Eines Sächsischen Maidleins Klag und Bitt (1548/49)

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Medienereignis und Bekenntnisbildung: Das Interim im Heiligen Römischen Reich

Quellentext

[A 2r:] [1] Ach, Gott Vatter, durch Jhesum Christ,
der du der waisen Vater bist,
ich bit dich aus meins hertzen grundt
Und schrei zu dir mit meinem mundt!


[2] Mein Vaterlandt bedrenget ist,
gefangen hart mit falsch[1] und list.
Dein heiliges wort wirt weckgethan,
des Bapsts greul feht[2] wider an.


[3] Jungfraun werden greulich geschendt,
den weisen[3] wirt das Ihr entwendt.
Kein Man, kein Man in Deudschem land,
der uns schützet vor solcher schandt.


[4] Drumb knie ich hie und schrei zu dir,
gnediglich, Herr, wollst helffen mir,
das ich mag bleiben bei deim[4] Wort,
geschendet nicht, noch weggefurt.


[5] Behüt auch ander Junckfraun zart
fürn Spaniern, der falschen art,
darzu die frauen tugentreich.
Hilff, das sie folgen alle gleich.


[A 2v:] [6] Wir Sechsischen Medlein, ach Gott,
weil wir vor uns han[5] schandt und todt
– des Bapsts und Spanier[6] grossen grim
sicht[7] Man sehr wol im Interim –


[7] kein schmuck an meinem leibe sei,
bis Deudschland[8] werde wider frei,
kein Mann noch Jüngling hie auff erdt,
dem ich freuntlich zusprechen werdt.


[8] Kein trunck ich nim von keinem Man,[9]
weil sie kein hertz im leibe han.[10]
Stets sol mein angesicht sau’r sehn,[11]
bis die Spanier untergehen.


[9] Welcher dan hat das best gethan,[12]
der sol mir sein der liebste Man,
er sei gleich Jung, er sei gleich Alt,
er sei gleich Arm und ungestalt.


[10] Er ist warlich ein treuer helt,
den preissen sol die gantze welt.
Ein krentzlein schenck ich ihm zu lohn,
gewunden mit mein henden schon.[13]


[A 3r:] [11] Zwen[14] heldt des Kriegs gabstu uns, Gott:
Arminium, den dritten Ott;
Arminius macht frei Deudsch Landt,[15]
Ott stifftet der Churfürsten standt,[16]


[12] durch welch das Reich erhalten wardt
– der Endtchrist[17] ward drin offenbart –,
abr Keiser Carl, geborn zu Gent,[18]
itzt diesen treuen standt zutrent,


[13] macht unterm Adell Meuterei,
das kein treu Man bei Fürsten sei;
hat am Fürsten beweist sein tuck,[19]
wie pflegt der untreue Kuckuck;[20]


[14] durch Spanier, die falschen[21] leutt,
alles regiret und gebeut;
kein Fürst nimmer darff reden ein,
was er[22] will han, mus nu so sein,


[15] gleichwie ein wütiger Tyran,[23]
und das wil unser Adel han.
Wie untreu schlecht sein eignen Herrn,[24]
will der Adel erfaren gern.


[16] Doch lieber Gott, ich weis fur-[A 3v:]war,
du wirst uns nicht verlassen gar.
Das freu ich mich zu aller stunt.
Ein knüttel ligt noch bei dem hundt.[25]


[17] Drum gib uns, Herr, den dritten Heldt,
der dir alleine wolgefelt,
ach Herr, ich mein einen Jehu,[26]
doch sich[27] du selber auch mit zu,


[18] das doch mein liebes vaterlandt
erlöst werdt aus der Spanier handt
Las uns bleiben bei deinem Wort,
steuer[28] des Bapsts unnd Spanier Mordt![29]


A M E N.


Bibliographie

Anmerkungen

  1. Betrug.
  2. Fängt.
  3. Waisen.
  4. Deinem.
  5. Haben.
  6. Kaiser Karl V., seit 1516 bereits König von Spanien, Sohn Johannas (genannt »die Wahnsinnige«) und Philipps (genannt »der Schöne«) von Kastilien.
  7. Sieht.
  8. Erst in der Renaissance beginnt man mit einer gewissen Selbstverständlichkeit von Deutschland zu reden, bei aller Unbestimmtheit des Begriffs. Vgl. Art. Deutschland, in: DWb 2, 1052f.
  9. Ich werde mir von keinem Mann ein Getränk ausgeben lassen, d. h. mich jedem Versuch verweigern, eine Bekanntschaft mit mir anzuknüpfen.
  10. Kein Herz im Leibe haben = feige sind.
  11. Abweisend, missgelaunt erscheinen.
  12. Wer dazu den größten Beitrag geleistet hat …
  13. Der Kranz kann symbolisch sowohl für den Siegespreis als auch für die Jungfräulichkeit stehen. Zugleich stellt die Gestalt der sächsischen Jungfrau mit dem Kranz eine Anspielung auf das Magdeburger Stadtwappen dar.
  14. Zwei.
  15. Der Cheruskerfürst Arminius führte jene germanischen Kämpfer an, die im Jahre 9 n. Chr. drei römische Legionen unter dem Befehl des Statthalters Publius Quinctilius Varus vernichteten und damit den Zugriff Roms auf das nördliche Germanien dauerhaft vereitelten. Auf die »Germania« des Tacitus geht das Epitheton »Befreier Germaniens« für Arminius/Hermann zurück. Vgl. Volker LOSEMANN, Art. Arminius, in: Der Neue Pauly, Bd. 2 (1997), S. 14–16.
  16. Im 16. Jahrhundert ging man davon aus, Kaiser Otto III. habe die Kaiserwahl durch sieben Kurfürsten festgelegt. Dieser Irrtum hatte große Verbreitung gefunden durch das vielbenutzte »Chronicon pontificum et imperatorum« des Martin von Troppau († 1278). Entsprechende Notizen finden sich auch in der »Supputatio annorum mundi« (1541/1545) Martin Luthers (WA 53, 152). Die Stadt Magdeburg verdankte den Ottonen ihre erste Blüte.
  17. Die Bezeichnung »Endchrist« betont insbesondere das eschatologische Moment der Antichristgestalt; das Papsttum wird als Widerchrist am Ende der Zeiten offenbart durch die Predigt des Wortes Gottes, das Interim gehört mit zu den Zeichen des Endchrists. Vgl. Volker LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618, Gütersloh 1999, bes. S. 103–109, 206–243.
  18. Karl V. war am 24. Februar 1500 in Gent geboren worden.
  19. Hinterlist, Tücke.
  20. Der Kuckuck ist ein Brutparasit; er legt seine Eier in fremde Nester, und die jungen Kuckucke werfen ihre Stiefgeschwister aus dem Nest. An der vorliegenden Stelle spielt wohl der Gedanke eine Rolle, dass Karl V. die Kaiserwürde nicht zuletzt dem ernestinischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen von Sachsen verdankte, aber dessen Neffen und Nachfolger Johann Friedrich nun der Kurwürde und eines Teils seiner Lande beraubt hatte, zugunsten seines albertinischen Vetters Moritz.
  21. Heimtückischen, verschlagenen.
  22. Kaiser Karl V.
  23. Die Hoffnungen, die sich einst mit dem Regierungsantritt Karls V. verbunden hatten, waren inzwischen längst verflogen, und sein Versuch, die kultisch-religiöse Einheit des Reiches mit Waffengewalt wiederherzustellen, schadete dem Ansehen des Kaisers in protestantischen Kreisen erheblich; der versuchte Gewissenszwang wurde als Tyrannei empfunden. Hinzu kamen Karls Bestrebungen, ein Erbkaisertum für das Haus Habsburg zu etablieren und die Position des Kaisers gegenüber den Reichsständen zu stärken.
  24. Sprichwörtlich: Untreue schlägt den eigenen Herrn, d. h. der Untreue schadet sich selbst.
  25. Redensartlich: Es gibt noch eine Möglichkeit, dem Rasenden Einhalt zu gebieten.
  26. Gedacht ist höchstwahrscheinlich an den israelitischen König Jehu (reg. ca. 845–818 v. Chr.), der die Omridendynastie auslöschte und die offizielle Baalsverehrung in Samaria beendete.
  27. Sieh. Sieh mit zu = sorge mit dafür.
  28. Wehre, verhindere, mach ein Ende damit.
  29. Vgl. die Anfangsverse aus dem Lied, nach dessen Melodie die Strophen gesungen werden sollen: »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Und steur des Bapsts und Türcken Mord«, Luther, WA 35, 467, 26f.