Nikolaus Gallus und Matthias Flacius Illyricus, Der Theologen Bedenken oder Beschluss des Landtages zu Leipzig 1548. Stellungnahme der Theologen zu den Einwänden der kursächsischen Landstände (1549)

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Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich

Einleitung

Die beiden wegen ihrer Gegnerschaft gegen das Augsburger Interim wie auch gegen die Leipziger Landtagsvorlage nach Magdeburg übergesiedelten Theologen Gallus und Flacius gaben den Landtagsentwurf und weitere einschlägige Texte im Jahr 1550 in den Druck, um die Öffentlichkeit über die zur Debatte stehenden Maßnahmen zur Umgestaltung des kirchlichen Lebens zu informieren und für die eigene, ablehnende Haltung zu gewinnen. Dabei fügten sie kommentierende Bemerkungen bei, die in der vorliegenden Ausgabe kursiv wiedergegeben sind. Die Markierungen, mit denen die Bezüge zwischen Haupttext und Anmerkungen hergestellt wurden, sind hier als eingeklammerte Großbuchstaben gestaltet.


Quellentext

Auff der Ritterschaft und Stedte bedencken
der Herrn Theologen ihres vorigen berichts erklerung.


Scholion.[1]

Hie ist zu wissen, das beide, Ritterschaft und Stedte, an der Theologen bedencken mangel gehabt und gebeten haben, etliche sondere verdechtige, grobe stück erauszuthun. Habens aber nicht erhalten können, sondern die gütigen Herrn wollen mit irem bedencken schlecht durchdringen, gedenckens nicht zu verendern unnd verteidigens fast widder ihr unnd der Landtschafft gewissen, wie aus itzt folgender antwort zu sehen.

Erstlich berichten wir, (N) das die ubergebene Artickel nicht von uns alleine bedacht und gestellet sein, sondern von andern mehr Pastoren und Predigern, darumb wir sie nicht zu endern gedencken. (O)

(N) Die Adiaphoristen schreien itzund sehr: »Wir haben nichts verendert, wir haben nichts verendert!« Danck habt ihr lieben Herrn, ir seid from[2], jr habt nie kein Wasser betrübt.[3] Es hat an ewerm guten willen vnnd mühe freilich nicht gemangelt. Darumb möcht ir euch mit diesem rhum wol verkriechen.
(O) Aber Gott der Almechtige gedencket sie gantz unnd [J 3v:] gar zu verwerffen unnd die Adiaphoristen darüber zu schande zu machen.

So sind sie auch also gestellet, das sie annemlich und nicht allein nicht ergerlich, sondern auch zu guter unterweisung unnd zu gutem Exempel dienstlich sein werden (P).

(P) Freilich, das werck weisets selbs aus. O perversum Adiaphoristarum iudicium!

Das aber etliche sorgfeltigkeit[4] (Q) fürfellet[5] in Artickeln de Ordinatione,[6] Confirmatione,[7] Unctione,[8] Missa,[9] thun wir diesen bericht.

(Q) Es ist nur eitel unnütze sorgfeltigkeit unnd nicht irtumb oder betriegliche Sophisterei.[10]

Erstlich, von der Ordination ist durch Gottes gnade zu hoffen, (R) wie es auch die notturft ist, sonderlich umb der Nachkomen willen, das solche Bischoffe (S) sein werden, die sich der Kirchen getreulich mit Ordination, examine, visitation und andern Bischofflichen Emptern annemen. Und stehet solchs darauff, wie in den Artickeln gestellet ist, das tüchtige Personen, gelert unnd Gottfürchtige, zu diesen Emptern beruffen werden.

(R) Das ist ein rechter starcker glaub der Adiaphoristen, sie hoffen widder ire eigen hoffnung, das die Wölffe noch einmahl werden zu guten Hirten werden, one zweiffel nach der Prophecei: »Die Wölffe werden sich weiden mit den Lemmern« etc., Esa. xi.[11]
(S) Als Julius,[12] Sydonius,[13] Karlwitz.[14]

Von der Confirmation ist nicht ergerlich, sondern nützlich und löblich, so sie dermassen gehalten wird, (T) wie offt davon geschrie-[J 4r:]ben und wie an etlichen örten im brauch ist, das die jungen Leute von xii. odder xv. Jaren verhört werden und ires Glaubens bekentnis thun. Und achten dieses vor ein sehr nützlich werck zur zucht, zu Gottes furcht und zu verhütung falscher Lehre und Secten.

(T) Nemlich wie im Leiptzischen Interim stehet, da Göttliche gnade an der Bischoffe oder ihrer Churtisanen[15] aufflegen der hende gebunden ist. Lieben Herrn, es wird euch nicht darnach zugelassen werden, das ir solt treumen auslegung des Jnterims, wie ir wolt, sondern die Bischoffe, welchen ihr das Regiment uber die Kirche gegeben habt, werdens auslegen nach irer starcken Glosa.[16]

Das man aber das Chrisma[17] anficht, dieses stück ist auffgeschoben und gehört in den beschluß (U), in andern Artickeln wölle man sich mit den Bischoffen weiter unterreden (V).

(U) Das Chrisma ist nicht gar verworffen, sondern wie im Beschluß des Interims stehet, man wil sich umbsehen unnd mit den Bischöffen vergleichen. Das ist: man mus sich umbsehen, ob man nicht köndte etwa ein ander schmaltz erfinden, welchs nicht so gar garstig were und auch den Bauren stüncke.
(V) Sehet, das irs gut machet!

Also sol auch der Artickel von der Oelung verstanden werden, wie außdrücklich angehenget, das alle abergleubische stücke (W) davon wegzuthun. Und hat der Artickel inn diesem verstande keine beschwerung, der denn klar ausgedrückt ist.

[J 4v:] (W) Das ist ein uberaus fein Sophisma[18] und gilt eben so viel, als wenn man sagte: Man sol, mit urlaub,[19] ein dreck[20] auffen[21] tisch setzen, aber zuvor den gestanck und unflat[22] davon abwaschen. Denn die gantze Oelung ist ein abergleubisch ding.

Die sorgfeltigkeit[23] von der Messe ist damit auffgehaben, das im Artickel von der Messe ausgedruckt ist, das da solle Communio unnd reichung des Sacraments geschehen. (X)

(X) Wenn man denn bei der Papistischen messe Communion hielte, were sie darumb unstreffliche?

Vom fest Corporis Christi[24] ist der verstant nicht, (Y) das umbtragen[25] zu halten, sondern daran vom Sacrament unnd rechtem brauch zu predigen.

(Y) Warumb habt ihr es nicht dabei geschrieben inn euerm Interim? Die Bischoffe werden darnach das Interim auslegen und nicht ihr. Denn ihr ubergebet ihnen das Regiment uber die Kirche.

Desgleichen ist vom Confiteor[26] nicht die meinung, (Z) damit der heiligen anruffung (Confiteor Marie) unnd andere misbreuche zu bestetigen. Sondern vernünfftige und Gottfürchtige Pastores unnd Superattendentes werden zu jeder zeit sich und andere in fürfallenden stücken inn der Kirchen Christlich wissen zu erinnern. (A) Wie denn nicht müglich ist, (B) ein ordnung zu stellen, darinnen alle die fürfallende Casus ausgedruckt werden mügen.

(Z) Der Text im Interim und Auszug sagt, die Priester [K 1r:] sollen anfencklich das Confiteor sprechen; articulus (»das«) weiset auff das gewönliche Confiteor und leidet nicht, das man etwas anders an seine stat setzet. Darumb ist entweder die Glosa oder der Text nichts.
(A) Sie werden, indes man den Introitum[27] singt, heimlich einen Psalm oder etwas anders schwatzen, wie Doctor Maior diesen puncten ausgeleget hat im Interim. Aber sol gleichwol also schlecht stehen, das man das Confiteor sprechen sol, auff das man damit den Keiser betriege.[28] Denn solchs, wie bald folget, dienet zum friede.
(B) Es ist wol unmüglich, eine solche strasse zu machen, da sich niemand anstossen oder auch fallen möchte. Aber das ist wol müglich, das man ein weg mache, da nicht mit fleis stricke, netze, gruben, falle etc., wie im Leiptzigschen Interim geschicht, gestellet werden.

Und beruhen endtlich darauff, weil wir verstehen (C), das rechte Lehre vnd Ceremonien in unsern Kirchen bleiben, und zu hoffen ist, solche maß werde zu frieden dienstlich sein, das dieser Artickel also on weiter Disputation zu willigen.

(C) Ir verstehet, das dasjenige bleiben wird, so ir selbest verderben helffet.

Vom Fleischessen ist im Artickel ausgedrückt, das es als ein weltliche Ordnung (D) zu halten, und ist inn allen Artickeln fürnemlich daran gelegen, das man gelerte Gottfürchtige Prediger (E) habe, die allzeit in allen stücken von rechter Lahr und von rechten Gottesdiensten das volck treulich unterweisen können.

(D) Wenn das Fleisch essen eine weltliche Ordnung ist, was mengt irs denn unter die Religionsartickel? Aber [K 1v:] man muss die Leute mit worten betriegen unnd bescheissen.
(E) Derer werdet ihr bald genug haben, so ihr fortfaren werdet, wie irs an merern örtern in Meissen angefangen habt,[29] die verstendige unnd bestendige Prediger zu verjagen und Moros[30] an ire stat zu setzen. So aber doch etliche gelerte unnd Gottfürchtige Prediger inn der Kirche bleiben werden, die werden sich wol wissen zu halten und die Leute recht zu unterweisen, nemlich sie werden dieses Interim anspeien unnd alle euere Adiaphora mit Füssen treten.

So erbieten (F) wir uns auch, zu Christlicher einigkeit durch Gottes gnade fleissig zu erbeiten.

(F) So hoffen wir in Gott den allmechtigen, er werde diese Unchristliche vergleichung des liechtes mit der finsternis, des Herrn Christi mit dem Belial und Antichristo,[31] und alle solche eure arbeit dazu, zu nichte machen.

Philippus Melanchthon. (G)

(G) Es zeugen sehr viel glaubwirdiger Leute, welcher es auch zum teil gesehen, das Philippus diese schrifft mit seiner eignen hand unterschrieben habe. Ist es aber nicht war, so bezeuge ers mit einer gedrückten Schrifft.

Bibliographie

Textvorlage: Irene DINGEL (Hg.), Der Adiaphoristische Streit (1548-1560), Göttingen 2012, S. 413-416.

Anmerkungen

  1. Scholion nannte man in der mittelalterlichen gelehrten Unterrichtspraxis eine Erläuterung zum besseren sprachlichen oder inhaltlichen Verständnis einer Textstelle. In diesem Sinne verstehen die Herausgeber Flacius und Gallus ihre Vor- und Zwischenbemerkungen, die sie vom Haupttext unterschieden wissen wollen. In unserer Ausgabe sind sie kursiv gesetzt.
  2. Rechtschaffen, untadelig.
  3. Ihr seid Unschuldslämmer. Anspielung auf eine Fabel des antiken griechischen Dichters Aesop (6. Jhdt. v. Chr. geb.), in der ein Lamm von einem Wolf fälschlich beschuldigt wird, ihm das Trinkwasser getrübt zu haben, obwohl es weiter unten am Bach steht. Dem Wolf geht es dabei nur um einen Vorwand, um das unschuldige Lamm zu fressen.
  4. Besorgnis.
  5. Vorkommt, vorhanden ist.
  6. Priesterweihe (vgl. ⌘ Quelle 2, Anm. 15).
  7. Firmung (vgl. ⌘ Quelle 2, Anm. 15).
  8. Krankensalbung bzw. Letzte Ölung (vgl. ⌘ Quelle 2, Anm. 15).
  9. Messe bzw. Abendmahl (vgl. ⌘ Quelle 2, Anm. 15).
  10. Betrügerische Spitzfindigkeit. Der antiken Philosophenschule der Sophisten sagte man nach, ihre Anhänger könnten nach Belieben auf argumentativem Weg aus Schwarz Weiß und umgekehrt machen, ohne irgendwelche Skrupel.
  11. Jes 11,6.
  12. Julius von Pflug, der Bischof von Naumburg-Zeitz, einer der Mitarbeiter am Augsburger Interim.
  13. Michael Helding, Weihbischof in Mainz, Titularbischof von Sidon, ab 1549/50 Bischof von Merseburg, ebenfalls Mitarbeiter am Augsburger Interim.
  14. Nikolaus (II.) von Karlowitz, Bischof von Meißen (ab 1550).
  15. Höflinge.
  16. Glosse = Erläuterung, hier ist die Erklärung der Bischöfe Johann VIII. von Meißen und Julius Pflug von Naumburg-Zeitz von Ende Dezember 1548 gemeint, worin sie festhielten, dass sie den Leipziger Landtagsentwurf durchwegs im Sinne des Augsburger Interims interpretierten.
  17. Salböl; es wurde bei verschiedenen Weihehandlungen eingesetzt.
  18. Trugschluss, Haarspalterei.
  19. Mit Verlaub, man gestatte den groben Ausdruck.
  20. Kothaufen.
  21. Auf den.
  22. Schmutz.
  23. Die Schwierigkeit, das Bedenkliche.
  24. Fronleichnamsfest.
  25. Die öffentliche feierliche Prozession, bei der die konsekrierte Hostie (das in den Leib Christi verwandelte Abendmahlsbrot) umhergetragen und verehrt wurde.
  26. Als Confiteor wird nach seinem Anfangswort das Allgemeine Schuldbekenntnis bezeichnet, das als Teil des Stufengebets zu Beginn der Messe vom Priester gebetet wurde. In der vortridentinischen Ära gab es vielerlei unterschiedliche Formen mit Anrufung unterschiedlicher Heiliger als Fürbitter.
  27. Das Eingangsstück der Messe, ursprünglich Chorgesang, der den Einzug des zelebrierenden Priesters und seines Gefolges in den Altarraum begleitete. Der Introitus wird vom Priester intoniert, dann vom Chor fortgesetzt.
  28. Anspielung darauf, dass die Landtagsvorlage angeblich nur den Zweck erfüllen sollte, dem Kaiser zum Schein, das Augsburger Interim anzunehmen.
  29. »Das Meissner Konsistorium [...] wirkte [...] mit allem nur möglichen Eifer für die Verwirklichung des ›Auszugs‹.« Albert CHALYBAEUS, Die Durchführung des Leipziger Interims, Chemnitz 1905 (Diss. Leipzig 1904), S. 9.
  30. Toren, Narren. Hier dürfte jedoch auch konkret an Georg Mohr gedacht sein, der an die Stelle des abgesetzten Torgauer Pfarrers und Superintendenten Gabriel Zwilling (Didymus) gesetzt wurde. Vgl. CHALYBAEUS, Durchführung, S. 46–58.
  31. Vgl. II Kor 6,14f.