Der unschuldigen Adiaphoristen Chorrock / darüber sich die unrugige und Störrische Stoici mit ihnen zancken

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Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich

Quelle

Das Flugblatt mit heruntergeklapptem »Chorrock«
Das Flugblatt mit aufgeklapptem »Chorrock«

Der unschuldigen Adiaphoristen Chorrock / darüber sich die unrugige und Störrische Stoici[1] mit ihnen zancken.


Das Blatt zeigt rechts eine Gruppe von Gelehrten, in vorderster Linie ein Geistlicher im reich verzierten Messgewand, der einen weißen, stark gefältelten Chorrock trägt. Er zeigt argumentierend auf einen überdimensionalen Chorrock in der Mitte des Blattes. Unterhalb des Saumes sind Krallen eines Drachen und ein langer Schwanz mit einem Widerhaken am Ende zu erkennen, im Halsbereich ein Gesicht mit einem Teufelshorn. – Auf der rechten Schrifttafel ist zu lesen: »Entschuldigung des Chorrocks. Es ist doch nur ein weisses kleid / Darüber mann so hefftig streit. Warumb wolten wir’s nicht nemen an / Sintemal[2] wir davon können han[3] / Fried / gute zucht / und anders mehr / Erhalten Land / Leut / Gut und Ehr!« – Auf der linken Seite sieht man eine Gruppe Gelehrter, die gegenüber dem Chorrock in der Mitte eine abwehrende Haltung einnehmen. Auf der linken Schrifttafel ist zu lesen: »Antwort. Es sei ein schwartz oder weisses kleid / Sei eins oder mehr hat sein bescheid. Das mus mann aber sehen an / Das unter dieser weissen fahn. Unter diesem Engelischen[4] kleid Ein schwartzer Teuffel begraben leit.« – Der Chorrock in der Mitte ist im Halsbereich angeleimt und kann hochgeklappt werden, darunter zeigt sich eine Teufelsgestalt, die eine Schrifttafel mit folgendem – ironisch-uneigentlich zu verstehenden – Text hält: »Dje Adiaphoristischen Theologen wollen K. M.[5] in der Religion gehorsam sein / und keine spaltung mehr (wie sie zuvor gethan) haben. Sie raten treulich andern leuten zu diesem gehorsam. Geben auch nach[6] / das wir nicht allein durch den Glauben gerecht werden, sonder die guten wercke sind auch von nöten dazu / und die andere tugenten wirken auch mit den glauben.[7] Die Busse ist nicht reue und glaub / sonder ist Beicht / Absolution und was dem anhengig ist / das ist genugthuung und Ablas.[8] Mann sol gleuben und leren / was die kirche erkennet und ordnet. Alle Prediger sollen dem öbersten Bischoffe / das ist / dem Bapste und andern Bischoffen gehorsam und unterworffen sein. Die gründe der sieben Sacrament soll man widder auffrichten.[9] Die gantze Papistische Messe und horae Canonicae sollen widerumb gehalten werden[10] Das heilige fest Corporis Christi[11] / da mann die Monstrantz[12] umtreget und anbetet / soll mann widderumb halten / und andere dergleichen. Mit Fanen, Kertzen etc. Fastnachtspiel in der Religion und Kirche treiben / stehet wol. Die Teuffelsverbote Fleisch zu essen / soll mann in der kirche allgemehlich widderumb auffrichten / doch unter einem schein.[13] Und Summa / man soll alle Ceremonien halten / wie es die Papisten halten / denn das ist eine köstliche zucht.[14] In den andern stücken wollen sie sich sehr gerne mit ihren Bischöffen vergleichen. Es ist nicht von nöten / das du klar bekennest / das du das Interim nicht wilt annemen / oder von der Augspurgischen Confession abweichen / Ja es ist auch nicht sünde / das du mit alle deinen geberden / ja auch mit allen Kirchenceremonien dich also stellest / als ob du von der waren Religion abfallest / und das Interim annemest. So du einen Stoischen Pfarrherrn hast / der da bekennen und die Wolffe anbellen will[15] / denselbigen treib weg / und sage / Gehe und bekenne mit deiner eignen gefahr. Mann kann wol ein Mittelweg finden / das mann zweien Herren diene[16] / und Christi und der Gottlosen Welt gunst behalte. Man kann wol von dem Evangelio das schwerd und feur absondern.[17] Wer dieses malzeichen des Thiers annimpt / der wird mögen keuffen und verkeuffen[18] / Wer aber wil ein φιλόνεικος[19] / zenckischer Luthers schüler bleiben / Der ist des tods schüldig.«

Bibliographie

Illustrierter Einblattdruck (Entwurf Matthias Flacius Illyricus, Holzschnitt: Monogrammist BP, Druck: Pankratius Kempff, Magdeburg, 295mm x 360mm).

Abbildungen nach: Walter L. STRAUSS, The German Single-Leaf Woodcut 1550-1600, Bd. 2, New York 1975, S. 507.

Anmerkungen

  1. Wohl als Gegensatz zu den »Epikurern« gebraucht, wie die Gegner die Adiaphoristen nannten, denen sie vorwarfen, um eigener Vorteile willen die reine Lehre zu verraten. Ein tieferer inhaltlicher Bezug zur antiken Philosophenschule der Stoiker liegt anscheinend nicht vor.
  2. Zumal.
  3. Haben.
  4. Engelhaften.
  5. Kaiserliche Majestät.
  6. Gestehen auch zu/ein.
  7. Die zentrale reformatorische Erkenntnis und Botschaft Luthers war es, dass der Mensch gerecht wird allein aus Glauben, nicht aufgrund eigener Leistung (vgl. Röm 3,28).
  8. Die reformatorische Definition steht voran: Buße (Umkehr) besteht aus Reue und Glauben. Im altgläubigen Verständnis setzt sich das Bußsakrament aus dem Sündenbekenntnis (Beichte), der Lossprechung von der Schuld durch den Priester, der die Beichte angehört hat (Absolution) und Bußleistungen (Genugtuung und Ablass, d. h. Erlass der Strafe) zusammen.
  9. Zur Siebenzahl der Sakramente vgl. ⌘ Quelle 2, Anm. 15.
  10. Altgläubig wurde die Messe als Opferfeier verstanden, in der Gott dem Vater der Leib und das Blut seines Sohnes dargebracht werden.
  11. Fronleichnamsfest (Fest zu Ehren des in den Leib Christi gewandelten Brotes aus der Messe).
  12. Ein meist kostbar ausgestaltetes Schaugefäß zur Präsentation der gewandelten Hostie.
  13. Vorwand.
  14. Disziplin, Ordnung.
  15. Vgl. Joh 10,11f.
  16. Vgl. Mt 6,24.
  17. Vgl. Mt 10,34; Lk 12,49.
  18. Vgl. Apk 13,17.
  19. (Griech.) zum Kampf geneigt, zänkisch.