenzen seit dem 17. Jahrhundert, als einerseits mehr und mehr Mitglieder der militärischen Elite aus den Baracken in die Städte zogen, sich in urbane Strukturen wie Handwerkszünfte integrierten und zu wichtigen Wirtschaftsakteuren avancierten und sich andererseits immer wieder Stadtbewohner um militärische Titel bemühten, um sich durch staatliche Soldzahlungen wirtschaftlich abzusichern.[51] Der Zunftsvorsteher der Simit-Bäcker Mehmed war auch ein beşe. Die Namen der anschließend aufgelisteten Nicht-Muslime (zimmi) legen nahe, dass der Zunft zudem einige Griechen -- ein Yiannis mit Bart, einer ohne Bart, einer von der Insel Chios --, Albaner und Bulgaren angehörten. Weitere sekundäre Mitglieder und die dahinter stehenden Hierarchien unter den Istanbuler Simit-Bäckern sind in dem Dokument nur angedeutet, vor allem die Zugehörigkeit von Lehrlingen und ihr Verhältnis zum Meister (usta); hier erwähnt wird ein Usta Hasan Beşe.[52] Auch die Verpflichtung der einzelnen Mitglieder, ihren Beitrag zu der für ihre Zunft insgesamt festgesetzten Steuer zu entrichten, ist im Dokument mit der Erwähnung gegenseitiger Bürgschaft nur indirekt angesprochen. Explizit vermerkt hingegen ist bei jedem der namentlich geführten Zunftmitglieder wo er seine Simit-Bäckerei unterhielt. Muslime findet man eher in vorwiegend muslimisch bewohnten Vierteln wie Vefa; Nicht-Muslime eher in mehrheitlich griechisch, armenisch oder jüdischen Vierteln wie Fener und Balat; sowohl muslimische als auch christliche Simit-Bäcker gab es in religiös stark gemischten Vierteln wie Kumkapı oder Samatya.[53] Diese Aufteilung der Stadt unter den Vertretern eines Metiers war wichtig, damit man sich nicht gegenseitig die Kunden abspenstig machte.

Aktivitäten außerhalb des eigenen Quartiers, die Ausweitung des Tätigkeitsfeldes in die Domäne anderer Zünfte, Preisdumping oder das Horten von Rohmaterialien gaben immer wieder Anlass zu Streit innerhalb von und zwischen Zünften.[54] Konfliktpotenzial ergab sich außerdem aus dem Umstand, dass im 17. und 18. Jahrhundert große Zahlen an Immigranten in die osmanischen Städte strömten. Zwar waren diese stets auf Neuankömmlinge angewiesen, deren Integration in bestehende Strukturen verlief jedoch nicht immer reibungslos. Ein zentrales Instrument, um den Zustrom sowohl in die Städte als auch in die Zünfte zu begrenzen und sie vor unlauterem Wettbewerb zu schützen, war das System der Bürgschaft (kefâlet). Nur ein Immigrant, der einen einheimischen Bürgen vorweisen konnte, der für ihn haftete, durfte in der Stadt bleiben; nur derjenige, der Bürgen (kefil) unter den etablierten Handwerkern auftun konnte, fand Zugang in eine Zunft. Je nach politisch-gesellschaftlicher Stimmung wurden solche Vorschriften mehr oder weniger konsequent umgesetzt und Männer der Stadt verwiesen, wenn sie keinen Bürgen vorweisen konnten.[55]

Auf diese Form der Regulierung durch Bürgschaft bezogen sich die Istanbuler Simit-Bäcker in ihrer Beschwerde gegen den Versuch einiger Mitglieder ihrer Handwerkergemeinschaft zu expandieren und ohne Zustimmung der Zunftoberen neue Mitarbeiter für den Straßenverkauf einzustellen. Die Beschwerdeführer, die offenbar wirtschaftliche Nachteile fürchteten, sahen darin eine Verletzung der Zunftordnung und forderten staatliche Unterstützung bei der Durchsetzung der »alten Ordnung« (nizâm-i kadîmeleri). Ihre Initiative führt -- wie die Erlasse vieler Kleiderordnungen auch -- abermals vor Augen, dass die Festschreibung von Zugehörigkeit oft weniger einem Reglungswahn zur Umsetzung normativer Vorstellungen durch staatliche Autoritäten entsprang, als dass sie situativ auf Betreiben der direkt betroffenen gesellschaftlichen Gruppen erfolgte. Diese Gruppen setzten sich je nach Situation anders zusammen, um ihre Interessen gegen Außenstehende zu verteidigen. Im Fall der Simit-Bäcker waren es nicht die religiösen, sozialen oder sprachlichen Differenzen innerhalb der Zunft, sondern die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Berufsgemeinschaft gepaart mit gemeinsamen ökonomischen Interessen, die darüber entschieden, wer »wir« und wer die »anderen« waren, um deren Ab- und Ausgrenzung man sich gerade bemühen musste. Im Jahr 1726 waren dies neue Arbeiter ohne hinreichende Assoziierung an die Zunft. Ihre Religion und ihre soziale und regionale Herkunft waren offensichtlich irrelevant, sie werden in dem Dokument gar nicht erst erwähnt. Dass die Zunftpolitik gegenüber Außenseitern in anderen Zeiten ganz anders aussehen konnte, zeigt die Mitgliedschaft der vielen Janitscharen und des Griechen Yiannis aus Chios bei den Istanbuler Simit-Bäckern.

Schluss

Die hier vorgestellten Quellen und Überlegungen verweisen auf das komplexe und wechselhafte Verhältnis von Politik und Religion im Osmanischen Reich zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Das religiös fundierte Weltbild der osmanischen Elite prägte das politische Denken, Sprechen und Handeln. Religion legitimierte Herrschaft und die Existenz der hierarchischen gesellschaftlichen Ordnung, die jedem Einzelnen seinen Platz zuwies; Differenz galt als Gott gegeben. Die Bewahrung der göttlichen Ordnung war die wesentliche Aufgabe, die Einhaltung der Scharia die wichtigste Grundlage politischen Handelns. Zeitgenössischen Kritikern des Herrschers und seiner Politik sowie Skeptikern und Leittragenden gesellschaftlichen Wandels diente der Verweis auf die Religion, die göttliche Ordnung und das göttliche Gesetz deshalb als beliebte Stütze ihrer Argumentation.

Nichtsdestotrotz war Religion für Osmanen immer nur eine Zugehörigkeit unter vielen und Politik wurde nie nur von oben, sondern immer auch von unten gemacht. Jeder Bewohner des Reiches war durch eine ganze Reihe von Zuschreibungen und Zugehörigkeiten an mehrere gesellschaftliche Gruppen gebunden: als Teil der Elite oder steuerzahlender Untertan, Mann oder Frau, Muslim oder Nicht-Muslim, Mitglied einer religiösen, ethnischen, sprachlichen, regionalen oder beruflichen Gemeinschaft, frei oder unfrei, alt oder jung, verheiratet oder ledig, reich oder arm, geachtet oder geächtet. Je nach Person und Gelegenheit überlagerten und hierarchisierten sich diese Zugehörigkeiten immer wieder neu. Oft waren die Grenzen fließend, nicht nur zwischen sozialen Gruppen wie bei den Janitscharen-Handwerkern, sondern sogar zwischen den Geschlechtern.[56] Nicht selten wurden Zugehörigkeiten gewechselt oder vorgetäuscht, weil die Mitgliedschaft in einer anderen Gruppe Vorzüge versprach. Ständig wurden sie von den betroffenen Individuen, Gruppen, Außenstehenden und staatlichen Autoritäten neu verhandelt und nach außen hin für alle kenntlich gemacht. Religion und Politik standen also stets in einem komplexen Geflecht von Ideen, Sprechakten und Handlungen und wurden von unterschiedlichen Akteuren in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich eingesetzt.

Zitationsempfehlung des Beitrags

Denise KLEIN, Religion und Politik im Osmanischen Reich: Grundlinien vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: »Religion und Politik. Eine Quellenanthologie zu gesellschaftlichen Konjunkturen in der Neuzeit«. Hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: https://wiki.ieg-mainz.de/konjunkturen/index.php?title=Religion_und_Politik_im_Osmanischen_Reich:_Grundlinien_vom_16._bis_18._Jahrhundert

Anmerkungen


  1. Angelehnt an Denise KLEIN, Osmanisches Reich, in: Ralf ELGER (Hg.), Kleines Islamlexikon, München voraussichtlich 62017. ↩︎

  2. Um die Lektüre zu erleichtern, folgt die Schreibung osmanischer Namen, Titel und Termini einer an das moderne Türkisch angelehnten, vereinfachten Transkription. ↩︎

  3. 1596 nach christlicher Zeitrechnung. ↩︎

  4. Die Gesamtheit der vom Propheten befolgten Gebräuche, die bei den Sunniten Gesetzeskraft besitzt. Die Gebräuche sind unter dem Namen سنت bekannt. ↩︎

  5. 1572 nach Christi Geburt. Der Niedergang des türkischen Reiches begann schon in diesem Jahre. Hammer rechnet den Beginn des Niederganges etwas später, von der Thronbesteigung Murads III. an. S. seine Geschichte des osmanischen Reiches. Pesth 1840. II. Seite 438. ↩︎

  6. انوار التنزيل (herabgestiegenes Licht). So nennen die Muselmanen den Koran. ↩︎

  7. روضة العلما (Garten der Gelehrten). Unter diesem Namen kommen mehrere arabische Werke vor, und so ist es schwer zu bestimmen, welches der Verfasser benützt hat. ↩︎

  8. تفسير قاضى (Die Erläuterungen des Kadi, der Korankommentar). ↩︎

  9. روضة الاخبار (Garten der Botschaften). Auch unter diesem Titel gibt es mehrere arabische Werke. ↩︎

  10. ربيع الابرار (Frühling der Gerechten). ↩︎

  11. Zamakhsari war ein arabischer Schriftsteller. ↩︎

  12. وصول حكم zu deutsch: die Methode der Regierung. ↩︎

  13. نظام العالم zu deutsch: die Ordnung der Welt. ↩︎

  14. Scheriat, das muselmanische Gesetz. ↩︎

  15. Raja sind christliche Untertanen der Türkei, die kharadsch (Steuer) oder -- wie man zur Zeit der türkischen Herrschaft in Ungarn sagte --, Haratsch zahlen mußten. Beraja sind die muselmanischen Ackerbauer, die bloß Zehent zahlten. ↩︎

  16. [Anm. DKlein: »Araber« ist hier nicht wörtlich zu verstehen, sondern eine leicht abfällige Bezeichnung für Fremde, die man als kulturell unterlegen betrachtete. Zu orientalistischen Vorstellungen bei den Osmanen vgl. Edhem ELDEM, Ottoman and Turkish Orientalism, in: Architectural Design 80:1 (2010), S. 26--31.] ↩︎

  17. Nach christlicher Zeitrechnung vom 7. Oktober 1592 bis 26. Sept. 1593. ↩︎

  18. Der Verfasser meint den Sieg Thomas Erdödys und seiner Genossen bei Siszek. Beschreibung dieser Schlacht s. G. Gömöry HADTÖRT, Közl (Kriegsgeschichtliche Mitteilungen), Jahrgang 1894, S. 613. ↩︎

  19. Gesamtheit der vom Sultan erlassenen Gesetze. ↩︎

  20. Wörtlich: »korrekt«, ein Kürzel auf osmanischen Dokumenten, das deren Authentizität anzeigt. ↩︎

  21. Çörek ist ein meist rundes Hefeteiggebäck. Simit ist ein knuspriges, ringförmiges Hefeteiggebäck mit Sesam. Die Istanbuler Çörek- und die Simit-Bäcker arbeiteten typischerweise zusammen und hatten spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts denselben Zunftvorsteher, nichtsdestoweniger waren sie getrennte Zünfte: Salih AYNURAL, The Millers and Bakers of Istanbul (1750--1840), in: Suraiya FAROQHI / Randi DEGUILHEM (Hg.), Crafts and Crafsmen in the Middle East. Fashioning the Individual in the Muslim Mediterranean, London 2005, S. 153--194, hier S. 172--173. ↩︎

  22. Zimmî bezeichnet einen nichtmuslimischen »Schutzbefohlenen« des Sultans. ↩︎

  23. Dieser Bäcker, Coco oder Çoço, wird in einem anderen Eintrag desselben Jahres als Albaner und Sohn des Kosta identifiziert: İstanbul Kadı Sicilleri: İstanbul Mahkemesi 24 Numarali Sicil (H. 1138--1151/ M. 1726--1738), Istanbul 2010, S. 315--317, Nr. 234. ↩︎

  24. Einen kritischen Überblick über diese Forschungstradition bieten Fikret ADANIR / Suraiya FAROQHI (Hg.), The Ottomans and the Balkans. A Discussion of Historiography, Leiden 2002; Şuhnaz YILMAZ / İpek YOSMAOĞLU, Fighting the Spectres of the Past. The Dilemmas of Ottoman Legacy in the Balkans and the Middle East, in: Middle Eastern Studies 44:5 (2008), S. 677--693. ↩︎

  25. Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit dieser Forschungstradition steht noch aus, einen Einblick bietet Maurus REINKOWSKI, The Ottoman Empire and South Eastern Europe from a Turkish Perspective, in: Tea SINDBAEK / Maximilian HARTMUTH (Hg.), Images of Imperial Legacy. Modern Discourses on the Social and Cultural Impact of Ottoman and Habsburg Rule in Southeast Europe, Berlin 2011, S. 21--36. ↩︎

  26. Grundlegend ist hier die Arbeit von Cemal KAFADAR, Between Two Worlds. The Construction of the Ottoman State, Berkeley 1996. Die »Sunnitisierung« des Osmanischen Reiches wird zunehmend auch als Teil einer Europa und den Nahen Osten überspannenden Geschichte der »Konfessionalisierung« und Staatsbildung betrachtet, vgl. etwa das ERC-Forschungsprojekt OttoConfession: The Fashioning of a Sunni Orthodoxy and the Entangled Histories of Confession-Building in the Ottoman Empire, 15th--17th Centuries: https://cems.ceu.edu/ottoconfession. Als Einstieg in die Forschungsdiskussion eignet sich Derin TERZIOĞLU, How To Conceptualize Ottoman Sunnitization. A Historiographical Discussion, in: Turcica 44 (2012--2013), S. 301--338. ↩︎

  27. Drei Beispiele: Christine ISOM-VERHAAREN / Kent F. SCHULL (Hg.), Living in the Ottoman Realm. Empire and Identity, 13th to 20th Centuries, Bloomington 2016; Baki TEZCAN, Ethnicity, Race, Religion and Social Class. Ottoman Markers of Difference, in: Christine WOODHEAD (Hg.), The Ottoman World, London 2012, S. 159-170; Rhoads MURPHEY, Forms of Differentiation and Expression of Individuality in Ottoman Society, in: Turcica 34 (2002), S. 135--170. ↩︎

  28. Einen neueren Überblick über die Forschung zur nasihatname-Literatur bietet Heather FERGUSON, Genres of Power. Constructing a Discourse of Decline in Ottoman Nasihatname, in: Journal of Ottoman Studies 35 (2010), S. 81--116. Grundlegend für eine Neubewertung dieser Quellen und eine Neubewertung osmanischer Geschichte jenseits teleologischer und orientalistischer Erzählungen war Rifa'AT 'ALI ABOU-EL-HAJ, Formation of the Modern State. The Ottoman Empire, Sixteenth to Eighteenth Centuries, New York 1991. Einen Überblick über osmanisches politisches Denken bietet Marinos SARIYANNIS, Ottoman Political Thought up to the Tanzimat. A Concise History, Rethymno 2015. ↩︎

  29. Zur Forschung über Akhisarî und sein Opus vgl. Muhammed ARUÇI / Hasan Kâfî AKHISÂRÎ, Türkiye Diyanet Vakfı İslam Ansiklopedisi, Bd. 16, Istanbul 1997. ↩︎

  30. Mehmet İPŞIRLI, Hasan Kâfî el-Akhisarî ve Devlet Düzenine Ait Eseri Usûlü'l-Hikem fî Nizâmi'l-'Âlem, in: İstanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Tarih Enstitütü Dergisi 10--11 (1981), S. 239--278, 251. Dieser Paragraph ist in der deutschen Übersetzung stark verkürzt wiedergegeben: [Emmerich von] KARÁCSON und [Ludwig von] THALLÓCZY, Eine Staatsschrift des bosnischen Mohammedaners Molla Hassan Elkjáfi »über die Art und Weise des Regierens«, in: Archiv für Slavische Philologie 32 (1911), S. 139--158, hier S. 146. ↩︎

  31. Ähnliche Ideen finden sich im christlichen Europa des Mittelalters und der Frühneuzeit in der Ständelehre, in der allerdings von drei und nicht vier Ständen ausgegangen wird. ↩︎

  32. Zur Idee der Weltordnung bei den Osmanen vgl. Gottfried HAGEN, Legitimacy and World Order, in: Hakan T. KARATEKE / Marus REINKOWSKI (Hg.), Legitimizing the Order. The Ottoman Rhetoric of State Power, Leiden 2005, S. 55--83. Zur Idee des Kreises der Gerechtigkeit vgl. Linda DARLING, A History of Social Justice and Political Power in the Middle East. The Circle of Justice from Mesopotamia to Globalization, New York 2013; Marinos SARIYANNIS, Ruler and State, State and Society in Ottoman Political Thought, in: Turkish Historical Review 4 (2013), S. 92--126. ↩︎

  33. İPŞIRLI, Hasan Kâfî el-Akhisarî, S. 253; die entsprechende Stelle ist in der deutschen Übersetzung von KARÁCSON / THALLÓCZY gekürzt. ↩︎

  34. Kostümbücher erfreuten sich im frühneuzeitlichen Europa großer Beliebtheit, vergleiche dazu Cornelia Austs Beitrag »Die visuelle Ordnung der frühneuzeitlichen Gesellschaft: Jüdische Kleiderordnungen« in dieser Quellenanthologie. ↩︎

  35. Zum Rålamb Kostümalbum vgl. Karin ÅDAHL (Hg.), The Sultan's Procession. The Swedish Embassy to Sultan Mehmed IV in 1657--1658 and the Rålamb Paintings, Istanbul 2006. Für eine Beschreibung der Kleidungsstücke vgl. Emine KOCA / Fatma KOÇ, Kiyafetnameler ve Ralamb'in Kiyafet Albümün'deki 17. Yüzyil Osmanli Toplumu Giysi Özelliklerinin İncelenmesi, in: Turkish Studies 9:11 (2014), S. 371--394. Zu Kostümalben, ihren Produzenten und Konsumenten vgl. Leslie Meral SCHICK, Meraklı Avrupalılar için Bir Başvuru Kaynağı. Osmanlı Kıyafet Albümleri, in: Toplumsal Tarih 116 (2003), S. 84--89. Zur osmanischen Miniaturmalerei vgl. Serpil BAĞCI u.a. (Hg.), Ottoman Painting, Ankara 2006. ↩︎

  36. Zu osmanischer Kleidung vgl. Suraiya FAROQHI / Christoph NEUMANN (Hg.), Ottoman Costumes. From Textile to Identity, Istanbul 2004. Zu osmanischen Grabsteinen vgl. Edhem ELDEM, Urban Voices from Beyond. Identity, Status and Social Strategies in Muslim Funerary Epitaphs of Istanbul (1700--1850), in: Virginia AKSAN / Daniel GOFFMANN (Hg.), The Early Modern Ottomans. Remapping the Empire, Cambridge 2007, S. 233--255. ↩︎

  37. Zur Figur des »Stadtjungen« in zeitgenössischen Texten und bildlichen Darstellungen vgl. Tülün DEĞIRMENCI, Osmanlı Tasvir Sanatında Görselin Okunması İmgenin Ardındaki Hikâyeler (Şehir Oğlanları ve İstanbul'un Meşhur Kadınları), in: Osmanlı Araştırmaları 45 (2015), S. 25--55. ↩︎

  38. Zur Kleidung von Sufis vgl. Jürgen W. FREMBGEN, Kleidung und Ausrüstung islamischer Gottsucher. Ein Beitrag zur materiellen Kultur des Derwischwesens, Wiesbaden 1999; Helga ANTESHOFER / Hakan KARATEKE (Hg.), Traktat über die Derwischmützen (Risāle-i Tāciyye) des Müstaqīm-zāde Süleymān Saʿeddīn (st. 1788), Leiden 2001. Zur Darstellung von Wanderderwischen in osmanischen Miniaturen vgl. Tülün DEĞIRMENCI, Farklı İnançlar Farklı Kıyafetler. 17 Yüzyıl Osmanlı Kitap Resminde Gezici Dervişler, in: Sezer Tansuğ Vakfı Sanat Tarihi Yıllığı 1 (2006), S. 85--98. ↩︎

  39. Silvyo OVADYA, Osmanlı'da Yahudi Kıyafetleri, o.O., o.D. ↩︎

  40. 85 Numaralı Mühimme Defteri (1040--1041 [1042]/1630--1631 [1632]), Ankara 2002, S. 127, Nr. 206. ↩︎

  41. Zu Konversion und Kleidung vgl. Marc David BAER, Honored by the Glory of Islam. Conversion and Conquest in Ottoman Europe, New York 2008. Zu Kleidergeld-Petitionen von Konvertiten vgl. Anton MINKOV, Conversion to Islam in the Balkan. Kisve Bahası Petitions and Ottoman Social Life, 1670--1730, Leiden 2004. Zu Neo-Märtyrern vgl. Marinos SARIYANNIS, Aspects of ›Neomartyrdom‹. Religious Contacts, ›Blasphemy‹ and ›Calumny‹ in 17th Century Istanbul, in: Archivum Ottomanicum 23 (2005--2006), S. 249--262. ↩︎

  42. Donald QUATAERT, Clothing Laws, State, and Society in the Ottoman Empire, 1720--1829, in: International Journal of Middle East Studies 29:3 (1997), S. 403--425, hier S. 410. ↩︎

  43. 85 Numaralı Mühimme Defteri (1040--1041 [1042]/1630--1631 [1632]), Ankara 2002, S. 279, Nr. 456. ↩︎

  44. Tülün DEĞIRMENCI, An Illustrated Mecmua. The Commoners' Voice and the Iconography of the Court in Seventeenth-Century Ottoman Painting, in: Ars Orientalis 41 (2011), S. 186--218, hier S. 197. ↩︎

  45. Zum kulturellen Leben dieser Epoche vgl. Shirine HAMADEH, The City's Pleasures. Istanbul in the Eighteenth Century, Seattle 2008; Dana SAJDI (Hg.), Ottoman Tulips, Ottoman Coffee. Leisure and Lifestyles in the Eighteenth Century, London 2008. ↩︎

  46. Ersterer Autor moniert zudem die Überschreitung religiöser Grenzen durch Juden, die im Kaffeehaus auf höheren Stühlen säßen als Muslime: Dana SAJDI, The Barber of Damascus. Nouveau Literacy in the Eighteenth-Century Ottoman Levant, Stanford 2013, S. 30--31. ↩︎

  47. So etwa in einem ferman zur Kleidung muslimischer Frauen in Istanbul von 1726: İstanbul Kadı Sicilleri. İstanbul Mahkemesi 24 Numarali Sicil (H. 1138--1151/ M. 1726--1738), Istanbul 2010, S. 97--99, Nr. 31. Zu osmanischen Kleiderordnungen dieser Zeit und ihren Hintergründen vgl. Betül İ. ARGIT, An Evaluation of the Tulip Period and the Period of Selim III in the Light of Clothing Regulations, in: Osmanlı Araştırmaları 24 (2004), S. 11--28; QUATAERT, Clothing Laws; Madeline C. ZILFI, Women and Society in the Tulip Era, 1718--1730, in: Amira EL AZHARTY SONBOL (Hg.), Women, the Family, and Divorce Laws in Islamic History, Syracuse 1996, S. 290--303. ↩︎

  48. Zur (Nicht-)befolgung von Kleiderordnungen vgl. MURPHEY, Forms of Differentiation, S. 137--141. Zu Frauen vgl. Kate FLEET, The Powerful Public Presence of the Ottoman Female Customer, in: Ebru BOYAR / Kate FLEET (Hg.), Ottoman Women in Public Space, Leiden 2016, S. 91--127. Zu Juden und dem hier erwähnten Schleiertragen nicht-muslimischer Frauen vgl. Minna ROZEN, A History of The Jewish Community of Istanbul. The Formative Years (1453--1566), Leiden 2002, S. 21--23, 287. ↩︎

  49. Zu osmanischen Kadiamtsregistern vgl. Suraiya FAROQHI, Sidјill (in Ottoman Administrative Usage), in: Encyclopaedia of Islam, Bd. 9, Leiden 21997, S. 539--545. Zum Amt des Kadis vgl. Rossitsa GRADEVA, On the Judicial Functions of Kadi Courts. Glimpses from Sofia in the Seventeenth Century, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 2 (2005), S. 15--43. Zu Nicht-Muslimen vor islamischen Gerichten vgl. Richard WITTMANN, Before Qadi and Grand Vizier. Intra-Communal Dispute Resolution Among Christians and Jews in the Plural Society of 17th Century Istanbul, unveröffentl. Ph.D., Harvard University, Cambridge 2008. ↩︎

  50. Zu osmanischen Zünften vgl. Eunjeong YI, Guild Dynamics in Seventeenth-Century Istanbul. Fluidity and Leverage, Leiden 2004; Suraiya FAROQHI / Randi DEGUILHEM (Hg.), Crafts and Crafsmen in the Middle East. Fashioning the Individual in the Muslim Mediterranean, London 2005. Zu den unterschiedlichen Istanbuler Bäckerzünften vgl. Salih AYNURAL, The Millers and Bakers of Istanbul (1750--1840), in: ibidem, S. 153--194. Zur religiösen Zusammensetzung der Istanbuler Zünfte vgl. Suraiya FAROQHI, Did Cosmopolitanism Exist in Eighteenth-Century Istanbul? Stories of Christian and Jewish Artisans, in: Ulrike FREITAG / Nora LAFI (Hg.), Urban Governance Under the Ottomans. Between Cosmopolitanism and Conflict, London 2014, S. 21--36. ↩︎

  51. Zu Soldaten in Handwerkerzünften vgl. Gülay Yılmaz DIKO, Blurred Boundaries between Soldiers and Civilians. Artisan Janissaries in Seventeenth Century Istanbul, in: Suraiya FAROQHI (Hg.), Bread from the Lion's Mouth. Artisans Struggling for a Livelihood in Ottoman Cities, New York 2015, S. 175--193. ↩︎

  52. Lehrlinge sind, ebenso wie Mit- und Hilfsarbeiter oder assoziierte Partner und Investoren, in offiziellen Dokumenten selten verzeichnet, da sie nicht als Vollmitglieder einer Zunft mit allen Rechten und Pflichten galten, sondern ihre Mitgliedschaft über ihren Meister sicherten: Eunjeong YI, Guild Membership in Seventeenth-Century Istanbul. Fluidity in Organization, in: FAROQHI / DEGUILHEM (Hg.), Crafts and Craftsmen in the Middle East, S. 55--83. ↩︎

  53. Über das Zusammenleben in der engen und gleichzeitig religiös und sozial sehr heterogenen Metropole Istanbul vgl. Rhoads MURPHEY, Communal Living in Ottoman Istanbul. Searching for the Foundations of an Urban Tradition, in: Journal of Urban History 16 (1990), S. 115--131. ↩︎

  54. Ein Beispiel für Ärger wegen unrechtmäßiger Ausweitung des Tätigkeitsfeldes bietet ein Mitglied der Simit-Bäckerzunft, Coco oder Çoco aus dem Viertel Sarıgız. Er wurde kurz vor der hier besprochenen Zunft-Streitigkeit beschuldigt, nebenbei hochwertiges Brot zu backen, was Brotbäcker und andere aus der Nachbarschaft gegen ihn aufbrachte und ihm auf deren Beschwerde hin untersagt wurde: İstanbul Kadı Sicilleri. İstanbul Mahkemesi 24 Numarali Sicil (H. 1138--1151/ M. 1726--1738), Istanbul 2010, S. 315--317, Nr. 234. ↩︎

  55. Zur Immigrationspolitik vgl. Betül BAŞARAN, Selim III, Social Control and Policing in Istanbul at the End of the Eighteenth Century, Leiden 2014. Zu Immigranten und Marginalität vgl. Işıl ÇOKUĞRAŞ, Bekâr Odaları ve Meyhaneler. Osmanlı İstanbulu'nda Marjinalite ve Mekân (1789--1839), Istanbul 2016. Zu Immigranten und Zünften vgl. Suraiya FAROQHI, Immigrant Tradesmen as Guild Members, or the Adventures of Tunisian Fez-Sellers in Eighteenth-Century Istanbul, in: Jane HATHAWAY (Hg.), The Arab Lands in the Ottoman Era (1600--1900), Minneapolis 2009, S. 187--207. ↩︎

  56. Zu fluiden, sich je nach Lebensabschnitt und sozialem Status wandelnden Geschlechterrollen vgl. Walter G. ANDREWS / Mehmet KALPAKLI, The Age of Beloveds. Love and the Beloved in Early Modern Ottoman and European Culture and Society, Durham 2005; Leslie P. PIERCE, Seniority, Sex, and Social Order. The Vocabulary of Gender in Early Modern Ottoman Society, in: Madeline C. ZILFI (Hg.), Women in the Ottoman Empire. Middle Eastern Women in the Early Modern Era, Leiden 1997, S. 169--196. ↩︎