Philipp Wernick, Friede auff Erden (1648)

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Friedensrepräsentationen in der Frühen Neuzeit

Quellentext

[S. 4:]

IN NOMINE IESU

Praeloquium.

Wir haben, Geliebte und Andächtige in dem Herrn, Neun und Zwanzig Jahr nacheinander den erbärmlichen Friedens-Zerstörer, den Krieg und dabei unzählig viel Jammer, Angst, Not und Elend in unseren lieben Vaterland Deutscher Nation gehabt, darum denn viel Tausendmal Tausend frommer Christen nach den lieben Frieden wünschen und streben uns zu Gott dem Herrn mit andächtigen und Bußfertigen Herzen seufzen und mit David sagen, Psalm 85,9, »Ach, dass Ich hören sollte, was Gott der Herr redet, dass er Friede zusagte seinem Volk und seinen Heiligen.«

So haben auch durch Gottes Gnade die Friedens-Tractaten[1] nochmals ihren Fortgang, dass jedermann mit Freuden hoffet, dass dieselbigen in kurzer Zeit ein gewünschtes Ende erlangen und der hocherfreuliche Friedens-Bote bald zu uns kommen werde, O Herr hilf, O Herr lass wohl gelingen. Wenn wir dieses erfahren und erleben werden, dass Gott die große Krieges-Last von uns nehmen wird, da wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein, da wollen wir ein Dank-Fest halten und sagen: »Der HERR hat großes an uns getan«, der Herr hat großes an Ihnen getan, »des sind wir fröhlich«, Psalm 126,3.

Wir sollen aber als Christen dabei wissen, dass der Weltliche Friede nicht für das höchste Gut zu trachten, sondern nur in die Vierte Bitte[2] unter das tägliche Brot und zeitlichen vergänglichen Güter zu rechnen sei, welche alle währen eine kleine Zeit, und helfen nicht zur Seligkeit.

Weil nun der weltliche Friede uns nicht von unsern geistlichen Feinden Sünde, Tod, Teufel und Hölle errettet, so müssen wir uns nach andern Friedens-Boten in Gottes Wort umsehen, die uns den Geistlichen und Himmlischen Frieden verkündigen. Solche fröhliche Botschaft finden wir im heutigen freudenreichen Christ-Evangelio[3], das singen die Heiligen Englein in den Lüften frei, dass Gott mit uns versöhnet sei und sprechen: »Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen« [Lk 2,14]. O der fröhlichen Botschaft, O des heiligen, seligmachenden Friedens!


[S. 12:]

Was müssen wir aber bei diesem Frieden betrachten? Höret ihr lieben Christen, wenn anjetzo ein Kurier oder Post-Bote käme und sagte: »Gott Lob, es ist Friede auf Erden, es ist Friede in der werten Christenheit, es ist Friede im ganzen Heiligen Römischen Reiche«, wie würde unter uns eine sehr große Freude erwecket werden, jedermann würde fragen:

  1. Wer hat den Frieden gegeben?
  2. Wer ist der beste Unterhändler und Mittler zu diesem Frieden gewesen?
  3. Wie wird dieser erfreuliche Friede in Deutschland ausgeblasen und angekündigt werden und
  4. Wie sollen wir‘s machen, dass wir auch dieses edlen Friedens teilhaftig werden?

Können wir nun bei dem zeitlichen und weltlichen Friede so sorgfältig sein, Ey, so lasst uns auch diese vier Umstände bei dem geistlichen seligmachenden Frieden erwägen.

[am Rand:] Pacis Autor & Dator.

  1. Bey diesen Geistlichen Frieden, Pacis Autorem & Datorem, Wer uns diesen Frieden gegeben und geschenkt hat. Das hat nun kein Erz-Engel oder Engel getan, keine Kreatur im Himmel und auf Erden, sondern der große und grundgütige Gott, der hat sich über unsere ersten Eltern und das ganze Menschliche Geschlecht erbarmet […]


[S. 36-39][zum obigen 4. Punkt]:

[am Rand:] Drei Mittel den lieben Frieden zu erlangen.

Darum wollen wir die Gnade Gottes und den lieben Frieden wieder erlangen, so müssen wir nachfolgen den Propheten Daniel und den Juden in der Babylonischen Gefängnis [Gefangenschaft] und dreierlei Mittel mit ihnen gebrauchen:

[am Rand:] 1. Vera & seria poenitentia.

Das Erste ist wahre Buße, wir müssen mit Daniel ex Cap. 9 unsere Sünde herzlich bereuen, Gott bekennen und abbitten, uns mit der Gnade und Hilfe des barmherzigen und allmächtigen Gottes in wahren Glauben trösten und unser gottloses Leben bessern und frömmer werden, das müssen tun alle drei Stände in der Christenheit, der Geistliche, Weltliche und Hausstand[4]. Denn »wir haben alle gesündigt mit unseren Vätern, wir haben missgehandelt und sind gottlos gewesen«, Psalm 106,6. Wie nun Lehrer und Regenten die besten Exempel der Tugend von sich sollen leuchten lassen, also sollen die Lehrer mit Vermahnen, die Regenten aber mit Abstrafung der Sünden eifrig fortfahren. Denn weil es an treuer Prediger Vermahnung nicht mangelt, so kann die Hohe und Unter-Obrigkeit gar viel zu Beförderung des Friedens tun, wenn sie das gottlose Wesen bei den Untertanen abschafft und die mutwilligen und beharrlichen Sünder ernstlich straft. Denn also sagt die göttliche Majestät, Jes. 1,16-20: »Wascht, reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun, trachtet nach Recht. Wollt ihr mir gehorchen, so sollt ihr des Landes Gut genießen, weigert ihr euch aber und seid ungehorsam, so sollt ihr vom Schwert gefressen werden, denn der Mund des Herrn saget's.« 

[am Rand:] 2. Precatio ardentissima.

Das andere Mittel den lieben Frieden wieder zu erlangen ist ein andächtiges Gebet, welches auch der Prophet Daniel mit den Juden gebraucht hat. Solch unser Gebet muss einzig und allein zu dem wahren Gott gerichtet sein, Deut. 6,13. Es muss andächtig sein, Jes. 66,2. Es muss demütig und auf Gottes Gnade und Christi Verdienst gegründet sein, Dan. 9,19. Wir müssen mit Gebet anhalten, Röm. 12, und dem allweisen und grundgütigen Gott in diesen irdischen zeitlichen Frieden nicht Zeit und Stunde, Jahr und Tage, Art und Weise vorschreiben. Sondern weil der weltliche Friede ein Stücklein ist von dem täglichen Brot und in die vierte Bitte gehört, müssen wir unsern Willen in Gottes Willen stellen und mit dem exculierenden[5] David sagen: Der Herr macht es mit uns, wie es ihm wohlgefällt, 2. Sam. 15,26. Wenn wir das tun, wird der große und barmherzige Vater uns wohl, wenn es uns gut ist, an Leib und Seel, zu rechter Zeit mit dem weltlichen Frieden erfreuen.

Hora Dei sunt tardae, sed valde gradae.

Je länger Gott die Hilfe aufzeucht[6], je mehr sie unser Herz erfreut.

Denn so spricht der Herr Jer. 29,11-14: »Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, nämlich Gedanken des Friedens und nicht des Leids, dass ich euch gebe das Ende, dessen ihr wartet. Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören, denn so ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.« 

[am Rand:] 3. Christiana amnestia[7] [in griechischen Buchstaben] & concordia.

Das dritte herrliche Mittel den lieben Frieden zu befördern ist: Christliche Liebe und Einträchtigkeit.

Weil der große Gott uns durch die heiligen Engelein hat Friede auf Erden ankündigen lassen und hat uns durch Christum den Geistlichen und ewigen Frieden geschenkt, und alle unsere Sünden vergeben, so sollen wir auch zusehen, dass wir als Christen und Kinder Gottes, die wir alle einen Vater und Heiland, ein Wort Gottes, eine Taufe und ein Nachtmahl, ja ein Gnaden- und Ewiges Himmelreich[8] haben, einander von Herzen verzeihen und vergeben, alle Widerwärtigkeiten, offensen[9] vergessen und friedlich, gerecht und einträchtig miteinander leben. Denn »es ist fein und lieblich, wenn Brüder einträchtig beieinander leben«, »da verheißt der Herr Leben und Segen immer und ewiglich«, Psal. 133,1,3.

Hergegen ist es ein schrecklich Ding und eine große Strafe des gerechten Gottes, von unser Sünde herrührend, dass so viel Christen Blut unter den Christen und von den Christen selber vergossen wird, darum die Christen wohl beherzigen sollen die Worte S. Pauli, Eph. 4,31-32: »Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung sei ferne von Euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich, herzlich, und vergebt einer dem andern, gleich wie Gott euch vergeben hat in Christo.«

Weil aber Gott die Herzen der hohen Potentaten in seiner Gewalt hat und sie lenken kann wie die Wasserbäche [nicht ausgewiesenes Zitat aus Spr 21,1], sollen wir als Untertanen Gott den Herrn anrufen, dass er ihre Herzen selber in guten Frieden zusammen neigen und unter ihnen Friede und Einigkeit stiften wolle, damit das Heilige Römische Reich und das arme Deutschland wieder erfreut, so viele Tausend Menschen wieder erquickt und also »Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen« mögen, Psalm 85,11.

Denn obwohl den Christen billige[10] und ordentliche Kriege zu führen zugelassen ist, ist doch Gott der Herr ein Gott des Friedens und der Liebe, 2. Kor. 13,12. Und sollen Christen, so viel als an ihnen ist, mit jedermann Friede halten, Röm 12,18, keine billigen[10] Mittel des Friedens ausschlagen und zu erlangen zeitlicher Ehre und Güter keine unnötigen und unbilligen Kriege anfangen und führen, denn Gott hat Gräuel an den Blutgierigen, Psal. 5,7, und zerstreut die Völker, die gerne kriegen, Psal. 68,31.

Bibliographie

Philipp WERNICK, Friede auff Erden. Das ist Eine Christliche Friedens-Predigt Darinnen der Him[m]lischen Heerscharen und Heiligen Engelein herrlicher Friedes-Wuntsch … erkläret und der Weltliche und Geistliche Zeitliche und Ewige Friede der werthen Christenheit von Hertzen gewünschet wird. Durch Gottes Gnade gehalten in der Kirchen zu Ronnenburg am Heiligen Christ-Tage, Gera 1648, S. 4–5; 12–13; 36–39. VD17 39:110857S.

Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:3:1-30066.

Anmerkungen

  1. Friedensverhandlungen, hier Friedenskongress in Münster und Osnabrück.
  2. Die vierte Bitte des Vaterunser-Gebets, »unser täglich Brot gib uns heute«.
  3. Predigttext in der Weihnachtspredigt ist das Evangelium nach Lukas, Kap. 2.
  4. Drei Stände in der Christenheit, der Geistliche, Weltliche und Hausstand = frühneuzeitliche Vorstellung der Gesellschaftsordnung: die Gesellschaft gliedert sich in den geistlichen Stand oder Lehrstand, den Stand der weltlichen Herrschaft und den Hausstand, die übrige Bevölkerung.
  5. Jubelnd.
  6. Verschiebt, verzögert.
  7. Amnestie/Amnesie, also Vergessen. Eine Formel, dass alle im Krieg begangenen Untaten vergessen sein sollen, die sog. Oblivionsformel, gehörte zu den Standardelementen frühneuzeitlicher Friedensschlüsse und stand auch am Anfang des Westfälischen Friedens.
  8. Nicht ausgewiesene Bezugnahmen auf 1Kor 8,6f bzw. 1Kor 12,13.
  9. Beleidigungen, Kränkungen.
  10. 10,0 10,1 Angemessen, berechtigt.